Die Exekution

Jeanne hatte in der Frühe von dem Oberschließer der Concierge-rie erfahren, daß der Kardinal und Cagliostro freigesprochen waren, daß Reteaux de Villette auf die Galeeren geschickt werden sollte und daß Oliva mit einer Ortsverweisung davongekommen war. Wie ihr eigenes Urteil lautete, hatte er ihr nicht verraten.

Nach einer Nacht zwischen Bangigkeit und Hoffen erwartete sie jetzt fast gleichmütig den Gerichtsschreiber, der ihr ihren Spruch verlesen sollte.

Endlich hörte sie Schritte auf dem Gang, dann trat der Schließer ein und forderte sie auf, ihm zu folgen.

Was würde sie hören müssen? Sicherlich verwies man sie außer Landes. Schließlich mußte die Königin interessiert sein, sich eine so gefährliche Frau vom Halse zu schaffen. Ja, wenn sie in aller Stille ins Ausland abgeschoben würde, wäre das für alle Beteiligten die glücklichste Lösung. Herr de Rohan war freigekommen, nun denn, immerhin trug auch sie einen ruhmvollen Namen.

Unter solchen Gedanken war sie hinter dem Schließer bis vor eine Tür gelangt, die in einen dunklen Raum führte. Geräuschvoll wurde die massive Tür abgeschlossen, und Jeanne erschauerte. Bläuliches Licht gab dem Gelaß das Aussehen einer Gruft. Jeanne fühlte, wie die Feuchtigkeit und Kälte des Kerkers auf sie eindrangen. Die Augen des Schließers schienen ihr gespenstisch zu glimmen. Ihre Zuversicht schwand, und sie begann Schlimmes zu ahnen.

Nach langem Warten öffnete sich eine zweite Tür, hinter der Stufen auf einen kärglich beleuchteten Gang führten. An seinem anderen Ende erkannte Jeanne einen Platz, wo sich Leute drängten. Zu Seiten der Treppenstufen blitzten vier Bajonette.

Jetzt kamen drei Männer über den Gang und betraten, die Stufen herabschreitend, den Raum. Mit dumpfem Laut wurde die Tür hinter ihnen geschlossen.

Jeanne, deren Unruhe sich in kaltes Grausen verwandelt hatte, suchte bei dem Schließer Schutz. Doch der Mann lehnte sich an die Wand und gab mit einer Gebärde zu verstehen, daß er nur ein passiver Zuschauer des kommenden Geschehens sein werde.

Einer der drei Männer hatte den Hut aufbehalten und drehte einige Schriftstücke nervös in den Händen. Die beiden anderen mieden Jeannes Blick.

»Madame«, begann der Mann mit dem Hut, »Sie sind Jeanne de Saint-Remy-de-Valois, Gattin des Grafen Marie-Antoine-Nicolas de La Motte?«

»Ja, meine Herrn.«

»Sie sind geboren am 22. Juli 1756 zu Fontenette und wohnen in Paris, Rue Saint-Claude?«

»Ja, meine Herrn. Aber warum fragen Sie mich das?«

»Ich bedaure, Madame, daß Sie mich nicht erkennen. Ich bin der Gerichtsschreiber. Ich habe Ihnen den Spruch vorzulesen, der in der Sitzung vom 31. Mai 1786 gegen Sie gefällt worden ist.«

Jeanne begriff. Jetzt erst betrachtete sie die beiden anderen Männer aufmerksam und gewahrte mit Schaudern das eisengraue Gewand des einen und die Pelzmütze des anderen. Eine seltsame Schürze, die der letztere trug, schien an einigen Stellen Brandflecke zu haben.

»Knien Sie nieder, Madame«, befahl der Gerichtsschreiber.

»Ich soll niederknien? Ich, eine Valois?«

»Der Befehl erheischt es«, antwortete der Schreiber mit einer Verneigung.

»Was fällt Ihnen ein, mein Herr?« entrüstete sich Jeanne. »Soll ich Sie das Gesetz kennen lehren? Man kniet nur nieder, wenn man zu einer entehrenden Strafe verurteilt worden ist.«

»Sie werden den Spruch hören, sobald Sie niedergekniet sind.«

»Niemals!«

»Wenn die Verurteilte sich weigert niederzuknien, wird Gewalt angewendet.«

»Gewalt gegen eine Frau?«

»Niemand zwingt eine Frau, Verbrechen zu begehen.«

Und da Jeanne sich beharrlich weigerte, verlas der Gerichtsschreiber den Artikel seiner Instruktionen, worin Zwang gegen die Widerspenstige befohlen wurde, damit der Gerechtigkeit Genüge geschehe.

Jeanne wich bis in eine Ecke des dunklen Kerkers zurück, aber die beiden Begleiter des Schreibers näherten sich ihr mit schwerer Ruhe wie zwei Kriegsmaschinen. Sie packten die vor Entsetzen Schreiende mit geübten Griffen, schleiften sie in die Mitte des Raumes und drückten sie in die Knie. Jetzt verlas der Gerichtsmann das Urteil, doch schrie Jeanne so laut, daß seine Worte unverstanden verhallten.

