Kapitel 24

»Qu'est-ce qu'ily a?«

»Des coups de fer! Les gardes sontpaniques!«

Borowski hörte die Schreie und rannte auf die Gruppe französischer Touristen zu, mischte sich unter sie. Sie wurden von einem Führer geleitet, dessen Konzentration jetzt ganz dem Chaos galt, das sich auf den Stufen des Mausoleums abspielte. Er knöpfte sein Jackett zu, so daß die Waffe in seinem Gürtel bedeckt war, und steckte den Schalldämpfer in die Tasche. Dann schob er sich schnell durch die Menge, bis er neben einem Mann stand, der größer war als er, einem gut gekleideten Mann mit angewiderter Miene. Jason war dankbar, daß vor ihnen einige andere, ähnlich große Männer standen. Mit einigem Glück war es durchaus möglich, daß er in dem Durcheinander nicht auffiel. Oben an der Treppe waren jetzt die Türen des Mausoleums ein Stück weit geöffnet worden. Uniformierte Männer rannten auf den Treppen hin und her. Offenbar war kein Befehlshaber mehr da, und Borowski wußte auch, warum. Sie waren geflohen, waren verschwunden, wollten mit den schrecklichen Ereignissen nichts zu tun haben. Doch Jason interessierte jetzt einzig und allein der Killer. Würde er herauskommen? Oder hatte er d'Anjou gefunden, den Mann gefangen, der ihn geschaffen hatte, und war dann mit Echo in dem Lieferwagen weggefahren, überzeugt, daß der »echte« Jason Borowski in der Falle saß, eine zweite Leiche in dem entweihten Mausoleum.

»Qu'est-ce que c'est?« fragte Jason den hochgewachsenen, gut gekleideten Franzosen, der neben ihm stand.

»Wieder eine von diesen widerwärtigen Verzögerungen, ohne Zweifel«, erwiderte der Mann mit etwas weibischem Pariser Akzent. »Ein Tollhaus ist das hier, und meine Geduld ist am Ende! Ich gehe ins Hotel zurück.«

»Kann man das?« Borowski wechselte vom Durchschnittsfranzösisch über zum Französisch eines Gebildeten. Für einen Pariser bedeutete das sehr viel. »Ich meine, dürfen wir unsere Gruppe verlassen? Die sagen uns doch dauernd, daß wir zusammenbleiben müssen.«

»Ich bin Geschäftsmann, kein Tourist. Diese >Gruppe<, wie Sie es nennen, stand nicht auf meinem Terminkalender. Offen gestanden, ich hatte mir den Nachmittag freigenommen - diese Leute lassen sich mit ihren Entscheidungen endlos Zeit - und wollte mir ein paar Sehenswürdigkeiten ansehen, aber da war nirgends ein Fahrer aufzutreiben, der Französisch sprach. Der Concierge hat mich dieser Gruppe zugeteilt - stellen Sie sich vor, zugeteilt. Die Führerin, müssen Sie wissen, hat französische Literatur studiert, und spricht, als wäre sie im siebzehnten Jahrhundert geboren. Ich habe keine Ahnung, was diese sogenannte Tour eigentlich zu bedeuten hat.«

»Das ist die Fünf-Stunden-Exkursion«, erklärte Jason korrekt, nachdem er die chinesischen Schriftzeichen gelesen hatte, die auf der Plakette standen, die der Mann am Revers trug. »Nach dem Tian-An-Men-Platz besuchen wir die Ming-Gräber, und dann fahren wir hinaus, um von der Großen Mauer aus den Sonnenuntergang zu sehen.«

»Du liebe Güte, die Große Mauer habe ich gesehen! Mein Gott, das war der erste Ort, an den mich alle zwölf Bürokraten von der Handelskommission geschleppt haben, wobei sie endlos schnatterten und mir durch den Dolmetscher immer wieder mitteilen ließen, dies sei ein Zeichen ihrer Ausdauer. Scheiße! Wenn die Arbeit hier nicht so unglaublich billig wäre und die Gewinne so außergewöhnlich -«

»Ich bin auch Geschäftsmann, aber auf ein paar Tage auch Tourist. Ich bin in der Korbwarenbranche. Darf ich fragen, in welcher Branche Sie tätig sind?«

»Stoffe, was denn sonst? Es sei denn, Sie denken an Elektronik oder Öl oder Kohle oder Parfüm - sogar Korbwaren.« Der Geschäftsmann gestattete sich ein überlegenes, aber wissendes Lächeln. »Ich sage Ihnen, diese Leute sitzen hier auf einem ungeheuren Reichtum und haben nicht die leiseste Ahnung, was sie damit anfangen können.«

Borowski musterte den großen Franzosen scharf. Er dachte an Echo und einen französischen Aphorismus, der besagte, daß die Dinge, je mehr sie sich änderten, desto mehr dieselben blieben. Gelegenheiten werden sich anbieten. Erkenne sie, nutze sie. »Wie ich schon sagte«, fuhr Jason fort und blickte wieder auf das Chaos auf den Treppen. »Ich bin auch Geschäftsmann mit ein paar Tagen freier Zeit - schließlich kann ich die Spesen ja von der Steuer absetzen -, aber ich bin hier in China viel herumgereist und kenne die Sprache ganz gut.«

»Was man mit Korbwaren alles erreichen kann«, sagte der Pariser sarkastisch.

