Kapitel 18

Sie hatte keine andere Wahl. Sie war in die Enge getrieben, saß in der Falle. Marie schrie, und dann schrie sie wieder und wieder, und der chinesische Agent kam immer näher, und ihre hysterische Angst wuchs, als der Mann sie höflich, aber energisch am Arm packte. Sie erkannte ihn - er war einer von ihnen, einer von den Bürokraten! Ihre Schreie schwollen immer lauter an. Leute blieben auf der Straße stehen und drehten sich um. Ein paar Frauen stöhnten erschrocken auf und Männer traten zögernd auf sie zu, während andere sich verzweifelt nach der Polizei umsahen oder nach ihr riefen.

»Bitte, Mistreß!« rief der Asiate, bemüht, seine Stimme nicht zu laut werden zu lassen. »Es geschieht Ihnen nichts. Erlauben Sie, daß ich Sie zu meinem Wagen begleite. Es ist zu Ihrem eigenen Schutz.«

»Helfen Sie mir doch!« kreischte Marie, während die Passanten sich rings um sie sammelten. »Dieser Mann ist ein Dieb! Er hat meine Handtasche gestohlen, mein Geld! Jetzt versucht er, mir meinen Schmuck wegzunehmen!«

»Jetzt hören Sie mal, Mann!« schrie ein älterer Engländer, humpelte auf sie zu und hob den Spazierstock. »Ich habe jemanden nach der Polizei geschickt, aber bis die da sind, werde ich Sie, bei Gott, selbst verprügeln!«

»Bitte, Sir«, beharrte der Mann von MI-6 mit leiser Stimme. »Das ist Angelegenheit der Behörden, und ich gehöre zu den Behörden. Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen meinen Ausweis zeige.«

»Ganz ruhig, Kumpel!« brüllte eine Stimme, der man den Australier anhörte, und ein Mann sprang vor und schob den alten Engländer sacht beiseite. »Sie haben Mumm, alter Knacker, aber sparen Sie sich die Mühe! Mit diesen Gangstern wird ein Jüngerer besser fertig.« Jetzt stand der breitschultrige Australier vor dem chinesischen Agenten. »Nehmen Sie die Pfoten von der Dame, und zwar ein bißchen fix, wenn's recht ist.«

»Bitte, Sir, hier liegt ein Mißverständnis vor. Die Dame ist in Gefahr, und die Behörden möchten sie verhören.«

»Ich seh aber keine Uniform!«

»Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen meine Papiere zeige.«

»Genau das hat er vor einer Stunde auch gesagt, als er mich an der Garden Road angriff«, schrie Marie hysterisch. »Da wollten mir die Leute auch helfen! Er hat alle angelogen! Und dann hat er mir die Handtasche gestohlen! Er hat mich verfolgt!« Marie wußte, daß nichts von dem, was sie hinausschrie, einen Sinn ergab. Sie konnte nur auf die Verwirrung hoffen, so wie Jason es sie gelehrt hatte.

»Ich sag's nicht noch mal, Kumpel«, schrie der Australier und trat einen weiteren Schritt vor. »Sie sollen Ihre Pfoten von der Lady nehmen!«

»Bitte, Sir, das geht nicht. Es sind bereits andere Beamte unterwegs.«

»Oh, sind sie das, wie? Ihr Gangster arbeitet in Banden, wie? Na, wenn die herkommen, werden sie Sie nicht mehr wieder erkennen!« Der Australier packte den Asiaten an der Schulter und riß ihn nach links herum, aber als der Mann von MI-6 sich um die eigene Achse drehte, fuhr sein rechter Fuß -mit ausgestreckter Schuhspitze, wie ein Messer - herum und bohrte sich dem Australier in den Leib. Der barmherzige Samariter aus dem fünften Erdteil klappte zusammen und fel auf die Knie.

»Ich bitte Sie noch einmal, Sir, behindern Sie mich nicht!«

»So, das bittest du mich also! Du schlitzäugiges Arschloch!« Der wütende Australier sprang auf, warf sich auf den Asiaten, und seine Fäuste trommelten auf den Mann von MI-6 ein. Die Menge brüllte Beifall - und plötzlich war Maries Arm frei. Dann mischten sich andere Geräusche in den Lärm. Sirenen, drei heranrasende Autos, darunter ein Notarztwagen. Jetzt kamen sie alle drei mit quietschenden Reifen zum Stillstand.

Marie bahnte sich ihren Weg durch die Menge, jetzt hatte sie das Pflaster erreicht, rannte auf die rote Tafel zu, die noch einen halben Häuserblock von ihr entfernt war. Die Schuhe waren ihr von den Füßen gefallen; die angeschwollenen, aufgerissenen Blasen brannten und schmerzten höllisch, aber jetzt war nicht die Zeit, an Schmerz zu denken. Sie mußte rennen, rennen, entkommen! Und dann übertönte die dröhnende Stimme den Lärm der Straße, und sie sah vor ihrem geistigen Auge das Bild eines hünenhaften Mannes. Das war der riesige Chinese, den sie den Major nannten.

»Mrs. Webb! Mrs. Webb, ich flehe Sie an! Bleiben Sie stehen! Wir wollen Ihnen nichts zuleide tun! Man wird Ihnen alles erklären! Aber bleiben Sie um Gottes willen stehen!«

Lauter Lügen, dachte Marie, Lügen würden sie ihr auftischen und noch mehr Lügen! Plötzlich rannten Leute auf sie zu. Was machten die? Warum ...? Und dann rasten sie an ihr vorbei, größtenteils Männer, aber nicht nur Männer, und sie begriff. Auf der Straße war Panik ausgebrochen - vielleicht ein Unfall, Verletzte, Tote. Das wollen wir sehen. Zusehen! Aus der Ferne natürlich.

Gelegenheiten werden sich anbieten. Du mußt sie erkennen, sie nutzen.

Und Marie fuhr plötzlich herum, duckte sich, bahnte sich ihren Weg durch die immer noch bewegte Menge auf den Randstein zu, blieb so geduckt wie möglich und rannte zu der Stelle zurück, wo man sie fast wieder eingefangen hätte. Dabei sah sie sich die ganze Zeit nach links um - beobachtete, hoffte. Und dann sah sie ihn. Inmitten der Laufenden! Der hünenhafte Major rannte vorbei, rannte in die entgegengesetzte Richtung; und bei ihm war ein zweiter Mann, ein zweiter gut gekleideter Mann, noch ein Bürokrat.

