Kapitel 35

Der Helikopter donnerte über die Wasserfläche von Victoria Harbor, vorbei an den Inseln im Südchinesischen Meer, auf Macao zu. Die Streifenboote der Volksrepublik waren über die Marinestation in Gongbei informiert worden; die tieffliegende Maschine würde auf ihrem Noteinsatz nicht beschossen werden. McAllister hatte Glück, ein hoher Parteifunktionär aus Peking war mit Blutungen im Zwölffingerdarm in das Kiang-Wu-Krankenhaus eingeliefert worden und brauchte rhesusnegatives Blut, das Mangelware war. Laßt sie kommen, laßt sie gehen. Wenn der Funktionär ein Bauer aus den Bergen von Zhuhai wäre, würde man ihm das Blut einer Ziege geben und ihn hoffen lassen, daß alles gutgeht.

Borowski und der Staatssekretär trugen die weißen Overalls und Mützen des Royal Medical Corps, ohne Rangabzeichen an den Ärmeln; sie waren einfach Überbringer von Blutkonserven für einen Zhongguo ren, eines Regimes, das im Begriff war, das Empire noch weiter zu verkleinern. Alles in dem neuen Geist der Kooperation zwischen der Kronkolonie und ihren künftigen Herren und Meistern, korrekt und effizient ausgeführt. Laßt sie kommen, laßt sie gehen. Das alles liegt noch eine Generation in der Zukunft und ist ohne Bedeutung für uns. Wir werden keinen Nutzen davon haben; den haben wir nie. Nicht von denen, nicht von denen oben.

Man hatte den Parkplatz hinter dem Krankenhaus geräumt. Vier Scheinwerfer strahlten den Landepunkt an. Die Maschine senkte sich vorsichtig dem Beton entgegen. Die Scheinwerferbalken und das Dröhnen des Helikopters hatten vor dem Krankenhaustor an der Rua Coelho Do Amaral zu einem

Menschenauflauf geführt. Ganz zweckmäßig, dachte Borowski, der aus der Luke hinunterblickte. Wenn der Hubschrauber dann in etwa fünf Minuten wieder abflog, würden hoffentlich noch mehr Zuschauer da sein. Das langsame Weiterrotieren der Drehflügel, die strahlenden Scheinwerfer und die Polizeisperre signalisierten die Ungewöhnlichkeit des Vorgangs. Ein Menschenauflauf war das beste, was er und McAllister sich erhoffen konnten; in dem Durcheinander würden sie unter den neugierigen Zuschauern untertauchen, Teil von ihnen werden, während zwei andere Männer in den weißen Overalls der königlichen Sanitäter ihre Rolle übernahmen und wieder zu der Maschine rannten, um nach Hongkong zurückzufliegen.

Jason mußte widerwillig McAllisters Geschick bewundern, mit dem er seine Schachfiguren bewegte. Er verstand sich wirklich darauf. In der augenblicklichen Krise war die Schachfigur ein Arzt im Kiang-Wu-Krankenhaus, der vor einigen Jahren Gelder aus dem Internationalen Währungsfonds in seine eigene Klinik am Almirante Sergio hatte fließen lassen. Da Washington einer der Sponsoren des Fonds war und McAllister den Arzt auf frischer Tat ertappt hatte, hätte er ihn auffliegen lassen können und hatte ihm das auch angedroht. Aber der Arzt hatte McAllister gefragt, wie er ihn denn ersetzen wolle - in Macao waren tüchtige Ärzte rar. Wäre es nicht besser, wenn der Amerikaner seine Unkorrektheit übersehen würde? Der Moralapostel in McAllister hatte klein beigegeben, aber er hatte sich diese Unkorrektheit gemerkt und nicht vergessen, daß der Arzt in seiner Schuld stand. Und an diesem Abend wurde diese Schuld nun beglichen.

»Kommen Sie!« schrie Borowski, richtete sich auf und griff nach einem der Blutkanister. »Los!«

McAllister klammerte sich an einer Haltestange auf der anderen Seite der Maschine fest, als der Helikopter hart auf dem Zementboden aufsetzte. Er war bleich, sein Gesicht zu einer

Maske erstarrt. »Diese Dinger sind ja widerlich«, murmelte er. »Warten Sie bitte, bis wir stehen.«

»Das tun wir bereits. Sie haben den Zeitplan aufgestellt, Herr Analytiker. Los.«

Sie rasten über den Parkplatz auf eine Doppeltüre zu, die von zwei Schwestern aufgehalten wurde. Drinnen packte ein chinesischer Arzt in weißem Mantel, dem das unvermeidliche Stethoskop aus der Tasche hing, McAllister am Arm.

»Freut mich, Sie wiederzusehen, Sir«, sagte er in fließendem Englisch, doch mit starkem Akzent. »Wenn auch unter eigenartigen Umständen -«

»So wie die Ihren vor drei Jahren«, unterbrach ihn der Analytiker scharf und atemlos und schnitt dem Arzt damit das Wort ab. »Wohin gehen wir?«

»Folgen Sie mir ins Blutlabor. Die Oberschwester wird die Siegel prüfen und die Quittungen unterschreiben. Anschließend folgen Sie mir bitte in ein anderes Zimmer, dort warten bereits die zwei Männer, die Ihre Rolle übernehmen. Geben Sie ihnen die Quittungen, tauschen Sie die Kleidung, dann werden sie gehen.«

»Was sind das für Leute?« fragte Borowski. »Wo haben Sie sie aufgetrieben?«

»Portugiesische Medizinalassistenten«, erwiderte der Arzt. »Junge Ärzte ohne Geld, die man uns aus Pedroso geschickt hat, damit sie hier ihr Praktikum absolvieren.«

»Wie haben Sie das denen erklärt?« drängte Jason, während sie den Korridor entlangeilten.

