Fräulein Oliva

Unterdessen war der Mann, der die Blicke der Anwesenden auf die angebliche Königin gelenkt hatte, zu einem der gierig Schauenden in schäbigem Anzug getreten.

»Für Sie als Journalist«, sagte er, »wäre das doch großartiger Stoff für einen Artikel.«

»Zum Beispiel?«

»Etwa so: Von der Gefahr, Untertan in einem Land zu sein, dessen König von der Königin regiert wird und dessen Königin Krisen liebt.«

Der Zeitungsmann lachte.

»Und die Bastille?«

»Wozu gibt es Anagramme? Kann der königliche Zensor Ihnen verbieten, die Geschichte eines Fürsten Silou und einer Fürstin Etteniotna, Herrscherin von Narfec, zu erzählen?«

»Herrlich!« rief der Zeitungsmann entflammt. »Die Idee ist großartig!«

»Und ein Kapitel müßte heißen: Die Krisen der Fürstin Etteniotna bei dem Zauberer Remsem. Das gäbe einen hübschen Erfolg in den Salons, wie?«

Der Journalist drückte dem Fremden die Hand.

»Darf ich Ihnen ein paar Exemplare zuschicken? Es wäre mir eine Freude«, sagte er, »wenn Sie mir Ihren Namen nennen wollten.« »Gewiß, Monsieur. Wieviel drucken Sie für gewöhnlich von Ihren kleinen Pamphleten?«

»Zweitausend.«

»Nehmen Sie diese fünfzig Louisdors und drucken Sie sechstausend. In acht Tagen lasse ich tausend Stück zu zwei Livres bei Ihnen holen.«

»Monsieur ...! Ich versichere Sie, ich werde Tag und Nacht arbeiten.«

»Und Paris wird Tränen lachen, bis auf eine Person.«

Und der dicke Fremde beurlaubte den Schreiber, der, seine fünfzig Louisdors in der Tasche, leicht wie ein Vogel enteilte.

Der freigebige Herr fuhr in der Beobachtung der jungen Frau fort, die nach ihrer Ekstase jetzt in völlige Lethargie verfallen war.

Die Ähnlichkeit ist tatsächlich verblüffend, dachte er. Der Himmel hatte seine Absichten, als er sie schuf; er hat die andere, der sie gleicht, im vorhinein verurteilt.

Die junge Frau erhob sich jetzt, ein wenig schwankend noch, und ordnete unter leichtem Erröten ihre in Unordnung geratene Toilette. Der unermüdliche Fremde aber hatte eine weitere Ansammlung zustande gebracht, die er aufforderte, die »Königin« zu grüßen, wie es ihr gebührte.

Verschüchtert über so viele Respektsbezeigungen, begab sich die junge Person aus dem Haus. Ihre müden Augen suchten eine Sänfte. Da trat ein Lakai auf sie zu.

»Madame befehlen den Wagen?«

»Den Wagen?« wunderte sie sich. Und sie dachte, als sie die Kutsche bestieg, daß der Doktor Mesmer doch ein überaus galanter Mann war, seine Patienten in einer so hübschen Equipage heimfahren zu lassen.

»Rue Dauphine«, rief der Lakai dem Kutscher zu.

Die kleine Frau bedauerte, nicht am Jardin des Plantes zu wohnen, als die Kutsche bald darauf den Pont-Neuf überquerte und in ihre Straße einbog.

Im zweiten Stock, in ihrer nicht reichen, aber erträglich ausgestatteten Wohnung angelangt, erfuhr sie von der Alten, die ihr die Wirtschaft führte, daß »der Herr« schon auf sie warte.

»Welcher Herr?«

»Der, den Sie heute abend sprechen wollten.«

Sprachlos blickte die junge Frau vom Vorzimmer durch eine Art Glaswand in den Wohnraum. Auf ihrem verschossenen alten Sammetsofa saß in sichtlicher Gemütsruhe ein Mann Mitte Vierzig, wohlbeleibt, und spielte mit der schönen weißen Hand in seinem kostbaren Spitzenjabot.

Wenn die junge Person ihn auch nicht kannte, unsere Leser sahen ihn bereits im Saal des Doktors Mesmer eifrig am Werk. Er war es, der viel Geld für ein Pamphlet bezahlt und die Zuschauer zur Begrüßung der vorgeblichen Königin aufgewiegelt hatte. Sein lebhafter Blick richtete sich voller Wohlwollen auf die Eintretende.

