Kapitel 5

Nur mit Mühe die Beherrschung bewahrend, wußte er, daß Gelassenheit für ihn nicht in Frage kam. Seine Hand hielt die Pistole umklammert, während in seinem Kopf Schüsse dröhnten und eine Flut von Fragen auf ihn eindrängten. Eines jedenfalls stand fest: Er durfte nicht den toten Mann spielen, er mußte sich rühren!

Das Außenministerium. Die Männer dort, die er in den letzten Monaten kennengelernt hatte, damals in der abgelegenen, abgeschirmten Klinik in Virginia - jene beharrlichen, wie besessenen Männer, die ihn pausenlos befragt und ihm Dutzende von Fotos vorgelegt hatten, bis Mo Panov dem schließlich ein Ende machte. Er hatte ihre Namen notiert, weil er eines Tages vielleicht einmal würde wissen wollen, wer sie waren - aus keinem anderen Grund als einem instinktiven Mißtrauen; schließlich hatten ebensolche Männer einige Monate früher versucht, ihn zu töten. Sie hatten sich ihm nicht vorgestellt, für ihn waren sie nur Harry, Bill oder Sam, wahrscheinlich weil sie von der Theorie ausgingen, daß echte Identitäten seine Verwirrung nur noch größer machen würden. Er aber hatte unauffällig ihre Ausweisplaketten gelesen und sich dann, wenn er wieder allein war, die Namen aufgeschrieben und die Zettel bei seiner persönlichen Habe in der Schublade verwahrt. Und wenn Marie ihn besuchte, und das war jeden Tag, gab er ihr die Namen mit und bat sie, sie im Haus zu verstecken - gut zu verstecken.

Später gestand ihm Marie, daß sie seinen Bitten zwar nachgekommen war, seinen Argwohn aber für übertrieben hielt. Aber dann hatte David sie eines Morgens, unmittelbar nach einer hitzigen Sitzung mit den Männern aus Washington, angefleht, das Krankenhaus sofort zu verlassen, zu ihrem Wagen zu laufen und zu ihrem Bankschließfach zu fahren und eine Haarsträhne in die linke untere Ecke des Fachs zu legen, es abzuschließen, die Bank zu verlassen und zwei Stunden später zurückzukehren, um nachzusehen, ob sie noch da war.

Das war nicht der Fall gewesen. Sie hatte die Haarsträhne sorgfältig befestigt gehabt; sie hatte nur herausfallen können, weil man das Schließfach geöffnet hatte. Sie fand die Strähne schließlich auf dem fliesenbelegten Boden der Bank.

»Woher hast du das gewußt?« hatte sie ihn gefragt.

»Einer meiner freundlichen Befrager ist etwas hitzig geworden und hat versucht, mich zu provozieren, Mo war für ein paar Minuten hinausgegangen, und es hätte nicht viel gefehlt, daß er mich beschuldigte, ihm etwas vorzumachen, etwas zu verbergen. Ich wußte, daß du kommst, und so habe ich das Spiel weitergespielt. Ich wollte sehen, wie weit die gehen würden, wie weit die gehen durften.«

Alles zusammen war ihm nicht geheuer. Man hatte die Leibwächter abgezogen, seine eigenen Reaktionen herablassend in Frage gestellt, so als wäre er derjenige, der um zusätzlichen Schutz gebeten hatte und als hätte nicht etwa Edward McAllister darauf bestanden. Dann hatte man binnen Stunden Marie entführt - das Ganze war nach einem Plan abgelaufen, in dem jede Kleinigkeit bedacht war. Und jetzt war eben dieser McAllister plötzlich fünfzehntausend Meilen weit verreist. Hatte der Staatssekretär die Seiten gewechselt? Hatte man ihn in Hongkong gekauft? Hatte er Washington ebenso verraten wie den Mann, den zu beschützen er geschworen hatte? Was ging hier vor sich? In jedem Fall gehörte der Codename Medusa mit zu diesem Geheimnis. Man hatte ihn während all der Befragungen kein einziges Mal erwähnt. Das verblüffte ihn. Es war gerade, als hätte das Bataillon von Psychotikern und Killern nie existiert; jede Erinnerung daran war ausgelöscht worden. Aber man konnte sie wieder heraufbeschwören. Und damit würde er beginnen.

Webb ging mit schnellen Schritten aus dem Schlafzimmer, die Treppe hinunter in sein Arbeitszimmer, das in dem alten viktorianischen Haus früher einmal als kleine Bibliothek gedient hatte. Er setzte sich an den Schreibtisch, zog die unterste Schublade auf und entnahm ihr ein paar Notizbücher und einige Papiere. Dann hob er mit einem Brieföffner aus Messing den falschen Boden der Schublade ab, unter dem noch andere Papiere lagen - ein Sammelsurium von Erinnerungen - Bildern, die sich ihm aufgedrängt hatten, wenn er nachts nicht hatte schlafen können oder wenn ihn plötzlich unter Tags die Erinnerung eingeholt hatte: Notizblätter oder Briefpapierfetzen, auf die er die Bilder und Worte geschrieben hatte, die wie mit Blitzlicht sein Bewußtsein erhellt hatten. Ein wirres

Durcheinander schmerzhafter Assoziationen, viele so qualvoll, daß er sie nicht einmal mit Marie teilen konnte, weil er fürchtete, die Enthüllungen über Jason Borowski wären für sie zu brutal. Zu den Geheimnissen in der Schublade gehörten auch die Namen der Experten für Geheimoperationen, die ihn in Virginia so eindringlich verhört hatten.

