Kapitel 13

Regen peitschte vom Himmel, schlug Krater in den Sand und klatschte gegen die Scheinwerfer, die die bizarren Statuen an der Repulse Bay anstrahlten - riesenhafte Standbilder chinesischer Götter, zornige Götzen Asiens in wütenden Posen, von denen manche bis zu zehn Meter hoch aufragten. Der finstere Strand war verlassen, aber in dem alten Hotel, oben an der Straße, und dem Hamburger-Restaurant, das wie die Faust aufs Auge hierherpaßte, drängten sich Menschenmassen. Es waren Spaziergänger, zufällige Passanten, Touristen ebenso wie Bewohner der Insel, die auf einen abendlichen Drink oder um eine Kleinigkeit zu essen zur Bucht heruntergekommen waren, um von dort aus die drohenden Statuen zu betrachten, die dastanden, als würden sie alle bösen Geister vertreiben, die sonst vielleicht plötzlich aus dem Meer heraussteigen könnten. Der Wolkenbruch hatte die Spaziergänger nach dinnen getrieben.

Bis auf die Haut durchnäßt, kauerte Borowski in den Sträuchern vor dem Sockel eines besonders wild blickenden Götzenbilds auf halbem Wege zum Strand. Er wischte sich den Regen vom Gesicht und starrte zu den Betonstufen hinüber, die zum Eingang des alten Kolonialhotels führten. Er wartete auf den dritten Namen auf der Liste des Taipan.

Der erste Mann hatte versucht, ihn auf der Star-Fähre, dem vereinbarten Treffpunkt, in die Falle zu locken. Aber Jason, der dieselben Kleider trug wie in der Ummauerten Stadt, hatte die zwei Komplizen des Mannes entdeckt. Es war nicht so leicht, wie nach Männern mit Funkgeräten Ausschau zu halten, aber schwierig war es auch nicht gewesen. Nach der dritten Fahrt quer über das Hafenbecken, als Borowski immer noch nicht an dem vereinbarten Fenster an der Steuerbordseite aufgetaucht war, waren dieselben zwei Männer zweimal an seinem Kontaktmann vorbeigegangen, wobei jeder ein paar Worte sagte und dann wieder Position bezog, ohne den Chef aus dem Auge zu lassen. Jason hatte gewartet, bis die Fähre sich dem Pier näherte und die Passagiere sich in Massen auf die Rampe im Bug zuschoben. Den Chinesen zur Rechten hatte er mit einem Nierenschlag kampfunfähig gemacht, als der in der Menge an ihm vorüberging, und hatte dem Mann dann noch mit dem schweren Briefbeschwerer aus Messing einen Schlag auf den Hinterkopf versetzt; die Passagiere schoben sich unterdessen in der schwachen Beleuchtung vorbei, ohne etwas zu bemerken. Dann war Borowski quer durch die sich leerenden Bänke zur anderen Seite gegangen, hatte sich vor dem zweiten Mann aufgebaut, ihm die Pistole in den Magen gedrückt und ihn gezwungen, zum Heck zu gehen. Dort hatte er den Mann über die Reling gedrückt und ihn über Bord geschoben, als die Schiffssirene durch die Nacht hallte und die Fähre am Pier von Kowloon anlegte. Dann war er zu seinem Kontaktmann an dem verlassenen Fenster mittschiffs zurückgekehrt.

»Sie haben Wort gehalten«, sagte Jason. »Ich fürchte, ich habe mich verspätet.«

»Sie sind der Mann, der angerufen hat?« Die Augen des Kontaktmannes musterten Borowskis schäbige Kleidung.

»Der bin ich.«

»Sie sehen aber nicht wie ein Mann mit dem Geld aus, das Sie am Telefon erwähnten.«

»Diese Meinung ist Ihr gutes Recht.« Borowski zog ein Bündel amerikanischer Banknoten heraus, lauter Tausender, wie man sehen konnte, als er das Bündel aufklappte.

»Sie sind der Mann.« Der Chinese hatte schnell über Jasons Schulter geblickt. »Was wollen Sie?« fragte der Mann ängstlich.

»Informationen über jemanden, der sich Jason Borowski nennt und für Geld Aufträge annimmt.«

»Da sind Sie an den Falschen geraten.«

»Ich zahle großzügig.«

»Ich habe nichts zu verkaufen.«

»Ich denke doch.« Borowski hatte das Geld weggesteckt und seine Waffe herausgezogen und sich näher an den Mann herangeschoben, während die Passagiere aus Kowloon an Bord strömten. »Sie sagen mir entweder das, was ich wissen möchte, und lassen sich dafür bezahlen, oder Sie werden sich gezwungen sehen, es mir zu sagen, um am Leben zu bleiben.«

»Ich weiß nur eins«, protestierte der Chinese. »Meine Leute würden ihn nicht mit der Feuerzange anfassen!«

»Warum?«

»Das ist nicht derselbe Mann!«

»Was haben Sie gesagt?« Jason hielt den Atem an und behielt den Mann scharf im Auge.

»Er geht Risiken ein, die er früher nie eingegangen wäre.« Wieder blickte der Chinese an Borowski vorbei. Am Haaransatz

brach ihm der Schweiß aus. »Nach zwei Jahren kommt er zurück. Wer weiß, was geschehen ist? Alkohol, Drogen, Krankheiten von Huren, wer weiß?«

»Was meinen Sie mit Risiken?«

»Das meine ich! Er geht in ein Variete in Tsim Sha Tsui - dort war eine Schlägerei, die Polizei war schon unterwegs. Trotzdem geht er hinein und tötet fünf Männer! Man hätte ihn fangen können, die Spur zu seinen Auftraggebern zurückverfolgen! Vor zwei Jahren hätte er so etwas nicht getan.«

»Vielleicht haben Sie die Reihenfolge durcheinandergebracht«, sagte Jason Borowski. »Es könnte doch sein, daß er hineingegangen ist und mit der Schlägerei angefangen hat. Und dann tötet er als jener Mann und geht als ein anderer weg und entkommt in der Verwirrung.«

Der Asiate starrte kurz in Jasons Augen und sah sich dann noch einmal die schäbigen, schlecht sitzenden Kleider des anderen an. Er wirkte jetzt plötzlich viel verängstigter als vorher. »Ja, das könnte sein«, sagte er mit zitternder Stimme, und sein Kopf ruckte nach rechts und gleich darauf nach links.

»Wie kann man diesen Borowski erreichen?«

»Ich weiß es nicht, das schwöre ich bei den Geistern! Warum stellen Sie mir diese Fragen?«

»Wie?« wiederholte Jason und beugte sich so weit vor, daß seine Stirn die des Chinesen berührte. Gleichzeitig drückte seine Waffe gegen den Unterleib des Asiaten. »Sagen Sie mir, wo!«

»Beim Heiland der Christen -«

»Verdammt, den meine ich nicht! Borowski!»

»Macao! Man flüstert, daß er von Macao aus arbeitet. Das ist alles, was ich weiß, das schwöre ich!« Wieder blickte er in seiner Panik nach rechts und links.