»Eigentlich gar nicht«, antwortete der Mann aus Macao. »Sie würden sagen >Eine Hand wäscht die andere< Zwei britische Sanitäter, die eine Nacht hier verbringen wollen, und zwei überarbeitete Internisten, die sich eine Nacht in Hongkong verdient haben. Sie werden morgen früh mit dem Tragflügelboot zurückkommen, ohne etwas zu wissen oder zu ahnen. Sie werden ganz einfach froh sein, daß ein älterer Arzt ihre Bedürfnisse erkannt und ihnen geholfen hat.«

»Sie haben den richtigen Mann gefunden, Analytiker.«

»Er ist ein Dieb.«

»Und Sie ein Zuhälter.«

»Wie bitte?«

»Nichts. Gehen wir.«

Als die Kanister übergeben, die Siegel geprüft und die Quittungen unterschrieben waren, folgten Borowski und McAllister dem Arzt in ein verschlossenes Büro, in dem Medikamente aufbewahrt wurden und das eine zweite Tür zum Korridor hatte, die ebenfalls abgeschlossen war. Die zwei portugiesischen Internisten warteten vor den Glasschränken; der eine war etwas größer als der andere, und beide lächelten. Der Arzt stellte sie einander nicht vor, die zwei Portugiesen und die zwei »Engländer« nickten einander nur kurz zu, worauf der Arzt, zum Staatssekretär gewandt, meinte: »Ihrer Beschreibung nach - nicht daß ich die Ihre gebraucht hätte - würde ich sagen, daß die Größe in etwa stimmt, nicht wahr?«

»Das geht in Ordnung«, erwiderte McAllister, während er und Jason aus ihren weißen Overalls schlüpften. »Die sind ohnehin etwas zu groß. Wenn die beiden schnell genug rennen und die Köpfe einziehen, klappt das. Sagen Sie ihnen, sie sollen die Anzüge und die Quittungen dem Piloten geben. Der wird uns eintragen, wenn er wieder in Hongkong ist.« Borowski und McAllister zogen sich dunkle, zerknautschte Hosen und weite Jacken an, dann reichten sie den Portugiesen ihre Overalls und Mützen. »Die sollen sich beeilen«, sagte McAllister. »Der Abflug ist in zwei Minuten vorgesehen.«

Der Arzt sagte etwas in gebrochenem Portugiesisch und wandte sich dann wieder dem Staatssekretär zu. »Der Pilot kann ohne die beiden nicht starten, Sir.«

»Alles ist auf die Minute geplant«, herrschte der ihn mit einer Stimme an, in der Furcht mitklang. »Wir können es nicht riskieren, daß jemand neugierig wird. Alles muß wie am Schnürchen gehen. Schnell!«

Die Portugiesen zogen sich die Reißverschlüsse zu; dann drückten sie sich die Mützen tief ins Gesicht und vergewisserten sich, daß sie die Quittungen für die Blutkonserven hatten. Während der Arzt den Amerikanern zwei orangefarbene Passierscheine gab, erteilte er ihnen letzte Instruktionen. »Wir gehen gemeinsam hinaus; die Türe schließt automatisch. Ich werde meine jungen Kollegen an der Polizei vorbeibringen und mich noch einmal überschwenglich bei ihnen bedanken, dann können sie zum Flugzeug rennen. Sie gehen nach rechts und dann links in die Eingangshalle. Ich hoffe - ehrlich -, daß unsere Beziehung, so angenehm sie war, damit jetzt beendet ist.«

»Was soll das?« fragte McAllister und hob seinen Passierschein.

»Wahrscheinlich - hoffentlich - gar nichts. Aber falls man Sie aufhält, erklärt das Ihre Anwesenheit im Krankenhaus. Niemand stellt dann noch Fragen.«

»Warum? Was steht auf dem Schein?« Es gab einfach nichts, was der Analytiker ohne Erklärung hinnehmen konnte.

»Ganz einfach: daß Sie völlig mittellos sind und ich Sie großzügigerweise ohne Berechnung in meiner Klinik behandelt habe. Gegen Gonorrhöe, um genau zu sein. Natürlich enthält der Schein die Beschreibung Ihrer Person - Größe, Gewicht, Haar-und Augenfarbe, Nationalität. Ihre Beschreibung ist etwas ausführlicher, fürchte ich, da ich ja Ihrem Freund bisher nie begegnet war. Natürlich gibt es Duplikate in meinen Akten, und daß Sie das sind, ist ja nicht zu übersehen, Sir.« »Was?«

»Sobald Sie auf der Straße sind, glaube ich, daß meine Schulden Ihnen gegenüber beglichen sind. Sind Sie da nicht auch meiner Ansicht?«

»Gonorhöe?«

»Bitte, Sir, Sie haben doch selbst gesagt, daß wir uns beeilen müssen. Alles muß auf die Minute klappen.« Der Arzt öffnete die Tür, drängte die vier Männer hinaus und bog sofort mit den zwei Assistenten nach links ab, auf den Seitengang und den wartenden Helikopter zu.

»Gehen wir«, flüsterte Borowski, griff nach McAllisters Arm und zog ihn nach rechts.