»Unser Spitzenprodukt ist an der Cöte d'Azur führend und im Norden auch. Die Familie Grimaldi zählt zu unseren Kunden.« Borowski ließ die Treppe nicht aus den Augen.

»Sie beschämen mich, Geschäftsfreund ...« Jetzt würdigte der Franzose Jason zum erstenmal eines Blickes.

»Und ich kann Ihnen jetzt sagen«, erklärte Borowski, »daß man keine Besucher mehr in Maos Grab kommen lassen wird, und daß man jeden Teilnehmer an einer Tour in die Umgebung wahrscheinlich hier festhalten wird.«

»Mein Gott, warum!«

»Offensichtlich ist dort drinnen etwas Schreckliches geschehen, die Wachen schreien etwas von ausländischen Verbrechern ... Haben Sie nicht gesagt, man habe Sie dieser Gruppe zugeteilt, Sie gehörten aber eigentlich gar nicht dazu?«

»Ja, darauf läuft es hinaus.«

»Anlaß, um Spekulationen anzustellen, nicht wahr? Man wird Sie fast mit Sicherheit festhalten.«

»Unvorstellbar!«

»Das ist China -«

»Aber das geht doch nicht! Millionen und Abermillionen von Francs stehen auf dem Spiel! Ich hab mich dieser schrecklichen Gruppe doch nur angeschlossen, weil -«

»Ich empfehle Ihnen, hier wegzugehen, Geschäftsfreund. Sagen Sie, Sie hätten einen kleinen Spaziergang gemacht. Geben Sie mir Ihre Identifizierungsplakette, und ich beseitige sie für Sie -«

»Das steht also auf dieser Plakette!«

»Ihr Herkunftsland und Ihre Paßnummer stehen darauf. Auf diese Weise haben die Sie unter Kontrolle, während Sie an einer Tour teilnehmen.«

»Ich stehe ewig in Ihrer Schuld!« schrie der Geschäftsmann und riß sich die Plastikplakette vom Revers. »Wenn Sie je nach Paris kommen -«

»Ich verbringe den größten Teil meiner Zeit mit dem Fürsten und seiner Familie in -«

»Aber natürlich! - Nochmals, meinen herzlichen Dank!«

Der Franzose, der so ganz anders war als Echo und ihm doch so glich, entfernte sich eilig; seine gutgekleidete Gestalt war in dem gelbgrauen Dunst, den die grelle Sonne erzeugte, nicht zu übersehen, wie er auf das Himmlische Tor zuging - ebenso auffällig wie das falsche Opfer, das einen Jäger in die Falle gelockt hatte. Borowski befestigte die Plakette an seinem Revers und wurde somit Teil einer offiziellen Tour; das war seine Chance, die Tore des Tian-An-Men-Platzes zu passieren. Nachdem man die Gruppe hastig vom Mausoleum zur Großen Halle des Volkes geführt hatte, fuhr der Bus durch das Nördliche Tor; Jason sah durch das Fenster das erregte Gesicht des offenbar einem Schlaganfall nahen französischen Geschäftsmanns, der sich mit der Polizei von Beijing herumstritt und verlangte, man solle ihn passieren lassen. Inzwischen hatte man offenbar Fragmente von Berichten über das empörende Geschehen zusammengefügt. Die Nachricht verbreitete sich. Ein Weißer hatte den Sarkophag und den geheiligten Leichnam des Vorsitzenden Mao auf schreckliche Weise entweiht. Ein weißer Terrorist aus einer Reisegruppe, ohne Plakette an der Kleidung. Ein Wachmann auf der Treppe hatte einen solchen Mann gemeldet.

»Mich dünkt, ich könne mich entsinnen«, sagte die Führerin der Gruppe in altmodischem Französisch. Sie stand neben dem Standbild eines zornigen Löwen an der Straße der Tiere, wo riesige steinerne Abbilder von Katzen, Pferden, Elefanten und wilden mythischen Tieren die Straße säumten und das letzte Stück des Zugangs zu den Grabgemächern der Ming-Dynastie schützten. »Doch meine Erinnerung versagt, wenn Euer

Hochwohlgeboren Gebrauch unserer Sprache betroffen ist. Und ohne den leisesten Zweifel in meiner Seele scheint mir, daß Ihr eben dieses soeben tatet.«

Sie hat französische Literatur studiert und spricht, als wäre sie im siebzehnten Jahrhundert geboren ... Ein verärgerter Geschäftsmann, der ohne Zweifel jetzt noch viel verärgerter war.