»Wenn Sie Ihre zwei Männer suchen, dann können Sie sich die Mühe sparen«, erklärte Jason. »Der eine liegt dort drüben, und der andere kann hoffentlich schwimmen.«

»Diese Männer sind - wer sind Sie?«

»Ich glaube, das wissen Sie«, gab Borowski zur Antwort. »Gehen Sie auf der Fähre nach hinten und bleiben Sie dort. Wenn Sie auch nur einen Schritt nach vorne gehen, ehe wir anlegen, dann ist das Ihr letzter.«

»O Gott, Sie sind

»An Ihrer Stelle würde ich lieber nicht weitersprechen.«

Der zweite Name gehörte zu einer unwahrscheinlichen Adresse, einem Restaurant an der Causeway Bay, das sich auf die klassische französische Küche spezialisiert hatte. Nach Yao Mings kurzen Notizen agierte der Mann dort als Geschäftsführer, war aber in Wirklichkeit der Besitzer, und etliche seiner Kellner konnten ebensogut mit Pistolen wie mit Tabletts umgehen. Die Privatadresse des Kontaktmanns war unbekannt; er führte seine Geschäfte von seinem Restaurant aus, und man argwöhnte, daß er überhaupt keinen festen Wohnsitz hatte. Borowski war ins Peninsula zurückgekehrt, hatte sein Jackett und seinen Hut abgelegt und war mit schnellen Schritten durch die überfüllte Hotelhalle zum Lift geeilt; ein gut gekleidetes Ehepaar hatte sich redlich Mühe gegeben, sich den Schock bei seinem Anblick nicht anmerken zu lassen. Er hatte gelächelt und Nachsicht heischend gemurmelt: »Eine

Schnitzeljagd. Irgendwie albern, nicht wahr?«

In seinem Zimmer angekommen, hatte er sich ein paar Augenblicke lang gestattet, wieder David Webb zu sein. Das war ein Fehler; er konnte es nicht ertragen, Borowskis Gedankengang zu unterbrechen. Ich bin wieder er. Ich muß es sein. Er weiß, was zu tun ist ...! Er hatte den Schmutz der Ummauerten Stadt und die schwüle Feuchtigkeit der Star-Fähre unter der Dusche abgespült, sich den Bartschatten abrasiert und sich für ein spätes französisches Abendessen angekleidet.

Ich werde ihn finden, Marie! Ich schwöre bei Gott, ich werde ihn finden! Das war David Webbs Versprechen, aber Jason Borowski schrie es in seinem Zorn hinaus.

Das Restaurant wirkte eher wie ein exquisiter Speisepalast im Rokokostil auf dem Boulevard Montaigne in Paris als wie ein einstöckiges Gebäude in Hongkong. Von der Decke hingen Kronleuchter mit gedämpftem Licht aus winzigen Glühbirnen; auf den Tischen, die mit dem reinsten Leinen und dem feinsten Silber und Kristall gedeckt waren, flackerten Kerzen.

»Wir haben heute abend leider keinen Tisch mehr frei, Monsieur«, sagte der Maitre d'hotel. Er war der einzige Franzose, der weit und breit zu sehen war.

»Man hat mir gesagt, ich solle nach Jiang Yu fragen und sagen, es sei dringend«, hatte Borowski erwidert und ihm eine Hundert-Dollar-Note gezeigt, US-Dollar natürlich. »Glauben Sie, er könnte etwas finden, wenn das hier ihn findet?«

»Ich werde etwas finden, Monsieur.« Der Mann schüttelte Jason die Hand und nahm dabei das Geld in Empfang. »Jiang Yu ist zwar ein wichtiges Mitglied unserer kleinen Gemeinschaft, aber ich bin derjenige, der die Auswahl trifft.

Comprenez vous?«

»Absolument.«

»Bien! Sie sind ein gut aussehender Mann und wirken kultiviert. Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Monsieur.«

Zum Abendessen sollte es nicht kommen; dazu entwickelten sich die Dinge zu schnell. Schon Minuten nachdem sein Drink gebracht worden war, erschien ein schlanker Chinese in schwarzem Anzug an seinem Tisch. Wenn an ihm etwas seltsam war, dachte David Webb, dann seine dunkle Hautfarbe und die auffällig schrägliegenden Augen. Er mußte malaysisches Blut in den Adern haben. Hör auf! befahl Borowski. Das bringt uns nichts!

»Sie haben nach mir gefragt?« sagte der Geschäftsführer und musterte das Gesicht, das zu ihm aufblickte. »Wie kann ich Ihnen zu Diensten sein?«

»Indem Sie zuerst einmal Platz nehmen.«

»Es ist ungehörig, sich zu den Gästen zu setzen.«

»Eigentlich nicht. Wo Ihnen das Lokal doch gehört. Bitte, setzen Sie sich.«

»Ist das schon wieder so eine Belästigung vom Finanzamt? In dem Fall hoffe ich, daß Sie Ihr Abendessen genießen. Sie werden es selbst bezahlen müssen. Meine Buchhaltung ist sauber und völlig korrekt.«

»Wenn Sie mich für einen Briten halten, haben Sie nicht richtig zugehört. Und wenn Sie mit >Belästigung< meinen, daß eine halbe Million Dollar langweilig ist, dann können Sie gern verschwinden, dann werde ich mein Abendessen genießen.« Borowski lehnte sich in der Nische zurück und führte mit der linken Hand das Glas zum Mund. Die Rechte war verborgen.

»Wer hat Sie geschickt?« fragte der Halbblutchinese und setzte sich.

»Kommen Sie näher. Ich möchte ganz leise sprechen.«

»Ja, selbstverständlich.« Jiang Yu schob sich auf der Bank weiter, bis er Borowski unmittelbar gegenübersaß. »Ich muß fragen: Wer hat Sie geschickt?«

»Ich muß fragen«, sagte Jason, »mögen Sie amerikanische Filme? Ganz besonders unsere Wildwestfilme?«

»Natürlich. Amerikanische Filme sind schön, und am meisten bewundere ich Ihre Filme aus dem Wilden Westen. So poetisch und so rechtschaffen gewalttätig. Drücke ich mich richtig aus?«

»Ja. Denn Sie treten eben in einem auf.«

»Wie bitte?« »Ich habe hier unter dem Tisch eine ganz besondere Waffe. Sie zielt zwischen Ihre Beine.« Jason hob den Bruchteil einer Sekunde lang das Tischtuch an und zog die Waffe in die Höhe, so daß man den Lauf sehen konnte, schob sie aber dann gleich wieder zurück. »Sie ist mit einem Schalldämpfer ausgestattet, so daß der Schuß wie das Knallen eines Champagnerkorkens klingt

- anfühlen wird er sich nicht so. Liao jie mu?«

»Liao jie ...«, sagte der Asiate und atmete in seiner Angst tief durch. »Gehören Sie zum MI-6?«

»Ich gehöre zu gar niemandem, nur zu mir.«

»Es geht also nicht um eine halbe Million Dollar?«

»Es geht um das, was Ihrer Meinung nach Ihr Leben wert ist.«

»Warum ich?«

»Sie stehen auf der Liste«, antwortete Borowski, der Wahrheit entsprechend.

»Für die Exekution?« flüsterte der Chinese mit verzerrtem Gesicht.

»Das hängt von Ihnen ab.«

»Ich muß Sie dafür bezahlen, daß Sie mich nicht töten?«

»In gewissem Sinne ja.«

»Ich habe keine halbe Million Dollar in der Tasche! Auch nicht hier im Restaurant!«

»Dann bezahlen Sie mich mit etwas anderem.«

»Was? Wieviel? Sie machen mich ganz konfus!«

»Informationen anstelle von Geld.«

»Was für Informationen?« fragte der Chinese, dessen Furcht in Panik umschlug. »Was für Informationen sollte ich denn haben? Warum kommen Sie zu mir?«

»Weil Sie mit einem Mann zu tun haben, den ich finden will. Dem bezahlten Killer, der sich Jason Borowski nennt.«

»Nein! Mit dem hatte ich niemals zu tun!«

Die Hände des Asiaten begannen zu zittern. Die Adern an seinem Hals pochten, und seine Augen lösten sich das erstemal von Jasons Gesicht. Der Mann hatte gelogen.