Plötzlich fiel Davids Blick auf die häßliche, großkalibrige Pistole auf der Schreibtischplatte. Er hatte sie automatisch aus dem Schlafzimmer mitgenommen; jetzt starrte er sie einen Augenblick lang an und griff dann zum Telefon. In diesen Sekunden begann die qualvollste Stunde seines Lebens, denn er wußte, daß Marie sich mit jedem Augenblick weiter von ihm entfernte.

Die zwei ersten Anrufe wurden von Frauen oder Freundinnen entgegengenommen; die Männer, die er zu erreichen versuchte, ließen sich verleugnen, als er sich zu erkennen gab. Er gehörte immer noch nicht dazu! Sie wollten nichts mit ihm zu tun haben, solange ihnen das nicht ausdrücklich genehmigt war, und eine entsprechende Genehmigung gab es noch nicht. Herrgott! Er hätte es wissen müssen!

»Hallo?«

»Ist dort die Wohnung von Mr. Lanier?«

»Ja.«

»William Lanier, bitte. Sagen Sie ihm, es sei dringend. Höchste Alarmstufe. Mein Name ist Thompson, Außenministerium.«

»Einen Augenblick«, sagte die Frau beunruhigt.

»Wer spricht da?« fragte eine Männerstimme.

»David Webb. Sie erinnern sich doch an Jason Borowski, oder?« »Webb?« Eine kurze Pause, in der nur Laniers Atem zu hören war. »Warum haben Sie gesagt, Sie heißen Thompson? Und daß das ein Alarm des Weißen Hauses sei?«

»Weil ich dachte, Sie würden vielleicht nicht mit mir sprechen wollen. Zu den Dingen, an die ich mich erinnere, gehört auch, daß Sie mit bestimmten Leuten nicht ohne Genehmigung Verbindung aufnehmen. Sie sind tabu für Sie. Sie melden nur den Kontaktversuch.«

»Dann, nehme ich an, erinnern Sie sich auch daran, daß es höchst ungewöhnlich ist, jemanden wie mich über eine Privatleitung anzurufen.«

»Privatleitung? Macht man Ihnen jetzt auch schon zu Hause Vorschriften?«

»Sie wissen, wovon ich spreche.«

»Ich habe doch gesagt, daß es um einen dringenden Fall geht.«

»Aber das kann nichts mit mir zu tun haben«, protestierte Lanier. »Sie sind eine abgelegte Akte in meinem Büro -«

»Mausetot, wie?« unterbrach ihn David.

»Das habe ich nicht gesagt«, konterte der Mann vom Geheimdienst. »Ich wollte nur sagen, daß Sie nicht auf meinem Plan stehen und daß wir Anweisung haben, uns nicht in fremde Vorgänge einzuschalten.«

»Was für fremde?« fragte Webb scharf.

»Wie, zum Teufel, soll ich das wissen?«

»Wollen Sie damit sagen, daß Sie das nicht interessiert, was ich Ihnen zu sagen habe?«

»Ob es mich interessiert oder nicht, hat überhaupt nichts damit zu tun. Sie stehen auf keiner meinen Listen, und mehr brauche ich nicht zu wissen. Wenn Sie etwas zu sagen haben, dann rufen Sie Ihre autorisierte Kontaktperson an.«

»Das habe ich versucht. Seine Frau hat gesagt, er sei im Fernen Osten.«

»Dann versuchen Sie es in seinem Büro. Jemand dort wird Ihren Fall bearbeiten.«

»Das weiß ich, aber ich bin kein Fall und ich möchte auch nicht bearbeitet werden. Ich möchte mit jemandem reden, den ich kenne. Und Sie kenne ich, Bill. Erinnern Sie sich? In Virginia haben Sie gesagt, daß ich >Bill< zu Ihnen sagen soll. Damals waren Sie mächtig an dem interessiert, was ich zu sagen hatte.«

»Das war damals, nicht jetzt. Hören Sie, Webb, ich kann Ihnen nicht helfen, weil ich Ihnen keinen Rat geben kann. Ganz gleich, was Sie mir sagen, ich kann nicht darauf antworten. Ich bin, was Ihren Status angeht, nicht auf dem laufenden. Schon seit fast einem Jahr nicht mehr. Ihr Kontaktmann ist - man kann ihn erreichen. Rufen Sie noch einmal im Außenministerium an. Ich lege jetzt auf.«

»Medusa«, flüsterte David. »Haben Sie mich gehört, Lanier? Medusa!«

»Medusa - und was noch? Was wollen Sie damit sagen?«

»Ich lasse alles auffliegen, haben Sie das kapiert? Ich lasse diese ganze widerliche Geschichte hochgehen, wenn ich keine Antwort bekomme!«

»Warum lassen Sie Ihren Fall nicht doch bearbeiten?« fragte der Mann vom Geheimdienst kühl. »Oder lassen Sie sich doch in ein Krankenhaus einweisen.« Ein abruptes Klicken war zu hören, und David legte schwitzend auf.

Lanier wußte nichts über Medusa. Wenn er etwas gewußt hätte, wäre er am Apparat geblieben und hätte versucht, mehr zu erfahren, weil Medusa in seiner Bedeutung weit über >Vorschriften< und augenblicklichen Status< hinausging. Aber Lanier war einer der jüngeren Beamten, drei- oder vierunddreißig. Er war sehr intelligent, aber kein alter Fuchs.

