Abrechnungen

Ludwig XVI. kam übelgelaunt in den Rat. Die Nachrichten aus Rußland waren schlecht. Ein Schiff war im Löwengolf gesunken. Mehrere Provinzen verweigerten die Steuern. Eine schöne Weltkarte, die der König selber poliert und gefirnißt hatte, war unter Wärmeeinwirkung gesprungen, und Europa war in zwei Teile zerrissen. Seine Majestät war jedermann gram, sogar Herrn de Calonne. Vergeblich bot der ihm mit lachender Miene sein schönes parfümiertes Portefeuille dar. Der König kritzelte schweigend und verstimmt auf ein weißes Blatt Papier Schraffuren, was Sturm bedeutete - so wie Männchen und Pferde gut Wetter hießen.

Denn während der Ratssitzungen pflegte der König zu zeichnen. Er sah den Menschen nicht gern ins Gesicht, er war schüchtern; die Feder in seiner Hand gab ihm Sicherheit und eine Haltung. Während er so beschäftigt war, konnte der Redner seine Argumente ausbreiten; der König hob nur dann und wann den Blick, gerade so lange, daß er den Mann, der da sprach, nicht vergaß. Und sprach er selber, nahm das Zeichnen seiner Rede jeglichen Anflug von Prätention, er brauchte keine Gesten zu machen; er konnte je nach Belieben sich unterbrechen oder sich ereifern, die Striche auf dem Papier ersetzten das gestische Beiwerk seiner Worte.

Der König also nahm die Feder zur Hand wie üblich, und die Minister trugen ihre Projekte oder diplomatische Noten vor, ohne daß er ein Wort dazu sagte. Er ließ die Auslandskorrespondenz vorübergehen, als ob er davon nicht das mindeste verstünde. Erst als die Abrechnungen für den Monat an die Reihe kamen, hob er den Kopf.

Herr de Calonne verlas ein Memorandum über die für das kommende Jahr geplanten Anleihen, und der König begann wütend zu schraffieren.

»Immer diese Anleihen«, knurrte er, »und niemand weiß, wie man sie bezahlen soll; das ist ein fatales Problem, Monsieur.«

»Sire, eine Anleihe aufnehmen heißt aus einer Quelle schöpfen; hier läuft das Wasser aus, dort fließt es über. Mehr noch, es verdoppelt sich, empfängt aus unterirdischen Strömen neuen Zufluß. Man sollte nicht fragen: wie bezahlen wir? Das Problem ist: worauf bekommen wir Kredite? Eure Majestät sprachen von einem Problem. Das wahre Problem ist nicht die Rückerstattung, sondern das Auffinden von Gläubigern.«

Der König wußte dem nichts zu erwidern, aber er schraffierte so dicht, daß das Papier schwarz wurde.

Nachdem Calonne seinen Plan vorgelegt und die Zustimmung der Kollegen eingeholt hatte, unterzeichnete Ludwig seufzend.

»Und jetzt«, fuhr Herr de Calonne lächelnd fort, »da wir Geld haben, gehen wir daran, es auszugeben.«

Der König sah den Minister mit einer Grimasse an und machte aus den Schraffuren einen riesigen Tintenbrei.

Herr de Calonne legte ihm ein Budget vor, das Pensionen, Gratifikationen, Schenkungen und Solde enthielt. Ludwig blätterte, bis er die Endsumme fand.

»Eine Million einhunderttausend für lauter Kleinigkeiten?« fragte er. »Wie ist das möglich?«

»Lesen Sie, Sire, überzeugen Sie sich«, sagte Calonne.

Ludwig überflog unwillig die Zahlen, sein Blick blieb an dem einzigen herausragenden Betrag haften.

»Fünfhunderttausend Francs«, sagte er, »wofür?«

»Eine Vorschußzahlung an Ihre Majestät, die Königin.«

»Vorschuß an die Königin? Die Königin hat ihr Taschengeld erhalten. Der Posten wird gestrichen.«

Der Finanzminister verteidigte die Königin, aber Ludwig blieb fest. Er nahm die Feder, strich eigenhändig Marie-Antoinettes Juwelengeld, dann unterschrieb er, stolz auf seine Sparsamkeit, in blindem Vertrauen alle übrigen Schriftstücke und malte ein wunderhübsches Zebra in einen Kranz von Nullen.

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