Saint-Denis

Die Königin blieb allein und in Verzweiflung zurück. So viele Schläge hatten sie getroffen, daß sie nicht mehr zu entscheiden vermochte, welcher Schmerz der härteste war.

Nach einer Stunde in tiefster Niedergeschlagenheit sagte sie sich, daß sie handeln müsse. Das Gerücht belastete sie und Charny mit den Begebnissen jener drei Nächte, denen sie in der vierten vergebens auf der Spur gewesen war. Der König würde die von ihr erfundene Geschichte dagegenhalten. Doch mußte dies aufs schnellste mit Tatsachen untermauert werden, damit man sie glaubte.

Daß Andree die Gelübde bereits abgelegt hatte, war in der Tat unwahrscheinlich, dafür war sie zu kurze Zeit im Kloster. Würde dieses stolze Mädchen aber ihre Freiheit und ihre Zukunft daransetzen, um die Königin zu retten, die sie vor wenigem fast als Feindin verlassen hatte?

Was würde geschehen, wenn Andree ablehnte? Dann brach das ganze Lügengespinst zusammen. Dann war die Königin eine klägliche Intrigantin, Charny ein Lügner, und die jetzt umlaufenden Verleumdungen wurden zur Anklage.

Es wurde drei Uhr. Die Stunde der zeremoniellen Empfänge kam heran. Heiter und mit einer Liebenswürdigkeit, die ihrem bekannten Stolz keinen Abbruch tat, empfing die Königin ihre Gäste. Sie war bestrebt, jenen, die sie für ihre Feinde hielt, mit einer Festigkeit zu begegnen, die eine Schuldige nicht aufzubringen pflegt.

Nie hatte man sich so zu Hofe gedrängt, nie hatte die Neugier so unverhohlen die Züge einer gefährdeten Königin geprüft. Marie-Antoinette hielt allen Blicken stand, und ihre Feinde sahen sich beschämt, ihre Freunde feierten sie enthusiastisch. Sie bestand diesen Kampf so schön und hoheitsvoll, daß der König, nicht allein um die Würde seines Hauses aufrechtzuerhalten, sondern aus ehrlicher Dankbarkeit, sie vor aller Augen beglückwünschte.

Als die Empfänge vorüber waren, schwand das Lächeln von ihren Lippen. Was war dieser Sieg am Hof gegen die Feindseligkeiten, die in der Stadt seit langem schwelten und die jetzt so reichlich neue Nahrung erhielten? Wann endlich würde man jene Doppelgängerin aufspüren, wann Madame de La Motte verhaften, um in all die dunklen Vorkommnisse der letzten Wochen Licht zu bringen? Konnte nicht auch der Kardinal, so wie sie selbst, durch jene beiden Frauen schändlich hinters Licht geführt worden sein?

Fürs nächste galt es, Andree aufzusuchen und sie bei ihrer einstigen Freundschaft anzuflehen, daß sie der Ehre der Königin sich zum Opfer brächte.

Von einer Hofdame begleitet, fuhr Marie-Antoinette nach Saint-Denis. Im Kloster herrschte tiefe Stille. Es war die Stunde der Meditation, bevor zur Abendandacht geläutet wurde.

Man meldete Andree, daß die Königin nach ihr verlange, und Andree eilte zum Sprechzimmer. Kaum war sie hundert Schritt gegangen, als sie durch die Freude, die sie ungewollt empfunden, sich gedemütigt fühlte.

Warum zittert mein Herz? fragte sie sich. Was darf es mich kümmern, daß die Königin das Kloster Saint-Denis besucht? Stolz? Die Königin ist nicht meinetwillen gekommen. Glück? Ich liebe die Königin nicht mehr.

Dennoch fühlte sie ihr Herz erneut höher klopfen, als sie Marie-Antoinette im Kreis der Nonnen sah, die sich auf eine Bitte der Majestät sogleich entfernten.

Um das Gespräch anzuknüpfen, äußerte die Königin ihre Verwunderung, die einstige Gefährtin in der strengen Klostertracht zu sehen, die ihr als eine Mahnung erscheine, ernst wie das Grab.

»Wer könnte sich erdreisten«, erwiderte Andree, »Eurer Majestät Mahnungen zu erteilen. Sogar der Tod mahnt die Königin erst, wenn er die Hand nach ihr ausstreckt.«

»Wie das?« fragte Marie-Antoinette, über Andrees Ton betroffen.

»Eine Königin muß in dieser Welt nur das Unvermeidliche erdulden. Sie genießt alle Erleichterungen des Lebens; sie nimmt den anderen, was ihnen das Leben hätte verschönen können. Und das ist ihr Recht. Die anderen sind für die Herrschenden ja nur Untertanen, deren Leben, Ehre und Glück ihnen gehören.«

Marie-Antoinette blickte Andree mit staunenden Augen an. Nie hatte man ihr derartiges gesagt. Welche Bitternis hatte dieses Mädchen von ihr fortgetrieben? Konnte sie eine so starke Gegnerschaft überwinden? Sie wagte es dennoch, Andree von der Rückkehr ins Leben, an den Hof und von der sich bietenden Heirat zu sprechen.

Andree lehnte all dies entschieden ab, und die Königin in ihrer wachsenden Angst sah sich gezwungen, nun zu Bitten und zu Geständnissen über ihre verzweifelte Lage überzugehen. Im letzten Augenblick aber fragte Andree: »Madame, nennen Sie mir wenigstens den Namen des Mannes, der mich zur Gefährtin nehmen wollte. Ich habe in meinem Leben so viele Demütigungen erlitten, daß der Name dieses großmütigen Menschen der Balsam sein mag, mit dem ich die Wunden meines Stolzes künftig bestreichen werde.«

Und dabei lächelte sie mit einer Ironie, die schmerzlich anzusehen war.

»Es ist Herr de Charny«, sagte die Königin.

»Olivier de Charny?« rief Andree, und binnen Sekunden wich ihre gemessene Haltung einer so unmäßigen, so jubelnden Freude, daß Marie-Antoinette der Atem stockte. Glühende Stiche trafen ihr Herz; und sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück, während Andree wie wahnsinnig ihre Hände, ihre Knie, ihr Kleid mit Küssen bedeckte.

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