»Haben Sie da noch Worte?«

»Sie haben gesagt, er sei ein Dieb.«

»Das war er. Das ist er!«

»Manchmal sollte man die Redensart, daß Stehlen von einem Dieb kein Diebstahl ist, nicht zu wörtlich nehmen.«

»Was soll das jetzt wieder bedeuten?«

»Ganz einfach«, sagte Jason Borowski und blickte auf den Analytiker neben sich herab. »Er hat Sie jetzt in der Hand. Bestechung, korrupte Amtsführung und Gonorrhöe.«

»Ach du liebe Güte.«

Sie standen ganz hinten in der Menschenmenge am Drahtzaun und sahen zu, wie der Helikopter von seinem Landeplatz in die Höhe donnerte und dann am Nachthimmel davonbrauste. Die Scheinwerfer erloschen; der Parkplatz war jetzt nur noch beleuchtet wie immer. Die meisten Polizisten stiegen in einen Mannschaftswagen; die wenigen, die zurückblieben, schlenderten zu ihren Posten zurück, und ein paar zündeten sich Zigaretten an, wie um zu demonstrieren, daß alles vorbei war. Die Menge begann sich zu zerstreuen, und Fragen flogen hin und her. Wer war das denn? Jemand sehr Wichtiges, wie? Was meinst du denn, daß passiert ist? Glaubst du, das erfahren wir je? Wen interessiert das schon? Wir haben ja unser Schauspiel gehabt, also gehen wir noch einen trinken, ja? Hast du diese Frau gesehen? Eine erstklassige Nutte, finde ich. Meinst du nicht auch? Das ist meine Cousine, du Schwein!

Alles war vorbei.

»Hauen wir ab«, sagte Jason. »Wir müssen weiter.«

»Wissen Sie, Mr. Webb, Sie haben da zwei Befehle, die mir langsam auf die Nerven gehen. >Ab< und >weiter<.«

»Beide sind aber genau richtig.« Sie überquerten die Do Amaral.

»Mir ist genauso klar wie Ihnen, daß wir uns beeilen müssen, nur daß Sie mir noch nicht erklärt haben, wo wir hingehen.«

»Das weiß ich schon«, sagte Borowski.

»Ich glaube, das wird auch langsam Zeit.« Im Weitergehen beschleunigte Borowski die Schritte. »Sie haben mich einen Zuhälter genannt«, fuhr der Staatssekretär fort.

»Das sind Sie auch.«

»Weil ich einverstanden damit war, was getan werden muß?«

»Weil die Sie benutzt haben. Die Kerle am Drücker haben Sie benutzt und werden Sie ohne Skrupel fallenlassen. Sie haben an Ihre Karriere gedacht, an Staatskarossen und Gipfelkonferenzen, und konnten dem nicht widerstehen. Sie waren bereit, mein Leben einfach wegzuschmeißen, ohne nach einer Alternative zu suchen - und genau dafür bezahlt man Sie. Sie waren bereit, das Leben meiner Frau aufs Spiel zu setzen, weil das Ihren Zwecken nutzte. Ein Dinner mit dem Rat der Vierzig, vielleicht sogar Ratsmitglied; vertrauliche Zusammenkünfte im Oval Office mit dem gefeierten Botschafter Havilland. Für mich heißt das, daß Sie ein Zuhälter sind. Man wird Sie, wiederhole ich, ohne Skrupel fallenlassen.«

Schweigen. Fast einen Häuserblock lang. »Und Sie glauben, ich weiß das nicht, Mr. Borowski?«

»Was?«

»Daß die mich fallenlassen.«

Wieder blickte Jason auf den Bürokraten an seiner Seite. »Das wissen Sie?«

»Natürlich. Ich gehöre nicht zu denen, und die wollen mich auch nicht bei sich haben. Oh, die Voraussetzungen dazu hätte ich und den Verstand, aber nicht den Leistungsdruck, unter dem die stehen. Ich mache mir nichts vor. Vor einer Fernsehkamera würde ich vor Aufregung erstarren - obwohl ich immer wieder erlebe, wie Idioten, die keine Kamerascheu haben, die albernsten Fehler machen. Sie sehen, ich kenne meine Grenzen. Und da ich nicht kann, was diese Leute können, muß ich tun, was für sie und für das Land das Beste ist. Ich muß für sie denken.«

»Sie haben für Havilland gedacht? Sie sind in Maine zu uns gekommen und haben mir meine Frau weggenommen! In Ihrem aufgeblasenen Hirn gab es keine Alternativen?«

»Keine, die mir eingefallen wären. Keine, die alles so gründlich abgedeckt hätten, wie Havillands Strategie. Der Meuchelmörder war die garantiert unsichtbare Verbindung zu Sheng. Wenn Sie imstande waren, ihn aufzuspüren und zu uns zu bringen, war das die Chance, Sheng herauszuholen.«

»Sie hatten mehr Zutrauen zu mir als ich selbst.«

»Wir hatten Zutrauen zu Jason Borowski. Zu Kain - zu dem Mann von Medusa, der sich Delta nannte. Sie hatten das stärkste Motiv, das man sich vorstellen kann: Sie wollten Ihre Frau zurückholen, die Frau, die Sie so lieben. Und es würde keinerlei Verbindung zu unserer Regierung geben -«

»Wir haben den Braten von Anfang an gerochen!« explodierte Borowski. »Ich habe das gerochen, und Conklin auch.«