»Das habe ich auch vorher nicht«, erwiderte Borowski auf Mandarin, »weil Sie mit anderen zusammen waren und ich nicht auffallen wollte. Aber lassen Sie uns jetzt Ihre Sprache sprechen.«

»Sie sprechen sehr gut.«

»Ich danke Ihnen. Dann erinnern Sie sich jetzt also, daß man mich in letzter Minute Ihrer Gruppe hinzugefügt hat?«

»Tatsächlich hat der Geschäftsführer des Beijing-Hotels mit meiner Vorgesetzten gesprochen, aber ja, jetzt erinnere ich mich.« Die Frau lächelte und zuckte die Achseln. »In Wahrheit erinnere ich mich nur, weil es ja eine so große Gruppe ist, daß ich einem großen Mann seine Gruppenplakette gegeben habe. Das habe ich jetzt vor Augen. Sie werden zusätzlich dafür bezahlen müssen, man wird das auf Ihre Hotelrechnung setzen. Es tut mir leid, aber Sie haben das Pauschalprogramm nicht im voraus gebucht.«

»Nein, das ist richtig, weil ich Geschäftsmann bin und Verhandlungen mit Ihrer Regierung führe.«

»Mögen sie gut verlaufen«, sagte die Führerin mit ihrem undurchdringlichen asiatischen Lächeln. »Manche haben Erfolg, manche nicht.«

»Ich möchte darauf hinaus, daß ich vielleicht ein wichtiges Gespräch verpasse«, sagte Jason und erwiderte ihr Lächeln. »Ich spreche Ihre Sprache viel besser, als ich Ihre Schrift lesen kann. Vor ein paar Minuten fiel mir etwas ein, und mir wurde klar, daß ich in etwa einer halben Stunde im Beijing-Hotel sein muß, wo eine Besprechung stattfindet. Wie schaffe ich das?«

»Dazu brauchen Sie eine Fahrgelegenheit. Ich werde Ihnen aufschreiben, was Sie brauchen, und das können Sie den Wachen am Dahongmen zeigen -«

»Dem Großen Roten Tor?« unterbrach Borowski. »Dem mit den Bögen?«

»Ja. Dort gibt es Busse, die Sie nach Beijing zurückbringen. Vielleicht verspäten Sie sich, aber soweit ich weiß, ist es durchaus normal, daß sich auch die Leute von der Regierung verspäten.« Sie holte ein Notizbuch und einen dünnen Kugelschreiber aus der Tasche ihrer Mao-Jacke.

»Man wird mich nicht aufhalten?«

»Wenn man es tut, dann bitten Sie die Leute, die Sie aufhalten, sie sollen die Leute von der Regierung anrufen«, sagte die Führerin, schrieb ein paar Zeilen in chinesischen Schriftzeichen auf das Blatt, riß es dann ab und gab es ihm.

»Das ist nicht Ihre Gruppe!« bellte der Busfahrer im Mandarin der unteren Schicht, schüttelte dabei den Kopf und deutete mit dem Zeigefinger auf Jasons Revers. Der Mann rechnete nicht damit, daß das, was er sagte, auf den Touristen irgendwelchen Eindruck machen würde, und unterstrich das Gesagte daher mit übertriebenen Gesten und schriller Stimme. Es war auch offenkundig, daß er darauf hoffte, einer seiner Vorgesetzten unter den Bögen des Großen Roten Tores werde seine Aufmerksamkeit bemerken. Und einer tat das auch.

»Gibt es ein Problem?« fragte ein Soldat und kam mit schnellen Schritten auf den Bus zu, indem er sich seinen Weg durch die Touristenschar hinter Borowski bahnte.

Gelegenheiten werden sich anbieten ...

»Es gibt kein Problem«, sagte Jason schroff, beinahe arrogant, auf chinesisch, zog den Zettel von seiner Führerin hervor und drückte ihn dem jungen Offizier in die Hand. »Es sei denn, Sie wollen die Verantwortung dafür übernehmen, daß ich eine wichtige Besprechung mit einer Delegation der Handelskommission versäume, deren militärischer Leiter ein General Liang Soundso ist.«

»Sie sprechen die chinesische Sprache.« Verblüfft blickte der Soldat von dem Zettel auf.

»Ich würde sagen, das ist offenkundig. General Liang sagt das auch.«

»Ich verstehe Ihren Zorn nicht.«

»Vielleicht werden Sie General Liang besser verstehen«, unterbrach Borowski.

»Ich kenne keinen General Liang, Sir, aber es gibt ja schließlich so viele Generäle. Haben Sie sich über die Tour geärgert?«

»Ich ärgere mich über die Idioten, die mir gesagt haben, es handle sich um einen dreistündigen Ausflug, wo sich jetzt herausstellt, daß es fünf Stunden sind! Wenn ich diese Besprechung wegen der Unfähigkeit dieser Leute verpasse, wird es ein paar sehr erregte Mitglieder der Kommission geben, darunter auch einen mächtigen General der Volksarmee, der großes Interesse daran hat, gewisse Käufe in Frankreich zu tätigen.« Jason hielt inne, hob die Hand und fuhr dann schnell mit verbindlicher Stimme fort: »Wenn ich andererseits

rechtzeitig hinkomme, werde ich ganz bestimmt jeden -namentlich - lobend erwähnen, der mir dabei behilflich ist.«

»Ich werde Ihnen helfen, Herr!« sagte der junge Offizier mit leuchtenden Augen. »Dieser kranke Walfisch von einem Bus würde mehr als eine Stunde brauchen, und auch das nur, wenn dieser armselige Fahrer nicht von der Straße abkommt. Ich habe ein viel schnelleres Fahrzeug zur Verfügung, und einen sehr guten Fahrer, der Sie geleiten wird. Ich würde es selbst tun, aber ich darf meinen Posten nicht verlassen.« »Ich werde Ihren Diensteifer bei dem General zu rühmen wissen.«

