Der Graf de Cagliostro war geschickt genug, dem Polizeichef nichts über seine eigenen Spiele mit Olivas hoher Ähnlichkeit zu enthüllen. Er erklärte, das Fräulein aus reiner Menschenfreundlichkeit bei sich aufgenommen zu haben, um sie vor den verderblichen Einflüssen ihres bisherigen Lebenskreises zu bewahren. Zu wissen, daß Madame de La Motte die leichtfertige, einsam lebende junge Frau zu sträflichen Unternehmungen verleitet hatte, bestritt er, doch war er bereit, die vielen Briefchen der Gräfin an Oliva als Beweisstücke vorzulegen und zu bezeugen, daß Jeanne ihre Entführung vorbereitet hatte.
Unterdessen wurde bekannt, daß die Diamanten in England zum Verkauf geboten worden waren und daß Reteaux de la Villette im Zusammenhang damit verhaftet worden war.
Mit Reteaux konfrontiert, vernahm Jeanne zu ihrem Entsetzen, wie der Mann demütig gestand, ein elender Fälscher zu sein, die Quittung über den Empfang der Diamanten wie auch das Schriftstück, das der Königin unterstellt worden war, hergestellt zu haben, und dies alles im Auftrag von Madame de La Motte.
Die Gräfin war außer sich. Sie behauptete, Herrn Reteaux nie gesehen zu haben, doch nun traten neue Zeugen gegen sie auf den Plan. Ein Droschkenkutscher, den die Polizei aufgetrieben hatte, identifizierte Reteaux und Jeanne als seine Fahrgäste an jenem Abend, da die Entführung hatte stattfinden sollen.
Ein anderer Zeuge, ein Diener des Grafen de Cagliostro, hatte Reteaux an demselben Abend blaß und wartend auf dem Kutschbock sitzen sehen, nachdem die Gräfin ausgestiegen und zu ihrem Haus geeilt war.
Als der Name Cagliostro fiel, sprang Jeanne auf und stieß wütende Beschuldigungen gegen den Grafen hervor. Er habe durch schändliche Zaubereien den Kardinal Rohan verhext und ihm die »sträflichen Gedanken gegen Ihre Königliche Majestät« eingegeben.
Der Kardinal verteidigte sich, indem er auch Cagliostro entlastete. Der Graf verlangte seinerseits, in Haft genommen zu werden, um seine Unschuld dartun zu können, und sein Gesuch wurde bewilligt. Ankläger und Richter gerieten in Feuer, wie das beim ersten Aufleuchten der Wahrheit zu geschehen pflegt. Und die öffentliche Meinung nahm sofort für den Kardinal und Cagliostro gegen die Königin Partei.
Jetzt ließ die unselige Königin die Berichte veröffentlichen, die dem König über ihre nächtlichen Ausflüge derzeit erstattet worden waren, und forderte Herrn de Crosne formell auf, das Seine dazu zu sagen.
Gerade als Jeanne am lautesten verkündete, niemals hätten derartige Ausflüge mit ihrem Willen und Wissen stattgefunden, alle Berichte, die solches besagten, seien erlogene Machwerke, nie sei sie zu nächtlicher Stunde im Park von Versailles gewesen, da wurde Oliva in den Prozeß eingeführt, und dieses lebendige Zeugnis machte das gesamte Lügengebäude der Gräfin zuschanden.
Wie war es möglich, daß diese Frau unter den Trümmern nicht begraben wurde? Wie konnte sie sich von diesem Schlag erheben, schrecklicher und böser als je? Wir können dieses Phänomen nur auf ihre erstaunliche Lebenskraft und auf die Feindschaft zurückführen, mit der man allenthalben der Königin begegnete.
Als Oliva in ihrer naiven Angst alle Einzelheiten bekannte und selbst die nötigen Beweise lieferte, nahm Jeanne Zuflucht zu einem verzweifelten Mittel: sie gestand.
Sie gestand, denn sie wußte, daß sie eine ganze riesige Partei hinter sich hatte, wenn sie endlich das Leugnen aufgab. Sie gestand, weil sie, indem sie die Königin belastete, alle Feinde der Königin zu Verbündeten gewann.
So wurden in diesem Prozeß zum x-tenmal die Rollen gewechselt. Jetzt erschien der Kardinal als ein Narr, den man an der Nase herumgeführt hatte, Oliva als Hure ohne Poesie und Witz, Jeanne als Intrigantin. Eine bessere Rolle ließ sich bei der Lage der Dinge für sie nicht mehr finden.
Die gemeinste Rolle aber wurde der Königin zugedacht. Jeanne erklärte nunmehr, diese Promenaden hätten ja mit Wissen der Königin stattgefunden. Hinter Sträuchern versteckt, habe sie den lächerlichen Szenen zugesehen und sich halbtot gelacht, wenn sie die verliebten Reden des Kardinals an eine Dirne mit anhörte.
Die Königin gab sich geschlagen. Sie konnte die Falschheit dieser Anschuldigungen nicht beweisen, und Oliva wußte auf Befragung auch nicht anzugeben, ob hinter den Büschen jemand versteckt gewesen sei.
Durch mindestens zwanzig glaubwürdige Zeugen war Jeanne de La Motte des Diebstahls überführt, aber sie konnte sich nicht entschließen, sich als gemeine Diebin verurteilen zu lassen. Sie wollte ihre Schande durch die Schande der Königin decken. Über dem unerhörten Aufsehen, das die Verfehlungen der Königin machte, würde sie vergessen werden. Darauf gründete sie ihre Zuversicht. Immer wenn sie in die Enge getrieben wurde, drohte sie damit, die leidenschaftlichen Briefe des Kardinals an die Königin hervorzuholen, die beide hohen Persönlichkeiten kompromittieren mußten. Dazu kam es nicht, aber schon die Drohungen begriff man begierig als Beweise gegen Marie-Antoinette. Und so verfiel Jeanne auf ihre letzte List, nämlich mit geheimnisvoller
Miene durchblicken zu lassen, daß sie bis jetzt die Königin noch geschont habe, daß sie aber alles enthüllen werde, wenn man sie zum Äußersten treibe.