Bei der Königin

Marie-Antoinette, in ihre Gemächer zurückgekehrt, hatte Madame de La Motte, die sich zurückziehen wollte, mit einem liebenswürdigen Lächeln aufgefordert zu bleiben. Sie wußte zu schätzen, mit welch bemerkenswertem Takt die Gräfin in dieser peinlichen Situation sich vor dem König betragen hatte, und gedachte, sich ihr dankbar zu erweisen, indem sie die Audienz verlängerte. Vor allem aber wollte sie die rätselvolle Übereinstimmung des Polizeiberichts mit dem Pamphlet ergründen; die unfaßliche Gefahr, die sie umlauerte, beunruhigte sie, und sie brachte das Gespräch abermals auf den Vorfall bei Mesmer. Doch Jeanne gab das Geheimnis der Doppelgängerin auch jetzt nicht preis, gestand nur zu, daß in der Tat eine jüngere Frau dort durch ungebührliches Betragen die allgemeine Aufmerksamkeit erregt hätte, was eben ihr der Anlaß gewesen sei, Ihre Majestät am Vorschreiten in die Säle zu hindern. Die Königin begriff einmal mehr, daß sie Feinde hatte.

Unterdes war Andree de Taverney eingetreten, Jeanne erkannte in ihr die zweite Dame der Wohlfahrtsstiftung, doch war ihr unter dem klaren, wachen Blick Andrees nicht wohl, und sie hoffte, bald einen günstigen Abgang zu finden. Aber die Königin erkundigte sich nun freundlich, wer Jeanne protegiere, und die Gräfin nannte den Kardinal Rohan. Sie lobte seine Großmut und betonte, daß der Prinz Ihrer Majestät höchste Verehrung, ja Anbetung entgegenbringe. Doch war bei allem Geschick, das Jeanne auf-wandte, der Königin nicht mehr zu entlocken als ein schallendes Lachen. Zugleich versicherte sie Jeanne, von dieser Anbetung sehr wohl zu wissen, und sie möge dem Kardinal ausrichten, daß sie ihm diese nicht verübele.

Der ironische Ton der Königin erregte Jeannes Neugier über die Maßen, doch ehe sie zu einer Erkenntnis darüber gelangen konnte, stellte sich der Graf d'Artois bei seiner Schwägerin ein.

»Von der Wolfsjagd zurück?« fragte ihn die Königin und reichte ihm nach der englischen Mode, die auf dem Kontinent bereits Fuß faßte, die Hand. Mit einem Wink bedeutete sie den beiden Damen, die sich entfernen wollten, zu bleiben.

»Und sehr zufrieden sogar«, antwortete d'Artois lachend, »denn ich habe sieben Wölfe geschossen.«

»Selbst geschossen?«

»Das will ich nicht behaupten, aber man hat es mir so gesagt, und damit habe ich siebenhundert Francs verdient.«

»Wie das?«

»Man zahlt hundert Francs für jeden Wolfskopf. Aber ich würde zweihundert für den Kopf eines gewissen Zeitungsschreibers geben, Sie nicht auch, Schwägerin?«

»Sie kennen die Geschichte bereits?«

»Der Graf de Provence hat Ihnen die Ehre erwiesen, Sie aus der Bottichaffäre reiner hervorgehen zu lassen als Aphrodite aus dem Meeresschaum. Das Glück ist mit Ihnen, ich gratuliere.«

Der Unterton des Grafen ließ die Königin aufhorchen. »Wieso Glück?« fragte sie und wollte die Beweise ihrer Unschuld anführen. Doch der Graf ließ sich geschwind auf dem Sofa neben ihr nieder und zählte ihr an den Fingern vor:

»Zum ersten sind Sie gut weggekommen bei dem berühmten Ausflug in der Droschke, zum zweiten haben Sie sich bei Mesmer aus der Affäre gezogen.« Flüsternd setzte er hinzu: »Und auf dem Ball ist Ihnen auch nichts passiert.«

»Auf welchem Ball?« »Dem Opernball.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

Er begann zu lachen.

»Wie ungehörig von mir, an Ihre Geheimnisse zu rühren.«

»Geheimnisse? Opernball? Schwager, was soll das?«

»Still«, sagte d'Artois, denn Jeanne war aufmerksam geworden.

»Im Gegenteil«, rief die Königin, »bitte erklären Sie uns, was Sie meinen.«

Der Graf wich scherzend aus, aber die Königin gab nicht nach.

»Sprechen wir ganz offen, Schwager. Ich war also, sagen Sie, auf dem Opernball? Am Ende haben Sie mich gar dort gesehen?«

»Gewiß habe ich Sie dort gesehen.«

»Mich? Das ist stark.«

»Das habe ich mir auch gesagt.«

»Warum sagen Sie nicht gleich, Sie hätten mich auch gesprochen, das wäre lustiger.«

»Ich war im Begriff es zu tun, als ein Maskenstrom uns trennte.«

»Sie sind verrückt!«

»Auf diesen Vorwurf war ich gefaßt, ich hätte ihn nicht riskieren sollen. Es ist meine Schuld.«

Die Königin blickte den Grafen sprachlos an, dann sprang sie auf und ging erregt auf und ab. D'Artois betrachtete sie mit Erstaunen. Andree erschauerte vor Furcht und Besorgnis. Jeanne grub sich die Nägel ins Fleisch, um gute Haltung zu wahren.