Nach beendigter Lesung faltete er seine Papiere zusammen und steckte sie ein. Jeanne schwieg betroffen.

»Das Urteil«, fuhr der Schreiber fort, »wird unverzüglich auf dem Exekutionsplatz des Justizpalastes vollstreckt. Meister, ich überantworte Ihnen diese Frau«, wandte er sich an den Mann mit der Schürze.

»Wer ist der Mann?« flüsterte Jeanne in unmäßigem Schrecken.

»Der Henker«, antwortete der Gerichtsschreiber und zog seine Manschetten zurecht.

Kaum hatte er ausgesprochen, als die beiden Männer sich Jeannes bemächtigten und sie, trotz ihres Schreiens und Sträubens, die Stufen hinauf und durch den Gang schleppten, bis sie zu einem kleinen Hof gelangten, wo Soldaten die Menge der herbeigeströmten Zuschauer zurückdrängten. Es mochten zwei- bis dreitausend Neugierige sein.

Auf einer etwa acht Fuß hohen Estrade war ein schwarzes Gerüst aufgerichtet worden, mit eisernen Ringen versehen. An einem Pfahl war ein Schriftblatt - offenbar auf höheren Befehl -so hoch angebracht, daß es unlesbar blieb.

Als die Tür des Gerichtshauses aufgestoßen wurde, geriet die Menge in Bewegung. Von allen Seiten wurden Rufe laut. Die einen bedachten die Verurteilte, die anderen die Richter mit bösen Beschimpfungen.

Aber Herr de Crosne hatte vorgesorgt. Um Sympathiekundgebungen nicht für die Diebin und Fälscherin, wohl aber für die Streiterin gegen Marie-Antoinette in den Hintergrund zu verbannen, hatte man die vorderen Reihen sämtlich mit zuverlässigen Leuten besetzt. Neben Polizeiagenten mit gewaltiger Statur sah man die eifrigsten Parteigängerinnen des Kardinals Rohan, die »Nieder mit der La Motte!« schrien.

Jeanne, der die Wut neue Kräfte verlieh, erhob ihre metallische Stimme.

»Wißt ihr überhaupt, wer ich bin?« übertönte sie die Rufe. »Wißt ihr, daß ich vom Blut eurer Könige stamme? Wißt ihr, daß man in mir nicht eine Schuldige trifft, sondern eine Rivalin, und nicht nur eine Rivalin, sondern eine Mitschuldige?«

Die Menge schwieg, ihre Neugier war geweckt.

»Jawohl«, schrie Jeanne, »eine Mitschuldige! Eine, die die Geheimnisse der ...«

Hier wurde sie von den Rufern der ersten Reihen niedergebrüllt, und der Gerichtsschreiber ermahnte Jeanne, nicht so fortzufahren.

Sie wandte sich um und sah den Henker, der eine Peitsche in der Hand hielt.

Jeanne vergaß ihre Rede, ihren Haß, ihr Verlangen, die Menge aufzuputschen. Sie sah nur mehr die Schande und fürchtete den Schmerz, die ihr drohten.

»Gnade! Gnade!« schrie sie mit zerreißendem Stimme und klammerte sich an die Knie des Exekutors.

Der aber hob den Arm und ließ die Peitsche mild auf ihre Schultern fallen.

Da sie spürte, daß man sie schonen wollte, schnellte sie empor wie ein wildes Tier und suchte den peitschenden Arm zu umklammern. Da aber riß der Henker ihr Kleid an der rechten Schulter auf und ergriff das rotglühende Eisen, das sein Gehilfe ihm reichte.

»Feige Franzosen«, schrie Jeanne mit gellender Stimme, »warum verteidigt ihr mich nicht! Meine ganze Schuld ist, daß ich zuviel über die Königin weiß!«

Weiter kam sie nicht. Polizisten erklommen das Gerüst und knebelten die Rasende. Von allen Seiten niedergezwungen, wurde sie wehrlos der Vollstreckung ausgesetzt. Dennoch, mit übermenschlichem Widerstandswillen bäumte sie sich ein letztes Mal auf, und das glühende Eisen, das sich auf ihre Schulter niedersenkte, traf ihre rechte Brust. Das Instrument grub seinen rauchenden, stinkenden Abdruck in das lebendige Fleisch und entriß dem Opfer trotz des Knebels ein Brüllen, wie es mit keinem Wort sich beschreiben läßt.

Jeanne brach zusammen. Ihren Lippen entrang sich kein Laut mehr, ihre Glieder zuckten nicht einmal mehr. Sie wurde wie leblos hinausgetragen.

Die Menge, ob sie diesen Strafvollzug billigte oder darüber entsetzt war, ob sie diese Frau verachtet oder für ihren Widerstand bewundert hatte, war verstummt und räumte hastig den Platz.

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