»Riechen ist nicht schmecken«, wandte der Analytiker ein, während sie durch eine dunkle kopfsteingepflasterte Gasse eilten. »Sie wußten nichts Konkretes, das Sie hätten preisgeben können, kannten keinen Mittelsmann, der auf Washington deutete. Sie waren davon besessen, einen Killer zu finden, der sich als Sie ausgab, damit ein wütender Taipan Ihnen Ihre Frau zurückgeben würde - ein Mann, dessen eigene Frau angeblich von dem Meuchelmörder umgebracht worden war, der sich Jason Borowski nannte. Zuerst hielt ich das für Wahnsinn; aber dann habe ich die aberwitzige Logik des Ganzen durchschaut. Havilland hatte recht. Wenn es überhaupt einen Menschen gab, der den Meuchelmörder herbeischaffen und auf die Weise Sheng neutralisieren konnte, dann waren das Sie. Aber Sie durften keinerlei Verbindungen zu Washington haben. Deshalb mußte man Sie in ein solches Lügengespinst verstricken. Sonst hätten Sie normaler reagiert. Sie hätten zur Polizei gehen können oder den Regierungsbehörden, zu Leuten, die Sie von früher kannten, oder zu Stellen, an die Sie sich aus der Vergangenheit erinnerten -«

»Ich bin zu Leuten gegangen, die ich von früher kannte.«

»Und haben nichts erfahren, nur daß die Regierung Sie, je mehr Sie drohten, Ihr Schweigen zu brechen, um so eher wieder in ein Sanatorium stecken würde. Schließlich kamen Sie von Medusa und waren als Amnesiepatient bekannt, sogar als Schizophrener.«

»Conklin ging zu anderen -«

»Und erfuhr anfänglich nur so viel, daß wir rausfinden konnten, was er wußte, was er sich zusammengereimt hatte. Es heißt, er war einmal einer unserer besten Leute.«

»Das war er. Das ist er noch.«

»Von Ihnen hat er gesagt, Sie seien nicht zu retten.«

»Lange her. Unter den gegebenen Umständen hätte ich vielleicht dasselbe getan. Er hat in Washington eine ganze Menge mehr als ich erfahren.«

»Man hat ihn dazu gebracht, genau das zu glauben, was er glauben wollte. Das war einer der brillantesten Schachzüge Havillands. Vergessen Sie nicht, Alexander Conklin ist ein ausgebrannter, verbitterter Mann. Er empfindet alles andere als Liebe für die Welt, in der er sein Leben verbracht hat, und für die Leute, mit denen er dieses Leben geteilt hat. Man hat ihm gesagt, daß eine mögliche Geheimoperation möglicherweise schiefgelaufen war, daß möglicherweise die Regie feindliche Elemente übernommen hatten.« McAllister hielt inne, als sie aus der Gasse hervortraten und sich vorübergehend unter die nächtlichen Passanten mischten - überall blitzten bunte Lichter. »Es war eine geschickte Lüge, die ihn weit zurückwarf, können Sie das nicht erkennen?« fuhr der Analytiker fort. »Conklin war überzeugt, daß sich tatsächlich jemand anders eingeschaltet hatte, daß Ihre Lage hoffnungslos war, und ebenso die Ihrer Frau, es sei denn, Sie spielten in dem neuen Stück mit.«

»So hat er es mir dargestellt«, sagte Jason mit gerunzelter Stirn. Er erinnerte sich an die Bar im Dulles-Flughafen und an die Tränen, die ihm in die Augen getreten waren. »Er hat mir gesagt, ich soll die Rolle laut Drehbuch weiterspielen.«

»Es blieb ihm nichts anderes übrig.« McAllister packte plötzlich Borowskis Arm und deutete mit einer Kopfbewegung auf eine dunkle Ladenfassade rechts vor ihnen.

»Wir müssen reden.«

»Wir reden doch«, sagte der Mann von Medusa scharf. »Ich weiß, wohin wir gehen, und wir dürfen keine Zeit vergeuden.«

»Sie müssen sich die Zeit nehmen«, beharrte der Analytiker. Die Verzweiflung in seiner Stimme veranlaßte Borowski, stehenzubleiben und ihn anzusehen und ihm dann in die finstere

Ladennische zu folgen. »Sie müssen verstehen, ehe Sie irgend etwas unternehmen.«

»Was muß ich verstehen? Die Lügen?«

»Nein, die Wahrheit.«

»Sie wissen doch gar nicht, was die Wahrheit ist«, sagte Jason.

»Doch, das weiß ich, vielleicht besser als Sie. Das ist mein Job. Havillands Strategie hätte sich als richtig erwiesen, wenn Ihre Frau nicht gewesen wäre. Sie ist geflohen, sie ist uns entkommen. Und damit war die Strategie im Eimer.«

»Das ist mir bekannt.«

»Dann ist Ihnen sicherlich auch bewußt, daß Sheng, ob er sie nun identifiziert hat oder nicht, von ihr weiß, und ihre Bedeutung begreift.«

»Darüber habe ich nie nachgedacht.«

»Dann tun Sie es jetzt. In Lin Wenzus Einheit gab es einen Verräter, als diese Einheit und ganz Hongkong nach ihr suchten. Catherine Staples ist umgebracht worden, weil sie mit Ihrer Frau in Verbindung stand und weil man erkannte, daß sie durch diese mysteriöse Frau entweder bereits zuviel erfahren hatte oder etwas sehr Verhängnisvolles erfahren würde. Sheng hat mit Sicherheit Anweisung erteilt, jede auch nur mögliche Opposition auszuschalten. Wie Sie in Peking selbst erlebt haben, ist er ein Fanatiker mit Paranoia.«

»Worauf wollen Sie hinaus?« fragte Borowski ungeduldig.