Jemand, der ein paar Jahre älter war, hätte wahrscheinlich mit ihm sprechen dürfen, und dann hätte er ihm etwas von dem Bataillon von Renegaten gesagt, das immer noch geheimgehalten wurde. Webb sah sich die Namen auf seiner Liste und die dazugehörigen Telefonnummern an. Dann nahm er den Hörer wieder ab.

»Ja?« Eine Männerstimme.

»Spricht dort Samuel Teasdale?«

»Richtig. Wer sind Sie?«

»Ich bin froh, daß Sie abgehoben haben und nicht Ihre Frau.«

»Wo immer das möglich ist, geschieht das auch«, sagte Teasdale plötzlich vorsichtig. »Nur daß mir die meine nicht mehr zur Verfügung steht. Sie segelt irgendwo in der Karibik mit jemandem, von dem ich nichts wußte. Und jetzt, wo Sie meine Lebensgeschichte kennen, wer, zum Teufel, sind Sie?«

»Jason Borowski, erinnern Sie sich?«

»Webb?«

»An den Namen erinnere ich mich ganz vage«, sagte David.

»Warum rufen Sie mich an?«

»Weil Sie freundlich zu mir waren. In Virginia haben Sie gesagt, ich soll Sam zu Ihnen sagen.«

»Okay, okay, David. Stimmt. Das hab ich gesagt - so nennen mich auch meine Freunde, Sam ...« Teasdale schien etwas verwirrt und suchte nach Worten. »Aber das liegt jetzt fast ein Jahr zurück, und Sie kennen ja die Vorschriften. Man teilt Ihnen jemanden zu, mit dem Sie reden müssen, entweder in der Abteilung oder im Außenministerium. An den sollten Sie sich wenden - der ist auf dem laufenden.«

»Sie nicht, Sam?«

»Was Sie betrifft, nicht. Ich erinnere mich an die Anordnung; man hat sie uns ein paar Wochen, nachdem Sie Virginia verlassen haben, auf die Schreibtische gelegt. Alle Anfragen

bezüglich >besagter Person et cetera et cetera< sollten an Abteilung soundso weitergeleitet werden. >Besagte Person< habe direkten Zugang zu Bevollmächtigten im Ministerium.«

»Die Bevollmächtigten - wenn es solche je gegeben hat - sind abgezogen worden, und mein Kontaktmann ist verschwunden.«

»Kommen Sie«, wandte Teasdale leise und argwöhnisch ein, »das ist doch verrückt. So etwas kann gar nicht passieren.«

»Es ist aber passiert!« schrie Webb. »Meiner Frau ist etwas passiert!«

»Was ist los? Wovon reden Sie?«

»Weg ist sie, Sie Scheißkerl - ihr alle seid Scheißkerle! Ihr habt das zugelassen!« Webb packte sein Handgelenk, das den Hörer hielt, und umklammerte es, so fest er konnte, damit es zu zittern aufhörte. »Ich will Antworten haben, Sam. Ich will wissen, wer den Weg freigemacht hat, wen man umgedreht hat. Ich hab da so eine Idee, wer das ist, aber ich brauche Einzelheiten, um ihn festzunageln - um euch alle festzunageln, wenn ich das muß.«

»Jetzt mal langsam!« unterbrach ihn Teasdale zornig. »Wenn Sie versuchen, mich reinzulegen, dann stellen Sie sich verdammt blöd an! Mich legen Sie nicht aufs Kreuz, Sie Knallknopf. Singen Sie doch einem anderen etwas vor, bloß mir nicht! Ich muß mir das nicht anhören, ich brauche bloß zu melden, daß Sie mich angerufen haben, und das werde ich jetzt gleich tun. Sie haben doch nicht alle Tassen im Schrank - da soll sich mal einer drum kümmern!«

»Medusa!« schrie Webb. »Keiner will etwas über Medusa sagen, wie? Das alles liegt heute noch ganz tief unten in den Safes, wie?«

Diesmal klickte es nicht in der Leitung. Teasdale fegte nicht auf. Statt dessen wurde seine Stimme jetzt ganz ausdruckslos. »Gerüchte«, sagte er, »so wie Hoovers Akten - gerade recht,

darüber ein paar Geschichten zu erzählen nach dem dritten Whisky, aber sonst nichts.«

»Ich bin kein Gerücht, Sam. Ich lebe, ich atme, ich gehe aufs Klo und ich schwitze - so wie jetzt. Das ist kein Gerücht.«

»Sie haben Ihre Probleme gehabt, Davey.«

»Aber ich war dort! Ich habe mit Medusa gekämpft! Es gibt Leute, die sagen, ich sei der Beste gewesen oder der Schlimmste. Deshalb hat man mich ausgewählt, deshalb wurde ich Jason Borowski.«

»Davon habe ich keine Ahnung. Wir haben nie darüber gesprochen, also weiß ich auch nichts davon. Haben wir je darüber gesprochen, Davey?«

»Hören Sie mit diesem blödsinnigen Namen auf. Ich bin nicht Davey.«

»In Virginia waren wir aber >Sam< und >Davey<, erinnern Sie sich nicht?«

»Das hat jetzt nichts zu sagen! Wir haben alle unser Spielchen gemacht. Morris Panov war unser Schiedsrichter, bis Sie eines Tages beschlossen, mir auf die harte Tour zu kommen.«

»Ich hab mich entschuldigt«, sagte Teasdale ruhig. »Wir alle haben mal nicht den besten Tag. Ich hab Ihnen doch erzählt, was mit meiner Frau los ist.«

»Ihre Frau interessiert mich nicht! Mich interessiert meine, und ich lasse Medusa hochgehen, wenn ich keine Antwort bekomme, keine Hilfe!«

»Ich bin ganz sicher, daß Sie alle Hilfe kriegen, die Sie brauchen, wenn Sie einfach Ihren Kontaktmann im Außenministerium anrufen.«

»Er ist nicht da! Er ist weg!«

»Dann fragen Sie nach seinem Stellvertreter. Man wird Ihren Fall bearbeiten.«

»Bearbeiten! Herrgott, was sind Sie eigentlich, ein Roboter?«

»Bloß ein Mann, der versucht, seine Arbeit zu tun, Mr. Webb. Ich fürchte, ich kann jetzt nichts mehr für Sie tun. Gute Nacht.« Wieder das Klicken, und die Leitung war tot.