»Das ist mir angeboren, Sir. Mein Name ist -«

»Ja, geben Sie mir Ihren Namen. Schreiben Sie ihn auf diesen Zettel.«

Borowski saß in der von geschäftigem Treiben erfüllten Halle im Ostflügel des Beijing-Hotels. Eine halb zusammengefaltete Zeitung bedeckte sein Gesicht, die er so hielt, daß er selbst die Eingangstüren sehen konnte. Er wartete, hielt nach Jean Louis Ardisson aus Paris Ausschau. Es war für Jason nicht schwierig gewesen, seinen Namen zu erfahren. Vor zwanzig Minuten war er an den Touristenschalter gegangen und hatte in seinem besten Mandarin zur Angestellten dort gesagt: »Tut mir leid, Sie belästigen zu müssen, aber ich bin der Chefdolmetscher für sämtliche französischen Delegationen, die hier mit Ihrer Regierung verhandeln, und fürchte, daß ich eines meiner verirrten Schafe verloren habe.«

»Sie müssen ein guter Dolmetscher sein. Sie sprechen ausgezeichnet Chinesisch. Was ist mit Ihrem ... verirrten Schaf passiert?« Die Frau gestattete sich ein leichtes Kichern über seine Formulierung.

»Das weiß ich nicht genau. Wir saßen in der Cafeteria beim Kaffee und wollten uns gerade seinen Terminplan ansehen, als er plötzlich auf die Uhr sah und sagte, er würde mich später anrufen. Er wollte einen der Fünf-Stunden-Ausflüge mitmachen und hatte sich offenbar bereits verspätet. Für mich war das etwas unerfreulich, aber ich weiß ja schließlich, wie es ist, wenn die Touristen in Peking ankommen. Sie sind überwältigt.«

»Ja, ich glaube schon«, nickte die Angestellte. »Aber was können wir für Sie tun?«

»Ich muß wissen, wie sein Name geschrieben wird, ob er einen Vornamen hat oder zwei - alle Einzelheiten eben, die auf den Regierungspapieren enthalten sein müssen, die ich für ihn ausfüllen werde.«

»Aber wie können wir Ihnen helfen?«

»Er hat das in der Cafeteria liegenlassen.« Jason hielt ihr die Plakette des französischen Geschäftsmannes hin. »Ich weiß nicht, wie er es überhaupt geschafft hat, mit der Gruppe mitzukommen.«

Die Frau lachte und griff unter ihren Tresen nach dem Journal. »Man hat ihm gesagt, wo die Busse abfahren, und die Führerin hat eine Liste. Diese Dinger fallen die ganze Zeit herunter, und sie hat ihm sicher eine Ersatzplakette gegeben.« Die Angestellte nahm die Plakette und blätterte in ihrem Buch, während sie weitersprach. »Ich sage Ihnen, die Idioten, die diese Plaketten herstellen, sind das Geld nicht wert, das man ihnen bezahlt. All diese präzisen Vorschriften, diese strengen Regeln, und wir sehen am Anfang immer so dumm aus. Er ist hier! Die Frau hielt inne und deutete mit dem Finger auf eine Eintragung in dem Journal. »Bei allen Geistern, die Unglück bringen«, sagte sie leise und sah zu Borowski auf. »Ich weiß nicht, ob Ihr Schaf verirrt ist, aber ich kann Ihnen sagen, daß es dauernd blökt. Er hält sich für etwas ganz Besonderes und war sehr unfreundlich. Als man ihm sagte, daß kein französisch sprechender Chauffeur zur Verfügung stehe, betrachtete er das als Beleidigung der Ehre seiner Nation und seiner eigenen - die ihm noch wichtiger war. Hier, lesen Sie den Namen. Ich kann ihn nicht aussprechen.«

»Vielen Dank«, sagte Jason.

Anschließend war er zu einem Haustelefon gegangen, das die Aufschrift English trug, und hatte die Vermittlung gebeten, ihn mit Mr. Ardissons Zimmer zu verbinden.

»Sie können selbst wählen, Sir«, sagte der Mann in der Vermittlung mit unverhohlenem Triumph über den technischen Fortschritt in der Stimme. »Es ist Zimmer eins-sieben-vier-drei.

Ein sehr schönes Zimmer. Schöner Ausblick auf die Verbotene Stadt.«

»Vielen Dank.« Borowski hatte die Nummer gewählt. Niemand hatte sich gemeldet. Monsieur Ardisson war noch nicht zurückgekehrt. So wie die Dinge lagen, würde er vielleicht noch eine ganze Weile nicht zurückkehren. Trotzdem, ein Schaf, das dauernd blökte, würde nicht stumm bleiben, wenn seine Würde beeinträchtigt oder seine Geschäfte gefährdet waren. Jason beschloß zu warten. Langsam nahm ein Plan Umrisse an. Es war eine verzweifelte Strategie, die nur auf Möglichkeiten beruhte, aber es war seine letzte Chance. Er kaufte sich am Zeitungsstand ein französisches Magazin, das bereits einen Monat alt war, und setzte sich. Plötzlich fühlte er sich müde und hilflos.