»Außerdem hat er einen brillanten Verstand, und seine Leute sind überall in der Kronkolonie.«

»Und?«

»Wenn die Morgenzeitungen und das Fernsehen die Nachricht bringen, wird er sich seine Gedanken machen und dann das Haus auf dem Victoria Peak und jeden Angehörigen von MI-6 auf Herz und Nieren untersuchen lassen, selbst wenn er das

Anwesen daneben in seine Gewalt bringen und doch noch einmal den britischen Geheimdienst infiltrieren muß.«

»Verdammt noch mal, worauf wollen Sie hinaus?«

»Er wird Havilland finden, und dann Ihre Frau.«

»Und?«

»Angenommen, das, was Sie vorhaben, scheitert? Angenommen, Sie kommen dabei um? Sheng wird keine Ruhe geben, solange er nicht alles erfahren hat, was es zu erfahren gibt. Der Schlüssel ist ohne Zweifel die Frau bei Havilland, die große Frau, nach der alle gesucht haben. Das muß sie sein. Wenn Ihnen irgend etwas zustößt, wird Havilland sie gehenlassen müssen. Und dann wird Sheng sie in seine Gewalt bringen - in Kai-tak oder in Honolulu oder in Los Angeles oder New York. Glauben Sie mir, Mr. Webb, er wird so lange keine Ruhe geben, bis er sie hat. Er muß wissen, was gegen ihn gespielt wird, und sie ist der Schlüssel. Sonst gibt es niemanden.«

»Noch einmal, worauf wollen Sie hinaus?«

»Alles könnte aufs neue anfangen, nur diesmal mit viel schrecklicheren Folgen.«

»Das Drehbuch?« fragte Jason, und schreckliche Bilder aus der Schlucht in dem Vogelreservat drängten durch einen blutroten Schleier auf ihn ein.

»Ja«, sagte der Analytiker mit fester Stimme. »Nur daß diesmal Ihre Frau wirklich entführt würde, nicht nur als Teil der Strategie, um Ihre Mitwirkung zu erzwingen. Sheng würde dafür sorgen.«

»Nicht, wenn Sheng tot ist!«

»Aber das Risiko, daß unser Plan scheitert, besteht ja - das Risiko, daß er am Leben bleibt.«

»Sie versuchen hier etwas zu sagen und sprechen es nicht aus!«

»Also gut, dann will ich das jetzt tun. Als Killer sind Sie das Bindeglied zu Sheng, der, der an ihn heran kann, aber ich bin derjenige, der ihn herauslocken kann.«

»Sie?«

»Das war der Grund, weshalb ich der Botschaft gesagt habe, daß sie meinen Namen bei der Presseverlautbarung benutzen sollen. Sehen Sie, Sheng kennt mich, und ich habe sehr gut zugehört, als Sie Havilland Ihre Theorien erklärt haben. Er hat Ihnen die nicht abgenommen, und ich, offen gestanden, auch nicht. Sheng würde sich nicht zu einem Treffen mit einer unbekannten Person bereit finden, wohl aber zu einem Treffen mit jemandem, den er kennt.«

»Warum mit Ihnen?«

»Teils Wahrheit, teils Lüge«, sagte der Analytiker und wiederholte damit Borowskis Worte.

»Danke, daß Sie so aufmerksam zugehört haben. Aber jetzt müssen Sie mir das erklären.«

»Zuerst die Wahrheit, Mr. Webb oder Borowski oder wie Sie sonst genannt werden wollen. Sheng weiß sowohl, was ich für meine Regierung getan habe, und auch, daß ich ganz offensichtlich damit nicht vorwärtsgekommen bin. Ich bin ein intelligenter, aber unauffälliger, unb ekannter Bürokrat, den man übergangen hat, weil mir jene Eigenschaften fehlen, die meinem Fortkommen förderlich wären, die dazu führen könnten, daß ich prominent werde und schließlich eine lukrative Stellung in der Privatwirtschaft bekomme. In gewisser Weise bin ich wie Alexander Conklin, ohne sein Alkoholproblem, aber nicht ohne ein gewisses Maß seiner Verbitterung. Ich war so gut wie Sheng, und das wußte er, und er hat es geschafft und ich nicht.«

»Eine rührende Beichte«, sagte Jason, wieder ungeduldig geworden. »Aber warum sollte er sich mit Ihnen treffen? Wie könnten Sie ihn herauslocken - so daß man ihn töten kann?«

»Weil ich ein Stück von seiner Hongkong-Beute haben möchte. Ich hätte gestern nacht ums Leben kommen können. Das war der letzte Schlag für meine Selbstachtung, und jetzt, nach all den Jahren, will ich etwas für mich selbst, für meine Familie. Das ist die Lüge.«

»Ich höre Ihnen zu. Aber was Sie sagen, ergibt keinen Sinn. Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen.«

»Weil Sie nicht zwischen den Worten hören. Dafür bezahlt man mich, haben Sie das vergessen? ... Ich habe es satt, ich komme nicht weiter, sehe keine Chancen mehr für mich. Man hat mich hierhergeschickt, um einem Gerücht aus Taiwan nachzugehen und es zu analysieren. An diesem Gerücht über eine wirtschaftliche Verschwörung in Peking schien mir etwas dran zu sein, und wenn es stimmte, konnte es in Peking dafür nur eine Quelle geben: einen alten Verhandlungspartner aus den chinesisch-amerikanischen Handelskonferenzen, die Macht, die hinter Chinas neuer Handelspolitik steht. Nichts dergleichen könnte ohne ihn geschehen. Also ging ich davon aus, daß im besten Fall so viel an dem Gerücht dran war, um mit ihm Verbindung aufzunehmen, nicht um das Ganze auffliegen zu lassen, sondern offiziell, um das Gerücht um den richtigen Preis zu beseitigen. Ich könnte sogar so weit gehen und sagen, ich könne nichts erkennen, was den Interessen meiner Regierung zuwiderläuft und ganz sicher nicht den meinen. Das Wesentliche ist jedenfalls, daß er sich mit mir treffen müßte.«