Wieder einer, dachte David, dem der Schweiß von der Stirn rann, während er die Liste anstarrte. Ein freundlicher Mann, weniger unangenehm als die anderen, ein Mann aus den Südstaaten, dessen gedehnte Redeweise entweder Tarnung für einen schnellen Verstand war, oder einfach seine Art, sich gegen einen Beruf zu wehren, in dem er sich nicht wohl fühlte. Aber für solche Überlegungen war jetzt keine Zeit.

»Ist dort die Wohnung von Babcock?«

»Sicher ist sie das«, sagte eine Frauenstimme so, daß man sich die Magnolien in ihrem Haar geradezu plastisch vorstellen konnte. »Natürlich nicht unser Zuhause, wie ich immer sage, aber wohnen tun wir hier schon.«

»Kann ich bitte Harry Babcock sprechen?«

»Kann ich bitte erfahren, wer spricht? Vielleicht ist er draußen im Garten mit den Kindern oder mit ihnen in den Park gegangen, dort ist es heutzutage so hell - nicht wie früher ... und

man braucht auch nicht um sein Leben zu fürchten ...«

Tarnung für einen schnellen Verstand, das galt für Mr. Babcock ebenso wie für Mrs. Babcock.

»Mein Namen ist Reardon, vom Außenministerium. Ich habe eine dringende Mitteilung für Mr. Babcock. Ich habe

Anweisung, so schnell wie möglich mit ihm Verbindung aufzunehmen. Es ist wichtig.«

Er hörte, wie der Hörer auf der anderen Seite zugehalten wurde, und vernahm halb unterdrückte Geräusche. Dann kam Harry Babcock an den Apparat. Er sprach langsam und

gemessen.

»Ich kenne keinen Mr. Reardon, Mr. Reardon. Meine Anrufe kommen alle über eine ganz bestimmte Zentrale, die sich zu erkennen gibt. Und Ihr Anruf, Sir?«

»Nun, ich weiß nicht, ob ich jemals jemanden so schnell aus dem Garten oder aus einem Park habe kommen hören, Mr. Babcock.«

»Bemerkenswert, nicht wahr? Vielleicht sollte ich mich für die Olympischen Spiele melden. Aber Ihre Stimme kenne ich. Ich komme nur nicht auf den Namen.«

»Wie wäre es mit Jason Borowski?«

Diesmal war die Pause ganz kurz - ein sehr schneller Verstand. »Oh, das ist ein Name, der ein gutes Stück zurückreicht, wie? Etwa ein Jahr, würde ich sagen. Das sind doch Sie, oder nicht, David?« Aber das war keine Frage, sondern eine Feststellung.

»Ja, Harry. Ich muß mit Ihnen reden.«

»Nein, David, Sie sollten mit anderen reden, nicht mit mir.«

»Wollen Sie damit sagen, daß man mich isoliert hat?«

»Du lieber Himmel, das klingt so unhöflich. Ich wäre geradezu entzückt, zu hören, wie es Ihnen und der reizenden Mrs. Webb in Ihrem neuen Leben geht. In Massachusetts, nicht wahr?«

»Maine.«

»Aber natürlich. Verzeihen Sie mir. Sind Sie beide wohlauf? Es ist Ihnen ja sicher klar, daß meine Kollegen und ich so viele Probleme am Hals haben, daß wir uns nicht dauernd mit Ihrer Akte befassen konnten.«

»Jemand anders hat gesagt, Sie könnten nicht an sie heran.«

»Ich glaube nicht, daß das jemand versucht hat.«

»Ich möchte reden, Babcock«, sagte David schroff.

«Ich nicht«, erwiderte Harry Babcock mit eisiger Stimme. »Ich befolge meine Vorschriften, und um ganz offen zu sein, Sie sind von Leuten wie mir isoliert. Ich frage nicht, warum - die Dinge ändern sich, das tun sie immer.«

»Medusa!« sagte David. »Wir werden nicht über mich sprechen. Lassen Sie uns über Medusa sprechen!«

Diesmal war die Pause länger als vorher. Und als Babcock wieder sprach, waren seine Worte wie gefroren. »Dieses Telefon wird nicht abgehört, Webb, also werde ich sagen, was ich sagen will. Vor einem Jahr hätte man Sie beinahe erledigt, und das wäre ein Fehler gewesen. Wir hätten Sie dann ehrlich betrauert. Aber wenn Sie die Fäden zerreißen, wird morgen niemand um Sie trauern, abgesehen natürlich von Ihrer Frau.«

»Sie Dreckskerl! Sie ist weg! Man hat sie entführt! Und Ihre Schweine haben das zugelassen!«