Das Gesicht Maries drängte sich auf David Webbs inneren Bildschirm, und dann erfüllte der Klang ihrer Stimme sein Bewußtsein, hallte in seinen Ohren nach, hinderte ihn am Denken und erzeugte einen bohrenden Schmerz in seiner Stirn. Jason Borowski mußte seine ganze Kraft einsetzen, um das Bild loszuwerden. Der Bildschirm wurde wieder dunkel, und ein schroffer Befehl, den eine eiskalte Stimme sprach, hallte in sein inneres Ohr. Hör auf! Jetzt ist keine Zeit dafür. Konzentriere dich auf das, woran du denken mußt. Sonst nichts!

Jasons Blick schweifte immer wieder ab und kehrte zum Eingang zurück. Die Gäste in der Halle des Ostflügels waren von internationaler Herkunft, ein Gemisch von Sprachen, von Kleidung aus der Fifth und der Madison Avenue, aus der Savile Row, der Rue St. Honore und der Via Condotti und den etwas gedeckteren Farben, die für Deutschland und die skandinavischen Länder typisch waren. Die Gäste schlenderten in die hell beleuchteten Läden, wunderten sich über die Apotheke, die nur chinesische Arzneimittel verkaufte, und drängten sich um die Souvenirläden neben einer großen Reliefkarte der Welt, die eine ganze Wand bedeckte. Hier und da trat jemand mit Gefolge durch die Pendeltüren, und dann verbeugten sich beflissene Dolmetscher und übersetzten zwischen uniformierten Regierungsbeamten, die sich alle Mühe gaben, leger zu wirken, und müden Geschäftsleuten von der anderen Seite des Globus, deren Augen noch vom Jet-lag glasig waren. Dies mochte Rotchina sein, aber das Zeremoniell der Verhandlung war älter als der Kapitalismus, und die Kapitalisten, die sich ihrer Ermüdung bewußt waren, würden erst dann wieder über Geschäfte sprechen, wenn sie klar denken konnten. Bravo Adam Smith und David Hume.

Da war er! Jean Louis Ardisson wurde von nicht weniger als vier chinesischen Bürokraten durch die Tür geleitet, und alle waren sichtlich darum bemüht, ihn zu besänftigen. Einer eilte voraus, zum Spirituosengeschäft in der Halle, während die anderen ihn am Aufzug aufhielten und dauernd über den Dolmetscher auf ihn einschnatterten. Jetzt kam der Mann, der vorausgeeilt war, mit einer Plastiktüte zurück, die unter dem Gewicht einiger Flaschen zu reißen drohte. Alle lächelten und verbeugten sich, als die Aufzugtüren sich öffneten. Jean Louis Ardisson nahm seinen Tribut entgegen und trat in die Liftkabine, den Chinesen zunickend, als die Türen sich schlössen. Borowski blieb sitzen und sah auf die Anzeigetafel, während der Lift nach oben fuhr. Vierzehn, fünfzehn, sechzehn. Jetzt hatte die Kabine das oberste Stockwerk erreicht, auf dem Ardissons Zimmer lag. Jason stand auf und ging zu den Haustelefonen. Er sah auf den Sekundenzeiger seiner Uhr; er konnte die Zeit nur ab schätzen, aber ein Mann in erregtem Zustand würde nicht langsam zu seinem Zimmer schlendern, sobald er die Liftkabine verlassen hatte. Das Zimmer verkörperte für ihn Frieden, die Erleichterung des Alleinseins nach mehreren Stunden der Anspannung und der Panik. In einem fremden Land von der Polizei verhört zu werden, war für jeden beunruhigend, und dann ganz besonders erschreckend, wenn zu dem Wissen, daß man in einem Land war, wo Leute häufig ohne Erklärung verschwanden, noch eine unverständliche Sprache und fremdartige Gesichter kamen. Nach einem solchen Schreckenserlebnis würde ein Mann sein Zimmer betreten und vor Furcht und Erschöpfung zitternd zusammenbrechen, sich eine Zigarette nach der anderen anzünden, vergessen, wo er die letzte hingelegt hatte, ein paar starke Drinks nehmen, schnell hintereinander, damit sie schneller wirkten, und dann nach dem Telefon greifen, um sein schreckliches Erlebnis einem Freund mitzuteilen, in der unbewußten Hoffnung, die Nachwirkung dadurch zu lindern, daß er sie mit jemandem teilte. Borowski durfte zulassen, daß Ardisson zusammenbrach und so viel Wein oder Whisky in sich hineinschüttete, wie er vertragen konnte, aber er durfte ihm nicht erlauben zu telefonieren. Er durfte das Schreckliche niemandem mitteilen, der Schrecken durfte nicht nachlassen. Vielmehr mußte Ardissons Schrecken noch verstärkt werden, in einem Maße verstärkt, daß er paralysiert war, Angst um sein Leben hatte, wenn er das Zimmer verließ. Siebenundvierzig Sekunden waren verstrichen, jetzt war Zeit, ihn anzurufen.

»Allo?« Die Stimme klang gequält, atemlos.

