Ehrgeiz und Liebe

Kaum war Jeanne in ihr kleines Versailles, ihr Haus im Faubourg Saint-Antoine, zurückgekehrt, als ihr der Kardinal gemeldet wurde.

Sie wartete zwei Sekunden, ehe sie mit einem Lächeln auf den Lippen sagte: »Lassen Sie eintreten.«

War ihr Plan fertig? Offenbar, denn die Fahrt von Versailles nach Paris ist lang, und wenn man sie Seite an Seite mit dem Dämon der Begierde macht, hat er Zeit genug, einem die wagehalsigsten Kombinationen einzuflüstern.

Einerseits hatte Jeanne bei ihrem Besuch in Versailles einen tiefen Blick in die Seele der Königin getan, andererseits war sie berauscht von jener Ziffer, die in der Form eines Diamantengeschmeides auf dem weißen Seidenfutter des Etuis gefunkelt hatte: anderthalb Millionen! Ein fürstliches Vermögen für die arme Bettlerin, die noch vor einem Monat ihre Hand nach Almosen ausgestreckt hatte.

Wahrlich, von der Jeanne de Valois, die in der Rue Saint-Claude kalt und ärmlich gehaust hatte, bis zu jener, die im Faubourg Saint-Antoine ein wohlbestelltes kleines Palais besaß, war ein weiter Weg - viel weiter als der, den die Jeanne aus dem Faubourg Saint-Antoine gehen müßte, um die Besitzerin dieses Halsbands zu werden. Mehr als die Hälfte des Weges, der zum Reichtum führt, lag bereits hinter ihr.

Und dieser Reichtum, den Jeanne begehrte, war nichts Illusionäres, nein, er war ein verläßlicheres Vermögen als Verträge oder Güter: dieses Halsband war der sichtbare Reichtum, immer gegenwärtig, in zauberischem Feuer gleißend. Da die Königin ihn begehrte, durfte Jeanne de Valois wohl von ihm träumen; da die Königin ihm entsagt hatte, durfte Madame de La Motte ihren Ehrgeiz wohl darauf begrenzen.

Der Kardinal, der ihre Träume verwirklichen sollte, unterbrach sie, indem er unerwartet und doch erwünscht sich bei ihr einstellte.

Auch er hatte seine Träume, auch er seinen Ehrgeiz, den er unter der Maske einer Verliebtheit, einem Anschein von Liebe, tarnte.

»Ah, liebste Jeanne, da sind Sie«, sagte er, »Sie sind mir wahrhaftig so unentbehrlich geworden, daß mein ganzer Tag von dem Gedanken überschattet wurde, daß Sie mir fern sind. Sind Sie von Versailles wenigstens glücklich heimgekehrt?«

»Wie Sie sehen, Monseigneur, glücklich und bezaubert.«

»Also hat die Königin Sie empfangen?«

»Ich wurde sofort vorgelassen.«

»Da haben Sie Glück gehabt. Und nach Ihrer triumphierenden Miene zu urteilen, hat die Königin auch mit Ihnen gesprochen?«

»Ich habe ungefähr drei Stunden im Gemach Ihrer Majestät verbracht.«

Der Kardinal zitterte leicht; Jeannes Erfolg verschlug ihm die Sprache.

»Sie sind tatsächlich eine Zauberin«, sagte er lächelnd, »niemand kann Ihnen widerstehen.«

»Und ich versichere Sie, Monseigneur, daß ich meine Zeit nicht vergeudet habe.«

»Ich wette, daß Sie während dieser drei Stunden nicht eine einzige Minute an mich gedacht haben?«

»Undankbarer!«

»Wahrhaftig?« rief der Kardinal.

»Ich habe nicht nur an Sie gedacht, ich habe von Ihnen gesprochen.«

»Von mir gesprochen, und mit wem?« fragte scheinheilig der Prälat, dessen Herz zu klopfen begann.

»Mit wem anders als mit der Königin?« Und bei diesen für den Kardinal so kostbaren Worten war Jeanne so klug, dem Fürsten nicht ins Gesicht zu blicken, als kümmerte es sie wenig, welche Wirkung diese hervorbrachten.

»Nun, liebste Gräfin, das müssen Sie mir erzählen«, sagte er. »Mich interessiert alles, was Ihnen begegnet, so sehr, daß ich Sie bitte, mir nicht das mindeste Detail zu erlassen.«

Jeanne lächelte; sie wußte so gut wie er selbst, was den Kardinal interessierte.

Aber da dieser ausführliche Bericht in ihrem Kopf im voraus bis ins letzte vorbereitet war, begann sie bedächtig, ließ sich jede Silbe aus dem Munde ziehen. So erzählte sie die ganze Begegnung, die gesamte Konversation, und erbrachte mit jedem Wort den Beweis dafür, daß sie durch günstigen Zufall, wie er das Glück der Höflinge ist, in Versailles in eine der Konstellationen hineingeraten war, die binnen eines Tages aus einer Fremden eine fast unentbehrliche Vertraute machen. Und in der Tat, Jeanne de La Motte war an dem einen Tag ja in alle Unglücke der Königin, in alle Ohnmachten des Königtums eingeweiht worden.

Herr de Rohan schien von dem Bericht nur zu behalten, was die Königin Jeanne betreffend gesagt hatte. Jeanne betonte in ihrem Bericht alles, was die Königin Herrn de Rohan betreffend gesagt hatte.