»Sie sind ein Lügner«, sagte Borowski leise und schob den rechten Arm noch weiter unter den Tisch, indem er sich vorbeugte. »Sie haben die Verbindung in Macao hergestellt.«

»Macao, ja! Aber keine Verbindung. Das schwöre ich beim Grab meiner Familie!«

»Sie sind nahe daran, Ihren Magen und Ihr Leben zu verlieren. Man hat Sie nach Macao geschickt, um mit ihm Verbindung aufzunehmen!«

»Man hat mich geschickt, aber ich habe ihn nicht erreicht!«

»Dann beweisen Sie es mir. Wie sollten Sie Kontakt aufnehmen?«

»Der Franzose. Ich sollte auf der obersten Stufe der ausgebrannten Basilika von St. Paul auf der Calcada stehen. Ich sollte ein schwarzes Tuch um den Hals tragen, und wenn ein Mann auf mich zukam und eine Bemerkung über die Schönheit der Ruinen machte, sollte ich die folgenden Worte sagen: >Kain ist für Delta<. Und wenn er darauf antwortete >Und Carlos ist für Kain<, sollte ich ihn als Verbindungsmann zu Jason Borowski akzeptieren. Aber ich schwöre Ihnen, er ist nie -«

Was der Mann noch sagte, hörte Borowski nicht. In seinem Kopf gab es ein Stakkato von Explosionen; sein Bewußtsein wurde in die Vergangenheit zurückgeschleudert. Blendend weißes Licht erfüllte seine Augen, und der Lärm war unerträglich, das Krachen. Kain ist für Delta, und Carlos ist für Kain ... Kain ist für Delta! Delta eins ist Kain! Medusa bewegt sich; die Schlange streift ihre Haut ab. Kain ist in Paris und Carlos wird ihm gehören! Das waren die Worte, die Codes, die Herausforderung, die dem Schakal entgegengeschleudert wurden. Ich bin Kain, und ich bin überlegen, und ich bin hier! Komm, finde mich, Schakal. Ich fordere dich heraus, Kain zu finden, denn er tötet besser als du. Es wäre besser für dich, wenn du mich findest, ehe ich dich finde, Carlos. Du bist Kain nicht gewachsen!

Du großer Gott! War es denn möglich, daß jemand auf der anderen Seite der Welt jene Worte kannte - konnte er sie kennen? Die waren doch in den tiefsten Archiven eingeschlossen! Sie waren die direkte Verbindung zu Medusa!

Fast hätte Borowski den Abzug der unsichtbaren Pistole betätigt, so plötzlich war der Schock dieser unglaublichen Enthüllung. Er zog den Zeigefinger zurück, legte ihn neben den Abzug; fast hätte er jetzt einen Mann dafür getötet, daß er ihm eine außergewöhnliche Information geliefert hatte. Aber wie war das möglich, wie konnte es dazu gekommen sein? Wo war die Verbindung zu dem neuen »Jason Borowski«? Und wer war es, der solche Dinge wußte?!

Er mußte ruhiger werden, das wußte er. Sein Schweigen verriet ihn, verriet sein Erstaunen. Der Chinese starrte ihn an; der Mann schob seine Hand langsam an den Nischenrand. »Ziehen Sie die Hand zurück, oder ich jage Ihnen eine Kugel in die Eier.«

Die Schulter des Asiaten zuckte in die Höhe, und seine Hand lag wieder auf dem Tisch. »Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt«, erklärte er. »Der Franzose ist nie zu mir gekommen. Wenn er gekommen wäre, würde ich Ihnen alles sagen. Das würden Sie an meiner Stelle auch. Ich schütze mich nur selbst.«

»Wer hat Sie hingeschickt? Wer hat Ihnen diese Worte gesagt?«

»Sie müssen mir glauben, das weiß ich ehrlich nicht. Alles das ist über Telefon geschehen, durch Zweite und Dritte, die nur die Information kennen, die sie übermitteln. Der Beweis dafür, daß das Ganze in Ordnung geht, ist mein Honorar.«

»Und wie bekommen Sie es? Jemand muß es Ihnen doch geben.«

»Jemand, der ein Niemand ist, der auch nur dafür bezahlt wird. Ein unbekannter Gast verlangt den Geschäftsführer zu sprechen. Ich nehme seine Komplimente entgegen, und während des Gesprächs wird mir ein Umschlag zugesteckt. Dann habe ich die zehntausend amerikanischen Dollar dafür, daß ich mit dem Franzosen Kontakt aufnehme.«

»Und was dann? Wie erreichen Sie ihn?«

»Ich fahre nach Macao zum Kam Pek Casino in der Innenstadt. Das ist ein Casino hauptsächlich für Chinesen. Man spielt dort Fan Tan und Dai Sui. Ich gehe an Tisch fünf und hinterlasse die Telefonnummer eines Hotels in Macao - kein privates Telefon - und einen Namen - irgendeinen Namen, natürlich nicht meinen eigenen.«

»Und unter der Nummer ruft er Sie an?«

»Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Ich bleibe vierundzwanzig Stunden in Macao. Wenn er mich bis dahin nicht angerufen hat, dann hat der Franzose keine Zeit für mich.«

»Das sind die Regeln?«

»Ja. Zweimal hat er sich nicht gemeldet und das eine Mal, wo ich mit ihm verabredet war, erschien er nicht auf der Calcada-Treppe.«

»Warum meinen Sie, hat er sich nicht gemeldet? Warum glauben Sie, daß er nicht erschienen ist?«

»Keine Ahnung. Vielleicht hat er für seinen Meisterkiller zu viel Arbeit, vielleicht habe ich bei den ersten Malen etwas Falsches gesagt. Vielleicht dachte er beim drittenmal, er habe auf der Calcada verdächtige Männer gesehen, Männer, von denen er glaubte, daß sie zu mir gehörten und ihm Böses wollten. Es gab natürlich keine solchen Leute, aber eine Möglichkeit zum Einspruch gibt es ja nicht.«

»Tisch fünf. Die Mittelsmänner«, sagte Borowski.

»Die Croupiers wechseln andauernd. Er hat seine Übereinkunft mit dem Tisch. Ich nehme an, ein Pauschalhonorar. Eines, das dann aufgeteilt wird. Und er selbst geht nicht ins Kam Pek - ohne Zweifel zahlt er dafür irgendein Straßenmädchen. Er ist sehr vorsichtig.«

»Kennen Sie sonst noch jemanden, der versucht hat, an diesen Borowski heranzukommen?« fragte Borowski. »Wenn Sie lügen, werde ich das merken.«

»Ja, das glaube ich. Sie sind wie besessen - aber das geht mich nichts an - und Sie haben mich ertappt, als ich das erstemal gelogen habe. Nein, ich kenne niemanden, Sir. Das ist die Wahrheit, weil ich wirklich keinen Wert darauflege, daß ich eine Kugel in den Bauch bekomme, die wie ein Champagnerkorken klingt.«

»Sehr viel klarer läßt sich das wohl nicht sagen. Um mit den Worten eines anderen Mannes zu sprechen, ich denke, ich glaube Ihnen.«

»Glauben Sie mir, Sir. Ich bin nur ein Kurier - ein ziemlich teurer vielleicht -, aber dennoch ein Kurier.«

»Ihre Kellner sind, wie man mir sagt, etwas ganz Besonderes.«

»Besonders aufmerksam waren sie nicht.« »Trotzdem werden Sie mich zur Türe begleiten«, hatte er gesagt.

Und jetzt ging es um den dritten Namen, einen dritten Mann, auf den er in dem Wolkenbruch an der Repulse Bay wartete.

Die Kontaktperson hatte auf den Code reagiert: »>Ecoutez, monsieur. Kain ist für Delta und Carlos ist für Kain.<«

»Wir hätten uns doch in Macao treffen sollen!« hatte der Mann am Telefon gekreischt. »Wo waren Sie?«

»Ich hatte zu tun«, sagte Jason.