Die Menge war vorsichtig, so wie Menschenmassen das immer sind, schob sich nach vorne, aber nicht weit genug, um sich einmischen zu müssen. Was sie sahen, war für die chinesischen Zuschauer und für die Bewunderer der Kampfkünste Asiens alles andere als schmeichelhaft. Der breitschultrige, mutige Australier wehrte sich gleichzeitig gegen drei Angreifer. Die Flüche, die er dabei ausstieß, waren in ihrer Obszönität schon beinahe Kunstwerke. Plötzlich packte sich der Australier zum Erstaunen aller einen seiner Widersacher und stieß einen Schrei aus, dessen Stimmgewalt der des chinesischen Majors in nichts nachstand.

»Herrgott! Wollt ihr jetzt aufhören, ihr Spinner? Ihr seid keine Diebe, soviel versteh sogar ich! Die hat uns beide reingelegt!«

Marie rannte quer über die breite Straße zum Eingang des Botanischen Gartens. Unter einem Baum am Tor blieb sie stehen. Von hier aus konnte sie zu Mings Parkhaus hinübersehen. Der Major war an der Garage vorbeigeeilt und an ein paar Seitengassen kurz stehengeblieben, die von Arbuthnot Road abgingen, hatte seine Untergebenen in einige der Gassen geschickt und sich dabei die ganze Zeit nach seinen Helfern umgesehen. Aber mit denen war nichts anzufangen; das konnte Marie selbst sehen, während die Menge sich langsam zerstreute.

Alle drei atmeten schwer und lehnten an dem Notarztwagen, zu dem der Australier sie geführt hatte.

Ein Taxi fuhr bei Ming's vor. Zuerst stieg niemand aus, dann verließ der Fahrer den Wagen. Er ging in die offene Garage hinein und sprach mit jemandem hinter einer Glasscheibe. Dann verbeugte er sich dankend, kehrte zu seinem Wagen zurück und sagte etwas zu seinem Fahrgast. Der öffnete vorsichtig die Tür und stieg dann aus. Es war Catherine! Jetzt ging sie in die Garage hinein, viel schneller als der Fahrer, und redete auf den Mann hinter der Glasscheibe ein, schüttelte den Kopf und ließ damit erkennen, daß man ihr etwas gesagt hatte, was sie nicht hören wollte.

Plötzlich tauchte Wenzu auf, offensichtlich verärgert, daß seine Leute ihm nicht folgten. Jetzt war er im Begriff, an der Garage vorbeizugehen; er würde Catherine sehen!

»Carlos!« schrie Marie, die jetzt das Schlimmste annahm und wußte, daß seine Reaktion ihr alles sagen würde. »Delta!«

Der Major wirbelte herum, die Augen erschrocken aufgerissen. Marie rannte in den Botanischen Garten hinein; das war der Schlüssel! Kain ist für Delta und Carlos wird von Kain umgebracht werden ... oder wie auch immer die Codes lauteten, die in Paris verbreitet worden waren! Die mißbrauchten David wieder! Das war jetzt mehr als nur eine Wahrscheinlichkeit, das war die Realität! Sie - die Regierung der Vereinigten Staaten -schickte ihren Mann aus, um wieder die Rolle zu spielen, die ihn fast umgebracht hätte, die fast dazu geführt hätte, daß seine eigenen Leute ihn umbrachten! Was für Schweine waren das? ... Oder umgekehrt, was für ein Zweck heiligte solche Mittel, daß eine Regierung sie einsetzte?

Sie wußte jetzt mehr denn je, daß sie David finden mußte. Ihn finden, ehe er Risiken einging, die andere hätten auf sich nehmen müssen! Er hatte so viel gegeben, und jetzt verlangten sie noch mehr, verlangten dies auf die grausamste Weise, die man sich vorstellen konnte. Aber um ihn zu finden, mußte sie Catherine erreichen, die nicht mehr als hundert Meter von ihr entfernt war. Sie mußte den Feind weglocken und die Straße überqueren, ohne daß der Feind sie sah. Jason, was kann ich tun?

Sie verbarg sich hinter einem Gebüsch, zwängte sich noch tiefer hinein, während der Major durch das Eingangstor des Gartens rannte. Der hünenhafte Chinese blieb stehen und sah sich mit seinem durchdringenden Blick um, drehte sich dann um und rief nach seinem Helfer, der offenbar aus einer Seitengasse auf die Arbuthnot Road gekommen war. Der zweite Mann hatte Schwierigkeiten, die Straße zu überqueren; der Verkehr, den der Notarztwagen und die zwei weiteren Fahrzeuge behinderten, war langsamer geworden. Und dann wurde der Major plötzlich wütend, als er begriff, worauf die Verkehrsstockung zurückzuführen war.

»Diese Idioten sollen doch die Wagen wegschaffen!« brüllte er. »Schickt sie hier herüber ... Nein! Schickt einen zu dem Tor an der Albany Road. Die anderen hierher. Schnell!«

Immer mehr Passanten füllten jetzt die Straßen. Männer lockerten die Krawatten, die sie den ganzen Tag in ihren Büros getragen hatten, während die Frauen ihre hochhackigen Schuhe in der Tasche verstauten und sie durch Sandalen ersetzten. Männer schlössen sich ihren Frauen an, die mit Kinderwagen auf sie warteten; Liebespaare umarmten sich und schlenderten Arm in Arm zwischen der Blumenpracht dahin. Kinderlachen hallte durch die Gärten - und der Major behielt seinen Posten am Eingang. Marie schluckte; die Panik, die sie erfaßt hatte, wuchs. Der Notarztwagen und die zwei Streifenwagen setzten sich jetzt in Bewegung; der Verkehrsfluß normalisierte sich wieder.

Ein Knall! In der Nähe des Notarztwagens hatte ein ungeduldiger Fahrer den Wagen vor sich gerammt. Jetzt konnte der Major nicht mehr anders; ein Unfall so nahe bei seinem Dienstwagen zwang ihn vorzutreten, offenbar um sich zu vergewissern, ob seine Leute in den Vorfall verwickelt waren. Gelegenheiten werden sich anbieten ... nutze sie. Jetzt!