»Ich weiß«, eröffnete er das Gespräch, »was Sie mich fragen wollen, Fräulein Oliva - so ist doch Ihr Name? -, aber erlauben Sie, daß ich mit den Erklärungen selbst beginne. - Nun setzen Sie sich doch; wenn Sie weiter so stehenbleiben, muß ich auch aufstehen, und unsere Unterhaltung verliefe entschieden unbequemer.«

»Sie dürfen sich schmeicheln, ziemlich ungewöhnliche Manieren zu haben, mein Herr«, erwiderte Oliva, indem sie Platz nahm.

»Mein Fräulein, ich sah Sie vorhin bei Herrn Mesmer und fand Sie, wie ich Sie zu finden wünschte. Erschrecken Sie nicht, ich mache Ihnen keine Liebeserklärung, das ist nicht meine Absicht.«

»Was wollen Sie dann von mir?« fragte Oliva naiv.

»Was hielten Sie von einem kleinen Geschäft zwischen uns?«

»Einem Geschäft?«

»Sie mißverstehen noch immer, Mademoiselle. Hier ist nicht von Liebe, sondern von Geld die Rede.«

Oliva bekundete ihre Neugier.

»Ich vermute«, fuhr der Fremde fort, »Sie gehen gern aus, Sie leben gern gut, ohne etwas dafür zu tun; wenn ich Ihnen monatlich fünfundzwanzig Louisdors bieten würde, wäre Ihnen das angenehm?«

»Mein Herr!«

»Sie zweifeln schon wieder, Mademoiselle. Wir wollen uns doch aber beide nicht ärgern. Im übrigen würde ich auch fünfzig sagen, wenn Sie das lieber hörten.«

»Ich zöge fünfzig vor«, entgegnete Oliva, »aber noch mehr wert ist mir die Freiheit, meine Liebhaber selbst zu wählen. Wenn Sie nicht bald gehen, werden Sie mit dem meinigen die unerquicklichste Bekanntschaft machen.«

»Werfen Sie ihn hinaus.«

»Beausire wirft man nicht ohne weiteres hinaus, Monsieur. Außerdem liebe ich ihn.«

»Ah, Beausire also! Gut, den nehmen wir in Kauf.«

»Wenigstens sind Sie nicht unbequem. - Aber was müßte ich denn tun, um die fünfzig Louisdors zu verdienen?«

»Sie werden mich hier empfangen, mit dem freundlichsten Gesicht, wenn ich bitten darf, Sie werden mit mir ausfahren oder ausgehen, wenn ich es wünsche, oder mich dort erwarten, wohin ich Sie bestelle. Das ist alles.«

»Ehrenwort?«

»Ehrenwort! Allerdings könnte es bisweilen erforderlich sein, daß Sie meine Mätresse spielen, aber nur zum Schein, vor der Öffentlichkeit. Abgemacht?«

Fräulein Oliva dachte nicht ohne Schrecken an die Eifersucht ihres Freundes, aber ein solches Angebot erhielt man nicht alle Tage, und Beausire verspielte oft mehr Geld, als er nach Hause brachte. Sie und die fünfzig Louisdors würden ihn schon zähmen.

»Gut, abgemacht«, sagte sie, »und wann soll die Sache steigen?«

»Heute nacht auf dem Opernball.«

»Wissen Sie, daß es bald Mitternacht ist und daß man dazu Dominos benötigt?«

»Beausire wird welche ausleihen gehen. Hier die erste Monatsrate und hier zehn Louisdors für die Dominos.«

Lächelnd wurde das Geld gereicht, lächelnd wurde es eingestrichen. Krachend fiel unten die Haustür ins Schloß.

»Das ist er«, sagte Oliva, »warten Sie im oberen Stock, bis er herein ist. Um zwei Uhr also in der Oper. Ich werde einen weißen Domino tragen und ein blaues Seidenband auf der linken Schulter.«

Amüsiert verfolgte der fremde Herr nach kurzem von der Straße aus den torkelnden, wild gestikulierenden Schatten, den zweifellos Herr Beausire auf die gelben Vorhänge im zweiten Stockwerk warf. Dann schien eine Prügelei zwischen den Liebesleuten stattzuhaben. Darauf eilte der Soldat Beausire mit abgerissenen Rockschößen aus dem Haus, wahrscheinlich, um die Dominos zu besorgen und nebenbei gleich ein paar der neuen Taler in einer Spelunke aufs Spiel zu setzen.

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