Kapitel 29

Borowski saß auf dem Rücksitz, während die Schatten vorbeirasten. Der Mond schien hell; im Wageninneren wechselten Licht und Dunkelheit sich hektisch ab. Immer wieder, in unregelmäßigen Abständen, wenn sein Gefangener nicht darauf gefaßt war, beugte er sich vor und preßte ihm den

Pistolenlauf in den Nacken. »Ein einziger Versuch, von der Straße abzukommen, und Sie haben eine Kugel im Schädel. Verstehen Sie mich?«

Und jedesmal kam dieselbe Antwort, mit geringer Abwandlung, in knappem militärischem Englisch. »Ich bin kein Idiot. Sie sitzen hinter mir und haben eine Waffe, und ich kann Sie nicht sehen.«

Jason hatte den Rückspiegel aus der Halterung gerissen, der Stiel war in seiner Hand ganz leicht abgeknickt. »Dann bin ich hier hinten Ihr Auge, denken Sie daran. Und zugleich bin ich das Ende Ihres Lebens.«

»Verstanden«, erwiderte der ehemalige Leiter eines Kommandotrupps Ihrer Majestät ausdruckslos.

Die Landkarte auf dem Schoß ausgebreitet, die Taschenlampe in der linken Hand, die Pistole in der rechten, studierte Borowski die Karte nach dem Süden. Und je mehr halbe Stunden verstrichen und Markierungspunkte an ihnen vorbeiflogen, desto klarer wurde Jason, daß die Zeit sein Feind war. Obwohl der rechte Arm des Killers nicht mehr kampftauglich war, wußte Borowski, daß er dem jüngeren Mann an Körperkraft und Ausdauer nicht gewachsen war. Die Ereignisse der letzten drei Tage hatten ihren Tribut gefordert, körperlich, geistig und - ob er sich das nun eingestehen wollte oder nicht - auch seelisch. Und wenn auch Jason Borowski sich das nicht einzugestehen brauchte, David Webb schrie es förmlich aus sich heraus. Der Wissenschaftler mußte in Schach gehalten werden, tief im Inneren, und seine Stimme durfte nicht laut werden.

Laß mich in Ruhe! Du kannst mir nicht helfen!

Immer wieder spürte Jason, wie ihm die Lider schwer wurden. Immer wieder riß er die Augen auf, kniff sich kräftig in das empfindliche Fleisch an der Innenseite seiner Schenkel oder grub sich die Nägel in die Lippen, damit es weh tat und die

Erschöpfung zurückdrängte. Sein Zustand war ihm bewußt - nur einem wahnsinnigen Selbstmörder wäre es nicht bewußt gewesen -, und jetzt war weder die Zeit noch der Ort, um ihm mit einem Satz Linderung zu verschaffen, den er von Echo hatte. Ruhe ist eine Waffe, vergiß das nie. Vergiß es, Echo ... tapferer Echo ... Jetzt ist nicht die Zeit zum Ausruhen und kein Ort dafür.

Und indem er seine Einschätzung der eigenen Person akzeptierte, mußte er auch akzeptieren, wie er seinen Gefangenen einschätzte. Der Killer war hellwach; das merkte man an dem Geschick, mit dem er das Steuer lenkte, denn Jason verlangte Höchstgeschwindigkeit über die fremden, nicht vertrauten Straßen. Diese angespannte Wachheit war aus seinen dauernden Kopfbewegungen zu erkennen, und in seinen Augen, jedesmal, wenn Borowski sie sah, und er sah sie häufig, jedesmal, wenn er dem Meuchelmörder Befehl gab, langsamer zu werden und nach einer Seitenstraße zur Linken oder zur Rechten Ausschau zu halten. Der Brite drehte sich dann jedesmal im Sitz herum - und der Anblick seiner so vertrauten Züge war jedesmal für Jason ein Schock - und fragte, ob die Straße vor ihnen die war, die seine »Augen« wollten. Überflüssige Fragen; der Killer war ständig bemüht, sich ein Urteil über den körperlichen und geistigen Zustand seines Bewachers zu bilden. Er war ein ausgebildeter Killer, eine tödliche Maschine, und wußte sehr wohl, daß das Überleben davon abhing, sich einen Vorteil über den Feind zu verschaffen. Er wartete, beobachtete, stellte sich auf den Moment ein, wo die Augen seines Feindes sich jenen kurzen Moment lang schlössen, oder wo vielleicht plötzlich die Waffe zu Boden fiel oder der Kopf seines Feindes sich eine Sekunde lang zurücklehnte. Dies waren die Zeichen, auf die er wartete, die Sekundenbruchteile, aus denen er Kapital schlagen konnte. Borowskis Verteidigung hing daher von seinem wachen Verstand ab, davon, daß er das Unerwartete tat und das psychologische Gleichgewicht zu seinen Gunsten erhalten blieb. Aber wie lange konnte das dauern - wie lange konnte er durchhalten?

Die Zeit war sein Feind, und der Meuchelmörder vor ihm ein zweitrangiges Problem. In seiner Vergangenheit - jener Vergangenheit, an die er sich nur vage erinnerte - hatte er öfter mit Männern wie diesem Briten zu tun gehabt, hatte sie manipuliert, weil sie menschliche Wesen waren, die den Winkelzügen seiner Phantasie unterlegen waren. Herrgott, darauf lief es hinaus! So einfach, so logisch - und er war so müde ... Sein Verstand. Sonst war ihm nichts geblieben! Er mußte fortfahren zu denken, mußte fortfahren, seine Phantasie anzustacheln. Denke. Handle. Tu das Unerwartete!

Er schraubte den Schalldämpfer von seiner Waffe, richtete ihren Lauf auf das geschlossene rechte Vorderfenster und drückte ab. Die Explosion war ohrenbetäubend, hallte durch das Wageninnere, als das Glas zersplitterte und in die Nachtluft hinausflog.

»Was, zum Teufel, soll das jetzt wieder?« schrie der Killer und klammerte sich am Steuer fest, um nicht die Herrschaft über den Wagen zu verlieren.

»Um Ihnen eine Lektion über das Gleichgewicht beizubringen«, antwortete Jason. »Sie sollten verstehen, daß ich aus dem Gleichgewicht geraten bin. Der nächste Schuß könnte Ihren Schädel zerschmettern.«

»Ein Irrer sind Sie, ein beschissener Irrer!«

»Freut mich, daß Sie das begreifen.«

Die Landkarte. Zu den zivilisierten Eigenschaften einer chinesischen Straßenkarte gehörte - und es entsprach wohl der Qualität der in China gebauten Fahrzeuge -, daß jede Tankstelle an den Hauptstraßen, die vierundzwanzig Stunden am Tage geöffnet war, mit einem Sternchen gekennzeichnet war. Man brauchte nur darüber nachzudenken, welche Verwirrung entstehen konnte, wenn militärische und sonstige amtliche

Fahrzeuge plötzlich nicht mehr funktionierten, um zu begreifen, wie notwendig das war. Für Borowski war es ein Geschenk des Himmels.

»Etwa vier Meilen von hier ist eine Tankstelle«, sagte er zu dem Meuchelmörder - zu Jason Borowski, überlegte er. »Halten Sie dort an und tanken Sie und sagen Sie kein Wort - was sowieso sehr unvernünftig wäre, weil Sie ja die Sprache nicht sprechen.«

»Sie tun das wohl?«

»Deshalb bin ich das Original und Sie die Fälschung.«

»Geschenkt, Mr. Original!«

Jason schoß wieder und fegte damit den Rest der Fensterscheibe weg. »Die Fälschung!« schrie er so laut, daß er den Fahrtwind übertönte. »Denken Sie daran.«

Zeit war der Feind.