»Ich werde schnell sprechen«, sagte Jason leise auf französisch. »Bleiben Sie, wo Sie sind, und benutzen Sie das Telefon nicht. In genau acht Minuten werde ich an Ihre Tür klopfen, zweimal schnell und dann noch einmal. Lassen Sie mich ein, aber niemanden vor mir. Ganz besonders kein Zimmermädchen und keinen Hoteldiener.«

»Wer sind Sie?«

»Ein Landsmann, der mit Ihnen sprechen muß. Um Ihrer eigenen Sicherheit willen. Acht Minuten.« Borowski legte auf und kehrte zu seinem Sessel zurück, zählte die Minuten ab und kalkulierte, wieviel Zeit ein Aufzug brauchen würde, um mit der üblichen Zahl von Passagieren von einem Stockwerk zum nächsten zu gelangen. Vom betreffenden Stockwerk aus reichten dreißig Sekunden, um jedes Zimmer zu erreichen. Sechs

Minuten verstrichen, dann stand Jason auf, nickte einem verwirrten Fremden zu, der neben ihm saß, und ging auf die Tür eines Aufzugs zu, dessen Anzeigetafel erkennen ließ, daß er als nächster die Halle erreichen würde. Acht Minuten waren die ideale Zeit, um ein Opfer in Spannung zu versetzen; fünf waren zu knapp, nicht lang genug für das richtige Maß an Spannung. Sechs waren besser, aber sie verstrichen zu schnell. Acht andererseits schufen jene zusätzlichen Momente der Angst, die die Widerstandskraft des Opfers lahmten. Der Plan hatte in Borowskis Bewußtsein noch nicht ganz Gestalt angenommen. Nur sein Ziel war kristallklar. Ihm stand sonst nichts mehr zur Wahl, und jeder Instinkt in ihm drängte ihn, den Plan auszuführen. Delta eins wußte, wie der Verstand eines Asiaten arbeitete. In einer Hinsicht hatte sich das seit Jahrhunderten nicht geändert. Geheimhaltung war zehntausend Tiger wert, wenn nicht ein Königreich.

Er stand vor der Tür von Zimmer 1743 und sah auf die Uhr. Exakt acht Minuten. Er klopfte zweimal, hielt inne und klopfte dann noch einmal. Die Tür ging auf, und ein erschrockener Ardisson starrte ihn an.

»C'est vous!« schrie der Geschäftsmann und fuhr sich mit der Hand an den Mund.

»Oui«, sagte Jason lakonisch und trat ein und schloß die Tür hinter sich. »Wir müssen miteinander sprechen«, fuhr er fort. »Ich muß wissen, was geschehen ist.«

»Sie! Sie waren auch an diesem schrecklichen Ort. Wir haben miteinander geredet. Sie haben mir meine Plakette genommen! Sie waren schuld an allem!«

»Haben Sie mich erwähnt?«

»Das habe ich nicht gewagt. Das hätte so ausgesehen, als ob ich etwas Ungesetzliches getan hätte - indem ich jemand anderem meinen Ausweis gab. Wer sind Sie? Warum sind Sie

hier! Für einen Tag haben Sie mir genug Ärger bereitet! Ich denke, Sie sollten gehen, Monsieur.«

»Erst wenn Sie mir genau gesagt haben, was geschehen ist.« Borowski ging durch das Zimmer und setzte sich in einen Sessel, neben dem ein rotes Lacktischchen stand. »Ich muß das unbedingt wissen.«

»Ich muß es Ihnen aber nicht unbedingt sagen. Sie haben kein Recht, hier hereinzukommen, es sich bequem zu machen und mir Befehle zu erteilen.«

»Ich fürchte, ich habe dieses Recht doch. Wir waren eine geschlossene Gruppe, und Sie haben sich hineingedrängt.«

»Man hat mich dieser verdammten Gruppe zugeteilt.«

»Auf wessen Anweisung?«

»Auf die des Concierge, oder wie auch immer Sie diesen Idioten dort unten nennen.«

»Nicht er. Ein Höhergestellter. Wer war es?«

»Woher soll ich das wissen? Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon Sie reden.«

»Sie sind weggegangen.«

»Mein Gott, Sie haben mir doch gesagt, daß ich weggehen soll!«

»Ich habe Sie auf die Probe gestellt.«

»Auf die Probe ...? Das ist unglaublich!«

»Glauben Sie«, sagte Jason, »wenn Sie die Wahrheit sagen, werden wir Ihnen nichts tun.«

»Nichts tun?«

»Wir bringen keine Unschuldigen um, nur den Feind.«

»Umbringen ... den Feind!«

Borowski griff unter sein Jackett, zog die Pistole aus dem Gürtel und legte sie auf den Tisch. »So, und jetzt überzeugen Sie

mich davon, daß Sie nicht der Feind sind. Was geschah, nachdem Sie sich von uns getrennt hatten?«

Benommen taumelte Ardisson gegen die Wand, und seine angsterfüllten, aufgerissenen Augen hingen wie gebannt an der Waffe. »Ich schwöre bei allen Heiligen, Sie sprechen mit dem falschen Mann«, flüsterte er.