»Es könnte sein, daß Sie zu spät kommen. Mein Klient hat sehr wenig Zeit und ist gut informiert. Er hört, daß Ihr Mann anderswo tätig ist. Er ist beunruhigt. Sie haben es ihm versprochen, Franzose!«

»Wohin glaubt er denn, daß mein Mann geht?«

»Nun, zu einem anderen Auftrag, natürlich. Er kennt die Einzelheiten!«

»Er irrt sich. Der Mann steht zur Verfügung, wenn sein Preis bezahlt wird.«

»Rufen Sie mich in ein paar Minuten noch einmal an. Ich werde mit meinem Klienten sprechen und mich erkundigen, ob er noch interessiert ist.«

Borowski hatte fünf Minuten später erneut angerufen. Der Treffpunkt war vereinbart worden. Repulse Bay. In einer Stunde. An der Statue des Kriegsgottes auf halbem Weg zum Ufer, links in Richtung auf den Pier. Der Kontaktmann würde ein schwarzes Halstuch tragen; der Code sollte der gleiche bleiben.

Jason sah auf die Uhr; die Stunde war seit zwölf Minuten um. Der Kontaktmann verspätete sich, und daß es regnete, war kein Problem, im Gegenteil, ein Vorteil war das, natürliche Deckung. Borowski hatte den Treffpunkt Zentimeter für Zentimeter untersucht, fünfzehn Meter in jeder Richtung, von der aus man die Statue sehen konnte. Und das hatte er auch noch nach der vereinbarten Zeit getan, um damit die Minuten zu nutzen. Dabei hatte er die ganze Zeit den Weg zu der Statue im Auge behalten. Bis jetzt war ihm nichts Unregelmäßiges aufgefallen. Niemand war im Begriff, ihm eine Falle zu stellen.

Der Zhongguo ren tauchte auf, die Schultern nach vorne gezogen, während er die Treppe hinuntereilte, so als könnte er damit den Regen von sich fernhalten. Er rannte auf die Statue des Kriegsgottes zu und blieb erst stehen, als er unmittelbar vor dem riesigen, finster blickenden Götzenbild stand. Er mied das

Scheinwerferlicht, aber das, was von seinem Gesicht zu sehen war, ließ seinen Ärger darüber erkennen, daß niemand da war.

»Franzose, Franzose!«

Borowski rannte durch die Büsche auf die Treppe zu, warf noch einmal, um ganz sicherzugehen, einen prüfenden Blick auf den Treffpunkt. Er schob sich um den dicken Steinsockel herum, an dem die Stufen anfingen, und spähte durch den strömenden Regen zum Hotel hinauf. Dort sah er etwas, was er sich sehnlichst gewünscht hatte, nicht zu sehen! Ein Mann, der einen Regenmantel und einen Hut trug, war aus dem schon etwas heruntergekommenen Colonial-Hotel getreten und beschleunigte jetzt seine Schritte. Auf halbem Weg zur Treppe blieb er stehen, zog etwas aus der Tasche; er drehte sich um; ein Licht blitzte auf ... und an einem der Fenster der Hotelhalle blitzte es zurück. Taschenlampen. Signale. Ein Späher war zu einem vorgeschobenen Posten unterwegs, und sein Verbindungsmann bestätigte sein Signal. Jason machte kehrt und arbeitete sich wieder durch das feuchte Laub zurück.

»Franzose! Wo sind Sie?«

»Hier drüben!«

»Warum haben Sie sich nicht gemeldet? Wo?«

»Genau vor Ihnen. Die Büsche. Schnell!«

Der Kontaktmann näherte sich den Büschen; jetzt war er noch eine Armlänge von ihm entfernt. Borowski sprang auf und packte ihn, riß ihn herum und drückte ihn in die nassen Büsche hinein, drückte dem Mann dabei die linke Hand auf den Mund. »Keinen Laut, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist.«

Zehn Meter tiefer in dem Wäldchen schmetterte Jason den Mann gegen einen Baumstamm. »Wer ist noch bei Ihnen?« fragte er ihn schroff und nahm langsam die Hand vom Mund des Mannes.

»Bei mir? Niemand!«

»Lügen Sie nicht!« Borowski zog die Pistole und drückte sie dem Mann gegen die Kehle. Der Kopf des Chinesen zuckte zurück und krachte gegen den Baum. Seine Augen waren geweitet, und er hatte den Mund aufgerissen. »Ich habe keine Zeit für Fallen!« fuhr Jason fort. »Ich habe keine Zeit!«

»Ich sage Ihnen, bei mir ist niemand! Ich gebe Ihnen mein Wort darauf. Und davon lebe ich in diesen Dingen! Es ist mein Beruf.«

Borowski starrte den Mann an. Er steckte die Waffe in den Gürtel zurück, packte den Mann am Arm und stieß ihn nach rechts. »Seien Sie still. Kommen Sie mit.«

Neunzig Sekunden später waren Jason und der Chinese durch das triefend nasse Unterholz bis zu einer Stelle etwa sechs Meter westlich von dem massiven Götzenbild gekrochen. Der Regen prasselte so laut herunter, daß sie keine Sorge zu haben brauchten, man könnte sie hören. Plötzlich packte Borowski den Chinesen an der Schulter. Vor ihnen war jetzt der Späher zu sehen; geduckt lauerte er neben dem Fußweg, eine Waffe in der Hand. Einen Augenblick lang fiel das Licht des Scheinwerfers auf ihn, es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, aber es reichte. Borowski sah den Chinesen an.

Der war verblüfft. Er konnte den Blick nicht von der Stelle wenden, wo der Mann in dem Regenmantel gewesen war. Er war entsetzt, das konnte man an seinem starren Blick ablesen. »Sie«, flüsterte er. »Jiägian!«

»Mit knappen englischen Worten«, sagte Jason halblaut im Regen, »dieser Mann ist ein Henker?«

»Shi!... Ja.«

»Sagen Sie, was haben Sie mir gebracht?«

»Alles«, antwortete der Chinese, immer noch starr vor Schrecken. »Die Anzahlung, die Anweisungen ... alles.«

»Ein Klient schickt kein Geld, wenn er vorhat, den Mann zu töten, den er anheuert.«

»Ich weiß«, sagte der Chinese leise und nickte und schloß dann die Augen. »Mich wollen die töten.«

Was er zu Liang auf dem Hafenweg gesagt hatte, war prophetisch gewesen, dachte Borowski. Das ist keine Falle für mich ... sie gilt Ihnen. Sie haben Ihren Auftrag erledigt, und die können sich nicht leisten, daß es Spuren gibt. Die können sich Sie nicht länger leisten.

»Oben im Hotel ist noch einer. Ich habe gesehen, wie sie einander mit Taschenlampen Signale gaben. Deshalb konnte ich Ihnen ein paar Minuten lang nicht antworten.«

Der Asiate drehte sich um und sah Jasori an; in seinem Blick war keine Spur von Selbstmitleid. »Das sind die Risiken meines Berufes«, sagte er ruhig. »Ich werde also zu meinen Ahnen eingehen, wie man in meinem albernen Volk sagt, und ich hoffe, daß die nicht so albern sind. Hier.« Der Mann griff in die Innentasche und zog einen Umschlag heraus. »Hier ist alles.«

»Haben Sie es überprüft?«

»Nur das Geld. Es ist alles da. Ich hätte mich nicht mit dem Franzosen getroffen, ohne das bei mir zu haben, was er gefordert hat, und den Rest will ich nicht wissen.« Plötzlich sah der Mann Borowski scharf an und kniff dann die Augen zusammen. »Aber Sie sind gar nicht der Franzose!«

»Ganz ruhig«, sagte Jason. »Das ist für Sie heute abend alles sehr schnell gegangen.«

»Wer sind Sie?«

»Jemand, der Ihnen einfach klargemacht hat, wo Sie stehen. Wieviel Geld haben Sie gebracht?«