Marie rannte um das Gebüsch herum und eilte quer über das Gras, schloß sich vier Leuten an, die auf dem kiesbelegten Weg den Garten verließen. Sie blickte nach rechts, hatte Angst vor dem, was sie sehen würde, wußte aber gleichzeitig, daß sie keine andere Wahl hatte. Und dann sah sie sich in ihren schlimmsten Ängsten bestätigt; der hünenhafte Major hatte die Frauengestalt hinter sich geahnt - oder gesehen. Er hielt einen Augenblick lang unsicher inne und setzte sich dann mit langen Schritten, auf das Tor zu, in Bewegung.

Eine Hupe ertönte; vier kurze, schnelle Huptöne. Das war Catherine, sie winkte ihr durch das offene Fenster ihres kleinen japanischen Wagens zu, während Marie auf die Straße hinausrannte.

»Steig ein!« schrie Catherine.

»Er hat mich gesehe n!«

»Schnell!«

Marie sprang auf den Vordersitz, während Catherine bereits Gas gab und aus der Fahrzeugschlange ausscherte, halb auf den Bürgersteig rollte und sich dann in entgegengesetzter Richtung in den Verkehr einreihte. Sie bog in eine Seitenstraße und fuhr schnell bis zur nächsten Kreuzung, wo eine Tafel mit einem roten Pfeil nach rechts wies. Central. Business District. Catherine bog nach rechts ab.

»Catherine!« schrie Marie. »Er hat mich gesehen!«

»Schlimmer noch«, sagte Catherine. »Er hat den Wagen gesehen.«

»Ein zweitüriger grüner Mitsubishi!« schrie Wenzu in das tragbare Funkgerät. »Zulassungsnummer AOR-Fünf, drei, fünf, null - die Null könnte auch eine Sechs sein, aber das glaube ich nicht. Aber das macht nichts, die ersten drei Buchstaben reichen. Ich möchte, daß das an alle Stationen durchgegeben wird, Noteinsatz, über Polizeifunk! Fahrer und Beifahrer sind festzunehmen, und keine Gespräche mit beiden. Das ist eine Angelegenheit der Regierung. Und es sollen keinerlei Erklärungen abgegeben werden. Kümmern Sie sich darum! Sofort!«

Catherine Staples bog in ein Parkhaus an der Ice House Street. Einen knappen Häuserblock entfernt konnte man die rote Leuchtschrift des Mandarin-Hotels erkennen. »Wir mieten einen Wagen«, sagte Catherine, während sie ihr Ticket von dem Mann hinter dem Schalter entgegennahm. »Ich kenne ein paar Pagen im Hotel.«

»Wir parken? Sie parken?« Der grinsende Angestellte hoffte auf ersteres.

»Sie parken«, erwiderte Staples und zog ein paar HongkongDollar aus der Handtasche. »Gehen wir«, sagte sie zu Marie gewandt. »Und halte dich rechts von mir, im Schatten, dicht an den Gebäuden. Was machen deine Füße?«

»Dazu will ich lieber nichts sagen.«

»Dann laß es. Wir können jetzt ohnehin nichts machen. Kopf hoch, altes Mädchen.«

»Catherine, hör auf, wie C. Aubrey Smith zu reden.«

»Wer ist das denn?«

»Vergiß es. Ich mag alte Filme. Gehen wir.«

Die beiden Frauen gingen die Straße hinunter, Marie humpelnd, bis sie einen Seiteneingang des Mandarin erreicht hatten. Sie stiegen die Hoteltreppe hinauf und gingen hinein. »Rechts ist eine Damentoilette, hinter den Geschäften«, sagte Catherine.

»Ich sehe das Schild.«

»Warte dort auf mich. Ich komme, sobald ich alles geregelt habe.«

»Gibt es hier eine Drogerie?«

»Ich möchte nicht, daß man dich hier sieht. Deine Beschreibung ist inzwischen sicher schon überall.«

»Das verstehe ich, aber kannst du dich sehen lassen? Ich brauche ein paar Kleinigkeiten.«

»Deine Tage?«

»Nein, meine Füße! Vaseline, Hautcreme, Sandalen - nein, keine Sandalen, Gummilatschen vielleicht, und Superoxid.«

»Ich will sehen, was sich machen läßt, aber alles kommt jetzt auf Schnelligkeit an.«

»So war das schon das ganze letzte Jahr. Eine schreckliche Tretmühle. Wird das je aufhören, Catherine?«

»Ich werd mir verdammte Mühe geben. Ich mag dich, und außerdem bist du eine Landsmännin, meine Liebe. Und ich bin eine sehr zornige Frau. Und weil wir schon von Frauen reden -wie viele Frauen hast du eigentlich in den heiligen Hallen der CIA oder bei diesen Idioten vom Außenministerium in den Consular Operations gesehen?«

Marie blinzelte, versuchte sich zu erinnern. »Eigentlich gar keine.«

»Scheiß auf die Schweine!«

»In Paris war eine Frau -«

»Eine gibt's immer, meine Liebe. Geh jetzt auf die Toilette.«

»Ein Auto ist in Hongkong immer ein Klotz am Bein«, sagte Wenzu und sah auf die Uhr an der Wand seines Büros im Hauptquartier von MI-6. Es war 18.34 Uhr. »Wir müssen daher davon ausgehen, daß sie Webbs Frau ein Stück wegbringt und sie versteckt, weil sie ganz bestimmt nicht das Risiko eingeht, daß ein Taxifahrer sie erkennt. Der Acht-Uhr-Termin ist aufgehoben, die Jagd beginnt jetzt. Wir müssen sie in unsere Gewalt bekommen. Ist da noch irgend etwas, woran wir nicht gedacht haben?«

»Wir könnten den Australier einlochen«, meinte der kleinwüchsige, gut gekleidete Mitarbeiter Wenzus. »In der Ummauerten Stadt haben wir auch etliches einstecken müssen, aber er hat uns in aller Öffentlichkeit blamiert. Wir wissen, wo er abgestiegen ist. Wir könnten ihn uns schnappen.«

»Unter welcher Anklage?«

»Behinderung der Staatsgewalt.«

»Und was würde das bringen?«

Der Untergebene zuckte wütend die Achseln. »Befriedigung, sonst nichts.«

»Sie haben sich Ihre Frage gerade selbst beantwortet. Ihr Stolz ist ohne Belang. Halten Sie sich an die Frau - die Frauen.«

»Sie haben natürlich recht.«

»Die Polizei hat doch alle Garagen und alle Mietwagenagenturen hier auf der Insel und in Kowloon verständigt, ist das richtig?«

