Zweiundzwanzig

Jonas ließ die Melone fallen.

»Die esse ich nicht«, sagte er.

Katherine beugte sich so weit über seine Schulter, dass sie die Melone auffangen konnte, ehe sie auf dem Boden aufschlug.

»Oh, da steht etwas«, hauchte sie. »Ist das ein Defi-nator?« Sie hielt sich die Melone vor den Mund und brüllte los: »HK? Ist da irgendjemand? Hallo? Bist du da?«

Nichts geschah.

»Ein Definator würde wohl kaum mit der Aufforderung auftauchen, ihn zu essen«, wandte Jonas ein. »Außerdem stammt das Ding nicht von HK.«

Katherine beugte sich noch dichter über die Melone und fuhr die Worte mit den Fingern nach.

»Zwei?«, sagte sie. »Ist das ein Name?«

»Scheint so«, sagte Jonas. »Glaubst du, es ist der Kerl, der Andrea angestiftet hat, den Code im Definator zu ändern?«

Katherine warf einen Blick über die Schulter.

»Andrea?«, rief sie. »Schau dir das an.«

Andrea tätschelte ihrem Großvater den Arm und raunte ihm ins Ohr: »Bin gleich zurück«, dann kam sie herüber, um sich die Melone anzusehen.

»Ist das ... normal?«, fragte sie und beäugte sie verblüfft. »Habt ihr so etwas im fünfzehnten Jahrhundert auch gesehen? Ins Essen geritzte Botschaften?«

»O nein«, erwiderte Katherine.

»Ich glaube, HK fände das nicht richtig«, sagte Jonas. »Es bringt die Zeit zu sehr aus dem Lot. Und es ist gefährlich, weil es von echten Angehörigen der Zeit entdeckt werden könnte. Aber wer kann schon wissen, was dieser Zwei denkt?«

Katherine drehte die Melone in der Hand, damit Andrea die ganze Botschaft lesen konnte.

»Könnte das der Kerl geschrieben haben, der bei dir aufgetaucht ist und dir gesagt hat, dass du den Code verändern sollst?«, fragte sie Andrea. »Kannst du die, wie haben sie das im Englischunterricht noch mal genannt?, die Diktion analysieren?«

»>Die Diktion analysieren

»Ich habe von beidem keine Ahnung«, sagte Andrea. »Aber die Art, wie die Worte hineingeritzt sind, sieht mir durchaus nach seiner Handschrift aus.«

Jonas und Katherine starrten sie an.

»Als er mir den Code gab, hat er ihn für mich aufgeschrieben, damit ich ihn auswendig lernen kann«, erklärte Andrea.

Katherine nickte aufgeregt.

»Dann nennt sich der Kerl, der uns sabotiert hat, also

Zwei«, sagte sie und tat dabei wie Sherlock Holmes, der gerade eine geniale Schlussfolgerung zog. »Und es ist der Gleiche, der jetzt mit uns kommuniziert.«

Jonas konnte ihre Erregung nicht nachvollziehen.

»Kommunizieren?«, sagte er bitter. »Das ist keine Kommunikation.« Er deutete auf die Melone. »>Ihr macht das toll

Plötzlich wurde ihm klar, dass die Melone eine Reaktion auf ihr Experiment vom Vorabend sein könnte oder auf Andreas Entschluss, John White um jeden Preis mit seinem Marker zusammenzulassen. So oder so war die Botschaft ärgerlich. Beleidigend. Und herablassend. Jonas legte den Kopf noch weiter zurück und schrie noch lauter: »Wir wollen für Sie nicht >toll< sein!«

»Reg dich ab«, sagte Katherine. »Und lass mich nachdenken. Zwei wie in Nummer zwei? Zweideutig oder zweitrangig? Zwei für etwas, das es doppelt gibt, oder für zwei grundverschiedene Dinge?«

»Wen interessiert das schon?«, fragte Jonas entrüstet.

»Wenn sich jemand Zwei nennt, muss es einen Grund dafür geben«, sagte Katherine.

»Ja, vielleicht hat die Fantasie seiner Eltern nicht für einen Namen gereicht und er ist einfach ihr zweites Kind«, sagte Jonas. Er stieß gegen die Melone in Katherines Hand. »Ich mag diesen Kerl nicht und ich habe keine Lust, so zu tun, als würde das alles einen Sinn ergeben. Und schon gar nicht, das zu tun, was er von mir will. Das Ding hier essen? Lieber verhungere ich!«

Andrea wandte sich Katherine zu.

»Und du?«, fragte sie. »Willst du sie essen?«

Mit hoch konzentriertem Gesicht starrte Katherine die Melone an.

»Nein«, sagte sie schließlich. »Das hat mir zu viel von Alice im Wunderland. >Iss mich< und schon fängt man an zu schrumpfen oder zu wachsen. Als würde man von einem Fremden Süßigkeiten annehmen. Jedes Kind weiß, dass man das nicht tut.«

»Das ist keine Süßigkeit«, sagte Andrea. »Es ist eine Melone. Und wir haben Hunger.«

»Findest du denn, dass wir sie essen sollten?«, fragte Katherine herausfordernd.

Andrea biss sich auf die Lippe.

»Ihr beide könnt tun und lassen, was ihr wollt«, sagte sie. »Aber ... ich mache es.«

»Was?«, fragte Jonas.

»Seht mal, mein Großvater braucht etwas zu essen, sonst bessert sich sein Zustand nie«, sagte sie. »Aber für den Fall, dass sie wirklich gefährlich sein sollte, probiere ich sie zuerst selbst.«

Sie nahm Katherine die Melone aus der Hand und schlug sie gegen einen Stein, der aus der Erde ragte. Die Melone zersprang in zwei gleich große Hälften und brachte fünf braune Pellets aus Trockennahrung zum Vorschein, die sich dort befanden, wo normalerweise das Fruchtfleisch und die Samen hätten sein müssen.

»Fünf?«, murmelte Katherine.

Andrea drehte ein Pellet um, das etwas heller war als die anderen. »Für Dare« hatte jemand hineingeritzt.

Die anderen waren nicht markiert.

»Na gut, dann probier das Zeug wenigstens zuerst am Hund aus«, schlug Jonas vor.

»Nein, ich bin das Versuchskaninchen«, sagte Andrea.

Sie zögerte einen Moment. »Tu's nicht«, sagte Jonas. »Bitte.« Andrea schob sich ein Pellet in den Mund.

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