»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«

»Meine Leibwächter! Man hat sie abgezogen, alle miteinander, und man hat meine Frau entführt! Ich will Antworten haben, Babcock, oder ich lasse alles hochgehen! Sie tun jetzt genau das, was ich sage, oder das Trauern ist nur an Ihnen - an Ihnen allen, Ihren Frauen oder Ihren Waisenkindern! Ich bin Jason Borowski, das sollten Sie nicht vergessen!«

»Ein Verrückter sind Sie, das habe ich nicht vergessen! Wenn Sie uns so drohen, dann schicken wir Ihnen ein Team, das Sie aufspürt. Nach Art von Medusa! Das können Sie sich heraussuchen, mein Junge!«

Plötzlich war ein lautes Summen in der Leitung; betäubend schrill und so durchdringend, daß Jason sich den Hörer vom Ohr riß, und dann war die ruhige Stimme einer Telefonistin zu hören: »Wir unterbrechen Sie wegen eine Notfalls. Bitte sprechen, Colorado.«

Webb führte den Hörer an sein Ohr zurück.

»Spricht dort Jason Borowski?« fragte ein Mann mit aristokratisch klingender Stimme.

»Ich bin David Webb.«

»Natürlich sind Sie das. Aber Sie sind auch Jason Borowski.«

»Das ist möglich«, sagte David, von etwas, das er nicht definieren konnte, wie hypnotisiert.

»Die Identitäten verschwimmen bei einem Mann, der so viel durchgemacht hat, Mr. Webb.«

»Wer, zum Teufel, sind Sie?«

»Ein Freund, seien Sie dessen versichert. Und ein Freund warnt jemanden, den er als Freund bezeichnet. Sie haben da unerhörte Anklagen gegen einige der treuesten Diener unseres Landes vorgebracht - gegen Männer, denen man nie fünf Millionen Dollar zur Verfügung stellen würde, über die sie keine Rechenschaft abzulegen brauchen und über die bis zum heutigen Tage keine Rechenschaft abgelegt worden ist.«

»Wollen Sie mich durch die Mangel drehen?«

»Sowenig wie ich den verschlungenen Wegen nachspüren möchte, auf denen Ihre geschickte Frau das Geld auf einem Dutzend europäischer -«

»Sie ist verschwunden! Haben Ihre treuen Männer das gesagt?«

»Man hat Sie als überarbeitet bezeichnet - >durchgedreht< war das Wort, das man gebraucht hat -, und es hieß auch, Sie hätten erstaunliche Anklagen in bezug auf Ihre Frau erhoben, ja.«

»In bezug auf - Herrgott, man hat sie aus unserem Haus entführt! Jemand hält sie fest, weil man mich haben will!«

»Sind Sie sicher?«

»Fragen Sie doch diesen toten Fisch McAllister. Das ist sein Drehbuch, bis in die letzte Fußnote. Und jetzt ist er plötzlich am anderen Ende der Welt!« »Fußnoten?« fragte die kultivierte Stimme.

»Sehr klar, nicht mißzuverstehen. Das ist McAllisters Story, und er hat zugelassen, daß es dazu kommt! Ihr habt das zugelassen!«

»Vielleicht sollten Sie sich die Fußnoten gründlicher ansehen.«

»Warum?«

»Gleichgültig. Vielleicht wird Ihnen alles klarer, wenn Sie sich helfen lassen - von einem Psychiater.«

»Was?«

»Wir wollen alles für Sie tun, was in unserer Macht steht, das sollten Sie glauben. Sie haben so viel gegeben - mehr, als man von einem Menschen verlangen kann - und Ihre

außergewöhnliche Leistung kann man nicht einfach abtun, selbst wenn es zu einer Gerichtsverhandlung kommen sollte. Wir haben Sie in diese Lage gebracht und werden zu Ihnen stehen -auch wenn das heißt, daß wir die Gesetze beugen und die Gerichte unter Druck setzen müssen.«

»Wovon reden Sie?« schrie David.

»Ein allgemein geschätzter Militärarzt hat vor einigen Jahren seine Frau auf tragische Weise umgebracht - es stand in allen Zeitungen. Der Streß. Es ist ihm einfach zuviel geworden. Die Belastungen, denen Sie ausgesetzt waren, waren zehnmal so groß.«. »Ich höre wohl nicht recht!«

»Dann lassen Sie es mich anders sagen, Mr. Borowski.«

»Ich bin nicht Borowski!«

»Also gut, Mr. Webb. Ich will ganz offen zu Ihnen sprechen.«

»Das ist ein Fortschritt!«

»Sie sind nicht gesund. Sie haben acht Monate psychiatrischer Therapie hinter sich - es gibt immer noch weite Bereiche in Ihrem Leben, an die Sie sich nicht erinnern können; nicht einmal Ihren Namen haben Sie gekannt. Das alles steht in den ärztlichen Aufzeichnungen, die das fortgeschrittene Stadium Ihrer Geisteskrankheit ganz klar erkennen lassen, Ihren Gewalttrieb und das zwanghafte Verdrängen Ihrer eigenen Identität. In Ihrer Seelenqual neigen Sie zu Phantasien und versetzen sich in andere; Sie scheinen unter dem unwiderstehlichen Druck zu handeln, ein anderer als Sie selbst zu sein.«

»Das ist verrückt, und das wissen Sie auch! Alles Lügen!«

»Verrückt ist ein hartes Wort, Mr. Webb, und die Lügen kommen nicht von mir. Aber es ist meine Aufgabe, unsere Regierung vor falschen Beschuldigungen zu schützen und vor Verleumdungen, die dem Land schweren Schaden zufügen könnten.«