»Und was dann?«

»Dann würden Sie mir sagen, was zu tun ist. Sie haben doch gesagt, ein einfacher Agent wäre dazu imstande, warum also nicht ich? Nur daß ich nicht mit Sprengstoff umgehen kann, dafür bin ich nicht ausgebildet. Aber eben mit einer Waffe.«

»Sie würden umgelegt werden.«

»Das Risiko gehe ich ein.«

»Warum?«

»Weil es getan werden muß, in dem Punkt hat Havilland recht. Und in dem Augenblick, wo Sheng sieht, daß Sie nicht der Doppelgänger sind, sondern das Original, der, der versucht hat, ihn in diesem Vogelreservat zu töten, würden seine Leibwächter Sie abknallen.«

»Ich hatte nie vor, daß er mich sehen sollte«, sagte Borowski leise. »Dafür hätten Sie sorgen sollen, aber nicht so.«

Im Schatten der dunklen Ladenfassade starrte McAllister den Mann von Medusa an. »Sie nehmen mich mit, nicht wahr?« fragte der Analytiker schließlich. »Zwingen mich, falls das notwendig sein sollte.«

»Ja.«

»Das habe ich mir gedacht. Sonst hätten Sie nicht so bereitwillig zugestimmt, daß ich mit Ihnen nach Macao gehe. Sie hätten mir sagen können, wie ich Sheng vom Flughafen aus erreiche, und verlangen, daß wir Ihnen eine bestimmte Zeitspanne geben, ehe wir handeln. Wir hätten uns auch daran gehalten, wir hatten viel zuviel Angst. Aber wie dem auch sei, Sie begreifen jetzt, daß Sie mich nicht zu zwingen brauchen. Ich habe sogar meinen Diplomatenpaß mitgebracht.« McAllister hielt einen Augenblick lang inne und fügte dann hinzu: »Und einen zweiten, den ich mir aus der Akte des Technikers besorgt habe - er gehört diesem Mann, der das Foto von Ihnen gemacht hat, das auf dem Tisch.«

»Was haben Sie?«

»Das technische Personal des Außenministeriums, das mit geheimen Vorgängen befaßt ist, muß seine Pässe abgeben. Das ist eine Sicherheitsmaßnahme und dient nur ihrem eigenen Schutz -«

»Ich habe drei Pässe«, unterbrach Jason. »Wie glauben Sie denn, daß ich mich sonst bewegen kann?«

»Wir wußten aus den Borowski-Akten, daß Sie wenigstens zwei hatten. Einen davon haben Sie auf dem Flug nach Peking benutzt, den, in dem steht, daß Sie braune Augen haben. Wie haben Sie das geschafft?«

»Ich habe eine Brille getragen mit Spezialglas. Von einem Freund mit einem eigenartigen Namen - und der ist besser als alle Ihre Leute.«

»O ja. Ein schwarzer Fotograf, der sich Cactus nennt. Tatsächlich war er auch für Treadstone tätig, aber daran haben Sie sich ja offensichtlich erinnert, oder vielleicht daran, daß er Sie in Virginia besucht hat. Nach den Akten mußte man ihn gehen lassen, weil er mit Kriminellen zu tun hat.«

»Wenn Sie ihm ein Haar krümmen, mache ich Sie fertig.«

»Nicht nötig. Im Augenblick übertragen wir einfach eines der drei Fotos, das am besten zu der Beschreibung im Paß des Technikers paßt.«

»Das ist Zeitvergeudung.«

»Ganz und gar nicht. Diplomatenpässe bieten beträchtliche Vorteile, ganz besonders hier. Sie machen die zeitraubende Visabeschaffung überflüssig, und obwohl ich sicher bin, daß Sie über Quellen verfügen, sich ein Visum zu kaufen, ist es so einfacher. China will unser Geld, Mr. Borowski, und unsere Technologie. Man wird uns schnell über die Grenze lassen, und Sheng wird bei der Einwanderungsbehörde nachfragen und sich vergewissern können, daß ich der bin, der ich zu sein behaupte. Außerdem haben wir dann keinerlei Schwierigkeiten mit Verkehrsmitteln, und das könnte wichtig sein, je nach unseren diversen Telefongesprächen mit Sheng und seinen Mitarbeitern.«

»Unseren diversen was?«

»Sie werden in der entsprechenden Reihenfolge mit seinen Untergebenen sprechen. Ich werde Ihnen sagen, was Sie sagen müssen, aber wenn wir dann endgültig grünes Licht haben, werde ich mit Sheng Chou Yang sprechen.«

»Sie spinnen!« schrie Jason McAllister an. »Sie sind in diesem Geschäft ein Amateur!«