Unterdessen meldete ein Diener, daß das Souper serviert sei. Der Kardinal reichte der Herrin des Hauses den Arm und geleitete sie in den Speisesaal.

Jeanne machte diesmal die Honneurs ihres Hauses mit vollendeter Sicherheit, keine Verlegenheit im Blick, keine Scheu in der Stimme. Ihr Geplauder, das, wie verständlich, noch immer um das gleiche Thema kreiste, bekundete zur Genüge, daß sie nunmehr nicht allein Herrin ihrer selbst, sondern auch Herrin über andere zu sein vermochte. Mit Überraschung, die beinahe an Furcht grenzte, stellte der Kardinal fest, daß er mit dieser Frau, die die Herzen Mächtiger in der Hand hatte, künftig würde rechnen müssen. Alles Provinzlerische war von ihr abgefallen; der Tag im Kreis der höchsten Adligen des Reiches war für sie auch zur Hohen Schule aristokratischer Haltung und Lebensart geworden.

Mit galanten Liebenswürdigkeiten erwies der Kardinal ihr seinen Respekt und suchte zugleich, mit ihr auf vertrauteren Fuß zu gelangen. Ein langer, glühender Kuß auf ihre Hand trug ihm ein gewährendes Lächeln ein. Er schickte seine Equipage fort und sagte mit einem tiefen Blick in ihre Augen:

»Madame, ich habe meine Schiffe verbrannt.«

»Das ist kein Verdienst«, lächelte sie, »Sie sind ja im Hafen.«

Zwei Männer täuschen einander mit einem Händedruck; ein Mann und eine Frau täuschen sich mit einer Umarmung.

Die Gräfin hatte nachgegeben, der Kardinal hatte gesiegt, und doch war der Kardinal jetzt der Sklave, die Gräfin triumphierte.

Jeder der beiden hatte den anderen getäuscht, weil der andere getäuscht sein wollte. Jeder hatte sein Ziel, und beiden war die Vertraulichkeit nur nötiges Mittel gewesen, zu diesem Ziel zu gelangen.

Zwei Stunden, nachdem der Kardinal seinen Wagen fortgeschickt, hatte, waren beide an dem Punkt, alle Umwege und Umständlichkeiten beiseite zu lassen und ziemlich gerade, wenngleich nicht ganz ohne Masken, ihre Ziele anzusteuern.

»Die Königin ist großherzig«, sagte der Kardinal, »denjenigen, die sie liebt, gibt sie mit vollen Händen.« »Und doch ist sie nicht reich«, entgegnete Jeanne, »da sie auf jenes wundervolle Diamantenhalsband, das sie sehnlichst begehrt, verzichten muß.«

»Der König hat es ihr schenken wollen. Sie hat es ausgeschlagen.«

»Sie kennen die Frauen, Sie kennen den Hof, und ich soll glauben, daß ihr Entschluß Sie irregeführt hätte?«

Der Blick des Kardinals ruhte aufmerksam auf Jeanne.

»Nun, wäre ich der König und Sie meine Königin«, sagte er, »wüßte ich Sie wohl zu zwingen, mein Geschenk anzunehmen.«

»Nun, zwingen Sie die Königin dazu, und ich bin sicher, daß Sie Ihnen gar nicht so gram wäre, wie Sie zu glauben scheinen.«

Wieder blickte der Kardinal gespannt in Jeannes Augen.

»Sie meinen, die Königin begehrt dieses Halsband so sehr?«

»Sie verzehrt sich danach. Sagen Sie, lieber Fürst, ich habe einmal gehört, daß Sie nicht ungern Minister wären?«

»Wohl möglich, daß ich derlei einmal gesagt habe, Gräfin.«

»Wollen wir wetten, daß die Königin den Mann, der ihr binnen acht Tagen zu diesem Halsband verhilft, zum Minister macht?«

»Gräfin!«

»Ich denke laut, verzeihen Sie. Ist Ihnen lieber, daß ich es schweigend tue?«

»Nicht doch.«

»Übrigens betrifft Sie das nicht, was ich sage. Mir ist klar, daß Sie nicht anderthalb Millionen für die Laune einer Königin ausgeben können. Das hieße ein Amt zu teuer erkaufen, das man Ihnen früher oder später ohnehin zugestehen muß. Nehmen Sie an, ich hätte nur geträumt. Es ist wohl meine Schwäche, daß ich die Königin nach mir beurteilt habe. Da ich seufzte, als ich die Diamanten sah, schloß ich, daß auch die Königin sie gleichermaßen begehrt.« »Sie sind eine anbetungswürdige Frau, Jeanne«, sagte der Kardinal. »In gewissen Augenblicken sind Sie so wenig Weib, daß ich fast erschrecke, und dann sind Sie es wieder auf so bezaubernde Weise, daß ich den Himmel segne, der Sie erschaffen hat. Sprechen wir nicht mehr von diesem Halsband.«

Sekunden später wurde der Kardinal seinem Entschluß schon untreu.

»Sie glauben also«, sagte er, »daß Boehmer & Bossange das Halsband noch nicht endgültig aus den Händen gegeben haben?«

»Mir schien es heute noch sehr gegenwärtig.«

»Wo haben diese Leute ihren Laden?«

»Ich weiß es nicht genau«, sagte Jeanne unschuldig, »irgendwo am Quai de l'Ecole, glaube ich, jedenfalls in der Nähe des Pont-Neuf.«

Und damit wußte sie, daß die Angel, die sie ausgeworfen hatte, der Beute schon tief ins Fleisch gedrungen war.

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