»Falsche Beschuldigungen?«

»Ihre Sekundärphantasie hinsichtlich einer unbekannten Organisation, die Sie Medusa nennen. Ich bin nun sicher, daß Ihre Frau zu Ihnen zurückkommen wird - wenn sie das kann, Mr. Webb. Aber wenn Sie weiterhin auf diesen Phantasievorstellungen beharren und sich auf dieses Produkt Ihres gequälten Bewußtseins fixieren, das Sie Medusa nennen, werden wir Sie zu einem paranoiden Schizophrenen erklären, zu einem pathologischen Lügner, der zu unkontrollierten Gewalttätigkeiten und Selbsttäuschungen neigt. Und wenn ein solcher Mann die Behauptung aufstellt, seine Frau sei verschwunden, wer weiß dann schon, wo eine solche pathologische Reise hinführen könnte? Drücke ich mich klar aus?«

David schloß die Augen, und der Schweiß rann ihm übers Gesicht. »Glasklar«, sagte er leise und legte auf.

Paranoid ... pathologisch. Diese Schweine! Er schlug die Augen auf und hätte am liebsten seine Wut dadurch abreagiert, daß er sich gegen irgend etwas warf, irgend etwas! Dann aber verhielt er wie erstarrt. Ja, das war es! Warum hatte er nicht gleich daran gedacht! Morris Panov! Mo Panov würde die drei Ungeheuer schon auf den richtigen Nenner bringen. Lügner, unfähig, einzig und allein darauf bedacht, eine korrupte Bürokratie zu schützen, um damit dem eigenen Nutzen zu dienen - und wahrscheinlich noch viel, viel Schlimmeres. Er griff nach dem Telefon und wählte mit zitternden Fingern die Nummer, die ihm in der Vergangenheit so oft eine beruhigende, rationale Stimme gebracht hatte, die ihm das Gefühl gab, etwas wert zu sein, auch wenn er das Gefühl gehabt hatte, es gebe nur noch wenig in ihm, das den geringsten Wert besaß.

»David, schön von Ihnen zu hören«, sagte Panov, und dabei ging ein echtes Gefühl der Wärme von ihm aus.

»Ich fürchte, das ist es nicht, M). Das ist der schlimmste Anruf bei Ihnen, den ich je geführt habe.«

»Kommen Sie, David, das klingt aber recht dramatisch. Schließlich haben wir eine ganze Menge -«

»Hören Sie mir zu!« schrie Webb. »Sie ist verschwunden! Sie haben sie weggeholt!« Und dann sprudelten die Worte aus ihm heraus, in wirrem Durcheinander.

»Hören Sie auf, David!« befahl Panov. »Fangen Sie ganz vorne an. Ich möchte es von Anfang an hören. Als dieser Mann Sie aufgesucht hat - nach den Erinnerungen an Ihren Bruder ...«

»Welcher Mann?«

»Vom Außenministerium.«

»Ja! Richtig, ja McAllister, so hieß er.«

»Beginnen Sie dort. Namen, Titel, Ämter. Und den Namen des Bankiers in Hongkong will ich auch wissen. Und jetzt beruhigen Sie sich erst mal, um Himmels willen!«

Wieder umklammerte Webbs linke Hand das rechte Handgelenk und den Telefonhörer. Er fing noch einmal an, zwang dem, was er sagte, eine krampfhafte Beherrschung auf; seine Stimme wurde angespannt, seltsam ausdruckslos, und wurde dann doch wieder schneller. Schließlich schaffte er es, alles herauszubekommen, alles, woran er sich erinnern konnte, und war sich zugleich voll Schrecken bewußt, daß er sich nicht an alles erinnert hatte. Da waren sie wieder, die schrecklichen Gedächtnislücken. Er hatte alles gesagt, was er im Augenblick sagen konnte; da war nichts übrig.

»David«, begann Mo Panov mit fester Stimme. »Ich möchte, daß Sie etwas für mich tun. Und zwar jetzt.«

»Was?«

»Für Sie klingt das vielleicht unsinnig, vielleicht sogar ein wenig verrückt, aber ich mache Ihnen einen Vorschlag, daß Sie jetzt zum Strand hinuntergehen und einen Spaziergang machen, am Ufer entlang. Eine halbe Stunde, fünfundvierzig Minuten, nicht mehr. Hören Sie auf die Brandung und auf die Wellen, die gegen die Felsen schlagen.«

»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!« protestierte Webb.

»Doch, absolut«, beharrte Mo. »Erinnern Sie sich, wie wir uns einmal darüber geeinigt haben, daß es Zeiten gibt, wo man seinen Verstand auf Leerlauf schalten sollte - ich tue das, weiß Gott, öfter als das ein einigermaßen angesehener Psychiater sollte. Es gibt Zeiten, da überwältigen uns die Dinge, und da ist es notwendig, daß wir aus dieser Verwirrung herauskommen, ehe wir etwas unternehmen. Tun Sie, worum ich Sie bitte, David. Ich melde mich, so schnell es geht, wieder bei Ihnen, höchstens in einer Stunde, denke ich. Und dann möchte ich, daß Sie ruhiger sind als jetzt.«

Es war wirklich verrückt, aber wie bei vielem, was Panov so ruhig und oft ganz beiläufig vorschlug, so war auch in diesen Worten viel Wahres. Webb ging den kalten, felsigen Strand hinunter und vergaß dabei keinen Augenblick lang, was geschehen war, aber ob es nun der Szenenwechsel war oder der Wind oder die endlosen, sich immer wiederholenden Geräusche des Meeres, jedenfalls registrierte er, daß sein Atem gleichmäßiger ging - immer noch so tief und so zitternd wie vorher, aber ohne Hysterie. Er sah auf die Uhr, das Leuchtzifferblatt, dem das Mondlicht zu Hilfe kam. Er war jetzt zweiunddreißig Minuten auf und ab gegangen; mehr konnte er nicht ertragen. Also kletterte er den schmalen Weg durch die grasbewachsenen Dünen wieder zur Straße hinauf und strebte seinem Haus zu, wobei er mit jedem Schritt schneller wurde.