»In Ihrem Geschäft bin ich das tatsächlich. Aber nicht in meinem.«

»Warum haben Sie Havilland nichts von diesem großartigen Plan gesagt?«

»Weil er nicht zugestimmt hätte. Er hätte mich unter Hausarrest gestellt, weil er es mir nicht zugetraut hätte. Das meint er immer. Ich verkaufe mich schlecht. Ich eigne mich nicht für diese glatten Antworten, die so aufrichtig klingen, aber so jämmerlich nichtssagend sind. Aber hier geht es um etwas völlig anderes, und diese großspurigen Typen, die sich so großartig verkaufen, wissen das ganz genau, weil alles in ihr theatralisches Weltbild paßt. Abgesehen von wirtschaftlichen Fragen, ist dies eine Verschwörung, um die Führung eines mißtrauischen, autoritären Regimes zu unterminieren. Und wer steht im Zentrum dieser Verschwörung, die scheitern muß! Wer sind diese Infiltratoren, denen Peking so vertraut? Chinas überzeugteste Feinde - die eigenen Brüder aus der Kuomintang auf Taiwan. Und auch diesmal wird, um es vulgär auszudrücken, dann, wenn die Kacke am Dampfen ist, alle Welt ein Geschrei anstimmen von Verrat und einem gerechtfertigten >inneren Umsturz<, weil sie nichts anderes können. Und dann wird es zu Gewalttaten kommen, zu ganz massiven.«

Jetzt starrte Borowski den Analytiker an; er war zum erstenmal betroffen. Und er erinnerte sich an Maries Worte, die sie in anderem Zusammenhang gesprochen hatte, die aber haargenau auf die augenblickliche Situation paßten. »Das ist keine Antwort«, sagte er. »Das ist ein Standpunkt, aber keine Antwort. Warum Sie! Ich hoffe, Sie tun das nicht, um Ihren Anstand zu beweisen. Das wäre unsinnig. Und sehr gefährlich.«

»Sie glauben mir vielleicht nicht«, sagte McAllister, runzelte die Stirn und blickte zu Boden. »Soweit es Sie und Ihre Frau betrifft, glaube ich, daß das ein Teil davon ist - ein kleiner Teil.« Dann hob er die Augen wieder und fuhr ruhig fort: »Aber der wesentliche Grund, Mr. Borowski, ist der, daß ich es leid bin, Edward Newington McAllister zu sein, vielleicht ein brillanter, aber ganz sicher ein belangloser Analytiker. Ich bin der Experte im Hintergrund, den man ruft, wenn die Dinge zu kompliziert werden, und der seine Schuldigkeit getan hat, wenn er seinen Senf dazu gibt. Vielleicht möchte ich bloß einen Augenblick im Rampenlicht stehen.«

Jason musterte sein Gegenüber in der dunklen Nische. »Vorhin haben Sie gesagt, es bestehe die Gefahr, daß mir nicht gelingt, was ich vorhabe, und ich bin in diesem Geschäft erfahren. Sie sind es nicht. Haben Sie über die Folgen nachgedacht, wenn Ihr Plan scheitert?«

»Ich glaube nicht, daß er das wird.«

»Sie glauben nicht, daß er das wird«, wiederholte Borowski leise. »Darf ich fragen, warum?«

»Weil ich ihn mir gründlich überlegt habe.«

»Das ist ja beruhigend.«

»Nein, wirklich«, protestierte McAllister. »Die Strategie ist ganz einfach: Ich muß mit Sheng allein sein. Mir kann das gelingen, Ihnen nicht. Ich brauche nur ein paar Sekunden - und eine Waffe.«

»Wenn ich das zuließe, weiß ich nicht, was mir mehr Angst machen würde: Ihr Erfolg oder Ihr Scheitern. Darf ich Sie daran erinnern, daß Sie Staatssekretär der Regierung der Vereinigten Staaten sind? Was ist, wenn man Sie erwischt? Dann gute Nacht, schöne Welt.«

»Darüber habe ich seit meiner Ankunft in Hongkong nachgedacht.«

»Was haben Sie?«

»Ich habe wochenlang gedacht, daß das die Lösung sein könnte, daß ich die Lösung sein könnte. Die Regierung ist abgesichert. Ich habe alles schriftlich am Victoria Peak hinterlassen, mit einer Kopie für Havilland und einer zweiten, die dem chinesischen Konsulat in Hongkong nach zweiundsiebzig Stunden zu übergeben ist. Vielleicht hat der Botschafter die seine schon gefunden. Sie sehen also, es gibt kein Zurück.«

»Was, zum Teufel, haben Sie getan?!«

»Ich habe etwas beschrieben, was auf einen persönlichen Racheakt an Sheng hinausläuft. Bei meiner Vorgeschichte und der Zeit, die ich hier verbracht habe, und Shengs bekanntem Hang zur Geheimnistuerei ist das Ganze sogar recht plausibel. Seine Feinde im Zentralkomitee jedenfalls werden sich darauf stürzen. Wenn ich ums Leben komme oder festgenommen werde, wird sich so viel Aufmerksamkeit auf Sheng richten, wird man trotz allen Leugnens so viele Fragen stellen, daß er nicht wagen wird, etwas zu unternehmen - falls er überlebt.«

»Gütiger Gott«, sagte Borowski.

»Es ist nicht nötig, daß Sie die Einzelheiten kennen. Im wesentlichen werfe ich ihm vor, daß er sein Wort gebrochen hat, daß er mich in Hongkong kaltgestellt hat, nachdem ich ihm jahrelang bei seinen Machenschaften geholfen habe. Er schaltet mich aus, weil er mich nicht mehr braucht und weiß, daß ich unmöglich etwas sagen kann, weil ich dann ruiniert wäre. Ich habe geschrieben, daß ich sogar Angst um mein Leben hätte.«

»Vergessen Sie es!« schrie Jason. »Vergessen Sie die ganze verdammte Geschichte! Das ist verrückt!«

»Sie gehen davon aus, daß ich scheitern werde. Oder daß man mich festnimmt. Ich glaube weder das eine noch das andere -Ihre Hilfe natürlich vorausgesetzt.«

Borowski atmete tief und senkte dann die Stimme. »Ich bewundere Ihren Mut, selbst Ihren unterschwelligen Sinn für

Anstand, aber es gibt einen besseren Weg. Sie werden Ihren Augenblick im Rampenlicht bekommen, Mr. Analytiker, aber nicht so.«

»Wie dann?« fragte der Staatssekretär verwirrt.

