Herr de Crosne

Herr de Crosne, der ein sehr höflicher Mann war, fand sich seit der Erklärung des Königs und der Königin in höchster Verlegenheit. Es ist keine geringe Schwierigkeit, alle Geheimnisse einer Frau genau zu kennen, vor allem wenn diese Frau die Königin ist, die Interessen der Krone zu vertreten und eine Reputation zu schützen.

Herr de Crosne war sich bewußt, daß er das ganze Gewicht des Zorns einer Frau und der Empörung einer Königin würde zu tragen haben, doch er hatte sich mutig hinter seiner Pflicht verschanzt, und seine höflichen Manieren mußten ihm als Panzer dienen, die Wucht der Schläge abzufangen, die ihn treffen würden.

Mit einem Lächeln auf den Lippen trat er ein.

Die Königin allerdings lächelte nicht; erbittert forderte sie Aufklärung der merkwürdigen Vorkommnisse, die ihren Ruf belasteten und hinter denen sie eine Doppelgängerin vermutete.

Herr de Crosne, der von einer solchen nichts wußte, hielt entgegen, daß eine Ähnlichkeit, so groß sie immer sein mochte, ein geübtes Auge dennoch nicht irreführen könnte.

Die Majestät verwies auf die Täuschung, der man nicht nur in den Räumen Mesmers, sondern der kürzlich sogar ihr Schwager und nahe Freunde erlegen waren.

Hier pflichtete Andree der Königin bei, indem sie berichtete, daß es im Haus ihres Vaters, als die Familie noch in Taverney-

Maison-Rouge wohnte, eine Bediente gab, die der Königin täuschend ähnlich sah.

»Und was ist aus dem Mädchen geworden?« fragte die Königin.

»Da wir die Großherzigkeit und die überlegene Denkungsart Eurer Majestät noch nicht kannten, fürchtete mein Vater, diese Ähnlichkeit könne der Königin mißfallen, und als wir nach Trianon kamen, verbargen wir das Mädchen vor den Augen des Hofes. Wahrscheinlich langweilte sie die Abgeschlossenheit, in der sie leben mußte; überdies war sie von unruhigem und ehrgeizigem Charakter; jedenfalls war sie eines Abends verschwunden, doch das ist lange her.«

Jeanne war diesen Ausführungen mit begreiflicher Aufmerksamkeit gefolgt.

»Sie sehen, Herr de Crosne«, sagte die Königin erregt, »es gab ein Mädchen, das auffallende Ähnlichkeit mit mir hatte, aber Sie wissen es nicht. Sie wissen nicht, was aus dieser Person geworden ist, obwohl im Königreich beunruhigende Dinge geschehen. Geben Sie zu, daß Ihre Polizei nichts taugt.«

»Und ich versichere Ihnen, Madame, daß sie gut ist. Die gemeine Menge mag die Funktionen eines Polizeichefs mit denen Gottes verwechseln, Eure Majestät aber, die hoch über diesem irdischen Olymp thront, muß wissen, daß die Beamten des Königs auch nur Menschen sind. Ich bin es nicht, der die Ereignisse lenkt, und es gibt so seltsame Dinge, daß der menschliche Verstand nicht ausreicht, sie zu begreifen.«

»Wenn ein Mann genug Gewalt besitzt, selbst die Gedanken seiner Mitmenschen zu erschlüsseln, wenn er Agenten und Spitzel bezahlt, die jede geringste Gebärde notieren, die ich vor dem Spiegel mache, dann sollte dieser Mann auch fähig sein, solche seltsamen Dinge aufzuklären.«

»Verzeihen Sie, Madame, auf dem Opernball wurden Sie von meinen Agenten gesehen, wie der Graf d'Artois Sie gesehen hat.