»Ja, Sir. Aber ich muß darauf hinweisen, daß die Staples sich leicht an einen ihrer Freunde - ihrer kanadischen Freunde -wenden könnte, und dann hätte sie einen Wagen, den wir nicht ausfindig machen können.«

»Wir kümmern uns nur um das, was wir kontrollieren können. Außerdem würde ich nach allem, was ich weiß und was ich über die Staples in Erfahrung gebracht habe, sagen, daß sie auf eigene Faust handelt, jedenfalls nicht offiziell sanktioniert. Für den Augenblick wird die sonst niemanden hineinziehen.«

»Wie können Sie das so sicher wissen?«

Wenzu sah seinen Mitarbeiter an; er mußte seine Worte sorgfältig wählen. »Reine Vermutung.«

»Ihre Vermutungen stehen in dem Ruf, genau zuzutreffen.«

»Das ist übertrieben. Ich habe nur den gesunden Menschenverstand auf meiner Seite.« Das Telefon klingelte. Die Hand des Majors schoß vor. »Ja?«

»Polizeizentrale vier«, dröhnte eine Männerstimme.

»Vielen Dank für Ihre Unterstützung, Zentrale vier.«

»Ein Parkhaus Ming hat auf unsere Anfrage reagiert. Für den Mitsubishi AOR ist dort ein Stellplatz gemietet. Name des Besitzers ist Staples. Catherine Staples, eine Kanadierin. Der Wagen ist vor ungefähr fünfunddreißig Minuten abgeholt worden.«

»Das ist sehr hilfreich, Zentrale vier«, sagte Lin. »Danke.« Er legte auf und warf seinem besorgten Mitarbeiter einen Blick zu. »Wir haben jetzt drei weitere Informationen. Zuerst einmal, daß die Anfrage, die wir über Polizeikanäle durchgegeben haben, auch wirklich weitergeleitet worden ist. Zweitens, daß wenigstens eine Garage die Information aufgenommen hat, und drittens, daß Mrs. Staples einen Parkplatz gemietet hat.«

»Immerhin ein Anfang, Sir.«

»Es gibt drei große und wahrscheinlich ein Dutzend kleinere Mietwagenagenturen, ohne die Hotels mitzuzählen, um die wir uns separat kümmern. Damit läßt sich leben - aber die Garagen haben wir natürlich nicht im Griff.«

»Warum nicht?« fragte der Untergebene. »Im schlimmsten Fall gibt es vielleicht hundert. Wer würde schon in Hongkong eine Garage bauen, wo er genausogut ein Dutzend Geschäfte unterbringen kann? In der Polizeizentrale sitzen mindestens zwanzig Telefonisten. Sie können bei allen anrufen.«

»An der Zahl liegt es nicht, alter Freund. Es liegt an der Mentalität der Angestellten, denn das, was sie tun, ist nicht gerade ein angenehmer Job. Diejenigen von ihnen, die lesen und schreiben können, sind zu faul und zu feindselig, um sich die

Mühe zu machen, und die, die es nicht können, scheuen jede Verbindung zur Polizei.«

»Eine Garage hat sich gemeldet.«

»Ein echter Kantonese. Das war der Inhaber.«

»Das muß der Besitzer erfahren!« schrie der Parkboy in schrillem Chinesisch dem Mann hinter dem Schalter am Parkhaus an der Ice House Street zu.

»Warum?«

»Ich hab dir's doch erklärt! Aufgeschrieben habe ich es für dich -«

»Bloß weil du zur Schule gehst und ein wenig besser schreiben kannst als ich, bist du hier noch lange nicht der große Boß.«

»Du kannst überhaupt nicht schreiben! Eine Scheißangst hast du gehabt! Mich hast du gerufen, als der Mann am Telefon >Polizei< gesagt hat. Ihr Analphabeten rennt immer vor der Polizei weg. Das war der Wagen, der grüne Mitsubishi, den ich in der zweiten Etage geparkt habe! Wenn du die Polizei nicht anrufen willst, mußt du es dem Chef sagen.«

»Es gibt Dinge, die sie euch auf der Schule nicht beibringen, du Knabe mit dem kleinen Organ.«

»Die bringen uns bei, uns nicht gegen die Polizei zu stellen. Das bringt Unglück.«

»Ich werde die Polizei anrufen - oder noch besser, du kannst ja den Helden spielen.«

»Gut!«

»Nachdem die zwei Frauen zurückgekehrt sind und ich mich mit der Fahrerin kurz unterhalten habe.«

»Was?«

»Sie hat gedacht, sie würde mir - uns - zwei Dollar geben, aber es waren elf. Einer der Scheine war eine Zehn-Dollar-Note. Sie war sehr nervös, aufgeregt. Sie hat Angst, sie hat nicht auf ihr Geld aufgepaßt.«

»Du hast aber doch gesagt, es wären zwei Dollar.«

»Und jetzt bin ich ehrlich. Wäre ich das, wenn ich nicht auch deine Interessen im Sinn hätte?«

»In welcher Hinsicht?«

»Ich werde dieser reichen, verängstigten Amerikanerin - sie hat amerikanisch gesprochen - sagen, daß du und ich die Polizei ihr zuliebe nicht angerufen haben. Sie wird uns sofort belohnen -sehr, sehr großzügig -, weil sie begreifen wird, daß sie sonst ihren Wagen nicht zurückbekommt. Du kannst mich ja von dem anderen Telefon aus hinten in der Garage beobachten. Nachdem sie bezahlt hat, werde ich einen anderen Boy nach dem Wagen schicken, und das wird ihm große Mühe bereiten, weil ich ihm den falschen Platz angebe, und inzwischen wirst du die Polizei anrufen. Dann wird die Polizei eintreffen, wir werden unsere Pflicht getan und so viel Geld verdient haben, wie nur selten in diesem jämmerlichen Job.«

Der Parkboy kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. »Du hast recht«, sagte er. »So etwas bringen sie uns in der Schule nicht bei. Und ich habe ja wohl keine andere Wahl.«

»O doch«, sagte der Mann hinter dem Schalterfenster und zog ein langes Messer aus dem Gürtel. »Du kannst nein sagen, dann schneid ich dir nämlich die geschwätzige Zunge ab.«

Catherine ging auf den Tresen des Concierge in der Halle des Mandarin zu und ärgerte sich, daß sie keinen der zwei Angestellten hinter der Theke kannte. Sie war auf eine Gefälligkeit angewiesen, und in Hongkong bedeutete das, daß man jemanden brauchte, den man kannte. Und dann entdeckte sie zu ihrer großen Erleichterung den Portier der Abendschicht.