»Überzeugen Sie mich davon.«

»Wovon?«

»Von Ihrer Unschuld. Was geschah?«

»Ich ...«, begann der verängstigte Geschäftsmann. »Ich fing unten auf dem Platz an, über das nachzudenken, was Sie gesagt hatten - daß in Maos Grabmal etwas Schreckliches geschehen sei, daß die chinesischen Wachen etwas von ausländischen Verbrechern schrien und daß man die Leute aufhalten würde -ganz besonders jemanden wie mich, der eigentlich gar nicht zu der Reisegruppe gehörte ... Also bin ich gerannt - mein Gott, ich durfte unter keinen Umständen in eine solche Situation geraten! Es geht um Millionen von Francs, nur die Hälfte der Kosten, die Singapur verlangt, Gewinne, wie sie in der Modebranche unerhört sind! Schließlich steht ein ganzes Konsortium hinter mir!«

»Also sind Sie gerannt, und die haben Sie aufgehalten«, unterbrach ihn Jason, bemüht, die Belanglosigkeiten aus dem Wege zu schaffen.

»Ja! Die haben so schnell geredet, daß ich kein Wort verstand, das sie sagten, und es dauerte eine Stunde, bis sie einen Beamten fanden, der Französisch sprach!«

»Warum haben Sie denen nicht einfach die Wahrheit gesagt? Daß Sie zu unserer Gruppe gehörten.«

»Weil ich von dieser verdammten Gruppe weggerannt war, und weil ich Ihnen meine verdammte Plakette gegeben hatte! Wie würde das denn für diese verdammten Barbaren aussehen,

die in jedem weißen Gesicht einen faschistischen Verbrecher sehen?«

»Die Chinesen sind keine Barbaren, Monsieur«, sagte Borowski sanft. Und dann brüllte er plötzlich. »Nur die politische Philosophie ihrer Regierung ist barbarisch! Ohne die Gnade des allmächtigen Gottes, nur mit dem Segen Satans!«

»Wie bitte?«

»Später vielleicht«, erwiderte Jason, dessen Stimme plötzlich wieder ruhig geworden war. »Dann kam also ein Beamter, der Französisch sprach. Was geschah dann?«

»Ich habe ihm gesagt, daß ich einen Spaziergang gemacht hätte - auf Ihren Rat hin, Monsieur. Und daß mir plötzlich eingefallen sei, daß ich ein Gespräch aus Paris erwartete, und daß ich deshalb zum Hotel zurückeilen wollte, womit erklärt sei, weshalb ich gelaufen sei.«

»Ganz plausibel.«

»Nicht für den Beamten, Monsieur. Er begann mich zu beschimpfen, wobei er ausgesprochen beleidigend wurde. Ich möchte bloß wissen, was in Gottes Namen in diesem Mausoleum passiert ist!«

»Eine wunderbare Arbeit, Monsieur«, antwortete Borowski mit großen Augen.

»Wie bitte?«

»Später vielleicht. Der Beamte hat Sie also beleidigt?«

»Und wie! Aber als er schließlich die Pariser Mode als eine dekadente, bourgeoise Industrie angriff, ging er zu weit! Ich meine, schließlich bezahlen wir für ihre verdammten Stoffe.«

»Was haben Sie also getan?«

»Ich habe die Liste mit den Namen meiner Geschäftspartner immer dabei. Einige davon sind ziemlich wichtig, wie ich verstanden habe. Das müssen sie wohl auch sein, wenn man bedenkt, um welche Beträge es geht. Ich bestand darauf, daß der

Beamte sich mit ihnen in Verbindung setzt, und weigerte mich -und wie ich mich geweigert habe - irgendwelche weiteren Fragen zu beantworten, bis wenigstens einige von diesen Leuten bei mir wären. Nach weiteren zwei Stunden kamen sie, und ich kann Ihnen sagen, da hat sich einiges geändert! Sie haben mich in einem chinesischen Vehikel, das sie für eine Limousine halten, hierher zurückgebracht - verdammt eng für einen Mann meiner Größe und vier Begleiter. Und was noch schlimmer ist, sie sagten mir, unsere abschließende Besprechung sei noch einmal verschoben worden. Sie wird nicht morgen früh, sondern erst am Abend stattfinden. Was ist das denn für eine Zeit, um Geschäfte zu besprechen?« Ardisson stieß sich von der Wand ab. Sein Atem ging jetzt schwer, und er sah den anderen flehend an. »Das ist alles, was es zu sagen gibt, Monsieur. Sie haben wirklich den falschen Mann. Ich habe hier mit niemandem außer meinem Konsortium zu tun.«

»Das sollten Sie aber!« rief Jason anklagend und hob dabei erneut die Stimme. »Mit den Gottlosen Geschäfte zu machen, heißt, das Werk des Herrn besudeln!«

»Wie bitte?«

»Sie haben mich zufriedengestellt«, sagte das Chamäleon. »Sie sind einfach ein Mißgriff.«

»Ein was?«

»Ich will Ihnen jetzt sagen, was im Mausoleum Mao Tse-tungs geschehen ist. Das waren wir. Wir haben den Kristallsarg und die Leiche dieses abstoßenden Ungläubigen zerschossen!«

»Sie haben was?«

»Und wir werden fortfahren, die Feinde Christi zu vernichten, wo auch immer wir sie finden! Wir werden seine Botschaft der Liebe in die Welt zurückbringen, und wenn wir dazu jeden krankhaften Untermenschen umbringen müssen, der anders denkt! Dies wird wieder eine christliche Welt sein oder gar keine!«

»Aber es muß doch einen Spielraum für Verhandlungen geben. Denken Sie doch an das Geld, an Spenden.«

