Vierzehn

Jonas' durchweichtes Hirn brauchte einen Moment, um zu verstehen, was das bedeutete.

Wenn die beiden Markerjungen den Mann im ursprünglichen Verlauf der Geschichte gerettet haben, dann .

»Dann war es ihm bestimmt, zu leben!«, platzte es aus ihm heraus. »Wir haben die Geschichte durch seine Rettung nicht ruiniert. Wir haben die Geschichte gerettet!«

Andrea fuhr herum und starrte Jonas wütend an.

»Ist das der Grund, warum du nicht wolltest, dass ich ins Wasser springe?«, knurrte sie ihn an. »Ist dir die Geschichte wichtiger als ein Menschenleben?«

»Aber nein ...«, versuchte Jonas zu erklären. »Ich hatte Angst um dich! Ich -«

»Wenn ich zu meinen Eltern zurückgekehrt wäre, an dem Tag, an dem sie den Unfall hatten, hättest du mich davon abgehalten, sie zu retten?«, fragte Andrea.

»Nein, natürlich nicht!«, erwiderte Jonas. »Ich hätte dir geholfen! Aber .«

»Aber was?«, fragte Andrea und ihr Blick wurde noch wütender.

»Ich glaube nicht, dass wir jemals die Chance dazu haben werden«, sagte er.

»Wegen der Beschädigten Zeit«, erinnerte Katherine Andrea.

Dabei hätte Jonas es belassen können. Es wäre einfacher gewesen. Aber ihm gingen zu viele Gedanken durch den Kopf. Und einige davon wollten heraus, ob es ihm passte oder nicht.

»Ich glaube, manche Dinge sind einfach nicht möglich, nicht einmal mit Zeitreisen«, sagte er. Er wandte sich an Katherine. »Weißt du noch, dass HK uns erzählt hat, die Zeit würde sich selbst vor Paradoxen schützen? Manche Dinge sollen einfach nicht sein.« Er deutete auf den Mann, der fast ertrunken wäre, und auf die schäumenden Wellen hinter ihm. »Das hier hätte nicht sein dürfen. Und wir hätten nicht hier sein dürfen!«

Fürsorglich strich Andrea dem Mann über die Brust.

»Aber wir sind hier«, sagte sie. »Und wir haben ihn nun mal gerettet.«

Jonas schüttelte den Kopf.

»Das meine ich nicht«, sagte er. »Ich kann es nicht richtig erklären. Ich bin froh, dass der Mann lebt. Schließlich habe ich geholfen ihn zu retten. Schon vergessen? Aber hast du nicht auch das Gefühl, dass etwas nicht stimmt an der Art, wie das alles vor sich gegangen ist? Fühlst du dich nicht auch . ausgenutzt?«

»Ausgenutzt?«, wiederholte Andrea dumpf.

»Warum waren wir zu dieser Zeit auf der Insel, genau im richtigen Moment, um den Mann ertrinken zu sehen?«, fragte Jonas herausfordernd.

»Du meinst . weil ich den Code im Definator verändert habe?«, flüsterte Andrea.

»Und weil Dare gebellt hat«, erinnerte ihn Katherine. »Vergiss das nicht.«

Jonas packte Dare.

»Woher sollen wir wissen, ob er überhaupt ein echter Hund ist?«, fragte er aufgebracht. Woher sollen wir wissen, ob er nicht ein . ferngesteuertes Vieh ist, das uns ausspionieren und überall dorthin locken soll, wo Andreas mysteriöser Unbekannter uns haben will?«

Jonas rollte Dare auf den Bauch und wühlte in seinem Fell nach einem Ein-/Aus-Knopf oder einem implantierten Computerchip. Mit einem Jaulen entwand sich ihm der Hund.

»Du bist paranoid, Jonas«, sagte Katherine. »HK hat uns den Hund mitgegeben, nicht der Unbekannte.«

»Und warum sollte er einen unechten Hund brauchen, um uns auszuspionieren?«, fragte Andrea. »Könnte er uns nicht auch so beobachten? Das können Zeitexperten doch, wenn sie wissen, wo du dich aufhältst, nicht?«

Ach ja .

Jonas wandte das Gesicht zum Himmel.