Er stand in der Halle und versuchte, eine erregte Frau zu besänftigen. Sie trat nach rechts und wartete, hoffte, Lee Tengs Blick aufzufangen. Sie hatte sich Teng warm gehalten und viele Kanadier zu ihm geschickt, wenn es Unterbringungsschwierigkeiten gab. Er war immer reichlich dafür bezahlt worden.

»Ja, kann ich Ihnen behilflich sein, Madam?« fragte der junge chinesische Angestellte und trat auf Catherine zu.

»Ich möchte auf Mr. Teng warten, wenn es Ihnen recht ist.«

»Mr. Teng ist sehr beschäftigt, Mrs. Sehr schlechte Zeit für Mr. Teng. Sind Sie Gast im Mandarin, Mrs.?«

»Ich wohne hier im Territorium und bin mit Mr. Teng befreundet. Wann immer es möglich ist, bringe ich meine Gäste hierher.«

»Oh ...?« Der Angestellte registrierte Catherines untouristischen Status. Er beugte sich vor und sagte mit vertraulich leiser Stimme: »Lee Teng hat heute abend schrecklichen Ärger. Die Dame nimmt an dem großen Ball im Government House teil, aber ihre Kleider sind in Bangkok. Sie muß glauben, Mr. Teng hätte Flügel unter dem Jackett und Düsenmotoren unter den Achseln, ja?«

»Eine interessante Theorie. Die Dame ist gerade angekommen?«

»Ja, Mrs. Aber sie hat viele Gepäckstücke. Das eine, das ihr jetzt fehlt, hat sie nicht vermißt. Zuerst hat sie ihrem Mann die Schuld gegeben und jetzt Lee Teng.«

»Wo ist ihr Mann?«

»In der Bar. Er hat angeboten, die nächste Maschine nach Bangkok zu nehmen, aber seine Freundlichkeit hat seine Frau nur noch zorniger gemacht. Er hat es abgelehnt, die Bar zu verlassen, und ich bin sicher, daß er in seinem jetzigen Zustand keine Freude mehr an dem Ball im Government House haben wird. Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein, während Mr. Teng sich bemüht, alle zu beruhigen.«

»Ich möchte einen Wagen mieten und brauche ihn schnell.«

»Aiya«, sagte der Angestellte. »Es ist sieben Uhr abends, und die meisten Mietagenturen sind geschlossen.«

»Ich bin sicher, daß es Ausnahmen gibt.«

»Vielleicht ein Hotelwagen mit einem Chauffeur?«

»Nur wenn sonst gar nichts anderes geht. Wie ich schon erwähnte, ich bin kein Hotelgast und bestehe auch nicht aus lauter Geld.«

>»Wer unter uns?<« fragte der Angestellte. »Wie es in dem guten Buch der Christen steht, irgendwo, glaube ich.«

»Das klingt richtig«, pflichtete Catherine ihm bei. »Bitte telefonieren Sie und tun Sie Ihr Bestes.«

Der junge Mann griff unter die Theke und zog eine in Plastik gebundene Liste der Mietwagenagenturen heraus. Er ging an ein Telefon, das ein paar Schritte rechts von ihm angebracht war, nahm den Hörer ab und fing zu wählen an. Catherine sah zu Lee Teng hinüber; er hatte unterdessen die erregte Dame aus der Mitte der Halle herausmanövriert, zu einer Miniaturpalme an der Wand, um zu verhindern, daß sie die anderen Gäste beunruhigte, die in der prunkvoll ausgestatteten Halle saßen, ihre Freunde begrüßten und Cocktails bestellten. Er sprach schnell und leise auf sie ein und schaffte es, wie Catherine feststellte, tatsächlich, sie zum Zuhören zu bringen. Wie berechtigt ihre Beschwerde auch sein mochte, dachte Catherine, die Frau war unmöglich. Sie trug eine Chinchillastola, und das in so ziemlich dem schlimmsten Klima, das es auf der ganzen Welt für so empfindlichen Pelz gab. Nicht daß sie selbst, Catherine Staples, je ein solches Problem gehabt hätte. So weit wäre es höchstens gekommen, wenn sie den auswärtigen Dienst aufgegeben hätte und bei Owen Staples geblieben wäre. Diesem Scheißkerl gehörten jetzt wenigstens vier Banken in Toronto. Eigentlich gar kein so übler Typ, und um ihre Schuldgefühle noch zu verstärken, hatte Owen auch nicht wieder geheiratet. Das ist nicht fair, Owen! Vor drei Jahren war sie ihm über den Weg gelaufen, nach ihrem Einsatz in Europa, während der Konferenz in Toronto, die die Briten organisiert hatten. Sie hatten im Mayfair-Club im King-Edward-Hotel ein paar Drinks genommen.

»Jetzt komm schon, Owen - bei deinem Aussehen, deinem Geld! - und dein gutes Aussehen hattest du schon, ehe du Geld hattest. Warum also nicht? Schließlich gibt's doch im Umkreis von fünf Häuserblocks tausend schöne Mädchen, die sich nach dir die Finger ablecken würden.«

»Einmal hat mir gereicht, Cathy. Das hast du mir beigebracht.«

»Ich weiß nicht, aber ich komme mir jetzt so richtig - oh, ich weiß wirklich nicht - irgendwie schuldig vor. Ich hab dich verlassen, Owen, aber nicht, weil ich dich nicht gemocht hätte.«

»>Gemocht< hast du mich?«

»Du weißt schon, was ich meine.«

»Ja, ich glaube schon.« Owen hatte gelacht. »Du hast mich schon aus den richtigen Gründen verlassen, und ich hab das auch ohne Groll hingenommen, aus ähnlichen Gründen. Wenn du noch fünf Minuten gewartet hättest, dann hätte ich dich wahrscheinlich hinausgeworfen. In dem Monat hatte ich die Miete bezahlt.«

»Du Schweinehund!«

»Ganz und gar nicht, wir haben uns beide nichts vorzuwerfen. Du hattest deinen Ehrgeiz und ich den meinen. Und das paßte einfach nicht zusammen.«

