Fünfundvierzig

Jonas spürte die Zeit an sich vorbeirasen: Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Monate, Jahre . Er merkte, wie die Zeit verstrich, ehe er auch nur einmal Luft holen oder den Mund aufmachen und widersprechen konnte: »Nein, warte, HK, schick uns nicht fort...«

Er hörte auch die anderen protestieren.

»Nein!«

»Halt!«

»Nicht!«

»Bitte!«

Jonas blinzelte. Es war nicht völlig dunkel um sie herum. Ein schwaches Licht glomm zu seiner Linken. Gerade so hell, dass er einige verschwommene Gestalten ausmachen konnte - vier insgesamt.

Also nur wir Kinder, dachte Jonas. Ohne HK. Und ohne Dare. Er und der Hund sind dageblieben.

Jonas und die anderen schossen durch die Zeit, in einem losen Kreis rings um das Licht.

Das Licht musste vom Definator kommen.

Jonas streckte die Hand danach aus.

»HK, ich werde den Definator umprogrammieren«, drohte er. »Wenn du mir nicht den richtigen Code ver-rätst, tippe ich einfach drauflos und wer weiß, wo wir dann landen!«

»Ich habe mir schon gedacht, dass du das vielleicht versuchst«, drang HKs Stimme aus dem Definator. »Also habe ich das Gerät blockiert.«

»Warum?«, fragte Jonas. »Wahrscheinlich hast du gerade die Zeit ruiniert, indem du uns weggeschickt hast!«

»Aber ich sorge dafür, dass ihr in Sicherheit seid«, sagte HK.

Jonas erinnerte sich, dass er ganz am Anfang überlegt hatte, was HK wohl tun würde, wenn er sich entscheiden müsste, lieber die Kinder oder die Geschichte zu retten? Hier hatte er die Antwort.

Und wer hätte gedacht, dass Jonas damit nicht einverstanden sein würde?

»Es wird immer schwerer, sich nur um abstrakte Dinge wie die Geschichte zu sorgen, wenn man erst die Menschen kennt, die darin verstrickt sind«, fuhr HK fort.

»Eben, und hier geht es auch um meinen Großvater«, schrie Andrea. »Bitte ...«

»Keine Sorge, Andrea«, sagte eine andere Stimme.

Auch sie hatte den leicht blechernen und verzerrten Klang einer Definatorübertragung, aber es war nicht HK, der dort sprach.

»Zwei?«, flüsterte Andrea.

Es war tatsächlich Zweis Stimme. Jonas sah, wie Andrea nach unten schaute und ein überraschter Ausdruck in ihr Gesicht trat, als sie begriff, dass sie immer noch Zweis Definator in der Hand hielt.

»Auch für diesen Fall habe ich vorgebaut«, fuhr Zwei fort. »Das hier ist eine aufgezeichnete Nachricht, die sich dann abspielt, wenn man euch in der Zeit vorwärtsschicken sollte. Mir war klar, was HK tun würde. Wenn du deine Freunde an den Händen fasst und auf den leuchtenden Knopf drückst, könnt ihr alle ins Jahr 1600 zurückkehren.«

»Ja!«, jubelte Andrea.

»Können wir ihm vertrauen?«, fragte Katherine.

Jonas beugte sich dichter über den Definator, den HK programmiert hatte.

»Hast du das gehört, HK?«, schrie er. »Wenn du uns nicht zurückbringst, macht Zwei es.«

HK antwortete nicht.

»HK?«, schrie Jonas.

Der Definator gab ein schnarrendes Geräusch von sich und eine mechanisch klingende Stimme schaltete sich ein: »Der gewünschte Teilnehmer wurde bewusstlos geschlagen. Gefahr! Gefahr! Alarm! Rettungsaktion erforderlich!«

»Da habt ihr's!«, murmelte Andrea. »Ich versuche es mit Zweis Plan. Brendan? Antonio?«

»Bin dabei«, sagte Antonio und nahm Andreas Hand. »Ich vermisse meinen Marker jetzt schon.«

»Retten wir die Welt durch die Kunst«, sagte Brendan und griff ebenfalls nach Zweis Definator, sodass seine Hand genau auf Andreas und Antonios zu liegen kam.

»Ich auch!«, sagte Jonas und streckte die Hand aus. Dann zögerte er. »Aber vielleicht sollte Katherine lieber nicht -«

»Hör bloß auf damit!«, schrie Katherine ihm ins Ohr.

Sie umklammerte den Arm ihres Bruders. »Du wirst mich nicht beschützen. Ich komme auch mit zurück!«

Jonas' Finger berührten Andreas, doch diese zog im letzten Moment die Hand weg.

»Was machst du da?«, schrie er.

Andrea sah ihn im schwachen Licht des Definators traurig an.

»Ich weiß nicht, ob ich meinen Großvater retten kann«, sagte sie. »Oder mich selbst. Aber ich weiß, dass ich euch retten kann.«

»Was? Nein!«, schrie Jonas. Ihm war plötzlich ganz schwindelig. Wollte Andrea damit wirklich sagen, dass sie bereit war, ihr eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, aber nicht seines und das von Katherine? Beschützte sie am Ende ihn?«

»Aber es sollte umgekehrt sein!«, schrie er sie an. »Katherine und ich sollten dich retten!«

Andrea schenkte ihm ein wehmütiges kleines Lächeln.

»Wenn dir jemand wirklich etwas bedeutet, dann funktioniert es in beide Richtungen«, sagte sie.

Und dann war sie verschwunden.

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