Herr Ducorneau begreift die Welt nicht mehr

Am Vormittag des folgenden Tages begab sich der Kardinal in den Faubourg Saint-Antoine zu Boehmer & Bossange.

Er gelangte mit den Herren zu der Einigung, daß ihm das Halsband ausgehändigt würde, sobald er eine Anzahlung von hunderttausend Francs geleistet hätte, denen im Verlauf eines Jahres die restlichen anderthalb Millionen folgen sollten.

Herr de Rohan war von seinen hochfliegenden Plänen zu sehr eingenommen, um dieses Geschäft zu bereuen.

Anderntags überbrachte er persönlich die hunderttausend Francs und unterschrieb drei Wechsel über je fünfhunderttausend, erbat sich noch einmal strengste Diskretion, die Herr Boehmer gewissenhaft einzuhalten versprach, und verließ hochrot vor Erregung und zugleich frohlockend als einer, der im Übermaß einer Leidenschaft sich selbst ruiniert, das Haus der Juweliere.

Herrn Boehmer blieb nun die Aufgabe, dem portugiesischen Gesandten den Wandel der Sachlage mitzuteilen und zu erklären.

In dem Augenblick, da er sich anschickte, am Tor der Gesandtschaft anzuklopfen, ließ sich Herr Beausire von dem Kanzleichef, Herrn Ducorneau, einen Rechenschaftsbericht vorlegen, während Dom Manoel, der Gesandte, mit dem Kommandeur, seinem Kammerdiener, den Schlachtplan beriet.

Seit Herrn Boehmers letztem Besuch in der Rue de la Jussienne hatte das Gesandtschaftspalais mancherlei Veränderungen erfahren. Das neue Personal hatte sich wohnlich eingerichtet und entledigte sich seiner Aufgaben mit so viel Geschick, daß Herr Ducorneau keine Unregelmäßigkeit bemerkte; vielmehr war er angesichts der durchaus französischen Haushaltung ganz entzückt, daß diese Leute nicht an nationalen Vorurteilen litten. Was den Kanzleivorsteher einzig beunruhigte, war die Frage, wann die Präsentation des Herrn Gesandten bei Hof endlich stattfinde.

»Dieses Problem beschäftigt schon das ganze Viertel«, sagte er zu Beausire, »es ist die Ursache unerschöpflicher Kommentare, ja sogar einer gewissen Unruhe. Leute streichen neuerdings um das Palais, denen man nur zu gut ansieht, daß sie unsere Türen und Wände sich aus Glas wünschten. Sehen Sie dort drüben diesen Menschen in dem schmutzigen braunen Überrock? Sehen Sie, wie er die Augen überall hat? Natürlich, auch die Polizei des Herrn Crosne wünscht zu ergründen, worin die geheime Mission des Herrn Gesandten besteht.«

Beausire hörte diese Ausführungen mit wachsendem Unbehagen und war froh, als der Gesandte nach ihm läutete.

Als er davoneilend die Tür aufstieß, sah er sich unerwartet zwei Verbündeten gegenüber, den einen mit der Feder hinterm Ohr, den anderen mit dem Besen in der Hand. Die beiden hatten das Gespräch des Sekretärs mit dem Kanzleichef so lang gefunden, daß sie davon auch etwas aufschnappen wollten.

Beausire begriff, daß man ihm mißtraute. Darum drückte er seinen Freunden herzlich die Hand, ehe er sich zu dem Gesandten begab.

Dom Manoel hatte nach Beausire verlangt, weil er gegen den Kommandeur dringend Beistand benötigte in dem Streit darüber, wo die Kasse mit den Gesandtschaftsgeldern aufbewahrt werden sollte. Der Kommandeur, der im Auftrag seiner sämtlichen Kameraden sprach, forderte, daß das Geld nicht im Büro verblei-ben dürfte, das neben dem Zimmer des Gesandten lag und so der Kontrolle durch die übrigen Mitglieder der Akademie entzogen war. Auch müßte jeder Beteiligte einen Kassenschlüssel erhalten. Die Herren waren im Begriff, sich hart an die Gurgel zu gehen, als die Juweliere der Krone gemeldet wurden und die wild aufgeworfenen Wogen eilig geglättet werden mußten.

»Boehmer wird das Geld gleich mitnehmen«, sagte der Portugiese, »das setzt allem Gezänk ein Ende.«

Der Kommandeur, noch wutrot, nahm seine höflichste Miene an, um die Besucher geziemend einzuführen.

Während Boehmer und Bossange mit betretenen Gesichtern umständlich hereintraten, wechselten Beausire und Manoel besorgte Blicke. Was jetzt auch kommt, nur Ruhe bewahren, bedeuteten sie einander.

Boehmer, ein Mann der Initiative, ergriff das Wort. Er legte dar, daß politische Gründe die Fortführung der Unterhandlungen unmöglich machten.

Manoel schrie auf.

Beausire hüstelte.

Boehmer wurde immer verlegener.

Der Gesandte, immer von Beausire gedolmetscht, wandte ein, daß der Handel doch einmal geschlossen sei, daß das Geld für die Anzahlung bereitliege.

Boehmer blieb fest.

Dom Manoel entgegnete, daß seine Regierung Kenntnis habe vom Abschluß der Verhandlungen und daß ein Vertragsbruch einen politischen Affront, eine Beleidigung der Königin von Portugal bedeute.

Herr Boehmer versicherte, daß er dies alles wohl bedacht habe, dennoch sei es ihm vollkommen unmöglich, von seinem Vorsatz abzuweichen.