»Dreißigtausend US-Dollar.«

»Wenn das erst die Anzahlung ist, muß es sich um einen sehr wichtigen Menschen handeln.«

»Ja, das nehme ich an.«

»Behalten Sie es.«

»Was? Was sagen Sie da?«

»Ich bin nicht der Franzose, wissen Sie noch?«

»Ich verstehe nicht.«

»Ich will nicht einmal die Instruktionen haben. Ich bin sicher, daß jemand mit Ihren beruflichen Fähigkeiten einen Vorteil aus diesen Instruktionen ziehen kann. Ein Mann zahlt gut für Informationen, die ihm helfen; und für sein Leben zahlt er noch eine Menge mehr.«

»Warum tun Sie das?«

»Weil das alles nichts mit mir zu tun hat. Mich interessiert nur eines. Ich will den Mann haben, der sich Borowski nennt, und habe keine Zeit zu vergeuden. Sie haben das, was ich gerade angeboten habe, und noch einen Bonus - ich werde Sie lebend hier herausholen, auch wenn ich zwei Leichen hier zurücklassen muß. Das ist mir gleichgültig. Aber Sie müssen mir das geben, was ich am Telefon verlangt habe. Sie haben gesagt, Ihr Klient hätte Ihnen gesagt, der Killer des Franzosen sei anderswo. Wo? Wo ist Borowski?«

»Sie reden so schnell -«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, ich habe keine Zeit! Sagen Sie es mir! Wenn Sie sich weigern, gehe ich weg, und dann bringt Ihr Klient Sie um. Sie können es sich aussuchen.«

»Shenzen«, sagte der Chinese, als hätte er Angst vor dem Namen.

»China? Jemand in Shenzen?«

»Anzunehmen. Mein wohlhabender Klient hat Verbindungen zu der Queen's Road.«

»Was ist das?« »Das Konsulat der Volksrepublik. Ein äußerst ungewöhnliches Visum ist ausgestellt worden. Offenbar sind die höchsten Stellen in Beijing eingeschaltet. Warum das so ist, wußte mein Gewährsmann nicht, und als er die Entscheidung in Frage stellte, ist er sofort aus seiner Abteilung entfernt worden. Das hat er meinem Klienten berichtet. Natürlich gegen Geld.«

»Warum war das Visum so ungewöhnlich?«

»Weil es keine Wartezeit gab und der Antragsteller nicht auf dem Konsulat erschienen ist. Beides ist außergewöhnlich, noch nie dagewesen.«

»Trotzdem, es war nur ein Visum.«

»In der Volksrepublik gibt es so etwas nicht - >nur ein Visumc. Besonders nicht für einen Weißen, der alleine reist und einen fragwürdigen Paß besitzt, der in Macao ausgestellt wurde.«

»Macao?«

»Ja.«

»Und wann ist das Einreisedatum?«

»Morgen. Bei Lo Wu über die Grenze.«

Jason musterte den Chinesen prüfend. »Sie haben gesagt, Ihr Klient hätte Gewährsleute im Konsulat. Haben Sie die auch?«

»Was Sie jetzt denken, wird Sie sehr viel Geld kosten, weil das Risiko sehr groß ist.«

Borowski hob den Kopf und blickte durch den strömenden Regen zu dem von Scheinwerfern angestrahlten Götzenbild hinüber. Etwas hatte sich bewegt; der Späher suchte sein Ziel. »Warten Sie hier«, sagte er.

Die Fahrt im Frühzug von Kowloon zum Grenzkontrollpunkt Lo Wu dauerte nur eine knappe Stunde. Die Erkenntnis, daß er sich in China befand, dauerte keine zehn Sekunden.

Lang lebe die Volksrepublik!

Das Ausrufezeichen war überflüssig, die Grenzposten lebten es. Sie waren steif, unfreundlich, fast rüde, und knallten ihre Gummistempel mit der Wut feindseliger Jugendlicher in die Pässe. Dafür gab es etwas anderes, was dafür entschädigte. Hinter den Grenzwachen stand eine Schar uniformierter junger Frauen lächelnd an ein paar langen Tischen, die mit Prospekten überhäuft waren, die die Schönheit und die Tugenden ihres Landes und seines Systems priesen.

Wenn das Heuchelei war, merkte man es ihnen jedenfalls nicht an.

Borowski hatte dem verratenen, todgeweihten Kontaktmann siebentausend Dollar für das Visum bezahlt. Es war fünf Tage gültig. Als Besuchsgrund stand darauf »geschäftliche Investitionen in der Wirtschaftszone«, und es konnte von der Einwanderungsbehörde von Shenzen verlängert werden, falls er Beweise seiner Investitionen vorlegte und mit ihm ein chinesischer Bankier dort erschien, der das Geschäft vermittelt hatte. In seiner Dankbarkeit hatte der Kontaktmann ihm noch gratis den Namen eines Bankiers in Shenzen genannt, der »Mr. Cruett« ohne Mühe Investitionsmöglichkeiten bescheinigen konnte, wobei besagter Mr. Cruett immer noch im Regent-Hotel in Hongkong gemeldet war. Dann gab es noch einen Bonus von dem Mann, dessen Leben er an der Repulse Bay gerettet hatte: die Beschreibung des Mannes, der mit einem in Macao ausgestellten Paß über den Grenzkontrollpunkt gegangen war. Er war 1,83m groß, 83kg schwer, von weißer Hautfarbe und hatte hellbraunes Haar. Jason hatte sich die Notiz verblüfft angesehen und sich unbewußt der Daten auf dem eigenen Ausweis erinnert: dort stand Gr.: 1,83 m, Gew.: 84kg. Männlich. Haarfarbe: hellbraun. Ein seltsames Gefühl der Furcht machte sich in ihm breit. Nicht die Furcht vor einer Konfrontation; die wünschte er sich sogar, weil er Marie zurückhaben wollte, mehr als alles andere. Nein, es war der Schrecken darüber, daß er für die Erschaffung eines Ungeheuers verantwortlich war. Ein tödlicher Killer, der aus einem tödlichen Virus hervorgegangen war, den er in dem Labor seines Bewußtseins und seines Körpers zur Perfektion herangezüchtet hatte.

Der Zug, mit dem er Kowloon verlassen hatte, war der erste Zug am Tag gewesen, voll mit Facharbeitern und leitenden Angestellten, denen die Volksrepublik den Zugang zur feien Wirtschaftszone von Shenzen erlaubt hatte, in der Hoffnung, dort ausländische Investoren anzulocken. Bei jedem Halt auf dem Weg zur Grenze, während immer weitere Passagiere zustiegen, war Borowski durch die Waggons gegangen, und sein Blick hatte die weißen Männer gemustert, von denen es, als sie schließlich Lo Wu erreichten, insgesamt nur noch vierzehn gab. Keiner hatte auch nur entfernt der Personenbeschreibung des Mannes aus Macao entsprochen - der Personenbeschreibung, die auch auf ihn zutraf. Der neue »Jason Borowski« würde einen späteren Zug nehmen. Das Original würde auf der anderen Seite der Grenze warten. Und dort wartete er jetzt.

In den vier Stunden, die inzwischen verstrichen waren, hatte er sechzehnmal auf die Fragen des Grenzpersonals geantwortet, daß er auf einen Geschäftskollegen warte; er hatte offensichtlich den Fahrplan falsch verstanden und einen viel zu frühen Zug genommen. Wie es in fremden Ländern, aber ganz besonders in Asien, immer der Fall ist, war die Tatsache, daß ein höflicher Amerikaner sich die Mühe gemacht hatte, ihre Sprache zu lernen, ganz entschieden von Vorteil. Man hatte ihm vier Tassen Kaffee und siebenmal heißen Tee angeboten, und zwei der uniformierten Mädchen hatten ihm kichernd übersüßte chinesische Eiscreme gereicht. Er nahm alles an - alles andere wäre unhöflich gewesen, und da der größte Teil der Viererbande nicht nur das Gesicht, sondern auch den Kopf verloren hatte, war Unhöflichkeit aus der Mode, mit Ausnahme der Grenzwächter.