Dann saß er vor seinem Schreibtisch, die Augen starr auf das Telefon gerichtet. Es klingelte; er nahm den Hörer ab, ehe der Ton verklungen war. »Mo?«

»Ja.«

»Dort draußen war es verdammt kalt. Ich danke Ihnen.«

»Ich danke Ihnen.«

»Was haben Sie in Erfahrung gebracht?«

Und dann fing der Alptraum an, sich auszuweiten.

»Seit wann ist Marie verschwunden, David?«

»Ich weiß nicht. Eine Stunde, zwei Stunden, vielleicht auch mehr. Warum ist das denn wichtig?«

»Könnte es sein, daß sie beim Einkaufen ist? Oder haben Sie sich vielleicht gestritten und sie wollte eine Weile für sich sein? Wir waren uns doch darüber einig, daß es für sie manchmal sehr schwierig ist - das haben Sie doch selbst gesagt.«

»Wovon, zum Teufel, reden Sie? Da war doch der Zettel! Blut, ein Handabdruck!«

»Ja, das haben Sie schon erwähnt, aber warum sollte jemand solche Spuren hinterlassen?«

»Woher soll ich das wissen! So ist es eben - sie haben es getan. Das ist doch alles hier!«

»Haben Sie die Polizei gerufen?«

»Du großer Gott, nein! Das ist doch nichts für die Polizei! Wir müssen uns darum kümmern, ich! Können Sie das nicht

verstehen? ... Was haben Sie herausgefunden? Warum reden Sie so?«

»Weil ich es muß. In allen Sitzungen, in all den Monaten, in denen wir miteinander geredet haben, haben wir einander immer die Wahrheit gesagt, denn Sie müssen ja schließlich die Wahrheit kennen!«

»Mo! Um Himmels willen, es geht um Marie!«

»Bitte, David, lassen Sie mich ausreden. Wenn die lügen -und das wäre nicht das erste Mal -, dann bringe ich das heraus, und dann werde ich sie bloßstellen. Ich könnte einfach nicht anders. Aber ich sage Ihnen jetzt genau, was die mir gesagt haben, was die Nummer zwei in der Fernost-Abteilung mir ganz klar gesagt hat und was mir der Chef der Sicherheitsabteilung des Außenministeriums vorgelesen hat. Er sagte, Sie hätten die Sicherheitsabteilung vor gut einer Woche angerufen und hätten sich in einem höchst erregten Zustand befunden.«

»Ich hätte sie angerufen?«

»Richtig, so hat er es mir dargestellt. Sie sollen behauptet haben, Sie hätten Drohungen erhalten; Ihre Redeweise war >unzusammenhängend< - so haben die das formuliert - und Sie hätten sofort Leibwächter verlangt. Weil Ihre Akte einen >Geheim<-Reiter trug, hat man Ihren Antrag nach oben weitergegeben und von dort die Anweisung bekommen, >Gebt ihm, was er will. Beruhigt ihn.<«

»Ich kann das einfach nicht glauben?«

»Ich bin noch nicht fertig, David. Hören Sie mir bis zum Schluß zu, ich höre Ihnen schließlich auch zu.«

»Okay. Weiter.«

»So ist's gut. Ganz ruhig. Kühl bleiben - nein, streichen Sie das Wort >kühl<.«

»Recht so.«

»Als die Sicherheitsbeamten eingetroffen waren, haben Sie laut Außenministerium noch zweimal angerufen und sich darüber beklagt, daß die Leibwächter ihre Arbeit nicht richtig machten. Sie sagten, sie würden in ihren Wagen vor Ihrem Haus trinken und über Sie lachen, wenn sie Sie zum Universitätsgelände begleiten - und jetzt zitiere ich wörtlich: >Die machen aus dem, was sie tun sollen, eine Farce.< Die Stelle habe ich mir unterstrichen.«

»Eine >Farce< ...?«

»Ganz ruhig, David. Jetzt kommt das Ende der Aufzeichnung. Sie haben ein letztes Mal angerufen und mit Nachdruck verlangt, man solle alle abziehen - daß Ihre Leibwächter Ihre Feinde seien, daß sie die Männer seien, die Sie töten wollten. Es läuft darauf hinaus, daß Sie diejenigen, die Sie zu schützen versuchten, in Ihre Feinde verwandelt hatten.«

»Und ich bin sicher, daß das ganz elegant in einen dieser beschissenen psychiatrischen Schlüsse paßt, wonach meine Ängste sich in Paranoia verwandelt - oder pervertiert - hätten.«

»Sehr elegant«, sagte Panov. »Zu elegant.«

»Und was hat die Nummer zwei in der Fernost-Abteilung Ihnen gesagt?«

Panov schwieg einen Augenblick. »Nicht das, was Sie hören wollen, David, aber er war in seiner Aussage sehr bestimmt. Man hat dort nie von einem Bankier oder einem sonstwie einflußreichen Taipan namens Yao Ming gehört. Er hat gesagt, so wie die Dinge heute in Hongkong liefen, würde er die Akte mit Sicherheit bis auf den letzten Buchstaben auswendig kennen, wenn es eine solche Person gäbe.«