Beausire erklärte, nur unredliche Händler würden ihr Wort brechen, man habe von den Juwelieren der französischen Krone erwartet, daß sie ihrem Wort treu blieben.

»Sie haben wohl jemand gefunden, der mehr bot?« fragte er.

Boehmer und Bossange erröteten wie ertappte Schuljungen.

»Meine Herrn«, sagte Dom Manoel, »man hat Ihnen zweifellos höheren Gewinn geboten; das beweist schließlich nur, wie kostbar Ihr Schmuck ist. Wir sind nicht abgeneigt, ehrenwerten Kaufleuten den gleichen Vorteil zu bieten. Ich erhöhe um fünfzigtausend Francs.«

Boehmer lehnte ab.

»Hunderttausend, hundertfünfzigtausend«, steigerte Beausire.

Er war entschlossen, bis zu einer Million zu bieten, um seinen Anteil an dem Coup nicht zu verlieren.

Die Juweliere, die im ersten Augenblick geblendet waren, erklärten jedoch, daß es unnütz sei, sie in Versuchung zu führen; ein Wille, mächtiger als der ihrige, zwinge sie, das Halsband nicht außer Landes zu verkaufen.

Manoel und Beausire waren so in Fieber geraten, daß sie nicht bemerkten, wie im Vorzimmer der Kommandeur sich anstrengte, hinter der Tür die Verhandlung zu belauschen. Dabei war er so ungeschickt, gegen die Tür zu stoßen.

Beausire stürzte hin.

»Herr Sekretär«, stammelte der Kommandeur, »ich bringe die Depeschen von heute morgen.«

Bei dem Wort Depeschen erhoben sich Boehmer und Bossange erleichtert. Beausire und Manoel fiel nichts Besseres mehr ein, als sie scheinbar gleichmütig zu verabschieden. Der Kommandeur erhielt Auftrag, die Herren zum Tor zu geleiten.

»Geplatzt!« rief der Portugiese.

»Klar«, konstatierte Beausire.

»Bleiben die hunderttausend, geteilt durch zwölf, macht achttausend pro Nase.«

»Lumpige achttausend für soviel Aufwand!« sagte Beausire.

»Oder fünfzigtausend für uns beide.«

»Aber der Kommandeur ist gleich zurück. Wenn er nichts kriegt, haben wir das ganze Haus am Hals.«

»Mir wird schon was einfallen«, meinte der Portugiese mit eigenartigem Tonfall.

»Und ich habe einen Einfall«, sagte Beausire, »rufen wir den Kommandeur, und tun wir, als wollten wir mit ihm teilen.«

»Ich verstehe«, sagte Manoel, »gut, hol ihn.«

»Ich finde, du solltest gehen.«

Aber weder der eine noch der andere wollte sich von der Kasse entfernen. Vertrauen ist rar in dieser Welt.

Beausire öffnete das Fenster und rief den Kommandeur, den er im Hof mit dem Ersatzmann für den Schweizer sprechen sah.

»Wetten wir«, sagte Beausire, als der Kommandeur eintrat, »daß du eben da unten ausposaunt hast, daß alles geplatzt ist?«

»Haltet ihr mich für blöde?«

»Dein Glück«, sagte Beausire, »also teilen wir zu dritt. Nimmst du an?«

»Und ob ich annehme«, erwiderte der Kommandeur und rieb sich die Hände.

»Ah, Schuft du!« rief Beausire. »Du wolltest die Kameraden betrügen. Hilf mir, Portugiese, ab mit dem Verräter in die Dunkelkammer. Wir holen die anderen.«

Dom Manoel, im Bewußtsein seiner Kraft, schleppte den Kommandeur fort, drohte ihm, ihn zu erdrosseln, wenn er schreien würde, und stieß ihn in die Kammer, die er doppelt verschloß. Als er sich umsah, war Beausire fort.

Der Portugiese stürzte zum Kassenraum, um mit dem Geld allein durchzubrennen, ehe Beausire mit den übrigen zurück wäre. Der Kassenraum war verriegelt.

Beausire mißtraut mir, weil ich den Schlüssel habe, dachte er, er soll sich wundern.

Er sprengte den Riegel mit dem Degen. Aber siehe, die Kasse stand offen und leer.

Beausire mit seinem Nachschlüssel hatte vorgesorgt und war verschwunden.

Der Portugiese rannte durchs Haus wie von Sinnen, teilte unter Wutgeheul allen den Betrug mit. Aber keiner glaubte ihm. Alle waren überzeugt, daß er das Komplott mit Beausire ausgeheckt hatte und daß er von diesem mit der halben Beute irgendwo erwartet wurde. Herr Ducorneau eilte bei dem unbeschreiblichen Tumult herbei. Er erstarrte, da er sah und hörte, daß der Herr Gesandte von den übrigen Herren, die sich allerdings kaum mehr als solche betrugen, gepackt und abgeführt wurde, um im Schuppen gehenkt zu werden.

»Das, das grenzt ja an Majestätsbeleidigung!« schrie Herr Ducorneau und stotterte vor Bestürzung.

Im selben Augenblick wurde feierlich ans Tor geklopft. »Öffnen Sie! Im Namen des Herrn Botschafters von Portugal«, verkündete eine portugiesische Stimme.

In wilder Flucht stoben die Ganoven auseinander.

Der echte portugiesische Gesandte konnte sich nur mit Hilfe der Polizei Eintritt verschaffen.

Herr Ducorneau wurde als einziger verhaftet.

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