»Ich habe gesehen, wie Sie arbeiten, und Conklin hat recht gehabt. Sie sind zwar ein Schweinehund, aber Sie verstehen sich auf Ihr Handwerk. Sie haben sich hier sechs Jahre mit schmutzigen Tricks befaßt und haben im Namen der gutnachbarlichen Zusammenarbeit Killer und Diebe und Zuhälter aufgespürt. Sie wissen, welchen Knopf man drücken muß, und wissen, wo die Leichen im Keller liegen. Sie haben sich sogar an einen Arzt hier in Macao erinnert, der Ihnen eine Gefälligkeit schuldig war, und ihn dazu gebracht, sich zu revanchieren.«

»Ach was. Solche Leute vergißt man nicht.«

»Finden Sie mir mehr solche. Finden Sie mir Leute, die für Geld töten. Sie und Havilland zusammen schaffen das. Sie werden ihn jetzt anrufen und ihm sagen, daß das meine Forderung ist. Er soll morgen früh eine Million - fünf Millionen, wenn es sein muß - hierher nach Macao überweisen, und dann will ich bis zum frühen Nachmittag eine Killereinheit hier haben, die bereit ist, nach China zu gehen. Ich werde die Arrangements treffen. Ich kenne einen Treffpunkt in den Bergen von Guangdong; dort gibt es Felder, die man leicht mit einem Hubschrauber erreichen kann, und Sheng und seine Unterführer haben sich früher dort mit dem Killer getroffen. Sobald er meine Nachricht bekommt, wird er sich aufmachen, das dürfen Sie mir glauben. Sie brauchen nur Ihren Teil zu erledigen. Denken Sie nach, wühlen Sie in Ihrem Gedächtnis herum und lassen Sie sich drei oder vier erfahrene Killer einfallen. Sagen Sie ihnen, das Risiko sei gering und der Preis hoch. Das ist Ihr Augenblick im Rampenlicht, Mr. Analytiker. Das war's doch für Sie - Sie haben dann Havilland für den Rest Ihres Lebens in der Hand. Er wird Sie zu seinem ersten Berater machen, möglicherweise zum

Außenminister, wenn Sie das wollen. Er kann es sich dann einfach nicht mehr leisten, Ihnen etwas abzuschlagen.«

»Unmöglich«, sagte McAllister leise, und sein Blick bohrte sich in Jasons Augen.

»Nun, vielleicht ist Außenminister etwas viel -«

»Was Sie da vorschlagen, ist unmöglich«, unterbrach ihn der Staatssekretär.

»Wollen Sie mir jetzt sagen, daß es keine solchen Leute gibt -dann lügen Sie nämlich wieder.«

»Sicher gibt es die. Ein paar kenne ich vielleicht schon, und noch ein paar dürften auf der Namensliste stehen, die Lin Ihnen gab, als er die Rolle des Taipan spielte. Aber mit denen will ich nichts zu tun haben. Selbst wenn Havilland mir den Befehl gäbe, würde ich mich weigern.«

»Dann wollen Sie Sheng nicht wirklich! Alles, was Sie gerade gesagt haben, war bloß wieder eine Lüge. Lügner!«

»Da irren Sie, ich will Sheng. Aber um Ihre Worte zu gebrauchen, nicht so.«

»Warum nicht?«

»Weil ich meine Regierung, mein Land, nicht in eine so kompromittierende Lage bringen möchte. Darin würde mir auch Havilland zustimmen. Killer anzuheuern ist zu gefährlich, dem kann man nachgehen, genauso wie dem Geld, mit dem man sie bezahlt. Da braucht bloß einer 'ne Wut zu kriegen oder sich aufzuspielen oder einen in der Krone zu haben - schon redet er, und Washington ist dran. Nein - ich muß da meinen eigenen Weg gehen. Denken Sie an die Kennedys, die vorhatten, die Mafia auf Castro anzusetzen. Wahnsinn ... Nein, Mr. Borowski, ich fürchte, Sie müssen mit mir vorliebnehmen.«

»Ich muß mit gar niemandem vorliebnehmen! Ich kann Sheng erreichen; Sie nicht!«

»Komplizierte Vorgänge lassen sich gewöhnlich auf einfache Gleichungen zurückführen, wenn man bestimmte Fakten im Auge behält.«

»Was soll das heißen?«

»Daß wir die Sache auf meine Art durchführen.«

»Warum?«

»Weil Havilland Ihre Frau hat.«

»Sie ist bei Conklin! Bei Mo Panov! Er würde es nicht wagen

»Sie kennen ihn nicht«, unterbrach McAllister. »Er ist wie Sheng Chou Yang. Er schreckt vor nichts zurück. Wenn ich recht habe - und da bin ich sicher -, sind Ihre Frau, Conklin und Panov in dem Haus am Victoria Peak Dauergäste.«

»Dauergäste?«

»Hausarrest.«

»Dieses Schwein!« flüsterte Jason, und seine Kinnmuskeln spannten sich an.

»Also, und wie erreichen wir jetzt Peking?«

Borowski antwortete mit geschlossenen Augen: »Ein Mann in der Garnison von Guangdong, er heißt Soo Jiang. Ich spreche französisch mit ihm, und er hinterläßt uns hier in Macao eine Botschaft. An einem Tisch im Casino.«

»Los!« sagte McAllister.

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