»Nicht vom Satan!« Borowski stand auf, nahm die Waffe und schob sie sich in den Gürtel. Dann knöpfte er sein Jackett zu und zupfte es sich zurecht, als wäre es ein Uniformrock. Er ging auf den verwirrten Geschäftsmann zu. »Sie sind nicht der Feind, aber Sie stehen ihm nahe, Monsieur. Ihre Brieftasche, bitte, und Ihre Geschäftspapiere, und die Namen der Leute, mit denen Sie verhandeln.«

»Geld ...?«

»Wir nehmen keine Spenden. Wir brauchen sie nicht.«

»Warum dann?«

»Zu Ihrem Schutz ebenso wie zu dem unseren. Unsere Zellen hier müssen die einzelnen Individuen überprüfen, um zu sehen, ob man Sie jetzt als Strohmann benutzt oder nicht. Es gibt Hinweise darauf, daß man uns infiltriert hat. Man wird Ihnen morgen alles zurückgeben.«

»Ich muß wirklich protestieren -«

»Tun Sie es nicht«, unterbrach ihn das Chamäleon, griff unter das Jackett und ließ die Hand dort liegen. »Sie haben gefragt, wer ich bin, ja? Nun, nachdem unsere Feinde die Dienste von Organisationen wie der PLO, der Roten-Armee-Fraktionen und der Fanatiker des Ayatollah benutzen, mag es genügen, wenn ich sage, daß wir unsere eigenen Brigaden aufgestellt haben. Wir wollen keine Gnade und gewähren auch keine. Dieser Kampf geht bis zum Tode.«

»Mein Gott!«

»In seinem Namen kämpfen wir. Verlassen Sie dieses Zimmer nicht. Bestellen Sie sich Ihre Mahlzeiten beim Zimmerservice. Rufen Sie weder Ihre Kollegen noch Ihre Verhandlungspartner hier in Beijing an. Mit anderen Worten, halten Sie sich versteckt und beten Sie darum, daß alles gutgeht. Ich muß Ihnen offen sagen, daß ich selbst verfolgt worden bin, und wenn bekannt wird, daß ich Sie in Ihrem Zimmer aufgesucht habe, werden Sie einfach verschwinden.«

»Unglaublich ...!« Ardissons Augen wurden plötzlich glasig und er begann am ganzen Körper zu zittern.

»Ihre Brieftasche und Ihre Papiere, bitte.«

Jason legte das ganze Sortiment von Ardissons Papieren vor, darunter auch die Liste seiner chinesischen Verhandlungspartner, und mietete im Namen von Ardissons Konsortium einen Wagen. Dem erleichterten Disponenten im China International Travel Service an der Chaoyangmen-Straße machte er klar, daß er Mandarin lesen und sprechen konnte und daher keinen Fahrer benötigte, da der Mietwagen ja von einem der chinesischen Beamten gelenkt werden würde. Der Disponent sagte ihm, daß der Wagen um neunzehn Uhr am Hotel vorfahren werde. Wenn alles klappte, würde er vierundzwanzig Stunden Zeit haben, sich in Beijing frei bewegen zu können. Die ersten zehn dieser Stunden würden ihm sagen, ob eine in tiefster Verzweiflung entwickelte Strategie ihn aus der Dunkelheit herausführen oder Marie und David Webb in den Abgrund stürzen würde. Aber Delta eins wußte, wie Asiaten dachten. In einer Hinsicht hatte sich daran seit vielen Jahrhunderten nichts geändert. Geheimhaltung war zehntausend Tiger wert, wenn nicht ein Königreich.

Borowski ging zum Hotel zurück und hielt sich unterwegs kurz im Einkaufsviertel von Wang Fu Jing auf, das hinter dem Ostflügel des Hotels lag. Im größten Kaufhaus besorgte er sich, was er an Kleidung und Gerätschaften brauchte. Dann fand er ein Geschäft, das sich Tuzhan Menshibu nannte, eine Druckerei, wo er sich das am amtlichsten aussehende Briefpapier auswählte, das er finden konnte. (Zu seiner großen Überraschung und Freude standen auf Ardissons Liste gleich zwei Generäle, und warum auch nicht? Die Franzosen stellten die Exocet her, und wenn es sich auch dabei nicht gerade um Haute Couture handelte, so stand dieses Produkt doch auf der Einkaufsliste aller Militärs an oberster Stelle.) Schließlich kaufte er sich in einem Schreibwarenladen eine Kalligraphiefeder und eine Karte von Beijing und seiner Umgebung sowie eine weitere Karte, die die Straßen zeigte, die von Beijing in die südlichen Städte führten.

Er trug seine Einkäufe ins Hotel zurück, setzte sich dort an einen Schreibtisch in der Halle und begann mit seinen Vorbereitungen. Zuerst schrieb er einen kurzen Vermerk in chinesischer Sprache, die den Fahrer des Mietwagens von aller Verantwortung dafür frei sprach, daß er den Wagen dem Ausländer übergeben hatte. Das Blatt trug die Unterschrift eines Generals und lief auf einen Befehl hinaus. Dann breitete er die Karte vor sich aus und markierte eine kleine, grüne Fläche am nordwestlichen Stadtrand von Beijing.

Das Jing-Shan-Vogelreservat.

Geheimhaltung war zehntausend Tiger wert, wenn nicht ein Königreich.

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