Er nahm in Gedanken Inventur dessen auf, was er hatte, und es war nicht viel. Geld war seine wichtigste Munition; er verfügte über mehr, als hundert Chinesen in hundert Leben verdienen konnten, aber Geld allein war nicht die Antwort. Nur Zeit. Wenn er auch nur die geringste Chance hatte, das riesige China zu verlassen, dann war das auf dem Luftwege, nicht auf dem Lande. So lange würde er nicht durchhalten. Wieder studierte er die Karte. Es würde dreizehn bis fünfzehn Stunden dauern, Shanghai zu erreichen - falls der Wagen so lange durchhielt und falls er so lange durchhielt. Und wenn sie an den Polizeikontrollen vorbeikamen; inzwischen wurde mit Sicherheit nach einem Westler oder nach zwei Westlern gesucht. Man würde sie festnehmen - sie beide würde man festnehmen. Und selbst wenn sie Shanghai mit den relativ laschen Flughafenkontrollen erreichten, wie viele Komplikationen würden sich dort trotzdem noch ergeben?

Eine Möglichkeit hatte er - es gab immer Möglichkeiten. Es war verrückt, aber ihm blieb nichts anderes übrig.

Die Zeit war der Feind. Tu es. Eine andere Wahl gibt es nicht. Er tippte auf ein kleines Symbol am Rand der Stadt Jinan. Ein Flughafen.

Dämmerung. Überall Feuchtigkeit. Die Erde, das hohe Gras und der Drahtzaun glitzerten im Morgentau. Die einzige Piste dahinter war ein glänzender schwarzer Strich, der quer über das kurz gestutzte Feld ging, halb grün vom Tau, halb stumpf braun von der sengenden Sonne, die gestern auf das Feld heruntergebrannt hatte. Die schwarze Limousine stand ein gutes Stück von der Flughafenzubringerstraße entfernt, wieder mit Laub getarnt. Der Brite war wieder bewegungsunfähig gemacht, diesmal an den Daumen. Jason hatte dem Meuchelmörder die Pistole gegen die rechte Schläfe gepreßt und ihm befohlen, die Drahtspulen in doppelten Ziehknoten um jeden Daumen zu winden und hatte die Spulen dann mit seinem Drahtschneider durchgeknipst, den Draht nach hinten geführt und dem Killer die zwei verbliebenen Stücke um die Handgelenke gewunden. Bei jedem noch so leichten Druck, zum Beispiel, wenn der Killer die Hände verdrehte oder voneinander löste, schnitt der Draht tiefer ins Fleisch ein.

»An Ihrer Stelle wäre ich vorsichtig«, sagte Borowski. »Können Sie sich vorstellen, wie es wäre, keine Daumen zu haben? Oder sich die Handgelenke durchzuschneiden?«

»Scheißperfektionist!«

»Da können Sie Gift drauf nehmen.«

Auf der anderen Seite des Flughafens wurde jetzt in einem einstöckigen Gebäude mit einer Reihe kleiner Fenster ein Licht eingeschaltet. Es war eine Art Baracke, einfach und funktionell. Dann flammten weitere Lichter auf - nackte Glühbirnen, kaltes, bläuliches Licht. Eine Baracke. Jason griff nach dem Beutel; er löste die Riemen und legte die Kleidungsstücke im Gras aus. Da war eine weite Mao-Jacke, eine zerdrückte, voluminöse Hose und eine Schirmmütze aus Stoff, die man zu solchen Kleidern zu tragen pflegte. Er stülpte sich die Mütze über und schlüpfte in die Jacke, knöpfte sie über seinem dunklen Pullover zu und stand dann auf, zog sich die weiten Hosen über die eigenen. Ein Stoffgürtel hielt sie fest.

Er strich die voluminöse Jacke über der Hose zurecht und wandte sich dann seinem Gefangenen zu, der ihn erstaunt und neugierig beobachtete.

»Hinüber zum Zaun«, sagte Jason, bückte sich und griff in den Beutel. »Auf die Knie, und lehnen Sie sich dagegen«, fuhr er fort und holte ein eineinhalb Meter langes Stück dünne Nylonschnur heraus. »Drücken Sie das Gesicht gegen den Zaun. Die Augen nach vorne! Schnell!«

Der Killer tat wie geheißen, obwohl seine Hände dabei schmerzten, die er in gefesseltem Zustand zwischen seinem Körper und dem Zaun halten mußte; das Gesicht preßte er gegen das Drahtgeflecht. Borowski trat hinter ihn und fädelte die Schnur auf der rechten Seite des Killers durch den Zaun, zog sie über das Gesicht des Killers und schlang sie dann hinten durch. Er zog sie straff und verknotete sie im Genick des Mannes. Das alles war so verblüffend schnell gegangen, daß der ehemalige Offizier kaum ein Wort herausbekam, ehe ihm klar war, was geschehen war.

»Was, zum Teufel, machen Sie - o Gott!«

»Wie dieser Irre zu d'Anjou sagte, ehe er ihm den Kopf abschlug, Sie bleiben hier, Major.«

»Sie lassen mich hier?« fragte der Killer verblüfft.

»Reden Sie keinen Blödsinn. Wir sind wie Zwillinge. Wo ich hingehe, werden auch Sie hingehen. Tatsächlich sogar Sie zuerst.«

»Wohin?«

»Durch den Zaun«, sagte Jason und holte den Drahtschneider aus dem Beutel. Er schnitt um den Körper des Meuchelmörders herum und stellte erleichtert fest, daß der Draht bei weitem nicht so dick wie der war, der das Vogelreservat eingezäunt hatte. Als er fertig war, trat Borowski zurück, hob den rechten Fuß, setzte ihm dem Killer zwischen die Schulterblätter und stieß zu. Mann und Zaun fielen auf der anderen Seite ins Gras.

»Herrgott!« schrie der Killer gequält auf. »Verdammt komisch, wie?«

»Ich komme mir gar nicht komisch vor«, erwiderte Jason. »Alles, was ich hier tue, ist kein bißchen komisch. Stehen Sie jetzt auf, und zwar hübsch leise.«

»Um Himmels willen, ich bin doch an dem verdammten Zaun angebunden!«

»Der ist lose. Stehen Sie auf und drehen Sie sich um.« Der Mann rappelte sich schwerfällig auf. Borowski musterte seine Arbeit. Der Maschendraht am Oberkörper des Killers sah tatsächlich komisch aus. Aber der Grund für sein Handeln war alles andere als komisch. Nur solange er den Meuchelmörder sicher vor Augen hatte, gab es kein Risiko für ihn. Jason konnte das, was er nicht sehen konnte, nicht unter Kontrolle halten, und was er nicht sehen konnte, konnte ihn das Leben kosten ... Und was noch viel wichtiger war, das Leben von David Webbs Frau

- und von David Webb. Komm mir nicht zu nahe! Misch dich nicht ein! Wir haben es ja fast geschafft!

Borowski griff nach der Schnur und riß die Schlinge auf, behielt ein Ende der Schnur in der Hand. Das Stück Zaun fiel herunter, und ehe der Meuchelmörder reagieren konnte, warf Jason die Schnur um seinen Kopf herum, hob sie dabei etwas an, so daß die Leine sich im Mund des Killers verfing. Er zog daran, spannte die Schnur und zwängte damit die Kinnladen seines Gefangenen auf, bis sein Mund wie ein dunkles, von einer Reihe weißer Zähne umgebenes Loch war. Seiner Kehle entrangen sich unartikulierte Laute.