Wenn der Bruder des Königs in den Zügen seiner Schwägerin sich irren durfte, wird auch einem armen Kerl, der dreißig Francs im Monat verdient, erlaubt sein, sich zu irren. Meine Polizei hat durchaus gut funktioniert, an diesem Tag wie an anderen. Wollen Sie etwa behaupten, meine Leute hätten in der Sache des Zeitungsschreibers Reteaux versagt, den Herr de Charny so grausam verprügelt hat?«

»Herr de Charny?« riefen die Königin und Andree zugleich.

»Das Ereignis ist noch jung, Madame, nicht minder jung als das Duell, das der Affäre folgte und bei dem Herr de Charny den Degenstich erhielt, der wohl bewirkt haben dürfte, daß er vor wenigem in Ihrem Vorzimmer zusammenbrach.«

Die Beweisführung war Herrn de Crosne gelungen, doch waren die Damen in ihren widerstreitenden Gefühlen für Herrn de Charny zu erregt, um ihm die verdiente Achtung zu zollen. Desto bessere Gelegenheit wurde dem Polizeimann, die Damen zu beobachten, die, außer Jeanne, vergessen hatten, wem sie gegenübersaßen, und sich darüber austauschten, wie leidend Herr de Charny gewirkt, mit wem er sich wohl geschlagen hatte und warum dieses Duell überhaupt stattgefunden haben könnte.

»Warum, aber weiß Gott, Madame, das ist im Augenblick recht nebensächlich«, sagte Herr de Crosne, »jedenfalls leben die Gegner in gutem Einvernehmen, da sie noch eben vor Eurer Majestät freundschaftlich miteinander plauderten. Der Sieger ist vor kaum zwanzig Minuten von Ihnen gegangen.«

»Herr de Taverney?!« rief die Königin mit zornblitzenden Augen. »Das ist unerhört! Es scheint, man will in Versailles amerikanische Sitten einführen. Aber ich werde nicht dulden, daß man, weil man auf seiten der Herren La Fayette und Washington (sie sprach den Namen betont französisch aus) gekämpft hat, meinen Hof in einen Turnierplatz des sechzehnten Jahrhunderts verwandelt. Andree, Sie mußten wissen, daß Ihr Bruder sich geschlagen hat.«

»Ich hörte es eben, Madame.«

»Und warum geschah das?«

»Wenn mein Bruder sich geschlagen hat«, versetzte Andree, »so gewiß nicht in Verletzung der Pflichten, die der Dienst Eurer Majestät ihm auferlegt.«

»Wollen Sie damit sagen, Mademoiselle, daß Herr de Charny gegen diese Pflicht verstoßen hat?«

»Ich habe die Ehre, Eurer Majestät zu bemerken, daß ich von meinem Bruder und von sonst niemandem sprach«, entgegnete Andree.

Marie-Antoinette bedurfte ihrer ganzen Kraft, um ihre Ruhe zu bewahren.

»Ich danke Ihnen, Herr de Crosne«, sagte sie endlich, »Sie haben mich überzeugt. All diese Widersprüche und Unterstellungen hatten mich verwirrt. Gewiß ist Ihre Polizei tüchtig. Indessen, diese Ähnlichkeit, von der ich sprach, werden Sie im Auge behalten, nicht wahr, Monsieur? Adieu.«

Sie reichte ihm mit äußerster Huld die Hand, und er ging beglückt und um einige Informationen bereichert.

Andree fühlte die Aufforderung, die jenem Adieu untergelegen hatte, und verneigte sich.

Die Königin beurlaubte sie nachlässig, wenngleich ohne sichtlichen Groll, befahl aber im gleichen Atemzug, Madame de La Motte möge noch bleiben, da die Herren Boehmer & Bossange gemeldet wurden.

Im Spiegel beobachtete die Königin die Miene Andrees, die langsam zur Tür schritt. Sie hatte bei der deutlichen Bevorzugung der neuen Favoritin nicht mit den Wimpern gezuckt.

»Sie sind von Stahl, diese Taverneys«, murmelte die Königin mit einem Seufzer, »aber auch von Gold.«

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