Es war zehn nach elf. Die Passagiere kamen durch den langen, eingezäunten Korridor unter freiem Himmel, nachdem sie die Paßkontrolle hinter sich gebracht hatten. Hauptsächlich handelte es sich um Touristen, überwiegend Weiße, meist verwirrt und von ehrfürchtigem Staunen darüber erfüllt, daß sie hier waren. In der Mehrzahl waren es kleine Touristengruppen, begleitet von Reiseleitern - je einer aus Hongkong und der Volksrepublik -, die akzeptables Englisch oder Deutsch oder Französisch und etwas widerstrebend Japanisch sprachen, für jene besonders unsympathischen Besucher mit mehr Geld als Marx oder Konfuzius je gehabt hatten. Jason studierte jeden einzelnen weißen Mann. Die vielen, die über einsachtzig groß waren, waren zu jung oder zu alt oder zu stattlich oder zu schmal, oder in ihren limonengrünen oder zitronengelben Hosen zu auffällig, als daß sie der Mann aus Macao hätten sein können.

Augenblick! Dort! Ein älterer Mann in einem beigefarbenen Gabardineanzug, der wie ein mittelgroßer, leicht hinkender Tourist aussah, war plötzlich größer geworden - und jetzt hinkte er auch nicht mehr! Er ging mit schnellen Schritten quer durch die Menschenmenge und rannte auf den riesigen Parkplatz, der mit Bussen und ein paar Taxis angefüllt war, von denen jedes an der Windschutzscheibe eine Plakette trug: zhan - außer Dienst. Borowski rannte hinter dem Mann her, zwängte sich zwischen den Leibern durch, ohne darauf zu achten, wen er beiseite stieß. Das war der Mann - der Mann aus Macao!

»Hey, sind Sie verrückt? Ralph, der hat mich gestoßen!«

»Dann stoß ihn doch auch. Was soll ich denn tun?«

»Etwas unternehmen

»Er ist weg.«

Der Mann in dem Gabardineanzug sprang durch die offene Tür eines Lieferwagens, eines dunkelgrünen Lieferwagens mit getönten Fenstern, der, den chinesischen Schriftzeichen nach zu schließen, der Chutang-Vogelschutzwarte gehörte. Die Türe wurde zugezogen, und das Fahrzeug raste vom Parkplatz auf die Ausfahrt zu. Borowski war verzweifelt; er durfte ihn nicht entkommen lassen! Ein altes Taxi stand zu seiner Rechten. Der Motor nagelte im Leerlauf. Er zog die Tür auf, wurde aber von einem unwilligen Ausruf begrüßt.

»Zhan!« schrie der Fahrer.

»Shima?« brüllte Jason und zog soviel amerikanisches Geld aus der Tasche, daß in der Volksrepublik fünf Jahre lang ein Luxusleben garantiert war.

»Aiya!«

»Zou!« befahl Borowski, sprang auf den Beifahrersitz und deutete auf den Lieferwagen, der sich inzwischen in den Verkehr eingereiht hatte. »Bleiben Sie hinter ihm, dann können Sie Ihr eigenes Geschäft im Grenzgebiet anfangen«, sagte er auf kantonesisch. »Das verspreche ich Ihnen!«

Marie, ich bin so nahe dran! Ich weiß, daß er es ist! Ich werde ihn erledigen! Jetzt gehört er mir! Er ist unsere Rettung!

Der Lieferwagen schoß auf die Straße, bog bei der ersten Ausfahrt nach Süden und vermied damit den großen Platz, der mit Touristenbussen und Scharen von Schaulustigen überfüllt war, wich vorsichtig dem endlosen Strom von Fahrrädern aus. Der Taxifahrer holte den Lieferwagen auf einer primitiven Straße ein, deren Belag mehr aus hartgetretenem Schlamm denn aus Asphalt bestand. Jetzt konnte man das Fahrzeug mit den dunklen Fenstern sehen, wie es vor ihnen vor einem offenen Kistenwagen, der mit landwirtschaftlichen Geräten beladen war, in eine lange Kurve einbog. Am Ende der Kurve wartete ein Touristenbus, bog jetzt hinter dem Pritschenwagen in die Straße ein.

Borowski blickte an dem Lieferwagen vorbei; vor ihnen wurde es hüglig, und die Straße stieg an. Jetzt erschien ein weiterer Touristenbus, diesmal hinter ihnen.

»Shumchun«, sagte der Fahrer.

»Bin do?« fragte Jason.

»Der Wasserspeicher von Shumchun«, antwortete der Fahrer auf chinesisch. »Ein sehr schönes Reservoir, einer der schönsten Seen von ganz China. Sein Wasser wird nach Süden geliefert, nach Kowloon und Hongkong. Um diese Jahreszeit von Besuchern überfüllt. Die Aussicht im Herbst ist herrlich.«

Plötzlich wurde der Lieferwagen schneller, preschte die Bergstraße hinauf, löste sich von dem Pritschenwagen und dem Ausflugsbus.

»Können Sie nicht schneller fahren? An dem Bus vorbei und dem Pritschenwagen!«

»Da sind so viele Kurven.«

»Versuchen Sie es!«

Der Fahrer drückte das Gaspedal durch und zwängte sich um den Bus herum, verfehlte ihn nur um wenige Zentimeter, als ihnen ein Gleiskettenfahrzeug der Armee mit zwei Soldaten in der Fahrerkabine entgegenkam. Die Soldaten beschimpften ihn ebenso wie die Reiseleiter der Touristengruppe durch das offene Fenster. »Schlaft doch mit euren häßlichen Müttern!« schrie der Fahrer triumpherfüllt, was ihm aber gleich verging, als er vor sich den breiten Pritschenwagen mit den landwirtschaftlichen Geräten sah, der ihm den Weg versperrte.

Sie bogen jetzt in eine scharfe Rechtskurve. Borowski klammerte sich am Fenster fest und beugte sich hinaus, um besser sehen zu können. »Da kommt niemand!« brüllte er den Fahrer an. »Los! Sie können überholen. Schnell!«

Das tat der Fahrer, auch wenn er damit das alte Taxi an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit trieb; die Reifen drehten auf dem glatten Lehmboden durch, so daß der Wagen gefährlich vor dem Lkw zur Seite rutschte. Noch eine Kurve, diesmal scharf nach rechts und noch steiler. Vor ihnen war die Straße gerade und führte eine lange Steigung hinauf. Der Lieferwagen war nirgends zu sehen; er war hinter der Hügelkuppe verschwunden.

»Kuai!« schrie Borowski. »Fährt diese alte Kiste nicht schneller?«

»So schnell war sie noch nie! Ich denke, die Geister werden den Motor explodieren lassen! Und was werde ich dann tun? Ich mußte fünf Jahre sparen, bis ich mir diese Mühle kaufen konnte, und dann hat es mich noch eine ganze Menge Bestechungsgeld gekostet, im Grenzgebiet fahren zu dürfen.«

Jason warf dem Fahrer eine Handvoll Banknoten vor die Füße. »Wenn wir den Lieferwagen erwischen, gibt es noch zehnmal mehr! Und jetzt los!«

Das Taxi brauste über die Hügelkuppe und rollte dann schnell in eine riesige Schlucht am Rand eines ausgedehnten Sees, der kilometerweit zu reichen schien. In der Ferne konnte Borowski Berge mit schneebedeckten Gipfeln sehen und grüne Inseln, die die blaugrüne Wasserfläche, soweit das Auge reichte, wie Punkte durchsetzten. Das Taxi kam neben einer großen rotgoldenen Pagode zum Stehen, zu der eine lange Treppe aus poliertem Beton hinaufführte. Ihre offenen Balkons überblickten den See. Am Rande des Parkplatzes waren Erfrischungsstände und Andenkenläden verteilt, und vier Touristenbusse hatten sich auf der Parkfläche breitgemacht; ihre Fahrer und Fremdenführer schrien auf ihre Schützlinge ein und flehten sie an, am Ende der Besichtigung nicht die falschen Fahrzeuge zu besteigen.