»Das habe ich nicht erfunden, Major«, sagte Borowski und verknotete die dünne Nylonschnur so, daß die restlichen siebzig Zentimeter locker herunterhingen. »Ich habe d'Anjou und die anderen gesehen. Die konnten nicht reden, nur an dem würgen, was sie erbrochen hatten. Sie haben sie auch gesehen und haben gegrinst. Wie fühlen Sie sich jetzt, Major? ... oh, ich hab ja vergessen, daß Sie nicht antworten können, oder?« Er stieß den Mann nach vorne, packte ihn dann an der Schulter und schob ihn nach links. »Wir schleichen uns um das Ende der Piste herum«, sagte er. »Los jetzt!«

Während sie, immer im Schutz der Dunkelheit, am äußersten Rand um das Flughafengelände herumschlichen, sah sich Jason die relativ primitive Anlage genau an. Hinter der Baracke war ein kleines, rundes Gebäude mit viel Glas, in dem aber kein Licht brannte, abgesehen von einem einzigen Scheinwerfer mitten auf dem Dach, der ein rechteckiges Gebilde beleuchtete. Bei dem Gebäude mußte es sich um den Terminal von Jinan handeln, dachte er; das schwach beleuchtete Gebilde darauf war vermutlich der Kontrollturm. Links von der Baracke, wenigstens sechzig Meter im Westen, gab es einen dunklen, offenen Wartungshangar mit ein paar riesigen Rolleitern, die in der Nähe der weiten Tore standen, und in denen sich das Licht der frühen Morgensonne spiegelte. Der Hangar war sichtlich verlassen, die Mannschaft hielt sich noch in ihren Quartieren auf. Am südlichen Rand des Flugfeldes, zu beiden Seiten der Piste, und von seinem augenblicklichen Standort aus kaum zu erkennen, standen fünf Flugzeuge, lauter Propellermaschinen, keine davon besonders eindrucksvoll. Beim Flughafen von Jinan handelte es sich um ein zweitklassiges, möglicherweise sogar drittklassiges Landefeld, das ohne Zweifel eines Tages mehr Bedeutung bekommen würde, wie so viele Flughäfen in China, jetzt, wo ausländisches Kapital zur Verfügung stand. Aber es würde noch lange dauern, bis dieser jämmerliche Provinzflugplatz internationales Niveau erreichen würde.

»Wir gehen in den Hangar«, flüsterte Jason und stieß den Killer von hinten an. »Und denken Sie daran, wenn Sie das leiseste Geräusch von sich geben, werde ich Sie gar nicht umzubringen brauchen - das werden die erledigen. Und ich werde meine Fluchtchance bekommen, weil Sie mir die verschaffen werden. Daran sollten Sie nicht zweifeln. Runter jetzt.«

Dreißig Meter entfernt kam jetzt ein Wachposten aus dem finsteren Bau; er hatte einen Karabiner über der Schulter hängen und streckte die Arme, um wohlig zu gähnen. Borowski wußte, daß dies der Augenblick zum Handeln war; ein besserer würde sich nicht bieten. Sein Gefangener lag ausgestreckt auf dem Boden, die mit Draht gefesselten Hände unter sich, den weit aufgerissenen Mund gegen die Erde gepreßt. Jason griff nach der Nylonschnur, packte den Killer an den Haaren, riß seinen Kopf in die Höhe und schlang ihm die Leine zweimal um den Hals. »Eine Bewegung, und Sie ersticken«, flüsterte Borowski und stand auf.

Er rannte lautlos zur Hangarwand, eilte dann an die Ecke und spähte herum. Der Wachposten hatte sich kaum bewegt. Dann begriff Jason - der Mann urinierte. Bestens. Das kam ihm zupaß. Borowski trat einen Schritt von dem Gebäude zurück, stemmte den rechten Fuß ins Gras und rannte los. Seine Waffe war eine starre rechte Hand, der ein weit ausschwingender linker Fuß vorausging, der den Posten am Wirbelsäulenansatz traf. Der Mann brach bewußtlos zusammen. Jason zerrte ihn zur Hangarecke zurück und dann durchs Gras zu der Stelle, wo sein gefesselter Gefangener reglos lag und sich nicht zu bewegen wagte.

»Jetzt lernen Sie etwas, Major«, sagte Borowski, packte den Killer wieder an den Haaren und zog ihm die Nylonschnur vom Hals. Die Tatsache, daß die Schnur den Mann ebensowenig erwürgt hätte wie eine Wäscheleine, die man einem Menschen lose um den Hals bindet, verriet Delta etwas. Sein Gefangener konnte unter starkem Streß nicht logisch denken. Das mußte er sich merken. »Aufstehen«, befahl Jason. Der Mann gehorchte, schnappte mit weit aufgerissenem Mund nach Luft, und seine Augen blickten wütend und haßerfüllt. »Denken Sie an Echo«, sagte Borowski, und sein Blick erwiderte den Haß des Killers. »Entschuldigen Sie, ich meine d'Anjou. Der Mann, der Ihnen Ihr Leben zurückgegeben hat - ein Leben jedenfalls, das Ihnen offenbar gut gefällt. Ihr Pygmalion, alter Junge! ... und jetzt hören Sie mir zu, und hören Sie mir gut zu. Möchten Sie, daß ich Ihnen die Schnur abnehme?«

»Ooohh!« stöhnte der Killer und nickte.

»Und Ihnen die Daumen freimache?«

»Ooohh, ooohh!«

»Sie sind kein Guerilla, Sie sind ein Gorilla«, sagte Jason und zog die Automatik aus dem Hüftgürtel. »Aber wie wir früher zu sagen pflegten - vor Ihrer Zeit, alter Junge -, es gibt da gewisse >Bedingungen<. Sehen Sie, entweder kommen wir beide lebend hier raus, oder wir verschwinden, und unsere sterblichen Überreste werden einem chinesischen Feuer überantwortet, keine Vergangenheit, keine Gegenwart - und ganz bestimmt kein Nachruf auf unsere Verdienste um die Gesellschaft ... Wie ich sehe, langweile ich Sie. Tut mir leid, dann vergessen Sie die ganze Geschichte.«

»Ooohh!«

»Okay, wenn Sie darauf bestehen. Natürlich werde ich Ihnen keine Waffe geben, und wenn ich sehe, daß Sie versuchen, sich eine zu schnappen - und ich werde es merken, wenn Sie das versuchen -, sind Sie tot. Aber wenn Sie sich manierlich benehmen, dann könnte es sein - könnte, habe ich gesagt -, daß wir entkommen. Was ich Ihnen damit wirklich sagen möchte, Mr. Borowski, ist, daß Ihr Klient hier drüben, wer auch immer er sein mag, ebensowenig zulassen kann, daß Sie überleben, wie er das bei mir zulassen kann. Verstehen Sie? Kapiert?«

»Oooohh!«

»Und noch eines«, fügte Jason hinzu und zog an der Schnur, worauf diese von der Schulter des Killers herunterfiel. »Das ist Nylon oder Polyurethan oder wie auch immer Sie das nennen. Wenn es verbrennt, dann schwillt das Zeug an wie ein Marshmallow; unmöglich aufzuknoten. Das hängt dann an Ihren Knöcheln, und die beiden Knoten schwellen zu Zement an. Sie werden dann eine Schrittweite von ungefähr eineinhalb Metern haben - nur weil ich ein Perfektionist bin. Drücke ich mich klar aus?«

Der Brite nickte, und Borowski sprang nach rechts, trat dem Killer in die Kniekehlen, so daß er zu Boden fiel und seine gefesselten Daumen zu bluten begannen. Jason kniete nieder und bohrte dem Killer die Pistole, die er in der linken Hand hielt, in den Mund, während die Finger seiner rechten Hand den Knoten im Nacken lösten.

»Allmächtiger Gott!« schrie der Killer, als die Schnur herunterfiel.