»Das erklärt aber noch lange nicht, warum du nicht wieder geheiratet hast.«

»Das habe ich dir doch gerade gesagt. Das habe ich von dir gelernt, meine Liebe.«

»Was hast du von mir gelernt? Daß der Ehrgeiz eines Menschen sich nie mit dem eines anderen vereinbaren läßt?«

»In so extremen Fällen wie bei uns, ja. Schau mal, ich habe gelernt, daß ich mich für niemanden auf Dauer interessieren konnte, der nicht das hatte, was du wahrscheinlich als leidenschaftlichen >Antrieb< bezeichnen würdest, daß ich aber nicht Tag für Tag mit einem solchen Menschen leben konnte. Und diejenigen, die keinen solchen Ehrgeiz besaßen, waren einfach in irgendeiner Beziehung leer. Nichts Dauerhaftes.«

»Aber was ist mit einer Familie? Kinder?«

»Ich habe zwei Kinder«, hatte Owen leise gesagt, »Kinder, die ich ungeheuer - mag. Ich liebe sie sehr, und ihre sehr ehrgeizigen Mütter sind schrecklich nett gewesen. Selbst die Männer, die sie später geheiratet haben, waren sehr verständnisvoll. Ich habe meine Kinder immer wieder gesehen, während sie heranwuchsen. Also hatte ich in gewissem Sinne drei Familien. Ganz zivilisiert, wenn auch manchmal etwas verwirrend.«

»Du? Das Urbild des konservativen Bankiers! Der Mann, von dem man sagte, daß er selbst zum Duschen das Nachthemd nicht auszieht! Ein Stützpfeiler der Kirche!«

»Das habe ich aufgegeben, als du mich verlassen hast. Außerdem war das nur Masche. Diplomatie, wenn du willst. Das machst du doch jeden Tag.«

»Owen, das hast du mir aber nie gesagt.«

»Du hast mich auch nicht gefragt, Cathy. Du hattest deinen Ehrgeiz und ich den meinen. Aber ich will dir sagen, was mir wirklich leid tut, wenn du das hören willst.«

»Ja.«

»Es tut mir aufrichtig leid, daß wir nie ein Kind hatten. Nach den beiden zu schließen, die ich habe, wäre es ein großartiges Kind geworden.«

»Du Schweinehund, jetzt fang ich gleich zu heulen an.«

»Bitte nicht. Laß uns ehrlich sein, keinem von uns beiden braucht es wirklich leid zu tun.«

Catherine wurde plötzlich aus ihren Träumen gerissen. Der Angestellte hatte den Telefonhörer aufgelegt und stützte sich jetzt mit beiden Händen triumphierend auf die Theke. »Sie haben Glück, Mrs.!« schrie er. »Der Disponent in der ApexAgentur am Bonham Strand East war noch da und hat noch Fahrzeuge, aber keinen, der eines hierherbringt.«

»Ich nehme ein Taxi. Schreiben Sie mir die Adresse auf.« Catherine sah sich nach der Hoteldrogerie um. In der Halle waren zu viele Leute, zuviel Durcheinander. »Wo kann ich etwas Hautcreme kaufen oder Vaseline; Sandalen oder Gummischlappen?« fragte sie, wieder dem Angestellten zugewandt.

»Dort hinten rechts ist ein Zeitungsstand, Mrs. Dort gibt es das, was Sie brauchen. Aber kann ich bitte Geld haben, Sie müssen dem Disponenten von Apex eine Quittung zeigen. Ich bekomme tausend Hongkong-Dollar, den Rest bekommen Sie zurück oder müssen draufzahlen -«

»So viel habe ich nicht bei mir. Ich muß meine Kreditkarte benutzen.«

»Um so besser.«

Catherine klappte ihre Handtasche auf und holte eine Kreditkarte aus einer Innentasche. »Ich bin gleich wieder da«, sagte sie, legte die Karte auf die Theke und machte sich auf den Weg zum Zeitungsstand. Ohne besonderen Grund sah sie zu Lee Teng und seiner erregten Lady hinüber, um leicht amüsiert festzustellen, daß die Dame in dem albernen Pelz jetzt dankbar nickte, während Teng auf die Ladenarkade wies, die man über eine Treppe erreichen konnte. Lee Teng war ein echter Diplomat. Ohne Zweifel hatte er der verzweifelten Frau erklärt, sie habe eine Chance, die sowohl ihren Bedürfnissen gerecht werden als auch ihrem verständnislosen Ehemann einen Schlag auf den finanziellen Solarplexus versetzen würde. Schließlich sei dies Hongkong, wo es alles zu kaufen gab, und für den richtigen Betrag auch rechtzeitig für den großen Ball im Government House. Catherine setzte ihren Weg fort.

»Catherine!« Der Name klang so scharf, daß sie erstarrte. »Bitte, Mrs. Catherinel«

Staples drehte sich halb erstarrt um. Es war Lee Teng, der sich von der Frau gelöst hatte. »Was ist denn?« fragte sie etwas verängstigt, während Lee Teng auf sie zukam. Er blickte besorgt, und an seinem bereits recht weit nach hinten gerutschten Haaransatz waren Schweißperlen zu erkennen.

»Ich habe Sie eben erst gesehen. Ich hatte ein Problem.«

»Ich weiß schon.«

»Und Sie haben auch eines, Catherine.«

»Wie bitte?«

Teng warf einen Blick zu der Empfangstheke hinüber, eigenartigerweise aber nicht auf den jungen Mann, der ihr behilflich gewesen war, sondern auf den anderen Angestellten, der am entgegengesetzten Ende stand. Der Mann war ganz alleine, hatte keine Gäste vor sich, musterte aber seinen Kollegen. »Verdammtes Pech!« rief Teng halblaut aus.

»Wovon reden Sie?« fragte Staples.

»Kommen Sie mit«, sagte der Concierge Nummer eins der Nachtschicht und zog Catherine beiseite, an eine Stelle, wo man sie von der Theke aus nicht sehen konnte. Er griff in die Tasche und nahm einen Computerausdruck heraus. »Von oben sind davon vier Kopien heruntergekommen. Drei davon habe ich an mich genommen, aber die vierte liegt unter der Theke.«

Notfall. Regierungskontrolle. Eine Kanadierin, die den Namen Mrs. Catherine Staples trägt, könnte versuchen, für persönliche Zwecke ein Automobil zu mieten. Sie ist siebenundfünfzig Jahre alt, mittelgroß, mit grauen Strähnen im Haar, schlanke Gestalt. Mietvorgang behindern und Polizeizentrale vier verständigen.

