Die Hochzeit

An demselben Tag zur Mittagsstunde sah man in Versailles der Hochzeitsmesse für Olivier de Charny und Andree de Taverney entgegen.

Durch das Spalier der Höflinge, die in den Galerien warteten, schritt der König, lächelte den einen zu und maß die anderen mit einem strengen Blick, je nach der Partei, die sie in dem nun endlich beschlossenen Prozeß gewählt hatten.

So gelangte er in den viereckigen Salon, wo die Königin, festlich geschmückt und bleich unter ihrer Schminke, im Kreis ihrer Damen und Herren saß. Das Gespräch tröpfelte, wie es geschieht, wenn die Aufmerksamkeit aller Beteiligten nur geheuchelt ist.

Als der König hereintrat, eilte man, Herrn de Charny zu holen. Die Königin wandte der Tür den Rücken und preßte die Hand auf ihr Herz. Die Braut war noch nicht eingetroffen.

»Eure Majestät möge die Verzögerung entschuldigen«, sagte Charny zum König, »Mademoiselle de Taverney hat seit dem Tod ihres Vaters das Bett gehütet. Sie befindet sich noch immer nicht sehr wohl. Doch wäre sie bereits hier, wenn nicht eine Ohnmacht sie neuerlich befallen hätte.«

»Nun, ich denke«, sagte Ludwig, »daß ein guter Gatte sie über den Verlust des Vaters trösten wird. Herr de Breteuil«, wandte er sich an den Siegelbewahrer, »haben Sie den Verbannungsbefehl gegen Cagliostro ausgefertigt?«

»Ja, Sire.«

Es war so still im Raum, daß man den Atem eines Vogels gehört hätte.

»Und diese La Motte«, fuhr Ludwig fort, »die sich brüstete, eine Valois zu sein, ist heute ihrer Strafe unterzogen worden, nicht wahr?«

»Zur Stunde muß der Befehl bereits vollstreckt sein«, antwortete der Siegelbewahrer.

»Es wird den Herrn Kardinal empfindlich treffen, daß seine Komplizin gebrandmarkt worden ist«, sagte der König streng und blickte Beifall heischend um sich.

Kein Laut der Zustimmung erhob sich. Der König stand mit dieser Schmähung des Mannes, den das Pariser Gericht soeben freigelassen hatte, allein.

Nun erschien an der Hand ihres Bruders, in feierlicher Starre einherschreitend, als ginge sie in den Tod, Andree, weiß gewandet wie eine Braut, weiß von Angesicht wie ein Geist.

Alle Damen nahmen Aufstellung hinter der Königin, alle Herren hinter dem König. Der Gouverneur de Suffren reichte seinem Neffen die Hand und führte ihn der Braut entgegen. Dann mischte er sich unter die Gruppe der nahen Freunde und Verwandten.

Philippe, die Schwester zur Seite, ging aufrecht seinen Weg bis vor den König, ohne daß sein Blick sich Olivier zugewendet hätte, ohne daß er Andree durch einen Händedruck aus ihrer Betäubung geweckt und ihr bedeutet hätte, daß ihr Bräutigam gekommen war.

Vor dem König angelangt, öffnete Andree weit ihre Augen und sah, daß Ludwig ihr gutmütig zulächelte.

»Mademoiselle«, sagte er und nahm ihre Hand, »Sie haben auf meine Bitte hin eingewilligt, Ihre Heirat zu vollziehen, noch ehe Ihre Trauerzeit abgelaufen ist. Ich danke Ihnen. Mehr wird Ihr künftiger Gatte es Ihnen danken. Das Glück uns so treu ergebener Edelleute, wie Sie, Mademoiselle, und Herr de Charny es sind, liegt mir am Herzen. Ich hätte es bedauert, Ihrer Hochzeit fernbleiben zu müssen, denn wie Sie wissen, trete ich morgen mit der Königin eine Reise durch das Land an. So aber haben Sie mir die Freude gewährt, Ihren Heiratsvertrag zu unterzeichnen und der Zeremonie in meiner Kapelle beizuwohnen. Begrüßen Sie die Königin, Mademoiselle, und danken Sie ihr, denn Ihre Majestät hat es stets gut mit Ihnen gemeint.«

Er führte Andree nun selber zu Marie-Antoinette, die aufgestanden war. Aber ihre Knie zitterten, und ihre Hände waren eisig. Sie wagte kaum aufzublicken und gewahrte nur etwas Weißes, das sich ihr näherte und sich verneigte.

»In die Kapelle, meine Herrn!« rief der König.

Schweigend folgte die Eskorte den Majestäten. Die Messe begann. Über ihr Betpult geneigt, den Kopf in die Hände gelegt, hörte die Königin sie an.

Olivier de Charny, auf dem aller Blicke ruhten, wirkte ernst und gefaßt wie an Bord inmitten der Feuergarben britischer Geschütze, nur litt er weit mehr.