»Mein Freund«, sagte Marie-Antoinette, endlich innehaltend, »scherzen wir nicht länger; ich habe keinen guten Charakter, ich verliere bereits die Geduld, wie Sie sehen. Geben Sie zu, dies Märchen erfunden zu haben? Ich werde nicht zürnen.«

D'Artois blickte augenzwinkernd nach den Damen.

»Ich gebe es zu und bitte um Vergebung«, sagte er.

»Nein, Charles, Sie verstehen mich nicht«, rief die Königin. »Sie behaupten, mich auf dem Opernball gesehen zu haben. Jetzt ist es zu spät, sich zurückzuziehen. Beweisen Sie ...«

»Gut denn. Ich war dort mit dem Marschall de Richelieu, mit Herrn de Calonne, mit . mein Gott, mit aller Welt! Sie haben die Maske abgenommen.«

»Ich? Die Maske?«

»Ich wollte zu Ihnen eben sagen, daß das mehr als kühn von Ihnen sei. Doch waren Sie am Arm des Kavaliers, der Sie begleitete, schon entschwunden.«

»Des Kavaliers? Ich glaube, ich werde wahnsinnig.«

»Es war ein blauer Domino. Regen Sie sich doch nicht so auf! Man hat hier nichts darüber erfahren ... Ich meinte sogar, Sie wären in Gesellschaft des Königs; aber Ihr Kavalier sprach deutsch, und der König kann nur Englisch.«

»So, und nun werde ich Ihnen beweisen, daß ich am Sonnabend um elf Uhr zu Bett gegangen bin«, sagte die Königin und klingelte nach Madame de Misery.

Der Graf lachte.

»Warum rufen Sie nicht auch Laurent? Oh, Schwägerin, das Geschoß verdanken Sie mir, richten Sie es nicht gegen mich.«

»Warum glauben Sie mir nicht?«

»Ich würde Ihnen gerne glauben, wenn Sie nicht so zornig wären. Trotzdem, wenn ich auch ja sagte, die anderen würden nein denken.«

»Welche andern?«

»Die Sie gesehen haben so wie ich.«

»Wer zum Beispiel?«

»Zum Beispiel Philippe de Taverney. Wollen Sie ihn auch befragen, Schwägerin?«

»Sofort.«

Andree erschrak, aber die Königin schickte umgehend nach Philippe, der sehr bald erschien.

Von der Königin befragt, ob auch er sie auf dem Opernball gesehen habe, bejahte er. Die Herzen aller Anwesenden klopften so stark, daß man es hätte hören können. Die Königin verharrte wie vom Blitz getroffen. Plötzlich sprang sie wie ein verletztes Tier empor.

»Das alles ist unmöglich, weil ich nicht dort war. Hüten Sie sich, Herr de Taverney, mir scheint, Sie spielen hier den Puritaner. In Amerika, bei Herrn de La Fayette, mag das ja hingehen, aber hier sind wir Franzosen und in Versailles.«

»Majestät beleidigen Herrn de Taverney«, rief Andree blaß vor Zorn. »Wenn mein Bruder sagt, daß er etwas gesehen hat, so hat er es gesehen.«

»Sie auch, Andree? Es fehlte nur noch, daß auch Sie mich gesehen hätten! Mein Gott, wollen nun auch meine Freunde mir ans Leben?«

»Mir fällt eben ein«, bemerkte der Graf d'Artois, »nachdem ich erkannt hatte, daß der blaue Domino nicht der König war, meinte ich, es wäre der Neffe des Herrn de Suffren. Sie hatten den tapferen Offizier unlängst ausgezeichnet, und so nahm ich an, Sie hätten ihn für den Abend zum Kavalier erwählt. Wie war gleich sein Name?«

Marie-Antoinette errötete; Andree wurde totenbleich. Beide blickten sich an und erbebten, einander so zu sehen.

»Herr de Charny«, murmelte Philippe, der fahl geworden war.

»Charny, richtig«, sagte d'Artois, »doch dann sah ich, daß ich mich getäuscht hatte; Herr de Charny befand sich im Kreis des Herrn de Richelieu, ganz in Ihrer Nähe, Schwägerin, als Ihre Maske fiel.«

»Und er hat mich auch gesehen?« schrie die Königin auf, alle Vorsicht vergessend.

»Wenn er nicht blind ist, gewiß.«

Die Königin läutete.

»Was tun Sie?« fragte der Prinz.

»Ich will auch Herrn de Charny befragen, den Kelch bis zur Neige leeren.«

»Ich glaube kaum, daß Herr de Charny in Versailles ist«, murmelte Philippe.

»Warum?«

»Man sagte mir, er sei . indisponiert.«

»Oh, die Sache ist zu ernst, er muß kommen«, sagte die Königin, »ich bin auch indisponiert, und doch liefe ich auf bloßen Füßen bis ans Ende der Welt, um zu beweisen .«

Mit zerrissenem Herzen trat Philippe zu seiner Schwester, die aus dem Fenster starrte.

»Was gibt es?« fragte die Königin Andree.

»Es hieß eben, Herr de Charny sei unpäßlich, aber ich sehe ihn dort im Garten.«

Eigenhändig riß die Königin das Fenster auf und rief: »Herr de Charny!«

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