Lin hatte einen Schluß gezogen, der auf einer Beobachtung beruhte, dachte Catherine. Der Major wußte, daß jeder, der freiwillig in Hongkong einen Wagen steuerte, entweder verrückt war oder einen besonderen Grund dafür hatte. Der Mann handelte schnell und entschlossen. »Der junge Mann hat mir gerade am Bonham Strand East einen Wagen besorgt. Offensichtlich hat er das hier nicht gelesen.«

»Um die Zeit hat er für Sie einen Mietwagen ausfindig gemacht?«

»Er schreibt gerade die Rechnung aus. Meinen Sie, daß er das sehen wird?«

»Seinetwegen mache ich mir keine Sorgen. Er ist noch in der Ausbildung, und ich kann ihm sagen, was ich will, und er wird es akzeptieren. Nicht so der andere; der ist auf meinen Job scharf. Warten Sie hier. Lassen Sie sich nicht sehen.«

Teng ging zu der Theke hinüber, während der Angestellte mit dem Formular in der Hand sich ängstlich umsah. Lee nahm ihm das Papier weg und schob es in die Tasche. »Das ist jetzt nicht mehr nötig«, sagte er. »Unsere Kundin hat es sich anders überlegt. Sie hat in der Halle einen Bekannten gefunden, der sie fahren wird.«

»Oh? Dann sollte ich dem Kollegen Bescheid sagen. Der Betrag muß noch von der Kreditkartengesellschaft freigegeben werden, und das erledigt er für mich. Ich kenne mich da noch nicht so aus, und er hat sich erboten -«

Teng gebot ihm mit einer Handbewegung Schweigen und ging zu dem zweiten Angestellten, der bereits den Telefonhörer in der Hand hatte. »Sie können mir die Karte geben und den Anruf bleiben lassen. Ich habe jetzt für heute abend genug von Damen mit Problemen! Die hier hat eine andere Fahrgelegenheit gefunden.«

»Selbstverständlich, Mr. Teng«, sagte der zweite Angestellte beflissen. Er reichte ihm die Kreditkarte, entschuldigte sich bei seinem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung und legte den Hörer auf.

»Eine schlimme Nacht.« Teng zuckte die Achseln, drehte sich um und ging quer durch die Halle, auf Catherine zu. Dabei zog er die Brieftasche. »Wenn Sie knapp bei Kasse sind, kann ich Ihnen behilflich sein. Die Karte sollten Sie nicht benutzen.«

»Ich bin zu Hause oder auf der Bank nicht knapp, aber ich habe nicht soviel bei mir. Das gehört zu den ungeschriebenen Regeln.«

»Eine der besseren Regeln«, sagte Teng und nickte.

Catherine nahm die Geldscheine, die Teng in der Hand hielt, und blickte zu dem Chinesen auf. »Möchten Sie eine Erklärung hören?« fragte sie.

»Die braucht es nicht, Catherine. Was auch immer die Polizei sagt, ich weiß, was ich von Ihnen zu halten habe, und wenn ich mich täusche und Sie weglaufen und ich mein Geld nicht wiedersehe, dann habe ich Ihnen immer noch viele tausend Hongkong-Dollar zu verdanken.«

»Ich werde nicht weglaufen, Teng.«

»Sie werden auch nicht zu Fuß gehen müssen. Einer der Chauffeure ist mir eine Gefälligkeit schuldig, und er ist jetzt in der Garage. Er fährt Sie zu Ihrem Wagen am Bonham Strand. Kommen Sie, ich bringe Sie hin.«

»Ich habe noch jemanden bei mir. Ich muß sie aus Hongkong herausschaffen. Sie ist auf der Damentoilette.«

»Ich warte im Flur. Beeilen Sie sich.«

»Manchmal glaube ich, daß die Zeit schneller vergeht, wenn wir mit Problemen überhäuft werden«, sagte der zweite, etwas ältere Angestellte zu seinem jüngeren, noch in Ausbildung begriffenen Kollegen, während er den Computerausdruck unter der Theke unauffällig an sich nahm und in die Tasche steckte.

»Wenn Sie recht haben, dann sind für Mr. Teng, seit er vor zwei Stunden seinen Dienst angetreten hat, kaum fünfzehn Minuten vergangen. Er ist sehr gut, nicht wahr?«

»Sein Kahlkopf hilft ihm. Die Leute erwarten von ihm Weisheit, selbst wenn er keine weisen Worte anzubieten hat.«

»Trotzdem. Er kann gut mit Menschen umgehen. Ich wünsche mir sehr, daß ich eines Tages so sein werde wie er.«

»Da brauchen Sie bloß etwas Haar zu verlieren«, sagte der zweite Angestellte. »Aber jetzt muß ich auf die Toilette, im Augenblick ist es ja etwas ruhiger. Übrigens, falls ich einmal eine Autovermietung brauche, die noch um die Zeit geöffnet hat, das war doch Apex am Bonham Strand Hast, nicht wahr?«

»O ja.«

»Das haben Sie sehr geschickt gemacht.«

»Ich habe mir einfach die Liste vorgenommen. Apex stand ziemlich am Ende.«

»Mancher von uns hätte vorher aufgehört. Das war sehr lobenswert.«

»Sie sind sehr liebenswürdig zu einem unwürdigen Anfänger.«

»Ich will nur Ihr Bestes«, sagte der Ältere. »Vergessen Sie das nie.«

Der ältere Mann verließ seinen Platz hinter der Theke und ging vorsichtig an den Topfpalmen vorbei, bis er Lee Teng sah. Der Nachtportier stand an der Mündung des Korridors nach rechts; das reichte. Er wartete auf die Frau. Der Angestellte machte kehrt und ging schnell die Treppe zu den Läden hinauf, obwohl seine Würde etwas darunter litt. Eilig betrat er die erste Boutique im Obergeschoß.

»Dienstliches Gespräch«, sagte er zu der gelangweilten Verkäuferin und griff nach dem Telefonhörer hinter einer Glastheke mit glitzernden Preziosen. Er wählte.