»Ich bin froh, daß Sie ein religiöser Mensch sind«, sagte Borowski, ließ die Waffe fallen, schlang dem Killer blitzschnell die Schnur um die Knöchel und sicherte sie jedesmal mit einem Knoten; dann schnippte er sein Feuerzeug an und setzte die Enden in Brand. »Das werden Sie vielleicht brauchen.« Er hob die Pistole auf, hielt sie dem Killer an die Stirn und wickelte den Draht von den Handgelenken seines Gefangenen. »Nehmen Sie sich den Rest selbst ab«, befahl er. »Vorsichtig mit den Daumen, die sind verletzt.«

»Mein rechter Arm ist auch kein Zuckerlecken!« sagte der Engländer und mühte sich ab, den Draht abzustreifen. Als seine Hände frei waren, bewegte er sie ein paarmal auf und ab und

saugte sich dann das Blut von seinen Wunden. »Haben Sie Ihren Zauberkasten, Mr. Borowski?«

»Stets griffbereit«, erwiderte Jason. »Was brauchen Sie?«

»Heftpflaster. Meine Finger bluten.«

Borowski griff hinter sich nach dem Beutel, zog ihn nach vorne und ließ ihn vor dem Killer fallen, wobei er die ganze Zeit die Pistole auf seinen Kopf gerichtet hielt. »Suchen Sie. Die Rolle müßte ganz obenauf liegen.«

»Hab sie«, sagte der andere, holte das Heftpflaster heraus und wand es sich schnell um die Daumen. »Richtig beschissen, einem so etwas anzutun«, meinte er, als er fertig war.

»Denken Sie an d'Anjou«, sagte Jason ausdruckslos.

»Der wollte sterben, um Himmels willen! Was, zum Teufel, hätte ich da machen sollen?«

»Nichts. Weil Sie nichts sind.«

»Nun, dann wäre ich ja so etwas Ähnliches wie Sie, nicht wahr, Freundchen? Er hat mich ja nach Ihnen geformt!«

»Dazu haben Sie nicht das Talent«, sagte Jason Borowski. »Da fehlt viel. Sie können nicht logisch denken.«

»Was soll das jetzt wieder bedeuten?«

»Denken Sie darüber nach.« Delta richtete sich auf. »Aufstehen«, befahl er.

»Sagen Sie«, meinte der Brite, stieß sich vom Boden ab und starrte die Waffe an, die auf seinen Kopf gerichtet war. »Warum ich? Warum sind Sie je aus dem Geschäft ausgestiegen?«

»Weil es nie mein Geschäft war.«

Plötzlich schweiften Scheinwerferbalken - einer nach dem anderen - über das Feld, dann flammten gelbe Markierungslichter entlang der Rollbahn auf. Männer rannten aus der Baracke, ein paar auf den Hangar zu, andere hinter den Bau, wo plötzlich die Motoren unsichtbarer Fahrzeuge aufheulten. Die Lichter des Terminals flammten auf; überall herrschte jetzt rege Aktivität.

»Nehmen Sie ihm das Jackett und die Mütze ab«, befahl Borowski und deutete mit der Pistole auf den bewußtlosen Posten. »Ziehen Sie sie an.«

»Die werden mir nicht passen!«

»Sie können sie ja in Savile Row ändern lassen. Los jetzt!«

Der Killer tat, wie ihm befohlen war, wobei sein rechter Arm ihn so behinderte, daß Jason ihm den Ärmel halten mußte. Dann rannten beide Männer zu der Hangarwand hinüber, wobei Borowski den anderen mit seiner Waffe immer wieder anstieß.

»Sind wir uns einig?« fragte Borowski im Flüsterton und sah das Gesicht an, das dem seinen, so wie es vor ein paar Jahren gewesen war, so sehr glich »Wir kommen hier raus, oder wir sterben!«

»Verstanden«, antwortete der Killer. »Dieser beschissene Schreihals mit seinem blutigen Angeberschwert ist wahnsinnig. Ich will da raus!«

»Das war aber nicht die Reaktion, die ich auf Ihrem Gesicht gesehen habe.«

»Wenn man mir das angesehen hätte, dann wäre dieser Verrückte auf mich losgegangen!«

»Wer ist es?«

»Ich habe nie einen Namen zu hören bekommen. Nur ein paar Verbindungen, über die man ihn erreichen konnte. Die erste war ein Mann in der Garnison von Guangdong namens Soo Jiang -«

»Den Namen habe ich gehört. Man nennt ihn das Schwein.«

»Wahrscheinlich zu Recht, aber ich weiß es nicht.«

»Und was dann?«

»Man hinterläßt am Tisch fünf im Casino in Macao eine Nummer -« »Das Kam Pek in Macao«, unterbrach Jason. »Was kommt dann?«

»Ich rufe die Nummer an und spreche französisch. Dieser Soo Jiang ist einer der wenigen Schlitzaugen, die die Sprache verstehen. Er setzt den Zeitpunkt für das Zusammentreffen fest; immer an demselben Ort. Ich gehe über die Grenze zu einem Feld in den Bergen, und dann kommt ein Hubschrauber und jemand nennt mir den Namen des Ziels. Und ich bekomme die Hälfte des Geldes für den Auftrag ... Da! Jetzt kommt er! Er biegt zum Anflug ein.«

»Ich habe meine Pistole an Ihrem Kopf.«

»Verstanden.«

»Hat man Ihnen in Ihrer Ausbildung auch beigebracht, eines dieser Dinger zu fliegen?«

»Nein. Nur wie man aus ihnen herausspringt.«

»Das wird uns nichts nützen.«

Das Flugzeug schwebte mit roten Positionslichtern an den Flügelspitzen aus dem heller werdenden Himmel herein und auf die Landepiste zu. Jetzt setzte es glatt auf, rollte an das Ende der Asphaltbahn, bog nach rechts ab, auf den Terminal zu.

»Kai guan gi you!« schrie eine Stimme aus dem Hangar, und dann deutete der Mann auf die drei Treibstoffwagen, die seitlich aufgereiht waren, und erklärte, welcher eingesetzt werden sollte.

»Die tanken auf«, sagte Jason. »Die Maschine startet wieder. Sehen wir zu, daß wir an Bord kommen.«

Der Killer drehte sich um, und sein Gesicht - jenes Gesicht -flehte. »Um Himmels willen, geben Sie mir ein Messer, irgend etwas!«

»Nichts.«

»Ich kann helfen!«

»Das ist jetzt meine Veranstaltung, Major, nicht die Ihre. Wenn Sie ein Messer hätten, würden Sie mir den Bauch aufschlitzen. Kommt nicht in Frage, alter Junge.«

»Da lang xia!« rief dieselbe Stimme vom Hangar herüber und stellte damit einen wenig schmeichelhaften Vergleich zwischen gewissen Regierungsbeamten und großen Krebsen an. »Fang song«, fuhr er fort und erklärte dann allen, daß sie sich ruhig Zeit lassen könnten, daß die Maschine vom Terminal wegrollen würde und daß der erste der drei Tankwagen zu ihm hinausfahren sollte. Die Beamten stiegen aus, das Flugzeug machte kehrt und rollte wieder über die Piste zurück, während der Tower dem Piloten Anweisung gab, wo er auftanken sollte. Jetzt setzte sich der Tankwagen in Bewegung; Männer sprangen herunter und begannen, Schläuche herauszuziehen.

»Das wird etwa zehn Minuten dauern«, sagte der Killer. »Das ist die chinesische Version einer etwas modernisierten DC 3.«

Das Flugzeug kam zum Stillstand, und die Motoren verstummten, als Rolleitern an die Tragflächen geschoben wurden und Männer über die Leitern hinaufkletterten. Die Treibstofftanks wurden geöffnet und die Schläuche unter dauerndem Geschnatter der Wartungsmannschaft eingeschoben. Plötzlich öffnete sich die Tür in der Mitte des Rumpfs wieder, und eine Stahltreppe klappte heraus. Zwei Männer in Uniform kamen herunter.