Der Lieferwagen mit den dunklen Fensterscheiben war nirgends zu sehen. Borowski sah sich nach allen Seiten um. Wo war er? »Was ist das dort drüben für eine Straße?« fragte er den Fahrer.

»Pumpenstation. Die Straße darf von niemandem betreten werden; die Armee bewacht sie. Hinter der Biegung ist ein hoher Zaun und ein Wachhaus.«

»Warten Sie hier.« Jason stieg aus dem Taxi und ging auf die verbotene Straße zu. Jetzt hätte er gern eine Kamera oder einen Reiseprospekt dabeigehabt, jedenfalls irgend etwas, das ihn als

Touristen auswies. Aber er konnte nur unschlüssig schlendern und mit staunendem, leicht glasigem Blick um sich schauen, wie es der typische Tourist tut. Kein Gegenstand war zu belanglos, als daß er darauf verzichtet hätte, ihn zu inspizieren. Jetzt näherte er sich der Biegung der schlecht gepflasterten Straße; er sah den hohen Zaun und ein Stück des Wachhäuschens - und dann sah er es ganz. Eine lange Metallstange verbarrikadierte die Straße; zwei Soldaten unterhielten sich und wandten ihm den Rücken zu - blickten auf zwei Fahrzeuge, die nebeneinander, etwas weiter unten an einem würfelförmigen Betonbau parkten, der braun angestrichen war. Eines der Fahrzeuge war der Lieferwagen mit den getönten Scheiben, das zweite eine braune Limousine. Jetzt setzte sich der Lieferwagen in Bewegung, rückwärts auf das Tor zu!

Borowski überlegte fieberhaft. Er hatte keine Waffe; es war sinnlos, auch nur daran zu denken, eine Waffe über die Grenze mitzubringen! Wenn er versuchte, den Lieferwagen anzuhalten und den Killer herauszuzerren, würde dieses Handgemenge die Aufmerksamkeit der Wachen auf sich ziehen, und sie würden ohne Zweifel zu den Gewehren greifen. Er mußte den Mann von Macao daher herauslocken - freiwillig mußte er kommen. Auf das, was dann folgen würde, war Jason vorbereitet; er würde ihn so oder so in seine Gewalt bekommen, ihn zur Grenze zurück auf die andere Seite schaffen - so oder so. Kein Mann war ihm gewachsen; da war nichts, was vor seinem Angriff sicher war -Augen, Kehle, Unterleib -, er würde schnell zuschlagen, rücksichtslos. David Webb hatte sich mit jener Realität nie auseinandersetzen müssen. Borowski lebte in ihr.

Es gab eine Möglichkeit!

Jason rannte zu der Straßenbiegung zurück, bis er außer Sichtweite der Soldaten war. Dort nahm er wieder die Haltung des verzückten Touristen ein und lauschte. Der Motor des Lieferwagens lief jetzt offenbar im Leerlauf; das Ächzen bedeutete, daß der Torbalken angehoben wurde. Jetzt ging es um

Augenblicke. Borowski behielt seine Position im Gebüsch neben der Straße. Jetzt tauchte der Lieferwagen auf ...

Und dann war er plötzlich vor dem großen Fahrzeug, mit schreckenserfüllter Miene, drehte sich zu der Seite unter dem Fenster des Fahrers und schlug mit der flachen Hand gegen die Tür, stieß einen Schmerzensschrei aus, als hätte der Lieferwagen ihn erfaßt, vielleicht sogar getötet. Als der Wagen zum Stillstand kam, lag er reglos auf dem Boden; der Fahrer sprang heraus, ein Unschuldiger, im Begriff, seine Unschuld zu beteuern. Doch dazu bekam er keine Chance. Jasons Arm schoß in die Höhe, packte den Mann am Knöchel und riß ihn herunter, so daß sein Kopf gegen die Seitenwand des Lieferwagens krachte. Der Fahrer fiel bewußtlos zu Boden, und Borowski zerrte ihn unter den abgedunkelten Fenstern nach hinten. Er sah eine Ausbuchtung im Jackett des Mannes. Das war eine Waffe, damit hatte er angesichts der Ladung gerechnet. Jason zog sie heraus und wartete auf den Mann aus Macao.

Doch der erschien nicht. Das war nicht logisch.

Borowski rannte wieder nach vorne, packte den Haltegriff neben der Fahrerkabine und sprang in die Höhe, die Wafe schußbereit auf die Hintersitze gerichtet.

Doch da war niemand. Der Wagen war leer.

Er stieg wieder hinaus und ging zu dem Fahrer nach hinten, spuckte ihm ins Gesicht und ohrfeigte ihn, bis er zu Bewußtsein kam.

»Nali?« flüsterte er drohend. »Wo ist der Mann, der hier drin war?«

»Dort hinten«, erwiderte der Fahrer auf kantonesisch und schüttelte den Kopf. »In dem Dienstwagen bei dem Mann, den keiner kennt. Schonen Sie mein armseliges Leben! Ich habe sieben Kinder!«

»Steigen Sie ein«, sagte Borowski und z)g den Mann in die Höhe und stieß ihn zu der offenen Tür. »Fahren Sie, so schnell Sie können, hier weg.«

Der Rat war überflüssig. Der Lieferwagen schoß aus dem Shumchun-Reservoir und raste mit solchem Tempo um die Kurve in die Ausfahrt, daß Jason dachte, er würde über die Böschung geraten. Ein Mann, den keiner kennt. Was bedeutete das? Doch wie auch immer, der Mann aus Macao war in der Falle. Er saß in einer braunen Limousine hinter der Schranke auf der verbotenen Straße. Borowski raste zu dem Taxi zurück und stieg auf den Vordersitz; der Fahrer hatte inzwischen die Geldscheine vom Boden aufgehoben.

»Sind Sie zufrieden?« fragte der Taxifahrer. »Bekomme ich das Zehnfache von dem, was Sie mir vor die wertlosen Füße geworfen haben?«

»Machen Sie Schluß, Charlie Chan! Ein Wagen wird aus dieser Einfahrt zur Pumpenstation kommen, und Sie werden genau das tun, was ich Ihnen sage. Haben Sie verstanden?«

»Haben Sie das Zehnfache des Betrages verstanden, den Sie in meinem uralten, wertlosen Taxi gelassen haben?«

»Ich habe verstanden. Es könnte auch das Fünfzehnfache sein, wenn Sie tun, was ich Ihnen sage. Los jetzt. Fahren Sie an den Rand des Parkplatzes. Ich weiß nicht, wie lange wir warten müssen.«

»Zeit ist Geld, Sir.«

»Halten Sie den Mund!«

Sie mußten gute zwanzig Minuten warten. Dann tauchte die braune Limousine auf, und Borowski sah etwas, das ihm vorher nicht aufgefallen war. Die Scheiben waren noch dunkler getönt als die des Lieferwagens; die Insassen des Wagens waren unsichtbar. Und dann hörte Jason das allerletzte, was er zu hören wünschte.