Philippe ließ seine Schwester nicht aus den Augen, und da er sie beben und schwanken sah, hätte er ihr mit einem Wort, einer tröstenden Geste gerne Ermutigung gegeben.

Aber Andree verleugnete sich nicht. Wohl roch sie einige Male an ihrem Fläschchen und hielt sich mit Mühe aufrecht wie ein flackerndes Licht, aber sie bezwang kraft ihres Willens den Gram, der sie verzehrte, seit sie an jenem unseligen Abend das Gespräch Charnys mit ihrem Bruder erlauscht hatte. Sie betete nicht, sie sandte keine Wünsche für die Zukunft zum Himmel; sie erhoffte nichts mehr von Gott und nichts mehr von den Menschen.

Endlich richtete der Priester das Wort an das Brautpaar. Andree sprach ihr Ja in einem Ton, der die Königin traf wie ein stechender Schmerz. Dann steckte Charny seiner Frau den goldenen Ring an den Finger, ohne daß Andree seine Hand gefühlt hätte.

Der König stand auf, die Messe war zu Ende. In der Galerie begrüßten die Höflinge das junge Paar. Herr de Suffren nahm die Hand der Jungvermählten und versprach ihr im Namen Oliviers alles erdenkliche Glück und geleitete sie in den Salon, wo der König sie erwartete. Ludwig küßte Andree auf die Stirn, nachdem er seine Wünsche ausgesprochen, und schickte sie zur Königin.

Der Hof zerstreute sich. Philippe nahm den Arm seiner Schwester und sprach ihr Mut zu diesem letzten schweren Gang zu.

Sie fand Marie-Antoinette in ihrem Zimmer. Obwohl es schon Juni war, brannte ein Feuer im Kamin. Die Königin saß in ihrem Lehnstuhl. Als Andree hereintrat, erhob sie sich wortlos und überreichte ihr einen offenen Brief.


»Andree, Sie haben mich gerettet. Ihnen danke ich meine Ehre; mein Leben gehört Ihnen. Im Namen dieser Ehre, die Sie so teuer erkauft haben, schwöre ich Ihnen, daß Sie mich in Zukunft Ihre Schwester nennen dürfen. Versuchen Sie es, ich werde nicht erröten.

Ich lege dieses Schriftstück in Ihre Hände; es ist das Unterpfand meiner Dankbarkeit; es ist die Mitgift, die ich Ihnen gebe.

Ihr Herz ist das edelste, das ich kenne; es wird mein Angebot zu würdigen wissen.

Marie-Antoinette von Lothringen-Österreich«


Andree hob den Blick. Sie sah die Königin in Tränen, ihrer Antwort harrend.

Langsam ging sie zum Kamin und warf den Brief ins Feuer. Dann verneigte sie sich tief und verließ den Raum stumm, wie sie gekommen war.

Die Königin wollte ihr nacheilen, dann aber trat sie resigniert ans Fenster und blickte in den Hof.

Charny, bleich wie ein Bräutigam des Todes, führte seine junge Frau zu den Reisewagen, die dort warteten. Andree bestieg den ersten, nachdem sie von ihrem Bruder Abschied genommen und Charnys Verneigung ernst erwidert hatte. Dann fuhr sie ab. Sie kehrte zurück an den Ort ihrer Jugend.

Charny tauschte mit Philippe einen Händedruck, und die Kutsche trug ihn nach seinen Gütern in der Picardie davon.

Philippe sah den sich entfernenden Wagen eine Zeitlang nach, dann wandte er sich um und warf einen letzten Blick auf das Schloß, ehe er, wie Andree, wie Charny, in den Wirbeln des heranbrausenden Sturms verschwand, der den Thron dieses versunkenen Zeitalters entwurzeln sollte.


Alexandre Dumas der Ältere (1802 - 1870), Enkel einer schwarzen Sklavin und eines normannischen Marquis, Sohn eines der verwegensten Napoleon-Generale und einer vermögenden Bürgerstochter, geboren in Villers-Cotterets, Vater des unehelichen Alexandre Dumas des Jüngeren (Autor der »Kameliendame«); war seinerzeit ebenso berühmt wie sein Freund Victor Hugo oder wie Balzac, »König des Theaters und des Zeitungsromans« mit 35 romantischen Dramen und einer Flut oft mehrbändiger historischer Romane: es sollen 500 bis 600 sein. Die gewaltige Arbeit vollbrachte er mit Hilfe von mehreren literarischen Mitarbeitern (»Dumas & Co.«, spottete man), von Memoiren und Chroniken und vor allem vermöge seiner bis ins Alter ungebrochenen Vitalität und seines Witzes. Unsterblich wurde er durch die »Drei Musketiere« (1844) und den »Grafen von Monte-Christo« (1844/45).

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