»Der Pilot und der Copilot«, sagte Borowski, »und die wollen sich nicht nur die Beine vertreten. Die überprüfen jede Kleinigkeit, die diese Leute machen. Wir werden sehr sorgfältig auf den Zeitpunkt achten, Major, und wenn ich sage los, dann bewegen Sie sich.«

»Genau auf die Luke zu«, nickte der Killer. »Wenn der zweite Typ die erste Stufe betritt.«

»Ja, ungefähr so.«

»Ablenkungsmanöver? «

»Wie denn?«

»Ihres gestern nacht war recht nett. Sie haben da ein Feuerwerk veranstaltet wie an Ihrem Nationalfeiertag.«

»Geht nicht. Außerdem habe ich alles verbraucht. Warten Sie mal. Der Tankwagen.«

»Wenn Sie den hochjagen, geht das Flugzeug mit in die Luft. Außerdem könnten Sie den Zeitpunkt nicht so genau festlegen, daß diese Typen gerade an Bord gehen.«

»Nicht den Tankwagen«, sagte Jason und schüttelte den Kopf und blickte an dem Killer vorbei. »Der dort drüben.« Borowski deutete auf den vorderen der zwei roten Wagen, der etwa dreißig Meter entfernt war. »Wenn der in die Luft fliegen würde, dann wäre Punkt eins auf der Tagesordnung, diese Maschine hier rauszuholen.«

»Und wir wären viel näher dran als jetzt. Machen wir's.«

»Nein«, korrigierte Jason. »Sie machen das. Und zwar genau, wie ich es Ihnen sage, mit meiner Pistole am Schädel. Los!«

Sie rannten auf den Tankwagen zu, wobei das schwache Licht und der Betrieb, der rings um das Flugzeug herrschte, ihnen Deckung boten. Der Pilot und der Copilot leuchteten die Motoren mit ihren Taschenlampen an und hielten die Wartungscrew mit ungeduldigen Befehlen auf Trab. Borowski befahl dem Killer, sich vor ihm niederzukauern, während er über dem offenen Tragebeutel kniete und die Rolle Gazestoff herausholte. Er holte das Jagdmesser aus dem Gürtel, zog ein Stück Schlauch aus der Halterung, ließ es auf den Boden fallen und griff mit der rechten Hand an die Stelle, wo der Schlauch in den Tank einmündete.

»Beobachten Sie sie«, befahl er dem Killer. »Wie lange noch? Und ganz langsam, Major. Ich lasse Sie nicht aus den Augen.«

»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich hier raus will. Ich baue bestimmt keinen Mist!«

»Sicher wollen Sie raus, aber ich hab so das Gefühl, daß Sie das lieber alleine angehen würden.«

»Der Gedanke ist mir nie in den Sinn gekommen.«

»Dann sind Sie nicht der richtige Mann für mich.«

»Vielen Dank.«

»Nein, das war mir ernst. Mir wäre das in den Sinn gekommen ... Wie lange noch?«

»Zwischen zwei und drei Minuten, schätze ich.«

»Und wie gut ist Ihre Schätzung?«

»Runde zwanzig Einsätze in Oman, Yemen und umliegende Ortschaften. Flugzeuge, die dem hier von der Konstruktion und von den Motoren her ähnlich waren. Ich weiß Bescheid, Kollege. Das ist ein alter Hut. Zwei bis drei Minuten, ganz bestimmt nicht mehr.«

»Gut. Dann kommen Sie her.« Jason stach den Schlauch mit dem Messer an und schnitt eine Kerbe, die tief genug war, um einen gleichmäßigen Kerosinstrom austreten zu lassen, aber doch so wenig, daß die Pumpe kaum arbeiten mußte. Er richtete sich auf und hielt den Killer mit seiner Pistole in Schach, während er ihm mit der anderen Hand die Rolle Gazestoff reichte. »Reißen Sie etwa zwei Meter ab und tränken Sie das mit dem Treibstoff.« Der Killer kniete nieder und führte Borowskis Anweisung aus. »jetzt«, fuhr Jason fort, »stopfen Sie das Ende in den Schlitz, wo ich den Schlauch angeschnitten habe. Weiter

- weiter. Nehmen Sie den Daumen!«

»Mein Arm ist nicht mehr das, was er einmal war!«

»Aber Ihre linke Hand. Drücken Sie kräftiger!« Borowski sah schnell zu dem Flugzeug hinüber, das aufgetankt wurde - das jetzt aufgetankt war. Der Brite hatte richtig geschätzt. Die Männer kletterten jetzt von den Tragflächen und rollten die Schläuche zurück in den Tankwagen. Und dann nahmen der Pilot und der Copilot die letzte Prüfung vor. In weniger als einer

Minute würden sie zur Luke gehen! Jason griff in die Tasche, holte Streichhölzer heraus und warf sie dem Killer hin, wobei er die Waffe auf seinen Kopf richtete. »Anzünden. Jetzt!«

»Das geht hoch wie eine Stange Nitro! Und wir fliegen beide mit in die Luft, vor allem ich!«

»Nicht, wenn Sie es richtig machen! Legen Sie die Gaze auf das Gras, das ist feucht -«

»Und hemmt das Feuer -?«

»Schnell! Tun Sie's!«

»Gemacht!« Die Flamme züngelte vom Ende des Gazestreifens hoch, fiel aber gleich wieder zurück und fraß sich langsam an dem Stoffstreifen entlang. »Scheißperfektionist«, sagte der Killer halblaut, während er sich aufrichtete.

»Und jetzt vor mich«, befahl Borowski, während er sich den Beutel an den Gürtel hängte. »Gehen Sie geradeaus. Machen Sie sich kleiner und ziehen Sie die Schultern ein, so wie Sie es in Lo Wu getan haben.«

»Herr und Heiland! Sie waren -?«

»Los!«

Der Tankwagen entfernte sich langsam im Rückwärtsgang von dem Flugzeug, bog dann nach vorne um die Rolleitern herum, fuhr nach links an der Stelle vorbei, wo der erste rote Tankwagen parkte ... und kreiste erneut, jetzt nach rechts, hinter die beiden stehenden Wagen, um schließlich neben dem anzuhalten, an dem die Lunte brannte. Jason blickte wie gebannt auf den brennenden Streifen. Jetzt war dort eine kräftige Flamme hochgesprungen! Ein einziger Funke, der durch das Ventil übersprang, und der Tank würde explodieren und die beiden anderen Tankwagen mit weißglühenden Splittern ihrerseits in Brand setzen. Jeden Augenblick war es soweit!

Der Pilot winkte dem Copiloten zu. Gemeinsam gingen sie zur Einstiegluke.

»Schneller!« schrie Borowski. »Richten Sie sich darauf ein, loszurennen!«

»Wann?«

»Das werden Sie dann schon wissen. Ziehen Sie die Schultern ein! Bücken sollen Sie sich, verdammt noch mal!« Sie bogen nach rechts auf das Flugzeug zu, quer durch eine Gruppe Wartungstechniker, die jetzt zum Hangar zurückgingen.

»Gongju ne?« rief Jason und tadelte damit einen Kollegen, daß er einen wertvollen Werkzeugkasten beim Flugzeug hatte stehenlassen.

»Gongju?« rief der Mann, packte Borowski am Arm und hob seinen Werkzeugkasten auf. Ihre Blicke begegneten sich, und der Mechaniker erschrak, sein Gesicht verzerrte sich. »Tian a!« schrie er.

Und dann passierte es. Der Tankwagen explodierte, zerplatzte förmlich, stieß nach allen Seiten Feuersäulen aus, und heiße Metallstücke spritzten herum. Die Mechaniker schrien auf und rannten nach allen Richtungen davon, die meisten auf den Schutz bietenden Hangar zu.

