Jonas rechnete damit, die ganze Nacht sorgenvoll wach zu liegen und nach dem richtigen Argument zu suchen, mit dem er Andrea aufhalten konnte.
Das hier ist wie beim Risikospielen, dachte er. Es gibt zu viele Seiten, zu viele Komplikationen. Da ist das, was Andrea will, dann das, was ihr mysteriöser Unbekannter im Schilde führt, der ursprüngliche Verlauf der Zeit und die historische Überlieferung ...
Es war schwer, im Stockdunkeln und inmitten dieser absoluten Verzweiflung und Verwirrung wach zu bleiben. Jonas döste ein, und ehe er sich's versah, strömte das Sonnenlicht durch den Eingang.
Allerdings war es ein merkwürdiges Sonnenlicht: Es schien nicht ganz bis auf den Boden vorzudringen. Jonas konnte weder die schlafenden Umrisse von Andrea oder Katherine erkennen noch die von John White. Nicht einmal die Marker konnte er sehen.
Hastig setzte er sich auf. Das Problem waren nicht die Sonnenstrahlen oder seine Augen. Das Problem war, dass sich außer ihm niemand mehr in der Hütte befand.
Er wollte sich gerade seiner Panik überlassen, als Jo-nas draußen vor der Tür ein Schnarchen vernahm: Es war ein tiefer, männlicher Laut, der von John White stammen musste. Jonas konnte sich beim besten Willen nicht erklären, warum die Mädchen den schlafenden Mann vor die Hütte gebracht hatten. Wollte Katherine ihn von seinem Marker trennen oder versuchte Andrea beide zusammenzulassen? Es tat richtig gut, den Mann schnarchen zu hören und zu wissen, dass er immer noch tief und fest schlief, dass noch nichts geschehen war, was sich nicht mehr rückgängig machen ließ. Jonas beruhigte sich und suchte weiter nach Argumenten, die er Andrea gegenüber vorbringen konnte.
Die Zeit ist ihr egal, aber nicht ihr Großvater . Und wenn wir ihr sagen, dass sie nicht mit ihm reden soll, weil ihn das belasten und sie ihm damit Angst einjagen würde .
Ein Gedanke kratzte am Rand seines Bewusstseins, eine Idee, die ihm in der vergangenen Nacht gekommen sein mochte, kurz bevor er eingeschlafen war, vielleicht sogar mitten im Schlaf. Irgendetwas Wichtiges im Zusammenhang mit Andrea. Doch er war noch nicht wach genug; der Gedanke entglitt ihm und blieb vage.
Neben dem Schnarchen hörte Jonas draußen eine gedämpfte Mädchenstimme. Allerdings war sie so leise, dass er nicht unterscheiden konnte, ob sie Andrea oder Katherine gehörte.
Das Reden passt eher zu Katherine, aber der Lautstärke nach müsste es eher Andrea sein, dachte er mit einem kleinen Grinsen.
Dann hörte er eine grollende Männerstimme, die antwortete.
Jonas lauschte wie erstarrt. Das war bestimmt nur der Mann, der wieder im Schlaf sprach, nicht wahr? Er fantasierte. Es konnte einfach nicht John White sein, der Andrea da draußen Antwort gab. Sie verachtete die Zeit so sehr, dass sie glatt imstande war, etwas zu sagen wie: Hallo, Opa. Lange nicht gesehen.
Plötzlich hatte Jonas das perfekte Argument für sie, jenen Gedanken, der schon einmal in ihm aufgeblitzt war, der ihm schon vor Stunden hätte einfallen sollen, als noch Zeit genug gewesen war, um Andrea aufzuhalten.
Hatte er jetzt noch genug Zeit?
Mit einem Satz sprang Jonas auf und stürzte zur Tür hinaus. Um ein Haar wäre er über Dare gestolpert, der ausgestreckt und fest schlafend direkt vor dem Eingang lag. Na toll, es war der Hund, der geschnarcht hatte. Jonas sah sich blitzschnell um und suchte nach Andrea und ihrem Großvater.
Sie saß direkt vor ihm auf der Lichtung und hatte Jonas mehr oder weniger den Rücken zugewandt. Ihr Mund stand offen. War sie gerade im Begriff, die Worte auszusprechen, die hier und jetzt alles ruinieren würden?
Jonas machte einen Hechtsprung auf sie zu. Eigentlich wollte er nur nahe genug an sie herankommen, um ihr etwas zuzuflüstern, doch er hatte sich verschätzt. Stattdessen vollführte er ein Tackling und warf sie seit-lich um. Er stemmte sich hoch, um ihr ins Ohr zu flüstern, was ihm gerade eingefallen war.
»Es waren nur drei Jahre, Andrea!«, zischte er. »Du hast es selbst gesagt: Gouverneur White ist drei Jahre später nach Roanoke zurückgekehrt! Das bedeutet . die Enkelin, nach der er sucht, ist drei Jahre alt!«