»Nehmen Sie Ihr Geld zurück«, sagte der Fahrer leise. »Ich bringe Sie wieder nach Lo Wu. Ich habe Sie nie gesehen.«

»Warum?«

»Das ist ein Regierungswagen - ein Dienstwagen unserer Regierung -, und ich werde ihn nicht verfolgen.«

»Warten Sie! Einen Augenblick. Das Zwanzigfache von dem, was ich Ihnen gegeben habe, und noch eine Prämie, wenn alles gutgeht! Sie können weit hinter ihm bleiben, bis ich es sage. Ich bin nur ein Tourist, der sich umsehen möchte. Nein, warten Sie. Da, ch werde es Ihnen zeigen! Auf meinem Visum steht, daß ich Geld investiere. Leute, die hier investieren, haben die Erlaubnis, sich umzusehen!«

»Das Zwanzigfache?« sagte der Fahrer und starrte Jason an. »Welche Garantie habe ich denn, daß Sie Ihr Versprechen halten?«

»Ich lege das Geld zwischen uns auf den Sitz. Sie sitzen am Steuer; Sie könnten mit diesem Wagen eine ganze Menge tun, worauf ich nicht vorbereitet wäre. Ich werde nicht versuchen, das Geld zurückzunehmen.«

»Gut! Aber ich bleibe weit dahinter. Ich kenne diese Straßen. Es gibt nur bestimmte Orte, an die man fahren kann.«

Fünfunddreißig Minuten später, die braune Limousine war immer noch zu sehen, aber weit vor ihnen, fing der Fahrer wieder zu reden an. »Die fahren zum Flugplatz.«

»Zu welchem Flugplatz?«

»Er wird von Regierungsbeamten benutzt und von Männern mit Geld aus dem Süden.«

»Leute, die in Fabriken und in Industriebetrieben investieren?«

»Das ist das Industriegebiet.«

»Ich will auch investieren«, sagte Borowski. »Das steht auf meinem Visum. Schnell! Holen Sie auf!« »Zwischen uns sind fünf Fahrzeuge, und wir waren uns doch darüber einig, daß ich weit dahinter bleibe.«

»Bis ich es sage! Jetzt ist das anders. Ich habe Geld. Ich investiere in China!«

»Man wird uns am Tor aufhalten. Man wird telefonieren.«

»Ich habe den Namen eines Bankiers in Shenzen!«

»Kennt er Ihren Namen? Und eine Liste der chinesischen Firmen, mit denen Sie zu tun haben? In dem Fall können Sie an dem Tor das Reden übernehmen. Aber wenn dieser Bankier in Shenzen Sie nicht kennt, wird man Sie festhalten, weil Sie falsche Angaben gemacht haben. Dann könnte es sein, daß Sie so lange in China festgehalten werden, wie man braucht, um gründliche Nachforschungen über Sie anzustellen, Wochen, Monate.«

»Ich muß diesen Wagen einholen!«

»Wenn Sie diesem Wagen nahe kommen, wird man Sie erschießen.«

»Verdammt!« schrie Jason auf englisch, ging dann aber gleich wieder auf das Chinesische über. »Hören Sie mir zu. Ich habe jetzt keine Zeit, Ihnen das zu erklären. Aber ich muß ihn sehen!«

»Das geht mich nichts an«, sagte der Fahrer kalt und vorsichtig.

»Fahren Sie zum Tor«, befahl Borowski. »Ich bin ein Fahrgast, der in Lo Wu eingestiegen ist, sonst nichts. Ich werde reden.«

»Sie verlangen zuviel! Ich will mich nicht mit jemandem wie Ihnen sehen lassen.«

»Tun Sie, was ich sage«, sagte Jason und zog die Pistole aus dem Gürtel.

Borowski stand an dem großen Fenster und blickte auf den Flugplatz hinaus; das Pochen in seiner Brust war unerträglich.

Das Flughafengebäude war klein und nur für privilegierte Reisende gedacht. Der Kontrast zwischen den westlichen Geschäftsleuten mit Aktenkoffern, Tennisschlägern und den uniformierten Wachen, die wie Statuen herumstanden, verblüffte Jason. Doch offenbar vertrugen sich Öl und Wasser.

In englischer Sprache auf den Dolmetscher einredend, der das, was er sagte, dem Offizier der Wache übersetzte, hatte er behauptet, er sei ein Geschäftsmann, dem das Konsulat an der Queen's Road in Hongkong den Auftrag erteilt hatte, am Flughafen einen Beamten abzuholen, der aus Beijing ankommen solle. Den Namen des Beamten hatte er verlegt, aber sie waren sich kurz im Auswärtigen Amt in Washington begegnet und würden einander wieder erkennen. Er ließ durchblicken, daß wichtige Männer im Zentralkomitee stark an ihrem Zusammentreffen interessiert waren. Daraufhin bekam er einen Passierschein, der allerdings auf das Flughafengebäude beschränkt war, und fragte schließlich, ob das Taxi bleiben dürfe, für den Fall, daß er später eine Fahrgelegenheit brauche. Dieser Bitte wurde stattgegeben.

»Wenn Sie Ihr Geld wollen, bleiben Sie«, hatte er zu dem Fahrer auf kantonesisch gesagt und die zusammengefalteten Banknoten wieder an sich genommen.

»Sie haben eine Pistole und zornige Augen. Sie werden ihn töten.«

Jason hatte den Fahrer angestarrt. »Den Mann in diesem Wagen zu töten, wäre das Allerletzte auf der Welt. Ich würde nur töten, um sein Leben zu schützen.«

Die braune Limousine mit den dunklen, undurchsichtigen Scheiben war nirgends auf dem Parkplatz zu sehen. Borowski war mit schnellen Schritten ins Innere des Flughafengebäudes zu dem Fenster gegangen, an dem er jetzt stand, und seine Schläfen drohten ihm vor Zorn und Enttäuschung zu zerspringen

- denn draußen auf dem Flugfeld sah er den Regierungswagen.

Er parkte auf der Piste, keine fünfzehn Meter von ihm entfernt, und doch durch eine undurchdringliche Wand aus Glas von ihm getrennt - und dann schoß die Limousine plötzlich auf einen mittelgroßen Jet zu, der ein paar hundert Meter weiter nördlich auf der Rollbahn zu sehen war. Borowski kniff die Augen zusammen und wünschte sich nichts so sehnlich wie einen Feldstecher! Und dann wurde ihm klar, daß auch ein Fernglas ihm nichts genutzt hätte; der Wagen fuhr um das Leitwerk der Maschine herum und verschwand.

Verdammt!

Wenige Sekunden später setzte das Flugzeug sich in Bewegung und rollte ans Ende der Startbahn, während die braune Limousine kehrtmachte und auf den Parkplatz und die Ausfahrt zuraste.

Was sollte er tun? Ich darf nicht so zurückbleiben! Er ist dort! Er ist ich und er ist dort! Er entkommt! Borowski rannte an den ersten Schalter und gab sich verzweifelt.

»Diese Maschine dort, die gleich starten wird! Ich sollte in dem Flugzeug sein! Es fliegt nach Shanghai, und die Leute in Beijing haben gesagt, ich sollte mit der Maschine fliegen! Sie müssen sie aufhalten!«

Die Angestellte hinter dem Schalter nahm den Telefonhörer ab. Sie wählte schnell und atmete dann erleichtert auf. »Das ist nicht Ihre Maschine, Sir«, sagte sie. »Sie fliegt nach Guangdong.«

»Wohin?«

»An die Grenze von Macao, Sir.«

»Niemals! Auf keinen Fall in Macao!« hatte der Taipan geschrien ... »Dann wird schnell ein Befehl erteilt und noch schneller ausgeführt werden. Dann stirbt Ihre Frau.«

Macao. Tisch fünf. Das Kam-Pek-Casino.

»Wenn er nach Macao ginge«, hatte McAllister leise gesagt, »könnte er zu einer schrecklichen Belastung werden ...« »Liquidation?«

»Ich kann dieses Wort nicht benutzen.«

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