»Jetzt los!« schrie Jason. Doch der Brite brauchte diese Aufforderung nicht; beide Männer rasten auf das Flugzeug und die Lukentür zu, wo der Pilot, der bereits hineingeklettert war, erstaunt heraussah, während der Copilot wie erstarrt auf der Leiter stand. »Kuai!« brüllte Borowski, der sein Gesicht im Schatten hielt und den Kopf des Killers auf der Metalltreppe nach unten drückte. »Jiitfeiji...!« fügte er schreiend hinzu, dem Piloten ratend, um der Sicherheit des Flugzeugs willen die Feuerzone zu verlassen - daß er ein Wartungstechniker sei und die Luke abdichten werde.

Jetzt ging ein zweiter Tankwagen hoch, und die gegeneinander gerichteten Explosionskräfte erzeugten eine vulkanartige Eruption aus Feuer und heißem Metall.

»Sie haben recht!« schrie der Pilot auf chinesisch, packte seinen Copiloten am Hemd und zerrte ihn hinein; beide rannten den schmalen Lauf gang zum Flugdeck nach vorne.

Das war der Augenblick, dachte Jason. Aber war er das? »Hinein!« befahl er dem Killer, während der dritte Tankwagen hochging.

»Geht klar!« schrie der Brite, hob den Kopf und richtete sich auf, um auf die Treppe zu springen. Dann, als eine weitere ohrenbetäubende Explosion über das Flugfeld hallte und die Motoren des Flugzeugs zu brausen begannen, fuhr er auf der Leiter herum, und sein rechter Fuß schoß auf Borowskis Unterleib zu, während seine Hand vorzuckte, um die Waffe abzulenken.

Jason war vorbereitet. Er schmetterte dem Killer den Pistolenlauf über den Knöchel und riß die Waffe dann hoch, hieb sie ihm gegen die Schläfe; ein Blutstrom schoß aus der Wunde, während der Killer zurücktaumelte. Borowski sprang die Stufen hinauf und stieß den Bewußtlosen mit den Füßen über den Stahlboden nach hinten. Er riß die Luke zu, hieb auf die Verriegelung und sicherte die Tür. Das Flugzeug begann jetzt zu rollen, bog nach links ab, um dem Flammeninferno auszuweichen. Jason riß sich den Beutel vom Gürtel, holte ein Stück Nylonschnur heraus und fesselte den Killer mit den Handgelenken an zwei weit auseinanderliegende Sitzlehnen. Er konnte sich unmöglich selbst befreien - wenigstens hätte Borowski nicht gewußt, wie -, aber trotzdem und für den Fall, daß er sich irrte, schnitt Jason die Schnur, die an den Fußknöcheln des Killers hing, ab, schob ihm die Beine auseinander und band seine Füße ebenfalls an zwei durch den Mittelgang getrennten Sitzen fest.

Dann richtete er sich auf und ging nach vorne zum Flugdeck. Die Maschine war jetzt auf der Startbahn angelangt und raste über das schwarze Asphaltband; plötzlich wurden die Motoren gedrosselt. Die Maschine hielt vor dem Terminal an, wo sich die

Gruppe von Beamten gesammelt hatte und zu dem Flammenmeer hinüberblickte, das vielleicht einen halben Kilometer entfernt loderte.

»Kai ba!« sagte Borowski und drückte dem Piloten den Lauf seiner Pistole gegen den Hinterkopf. Der Copilot fuhr in seinem Sitz herum. Jason verlagerte sein Gewicht etwas, um bequemer stehen zu können, und sagte in deutlichem Mandarin: »Achten Sie auf Ihre Anzeigen und bereiten Sie den Start vor, dann geben Sie mir Ihre Karten.«

»Die geben uns nicht frei!« schrie der Pilot. »Wir sollen fünf Kommissare mitnehmen!«

»Wohin?«

»Baoding.«

»Das ist im Norden«, sagte Borowski.

»Nordwest«, verbesserte der Copilot.

»Gut. Fliegen Sie nach Süden.«

»Das wird nicht gestattet werden!« schrie der Pilot.

»Ihre erste Pflicht ist es, das Flugzeug zu retten. Sie wissen nicht, was dort draußen vor sich geht. Es könnte Sabotage sein, eine Revolte, ein Aufstand. Tun Sie, was ich Ihnen sage, sonst sind Sie beide tot. Mir ist das wirklich gleichgültig.«

Der Kopf des Piloten fuhr herum, und er blickte zu Jason auf. »Sie sind ein Westler! Sie sprechen chinesisch, aber Sie sind kein Chinese! Was tun Sie hier!«

»Ich beschlagnahme dieses Flugzeug. Sie haben noch genügend Startbahn übrig. Starten Sie! Süden! Und geben Sie mir die Karten.«

Die Erinnerungen stellten sich wieder ein. Entfernte Geräusche, entfernte Bilder, entfernter Donner.

»Schlangenweib, Schlangenweib! Bitte antworten! Nennen Sie Ihre Sektorkoordinaten.«

Sie hatten Kurs auf Tarn Quan, und Delta war nicht bereit, das Schweigen zu brechen. Er wußte, wo sie waren, und das war alles, worauf es ankam. Kommando Saigon konnte zum Teufel gehen, er würde den nordvietnamesischen Abhörposten keinen Hinweis geben, wohin sie unterwegs waren.

»Wenn Sie nicht antworten wollen oder können, Schlangenweib, dann bleiben Sie unter sechshundert Fuß! Hier spricht ein Freund, ihr Arschlöcher! Ihr habt hier unten nicht viele! Oberhalb von sechs-fünfzig erfaßt euch ihr Radar.«

Das weiß ich, Saigon, und mein Pilot weiß es, selbst wenn es ihm nicht paßt, aber ich werde trotzdem die Funkstille nicht brechen.

»Schlangenweib, wir haben euch völlig verloren! Kann einer von euch Schwachköpfen auf diesem Einsatz eine Flugkarte lesen?«

Ja, ich kann das sehr gut, Saigon. Glaubt ihr, ich würde mit meinem Team in den Einsatz gehen und irgendeinem von euch vertrauen? Verdammt noch mal, das dort unten ist mein Bruder! Ich bin für euch nicht wichtig, aber er ist es!

»Sie sind verrückt!« schrie der Pilot. »Bei allen Geistern, dies ist eine schwere Maschine, und wir sind nur knapp über den Baumwipfeln!«

»Dann halten Sie die Nase oben«, sagte Borowski, der eine Karte studierte. »Tauchen Sie ab und sehen Sie zu, daß Sie Höhe bekommen, das ist alles.«

»Das ist aber auch verrückt!« schrie der Copilot. »Eine falsche Bö in dieser Höhe, und wir landen im Wald! Dann sind wir erledigt!«

»In den Wetterberichten über Funk heißt es, daß nicht mit Turbulenzen gerechnet wird -«

»Das ist oben«, kreischte der Pilot. »Sie verstehen nicht, was für Risiken das bedeutet! Nicht hier unten!«

»Wie lautete der letzte Bericht aus Jinan?« fragte Jason, der diesen Bericht sehr wohl kannte.

