Das kleine Lever der Königin

»Heute«, verkündete die Königin froh, indem sie ans Fenster trat und die reine kalte Morgenluft einsog, »will ich auf dem Schweizer See ausfahren. Vielleicht ist morgen schon der Frühling da.«

In der Tat, am rosigen Horizont stieg zartgrauer Dunst auf, in den Beeten im Park zeigten sich die ersten Schneeglöckchen, von den Zweigen fiel der kristallene Reif.

Mademoiselle de Taverney wurde gemeldet. Als sie bei ihrem Eintreten die Königin lächeln sah, heiterten sich ihre Züge auf.

»Jetzt ein kleines Frühstück, liebe Misery«, sagte Marie-Antoinette, »und schicken Sie mir Leonard und meinen Schneider.«

Bis der Friseur Leonard erschien, teilte die Königin Andree mit, wie der König das gestrige Abenteuer aufgenommen. Dann, als die Königin voller Wohlgefallen an ihrem schönen Haar vor dem vergoldeten Spiegel Platz genommen und der berühmte Haarkünstler seine Arbeit begonnen hatte, zog sie Andree ein wenig damit auf, daß sie, die doch allen Kavalieren des Hofes die kalte Schulter zeige, seit gestern einen Herrn hätte.

Andree errötete und lächelte traurig.

»Einen Herrn, Madame?«

»Gewiß, Ihr Bruder ist aus dem Krieg in Amerika heimgekehrt, höre ich. War sein Name nicht Philippe?«

Lächelnd bejahte Andree.

»Wie ist er jetzt?«

»Noch immer gut und schön, Madame.«

»Wissen Sie, daß ich ihn neun Jahre nicht gesehen habe? Wie alt ist er?«

»Zweiunddreißig. Wenn Eure Majestät ihn empfangen wollen, wird er gern die Gelegenheit wahrnehmen, Ihnen zu beweisen, daß seine Ergebenheit durch das lange Fernsein nicht gelitten hat.«

»Kann ich ihn gleich sehen?«

»Er könnte in einer Viertelstunde hier sein.«

»Guten Morgen, Majestät, wie haben Sie diese Nacht geschlafen?« fragte in dem Augenblick das spöttisch lächelnde Gesicht des Grafen d'Artois in den Spiegel hinein, in dem Marie-Antoinette sich wohlgelaunt betrachtete.

»Nicht sonderlich.«

»Und wie war der Morgen?«

»Ausgezeichnet.«

Königin und Schwager lächelten sich vielsagend zu. Die Majestät, von Leonards kunstreichem Werk befriedigt, warf den Pudermantel ab, und wenig darauf führte Andree einen jungen Edelmann mit sonnengebräuntem energischem Gesicht und straffer, ernster Haltung herein, die den erprobten Kriegsmann verrieten.

Philippe de Taverney trug einen dunkelgrauen, silberbestickten Rock, aber an seinem Körper schien das Grau schwarz, das Silber Eisen. Die weiße Halsbinde, das gepuderte Haar unterstrichen die männliche Schönheit seiner Züge.

»Es scheint«, sagte die Königin, »daß Ihr erster Besuch uns gilt, Herr von Taverney. Danke.«

Philippe sah ihr liebenswürdiges Lächeln und erblaßte leicht.

Nachdem den Höflichkeiten Genüge getan war, empfahl die Königin ihrem Schwager, des jungen Helden, der aus der Neuen Welt nun zurückgekehrt war, sich unbedingt anzunehmen.

»Monsieur Philippe de Taverney war der erste Franzose, den ich erblickte, als ich derzeit von Österreich kam«, erklärte sie, »und ich hatte mir fest vorgenommen, das Glück des ersten Franzosen zu machen, dem ich begegnen würde.«

Schwester und Bruder tauschten einen Blick, der ein schmerzliches Geheimnis zu bergen schien. Die Königin hatte ihn bemerkt und deutete ihn auf ihre Weise. Warum sollte der junge Mann nicht einer der vielen gewesen sein, die damals, 1774, für die junge Dauphine, Maria Theresias reizende Tochter, geschwärmt hatten? Und ihrer Schönheit sicher, sandte sie den Geschwistern ihr huldvollstes Lächeln zu. Sich noch immer geliebt zu glauben, welch eine Schmeichelei für eine reife Frau.

Der Graf d'Artois trat zu Philippe, während die Damen über den Besatz eines Jagdkleides berieten.

»Sagen Sie, ist Washington wirklich ein so großer General, wie man sagt?«

»Ja, Monseigneur, er ist ein großer Mann.«

»Und wie haben sich die Franzosen da drüben gemacht?«

»Ebensogut, wie die Engländer schlecht.«

»Herr de Taverney, Sie scheinen auch ein Anhänger der neuen Ideen zu sein, die dieser sogenannte Unabhängigkeitskampf überall verbreitet hat. Aber haben Sie je bedacht, daß wir dort nicht gegen die Indianer, nicht gegen die Engländer Krieg geführt haben, sondern womöglich gegen uns selbst?«

»Der Gedanke, daß unser Kampf eine fatale Rückwirkung auf uns zeitigen könnte, ist mir nicht fremd, Monseigneur.«

»Sehen Sie, darum finde ich die Siege der Herren Washington und La Fayette gar nicht so erfreulich wie manche Leute hierzulande. Das ist Egoismus, zugegeben, aber nicht Egoismus in privater Sache.«

»Oh, Monseigneur!«

»Und wissen Sie, weshalb ich Sie tatsächlich nach Kräften fördern werde? Weil Sie Ihre Rückkehr in der Stille vollzogen haben, ohne in Paris mit Pomp und Gloria sich feiern zu lassen.«

Darauf küßte der Prinz der Königin die Hand, grüßte die Geschwister und entschwand leichtfüßig, wie er eingetreten war.

»Herr de Taverney«, wandte sich die Königin von ihrer Beschäftigung ab, »Sie dürfen mich noch nicht verlassen. Nehmen Sie mit uns eine Tasse Schokolade, und dann begleiten Sie mich im Schlitten nach meinem geliebten Trianon. Ich möchte mich heute mit einem Amerikaner zeigen - aus Politik, verstehen Sie?«

Die Königin, der Etikette abgeneigt wie je, goß selbst die Schokolade ein und reichte dem jungen Mann die Tasse. Madame de Misery blickte erstaunt. Philippe aber, nach den langen harten Jahren im fernen Ausland von der majestätischen Frau so von gleich zu gleich und so liebenswürdig heiter sich ausgezeichnet zu sehen, war überwältigt vor Glück, und Schwindel erfaßte ihn.

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