Illusion und Wirklichkeit

In gemäßigter Eile, um nicht aufzufallen, hatte Beausire die nächsten Straßen und Gassen durchquert, dann war er gerannt, immer schneller gerannt, bis er an den Getreidehallen sich unter die Leute mischen und sich versichern konnte, daß ihm niemand gefolgt war.

Außer Atem ließ er sich auf einem Kornsack nieder und tat, als betrachtete er hingegeben die Medici-Säule, doch interessierte ihn das Kunstwerk des Philibert de Lormes ebensowenig wie die Sonnenuhr, mit der Herr de Pingre sie geschmückt hat. Vielmehr sog er seine rasselnden Lungen voll frischer Luft und ergab sich, nachdem er wieder einigermaßen ruhig atmen konnte, dem erfreulichen Gedanken, daß er jetzt ein reicher Mann war. Jetzt kann ich ehrlich weiterleben, sagte er sich, mir scheint, ich setze bereits Fett an. Oliva werde ich zu einer ehrbaren Frau machen. Ein zurückgezogenes Leben in der Provinz wird ihr schon behagen. Meine Oliva, meine Nicole, dachte er, zärtlich aufseufzend, sie hat nur zwei Fehler, ihre Faulheit und ihre Hoffart, sonst ist sie gut.

Nur zwei Fehler, armer Beausire! Faulheit und Hoffart sind zwei Todsünden.

Er überzeugte sich, daß die hunderttausend Francs noch vollzählig in seiner Tasche steckten, dann zog er weiter. Wenn man ihn auch hier nicht suchen würde, so war doch gewiß, daß man ihn suchen würde. Er vermutete, daß seine Kumpane sich in

Banden teilen und zunächst das Haus des Diebes umstellen würden. Und das war die entscheidende Schwierigkeit, denn dort wohnte auch Oliva. Man würde sie verhören, vielleicht sogar mißhandeln, womöglich als Geisel nehmen. Mit den Herren der Gesandtschaft war nicht zu spaßen, das wußte Beausire, und sein Gehirn arbeitete so fieberhaft, daß er den Verstand verlor. Sollte er sich selber retten und Oliva preisgeben; sollte er seine Haut und seinen Schatz wagen, um Oliva zu holen?

Schließlich war die Liebe stärker als die Vorsicht. Seine Kumpane konnten ihn noch nicht eingeholt haben. Er warf sich in einen Fiaker und fuhr zum Pont-Neuf. Da er einen dicken Taler zeigte, flogen die Pferde.

Hinter der Statue Heinrichs IV., auf der Plattform, wo man damals zu halten pflegte, sollte der Wagen warten.

Es dunkelte bereits. Beausire öffnete einen Wagenschlag und warf einen spähenden Blick in die Rue Dauphine.

Er hatte langjährige Übung darin, die Leute von der Polizei, auch wenn sie verkleidet gingen, zu erkennen. Nun, zwei solcher Herren bemerkte er sofort. Sie standen in einiger Entfernung voneinander und hatten die Rue Dauphine im Auge. Aber Spitzel in der Nähe des Pont-Neuf waren keine Seltenheit. Ein Sprichwort dieser Zeit sagte, wer einen Prälaten, ein Freudenmädchen oder ein weißes Pferd sehen wolle, brauche nur über den Pont-Neuf zu gehen, und weiße Pferde, Soutanen und Huren waren seit jeher ein Gegenstand der besonderen Aufmerksamkeit der Polizei. Also war Beausire jetzt noch lange nicht verzweifelt. Er machte sich bucklig, hinkte durch die Menge und bog in die Rue Dauphine. Schon war er dicht vor dem Haus und keine Spur von dem zu sehen, was er befürchtete. Die Fenster waren geschlossen. Sicher lag Oliva auf dem Sofa, las irgendeinen Schmöker und knabberte Süßigkeiten.

Plötzlich gewahrte er eine Uniform der Scharwache auf der anderen Straßenseite, mehr noch, er erkannte eine zweite hinter dem Fenster von Olivas kleinem Salon.

Kalter Schweiß brach ihm aus, und der gilt nicht als wohltätig. Aber es gab kein Zurück mehr. Er mußte an dem Haus vorübergehen.

Welch ein Schauspiel! Der ganze Hausflur wimmelte von Gardisten, unter denen ein schwarzgekleideter Kommissar vom Chatelet zu erkennen war.

Mit raschem Blick begriff Beausire, daß diese Leute verärgert und enttäuscht aussahen. Die Fähigkeit, in den Gesichtern von Polizisten zu lesen, hat man eben, oder man hat sie nicht; so mußte er nicht zweimal hinsehen, um zu erraten, daß die Herren ihr Opfer nicht gefunden hatten. Offenbar hatte Herr de Crosne, von irgend jemand benachrichtigt, seine Hand nach Beausire ausgestreckt und nur Oliva gefangen.

Hätte Beausire nicht hunderttausend Francs in der Tasche getragen, er hätte sich gestellt, um Oliva den Ärger zu ersparen. Aber die Vorstellung, daß die Polizisten ihre schmutzigen Klauen nach seinem schönen, mit soviel List erworbenen Geld ausstrek-ken und ihr Leben lang sich über ihn kugelig lachen würden, erstickte in ihm sogar den Liebeskummer.

In der Tat, Oliva selbst hätte ihn einen Idioten gescholten, wäre er jetzt nicht so geschmeidig wie möglich entwischt. Seit einer guten Stunde war er nur mehr seinem Instinkt gefolgt, und da er Oliva wohl hundertmal schon im Garten des Luxembourg gesucht hatte, ließ er sich von seinen Beinen jetzt dorthin tragen.

Kaum war er in der Rue Saint-Germain-des-Pres, stieß eine glanzvolle Karosse, von zwei weißen Pferden gezogen, ihn beinahe zu Boden. Dank seiner pariserischen Leichtfüßigkeit entging er der drohenden Deichsel mit knapper Not und empfing nur einen Fluch und einen Peitschenhieb. Das aber konnte den hunderttausend Francs schweren Mann nicht so ins Herz tref-fen wie die Tatsache, daß er in ebendieser Karosse Oliva an der Seite eines feinen Mannes sah. Gern wäre er dem Wagen nachgerannt, aber der bog in die Rue Dauphine ein, und das war die einzige Straße in Paris, die Beausire zu dieser Stunde aufs genaueste meiden mußte.

Aber war es wirklich Oliva gewesen? Phantasierte er nicht vielleicht? Wie konnte Oliva in der Karosse sitzen, da sie doch offenbar soeben von der Polizei verhaftet worden war?

Seelisch und körperlich erschöpft, aber heil, gelangte Beausire über die Stadtgrenze, wo er sich ein Quartier suchte, sein Geld unter einer Bodenfliese versteckte, den Bettpfosten auf die Fliese rückte und alsbald in tiefen Schlaf fiel.

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