»Sie haben versucht, diesen Flug nach Baoding anzupeilen«, sagte der Offizier. »Das ist ihnen in den letzten drei Stunden nicht gelungen. Jetzt suchen sie die Hengshui-Berge ab ... Bei den Großen Geistern, warum sage ich das Ihnen! Sie haben die Berichte doch selbst gehört! Sie sprechen besser chinesisch als meine Eltern, und das waren gebildete Leute!«

»Zwei Pluspunkte für die Luftstreitkräfte der Volksrepublik.... okay, wenden Sie in zweieinhalb Minuten um hundertsechzig Grad und steigen Sie auf tausend Fuß. Dann sind wir über Wasser.«

»Dann sind wir auch in Reichweite der Japaner! Die werden uns abschießen!«

»Hängen Sie eine weiße Flagge raus - oder noch besser, ich gehe ans Funkgerät. Ich lasse mir etwas einfallen. Vielleicht geleiten die uns sogar nach Kowloon.«

»Kowloon!« kreischte der Copilot. »Man wird uns erschießen!«

»Durchaus möglich«, nickte Borowski. »Aber ich werde das nicht tun«, fügte er hinzu. »Sie müssen nämlich wissen, daß ich ohne Sie dort ankommen muß. Ich kann Sie nicht in meine Pläne einbeziehen. Das geht nicht.«

»Was Sie da sagen, gibt überhaupt keinen Sinn!« sagte der verzweifelte Pilot.

»Sie wenden einfach um hundertsechzig Grad, wenn ich es sage.« Jason studierte den Geschwindigkeitsanzeiger, berechnete die Knoten auf der Karte und kalkulierte die geschätzte Distanz, die er wollte. Durch das Fenster sah er, wie unten die Küste Chinas hinter ihnen zurücksank. Er sah auf die

Uhr; neunzig Sekunden waren verstrichen. »Jetzt wenden, Kapitän«, sagte er.

»Das hätte ich sowieso getan!« schrie der Pilot. »Ich bin kein Kamikaze. Ich fliege nicht in den eigenen Tod.«

»Nicht einmal für Ihre Regierung?«

»Das zuallerletzt.«

»Die Zeiten ändern sich«, sagte Borowski, der sich wieder auf die Flugkarte konzentrierte. »Und die Dinge.«

»Schlangenweib, Schlangenweib! Ausgeben! Wenn Sie mich hören können, dann verschwinden Sie dort und kehren Sie zum Basislager zurück. Sie haben keine Chance. Können Sie mich hören? Aufgeben!«

»Was wollen Sie machen, Delta?«

»Fliegen Sie weiter, Mister, in drei Minuten können Sie hier aussteigen.«

»Und was ist mit Ihnen und Ihren Leuten?«

»Wir werden es schaffen.«

»Sie sind ein Selbstmörder, Delta.«

»Das müssen gerade Sie mir sagen ... also gut, überprüfen Sie alle Ihre Fallschirme und halten Sie sich zum Aussteigen bereit, jemand soll Echo helfen, legt ihm die Hand um die Reißleine.«

»Deraisonable!«

Ihre Fluggeschwindigkeit blieb gleichmäßig bei 370 Meilen pro Stunde. Die Route, die Jason gewählt hatte - sie flogen in geringer Höhe über die Meerenge von Formosa, vorbei an Longhai und Shantou an der chinesischen Küste und an Hsinchu und Fengshan auf Taiwan -, betrug etwas mehr als 1435 Meilen. Die Schätzung von etwa vier Stunden war daher vernünftig. Die Inseln im Norden von Hongkong würden in weniger als einer halben Stunde in Sicht kommen.

Zweimal waren sie während ihres Fluges über Funk angerufen worden, einmal von der nationalchinesischen Garnison auf Quemoy, das andere Mal von einer Streifenmaschine mit Heimatflughafen Raoping. Borowski übernahm beide Male das Funkgerät und erklärte beim erstenmal, sie befänden sich auf einem Sucheinsatz nach einem havarierten Schiff, das taiwanesische Ware zum Festland bringen sollte, während er beim zweitenmal mit etwas drohendem Unterton erklärte, daß sie den Volkssicherheitskräften angehörten und die Küste nach Schmuggelschiffen absuchten, die ohne Zweifel den Raoping-Streifen entwischt waren. Bei dem zweiten Funkgespräch gab er sich nicht nur unangenehm arrogant, sondern benutzte auch den Namen und die - streng geheime - Erkennungsnummer eines toten Verschwörers, der unter einer russischen Limousine im Jing-Shan-Vogelreservat lag. Ob man ihm glaubte oder nicht, war für ihn in beiden Fällen belanglos. Niemand hatte Lust, sich einzumischen. Das Leben war auch so schon kompliziert genug.

Jedesmal, wenn Geräusche aus dem Funkgerät kamen und Verbindungen mit Linienmaschinen verrieten, fing der Pilot zu zittern an. »Ob Sie es nun wissen oder nicht, ich habe keinen Flugplan. Wir könnten auf Kollisionskurs mit einem Dutzend verschiedener Flugzeuge sein!«

»Dazu fliegen wir zu tief«, sagte Borowski, »und die Sicht ist ausgezeichnet. Ich habe Vertrauen zu Ihren Augen, Sie werden schon nicht irgendwo anrempeln.«

»Sie sind wahnsinnig!« schrie der Copilot.

»Im Gegenteil. Ich bin in Begriff, in die Welt der Vernunft zurückzukehren. Wo ist Ihre Ausrüstung für den Notfall? Ich kann mir nicht vorstellen, daß es so etwas bei Ihnen nicht gibt.«

»Was zum Beispiel?« fragte der Pilot.

»Schlauchboote, Signalgeräte ... Fallschirme.«

»Große Geister!«

»Wo?«

»Ganz hinten im Flugzeug, die Tür rechts neben der Bordküche.«

»Das ist alles für die Beamten«, fügte der Copilot mürrisch hinzu. »Wenn es Probleme gibt, kriegen die immer alles, was sie brauchen.«

»Das ist vernünftig«, sagte Borowski. »Wie würden Sie es denn machen?«

»Sie sind wahnsinnig.«

»Ich gehe jetzt nach hinten, meine Herren, aber meine Pistole ist weiterhin auf Sie gerichtet. Bleiben Sie auf Kurs, Kapitän. Ich bin sehr erfahren und sehr feinfühlig. Ich spüre die kleinste Kursabweichung, und wenn ich das tue, sind wir alle tot. Verstanden?«

»Sie sind irre!«

»Das müssen gerade Sie mir sagen.« Jason drehte sich um und ging nach hinten, stieg über seinen festgebundenen Gefangenen hinweg, der inzwischen alle Versuche aufgegeben hatte, sich zu befreien. Die Wunde an seiner linken Schläfe war von verkrustetem Blut bedeckt. »Wie steht's denn, Major?«

»Ich habe einen Fehler gemacht. Was wollen Sie sonst noch?«

»Sie lebend nach Kowloon bringen, das wünsche ich mir.«

»Damit irgendein Scheißkerl mich vor ein Erschießungskommando stellen kann?«

«Das liegt bei Ihnen. Da ich anfange, Ordnung in die Dinge zu bringen, könnte sogar irgendein Scheißkerl auf die Idee kommen, Ihnen einen Orden zu verleihen, wenn Sie Ihr Blatt so spielen, wie Sie sollten.«

»Sie verstehen sich großartig auf geheimnisvolle Andeutungen, Borowski. Was soll das jetzt wieder bedeuten?«

»Wenn Sie Glück haben, werden Sie's erfahren.«

»Vielen Dank!« schrie der Engländer.

»Mir brauchen Sie nicht zu danken. Auf die Idee haben Sie mich gebracht. Ich habe Sie gefragt, ob man Ihnen bei Ihrer Ausbildung beigebracht hatte, wie man eines dieser Dinger fliegt. Erinnern Sie sich daran, was Sie mir gesagt haben?«

»Was?«

»Sie haben gesagt, Sie wüßten nur, wie man aus ihnen herausspringt.«

»Scheiße!«

Der Killer saß mit festgeschnalltem Fallschirm, gefesselt, aufrecht zwischen zwei Sitzen, die Beine und Hände zusammengebunden und die rechte Hand an die Reißleine gefesselt.