»Meint er denn, ich hätte das alles erfunden? Den Namen, die Frau, die Drogenverbindung, die Orte, die Umstände - die britische Reaktion! Herrgott, ich könnte das alles doch gar nicht erfinden, selbst wenn ich es wollte!«

»Ja, einfach wäre das wohl nicht«, stimmte ihm der Psychiater mit leiser Stimme zu. »Dann hören Sie auch alles das, was ich Ihnen gerade gesagt habe, zum ersten Mal, und nichts davon ergibt einen Sinn. Es ist nicht so, wie Sie sich an die Dinge erinnern!«

»Mo, das alles ist eine Lüge! Ich habe niemals im Außenministerium angerufen. McAllister ist in unser Haus gekommen und hat uns beiden alles das gesagt, was ich Ihnen gesagt habe, darunter auch die Geschichte mit Yao Ming! Und jetzt ist sie verschwunden, und man hat mir eine Spur geliefert, der ich folgen kann. Warum? Was machen die mit uns?«

»Ich habe mich nach McAllister erkundigt«, sagte Panov, und sein Tonfall wirkte plötzlich verärgert. »Sein Stellvertreter hat bei der Terminabteilung nachgefragt und mich dann zurückgerufen. Die sagen, McAllister sei vor zwei Wochen nach Hongkong geflogen und könne daher nach seinem sehr präzisen Terminkalender gar nicht in Ihrem Haus in Maine gewesen sein.«

»Er war hier!«

»Ich denke, ich glaube Ihnen.«

»Was bedeutet das?«

»Unter anderem kann ich manchmal aus Ihrer Stimme heraushören, ob Sie die Wahrheit sagen. Außerdem gehört eine Formulierung wie >die machen aus dem, was sie tun sollen, eine Farce< im allgemeinen nicht zum Vokabular eines Psychotikers im Zustand höchster Erregung - jedenfalls ganz sicher nicht zu dem Ihren.«

»Jetzt komme ich nicht mehr mit.«

»Jemand hat gesehen, wo Sie arbeiten und womit Sie sich Ihren Lebensunterhalt verdienen, und dachte, er könne da durch entsprechende Formulierungen das Ganze glaubwürdiger klingen lassen.« Und dann explodierte Panov plötzlich. »Mein Gott, was machen die?«

»Die treiben mich in eine Startmaschine«, sagte Webb leise. »Sie versuchen, mich zu zwingen, irgend etwas zu unternehmen, was sie wollen.«

»Diese Schweine!«

»So etwas nennt man Rekrutierung.« David starrte die Wand an. »Halten Sie sich raus, Mo, Sie können da nichts tun. Die haben all ihre Figuren aufgestellt. Ich bin rekrutiert.« Er legte auf.

Benommen verließ Webb seinen kleinen Arbeitsraum. Im Flur blieb er stehen und sah sich die umgekippten Möbel und zerbrochenen Lampen an und das Porzellan und die Scherben im Wohnzimmer. Dann erinnerte er sich an Panovs Worte: »Warum sollte jemand solche Spuren hinterlassen?« Ohne genau zu wissen, wohin seine Schritte ihn führten, ging er auf die Haustür zu und öffnete sie. Er zwang sich, den Handabdruck in der oberen Türhälfte anzusehen; das eingetrocknete Blut bildete im Licht der Kutschenlampen einen stumpfen, dunklen Farbklecks. Dann trat er näher und sah sich die Spur genauer an.

Es war der Abdruck einer Hand, aber kein Handabdruck. Die Umrisse einer Hand waren zu sehen - die Handfläche, die ausgestreckten Finger -, aber da waren keine Unregelmäßigkeiten in dem blutigen Gebilde, keine individuellen Abdrücke, wie sie eine blutbeschmierte Hand, die gegen hartes Holz gepreßt wurde, hinterlassen hätte, keine zu identifizierenden Spuren - das Ganze war wie der farbige Schatten von einem Stück Glas. Ein Handschuh? Ein Gummihandschuh?

David wandte den Blick von der Blutspur ab und drehte sich langsam zu der Treppe um, die in der Mitte der Halle nach oben führte, und seine Gedanken wanderten stockend auf andere Worte zu, die ein anderer Mann ausgesprochen hatte. Ein seltsamer Mann mit einer hypnotisch klingenden Stimme.

Vielleicht sollten Sie die Fußnoten gründlicher ansehen ... vielleicht wird Ihnen alles klarer, wenn Sie sich helfen lassen -von einem Psychiater.

Und dann schrie Webb plötzlich, und der Schrecken überwältigte ihn, während er auf die Treppe zurannte und die Stufen hinaufhetzte zum Schlafzimmer, wo er das mit Maschine beschriebene Blatt auf dem Bett anstarrte. Von einer Angst erfüllt, die ihm übel machte, hob er das Blatt auf und trug es zum Schminktisch seiner Frau. Er knipste die Lampe an und studierte die Maschinenschrift im Licht.

Wenn das Herz in seiner Brust hätte bersten können, wäre es jetzt in Stücke geflogen; so studierte Jason Borowski das Blatt eiskalt.

Da waren die leicht verbogenen unregelmäßigen r's und die d's, deren Oberlängen etwa in der Mitte abbrachen. Diese Schweine! Die Nachricht war auf seiner eigenen Maschine getippt worden.

Rekrutierung.

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