»Wir haben Sie durchschaut!«, rief er zu den dunklen Wolken hinauf. »Wir wissen, was hier vor sich geht!«

Doch genau das tat er nicht. Das war das Problem. Er hatte keine Ahnung, welche Folgen es gehabt hätte, wenn der Mann, den sie gerettet hatten, gestorben wäre. Er hatte keine Ahnung, ob es noch andere Gründe gab, warum Andreas mysteriöser Unbekannter wollte, dass sie in der falschen Zeit landeten. Und er hatte keine Ahnung, wo die realen Gegenstücke der Markerjungen waren, wenn sie doch eigentlich hier sein und Rettungsschwimmer spielen sollten.

Er wirbelte zu den Markerjungen herum, als könnte er sie dabei ertappen, etwas Verbotenes zu tun. Doch sie waren lediglich damit beschäftigt, sich um den Markermann zu kümmern: Sie zogen ihm Markertang aus den Haaren und wischten ihm Markersand vom Mund. Aus irgendeinem Grund machte das Jonas noch wütender. Er rappelte sich hoch und baute sich vor ihnen auf.

»Wo seid ihr in Wirklichkeit?«, schrie er sie an. »Warum seid ihr nicht hier?«

Er griff nach dem gelockten Jungen, um ihn zu schütteln. Doch natürlich fuhren seine Hände einfach durch den Marker hindurch. Er war so sicher gewesen, den Jungen an der Schulter packen zu können, dass er das Gleichgewicht verlor und mit dem Gesicht nach unten in den Sand fiel.

Einen Moment lang lag er einfach nur da und rührte sich nicht.

Dann spürte er eine Hand auf dem Arm, die ihn drängte sich umzudrehen. Es war Katherine.

»Jonas?«, sagte sie und sah ihn forschend an. »Jo-Jo?«

Der alte Kindername beruhigte ihn ein wenig. So hatte sie ihn genannt, als sie noch in den Kindergarten gegangen waren. Doch das war lange her. Er machte sich darauf gefasst, dass sie gleich einige spitze Bemerkungen über die Unbeherrschtheit pubertierender Jungen loslassen würde.

Stattdessen sah sie ihn einfach nur an.

»Mir gefällt diese Sache auch nicht«, sagte sie. »Aber was sollen wir deiner Meinung nach tun?«

»Das, wofür HK uns hergeschickt hat«, erwiderte Jonas stur. »Die Zeit reparieren. Andrea retten. Und den Rückweg antreten.«

Und nicht permanent nachdenken, hätte er hinzufügen können. Und sich darum sorgen, dass alles, was wir tun, die Zeit ruinieren kann. Und nach Markern Ausschau halten.

»Aber wir sind nicht dort, wo HK uns hingeschickt hat«, sagte Katherine.

Jonas sah, dass sie ihre Worte sehr sorgfältig auswählte, um ihn nicht wieder zu reizen.

»Was ist, wenn das alles zusammenhängt?«, warf Andrea ein und blickte von dem Mann auf, den sie gerettet hatten. Sie zupfte ihm Seetang aus den Haaren und ahmte die Markerjungen dabei fast perfekt nach. »Was ist, wenn wir ihre Probleme mit der Zeit zuerst lösen müssen ...«, sie deutete auf die Markerjungen, »... bevor wir meine lösen können?«

Mit einem Mal fühlte sich Jonas sehr, sehr müde. Wie sollten sie es anstellen, die Probleme von Markern zu lösen? Marker gab es eigentlich gar nicht, jedenfalls nicht wirklich. Sie waren einfach nur Platzhalter. Anzeichen für Probleme. Ohne ihr eigentliches Ich waren sie nutzlos.

Zumindest haben wir das echte Gegenstück des Schiffbrüchigen, dachte Jonas. Könnte er ein Hinweis sein?

»He, seht mal«, sagte Katherine unvermittelt. »Ihr Mann setzt sich auf und sagt etwas.«

Sie zeigte auf den Markermann, der benommen von einem Markerjungen zum anderen sah. Anscheinend bedankte er sich bei ihnen.

»Ist unser Mann auch wach?« Katherine klopfte dem echten Mann auf die Schulter. »Sir? Sir?«

Der Mann reagierte nicht. Nicht einmal seine Lider flatterten. Er lag da wie ein Toter.

»Was ist mit ihm?«, fragte Katherine.

Sie legte ihm die Hand auf die Stirn, um festzustellen, ob er Fieber hatte, und berührte seinen Hals, um ihm den Puls zu fühlen. Schließlich drehte sie seinen Kopf hin und her. Jonas nahm an, dass sie sich die Blutergüsse ansehen wollte, die sich inzwischen in seinem Gesicht gebildet hatten. Katherine erstarrte.

»O nein«, flüsterte sie und hob die Hand.

Sie war voller Blut.

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