»Sie sehen aus wie ans Kreuz geschlagen, Major, nur daß Sie dazu die Arme ausstrecken müßten.«

»Würden Sie, um Himmels willen, so reden, daß man Sie

versteht?«

»Verzeihen Sie mir. Mein anderes Ich versucht sich auszudrücken. Machen Sie bloß keine Dummheiten, weil Sie nämlich durch die Luke fliegen! Haben Sie gehört? Verstanden?«

»Verstanden.«

Jason ging zum Flugdeck, setzte sich, nahm sich die Karte und fragte den Flugoffizier: »Nun, wie steht's?«

»Hongkong in sechs Minuten, wenn wir nicht »mit jemandem zusammenrempeln<.«

»Ich habe volles Zutrauen zu Ihnen, aber wir können nicht auf Kai-tak landen - auch wenn Sie überlaufen wollen. Fliegen Sie nach Norden, in die New Territories.«

»Aiya!« kreischte der Pilot. »Da müssen wir durchs Radar! Diese verrückten Gurkhas feuern auf alles, was nur entfernt nach Festland aussieht!«

»Nicht, wenn die Sie nicht ausmachen, Kapitän. Bleiben Sie bis zur Grenze unter sechshundert Fuß und überfliegen Sie die Berge dann bei Lo Wu. Dann können Sie Funkkontakt mit Shenzen herstellen.«

»Und was, im Namen der Geister, soll ich sagen?« »Daß man Sie entführt hat, ganz einfach. Sehen Sie, ich darf nicht zulassen, daß Sie mit mir in Zusammenhang gebracht werden. Wir können nicht in der Kronkolonie landen. Damit würden Sie einen schüchternen Mann ins Rampenlicht rücken - und seinen Begleiter.«

Die Fallschirme öffneten sich knatternd über ihnen, und die zwanzig Meter lange Schnur, die sie an den Hüften miteinander verband, spannte sich im Wind, während das Flugzeug nach Norden jagte, auf Shenzen zu.

Sie landeten in einem Fischzuchtteich südlich von Lok Ma Chau. Borowski zog die Schnur ein und zerrte damit den gefesselten Briten zu sich heran, während die Besitzer der Fischzucht am Ufer ein fürchterliches Geschrei anstimmten. Jason zeigte ihnen Geld - mehr Geld, als die beiden - Mann und Frau - in einem Jahr verdienen konnten.

»Wir sind Überläufer!« rief er. »Reiche Überläufer! Wen stört das?«

Es störte niemanden, zuallerletzt die Besitzer des Fischzuchtteiches. »Mgoi! Magoissaai!« wiederholten sie immer wieder und dankten den fremden, rosafarbenen Geschöpfen, die vom Himmel gefallen waren, während Borowski den Killer aus dem Wasser zerrte.

Nachdem er die chinesischen Kleidungsstücke weggeworfen und dem Killer die Hände auf dem Rücken gefesselt hatte, erreichten Borowski und sein Gefangener die Straße, die nach Süden, nach Kowloon, führte. Ihre nassen Kleider trockneten schnell in der Sonne, aber so, wie sie aussahen, hatten sie bei den wenigen Fahrzeugen, die unterwegs waren, und den noch wenigeren, die bereit waren, Anhalter mitzunehmen, kaum eine Chance. Dieses Problem mußte gelöst werden. Schnell und sauber. Jason war erschöpft. Er konnte kaum gehen, und seine Konzentration begann nachzulassen. Ein Fehltritt, und er konnte das Spiel verlieren - aber er durfte es nicht verlieren! Nicht jetzt!

Bauern, hauptsächlich alte Frauen, trotteten am Straßenrand; die übergroßen, breitkrempigen schwarzen Hüte schützten die ausgemergelten Gesichter vor der Sonne. Die meisten trugen eine Art Joch auf den alten Schultern, an dem Körbe mit Obst oder Gemüse hingen. Ein paar musterten die heruntergekommen wirkenden Weißen, aber nur kurz; ihre Welt hielt nichts von Überraschungen. Es reichte, wenn man überlebte; ihre Erinnerungen waren ausgeprägt.

Erinnerungen. Studiere alles. Du wirst etwas finden, was du nutzen kannst.

»Da hinunter«, sagte Borowski zu dem Killer. »Neben die Straße.«

»Was? Warum?«

»Weil Sie keine drei Sekunden mehr leben, wenn Sie es nicht tun.«

»Ich habe geglaubt, daß Sie mich in Kowloon lebend brauchen.«

»Notfalls tut es auch Ihre Leiche. Hinunter! Auf den Rücken! Übrigens, Sie können schreien, so laut Sie wollen, es wird Sie doch keiner verstehen. Vielleicht helfen Sie mir damit sogar.«

»Herrgott, wie denn!«

»Sie haben einen traumatischen Schock.«

»Was?«

»Hinunter! Jetzt!«

Der Killer ließ sich auf den Asphalt sinken, wälzte sich auf den Rücken und starrte in die grelle Sonne. Sein Brustkasten hob und senkte sich, und sein Atem ging schwer. »Ich habe den Piloten gehört«, sagte er. »Sie sind wirklich ein beschissener Irrer!«

»Jedem seine eigene Auslegung, Major.« Plötzlich drehte Jason sich auf der Straße herum und schrie auf die Bauernfrauen ein. »Jiuming!« schrie er. »Ring bang mang!« Er flehte die uralten Überlebenskünstlerinnen an, seinem verletzten Begleiter zu helfen, der sich entweder das Rückgrat gebrochen oder ein paar Rippen eingedrückt hatte. Er griff in seinen Beutel und holte Geld heraus, erklärte, daß es auf jede Minute ankomme, daß er dringend ärztliche Hilfe brauche. Wenn sie ihn unterstützen könnten, sei ihm ihre Freundlichkeit viel Geld wert.

Sofort kamen die Bäuerinnen angerannt, die Augen nicht auf den Patienten, sondern auf das Geld gerichtet. Ihre Hüte flogen im Wind, und ihre Körbe waren plötzlich vergessen.

»Na gunzi lau« schrie Borowski und verlangte Schienen oder Stöcke für den Verletzten.

Die Frauen rannten in die Felder und kamen sofort mit langen Bambusschößlingen zurück, aus denen sie die Stäbe herausschälten, die dem armen, schmerzgequälten Mann Erleichterung verschaffen würden, wenn man ihn damit schiente. Und nachdem sie eben das bewerkstelligt hatten, dabei die ganze Zeit ihr Mitgefühl hinauskreischend, und ohne auf die Proteste des Patienten zu achten, die dieser auf englisch hinausbrüllte, nahmen sie Borowskis Geld und gingen ihrer Wege.

Nur eine nicht. Sie entdeckte einen Lastwagen, der aus dem Norden herannahte.

»Duo shao quian?« sagte sie an Jasons Ohr gebeugt und fragte, wieviel er bezahlen würde.

»Ni shuo ne«, antwortete Borowski und sagte, sie solle einen Preis nennen.

Das tat sie, und Delta war einverstanden. Mit ausgestreckten Armen trat die Frau auf die Straße hinaus, und der Wagen hielt an. Eine zweite Verhandlung mit dem Fahrer schloß sich an, und dann wurde der Killer mitsamt den Bambusschienen der Länge nach auf die Ladepritsche gehievt. Jason kletterte hinter ihm her.

»Wie fühlen Sie sich, Major?«

»Diese Kiste wimmelt ja von beschissenen Enten!« schrie der Killer und starrte die Stapel von Holzkäfigen ringsum an, von denen ein übelkeitserregender, überwältigender Geruch ausging.

Eines der Flügeltiere wählte in seiner unendlichen Weisheit diesen Augenblick, um dem Killer eine Ladung Kot ins Gesicht zu spritzen.

»Nächster Halt Kowloon«, sagte Jason Borowski und schloß die Augen.

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