»Polizeizentrale vier.«

»Wegen Ihrer Anordnung, Sir, bezüglich der Kanadierin, Mrs. Staples -«

»Haben Sie Informationen?«

»Ich glaube schon, Sir, aber es ist mir etwas peinlich, sie weiterzugeben.«

»Warum? Es handelt sich um einen Notfall, eine Angelegenheit der Regierung!«

»Bitte, verstehen Sie das richtig, Sir, ich bin nur ein kleiner Angestellter, und es ist durchaus möglich, daß mein Vorgesetzter nichts von Ihrer Anweisung weiß. Er hat sehr viel zu tun.«

»Was versuchen Sie mir zu sagen?«

»Nun - Sir - die Frau, die mit meinem Vorgesetzten, dem Chefportier, gesprochen hat, zeigte eine verblüffende Ähnlichkeit mit der Beschreibung auf der Regierungsanordnung. Aber es wäre sehr peinlich für mich, wenn bekannt würde, daß ich Sie angerufen habe.«

»Man wird Sie schützen. Sie können anonym bleiben. Und jetzt Ihre Information?«

»Nun, Sir, ich habe gehört ...« Vorsichtig und mit vielen Umschweifen tat der Angestellte das Beste für sich und demzufolge das Schlimmste für seinen Vorgesetzten Lee Teng. Was er freilich am Ende sagte, war präzise und unzweideutig. »Die Apex-Autovermietung, Bonham Strand East. Ich würde empfehlen, daß Sie sich beeilen, sie ist nämlich bereits dorthin unterwegs.«

Der frühe Abendverkehr war weniger dicht als während der Stoßzeit, aber immer noch unangenehm genug. Aus diesem Grunde sahen Catherine und Marie einander auf dem Rücksitz der Hotellimousine beunruhigt an; der Chauffeur hatte nämlich den schweren Wagen nicht in die sich bietende Verkehrslücke gelenkt, sondern war am Bonham Strand East an den Randstein gefahren und hatte dort angehalten. Ringsum war aber kein Schild einer Wagenvermietung zu sehen.

»Warum halten wir an?« fragte Catherine scharf.

»Anweisung von Mr. Teng, Mrs.«, antwortete der Chauffeur und drehte sich auf dem Sitz nach hinten. »Ich werde den Wagen jetzt abschließen und das Notsignal einschalten. Dann wird niemand Sie belästigen.«

»Das ist sehr beruhigend, aber ich würde trotzdem gerne wissen, warum Sie uns nicht zu dem Wagen bringen.«

»Ich werde den Wagen zu Ihnen bringen, Mrs.«

»Wie bitte?«

»Anweisung von Mr. Teng. Er hat sich ganz deutlich ausgedrückt und ruft in der Apex-Garage an. Die ist in der nächsten Straße, Mrs. Ich bin gleich wieder da.« Der Chauffeur zog Mütze und Jackett aus, legte beides auf den Sitz, schaltete das Notsignal ein und stieg aus.

»Was hältst du davon?« fragte Marie und hob das rechte Bein und drückte Toilettenpapier, das sie aus dem Mandarin mitgenommen hatte, gegen die rechte Fußsohle. »Vertraust du diesem Teng?«

»Ja«, erwiderte Catherine mit verblüffter Miene. »Aber ich verstehe das nicht. Er ist offenbar besonders vorsichtig - aber damit geht er ein zusätzliches Risiko ein -, und ich weiß nicht, warum. Wie ich Ihnen schon im Mandarin sagte, stand auf diesem Computerausdruck >Regierungskontrolle<. Das sind zwei Worte, die man in Hongkong gar nicht leicht nimmt. Was, in aller Welt, macht Teng? Und warum?«

»Das kann ich dir natürlich nicht beantworten«, sagte Marie. »Aber ich kann dir sagen, was ich beobachtet habe.«

»Was denn?«

»Ich habe gesehen, wie er dich angesehen hat. Du hast das wahrscheinlich gar nicht bemerkt.«

»Was?«

»Ich würde sagen, daß er dich sehr mag.«

»Mich ... mag?«

»So kann man das ausdrücken. Es gibt natürlich noch deutlichere Formulierungen.«

Catherine wandte sich ab und sah zum Fenster hinaus. »Großer Gott im Himmel«, flüsterte sie.

»Was ist denn?«

»Vor einer Weile, im Mandarin, aus Gründen ohne Sinn und Verstand angefangen - bei einer albernen Frau in einer Chinchillastola - da habe ich an Owen gedacht.«

»Owen?«

»Mein ehemaliger Mann.«

»Owen Staples? Der Bankier Owen Staples?«

»Das ist mein Name, und das ist mein Mann - das war mein Mann. Damals behielt man einen angeheirateten Namen.«

»Du hast mir nie gesagt, daß du mit Owen Staples verheiratet warst.«

»Du hast mich nie danach gefragt, meine Liebe.«

»Ich habe keine Ahnung, worauf du hinauswillst, Catherine.«

»Ja, das kann ich mir denken«, meinte die und schüttelte den Kopf. »Ich mußte daran denken, wie Owen und ich uns vor ein paar Jahren in Toronto begegnet sind. Wir saßen im Mayfair-

Club, und ich habe Dinge über ihn erfahren, die ich früher nie geglaubt hätte. Ich war richtig froh für ihn, obwohl der Schweinehund mich fast zum Weinen gebracht hätte.«

»Catherine, was hat das um Himmels willen mit jetzt zu tun?«

»Es hat mit Teng zu tun. Wir saßen auch einmal aDends bei ein paar Drinks zusammen, nicht im Mandarin natürlich, aber in einem Cafe am Wasser, in Kowloon. Er sagte, es wäre nicht gut für mich, wenn ich mit ihm auf der Insel gesehen würde.«

»Warum?«

»Das habe ich damals auch gefragt. Er hat mich damals wohl beschützt, so wie er mich jetzt beschützt. Und ich habe ihn vielleicht mißverstanden. Ich nahm an, daß er einfach nur hinter einer zusätzlichen Einnahmequelle her sei, aber das war vielleicht schrecklich falsch.«

»In welcher Hinsicht?«

»Er hat an dem Abend etwas Seltsames gesagt. Er sagte, er wünschte, alles wäre ganz anders, er wünschte, die Unterschiede zwischen den Menschen wären nicht so auffällig und für andere Leute nicht so störend. Ich habe seine Banalitäten natürlich als einen amateurhaften Versuch zur ... zur Diplomatie angesehen, wie mein ehemaliger Mann das formuliert hat. Vielleicht war es etwas ganz anderes.«

Marie sah die andere Frau an und lachte dann. »Liebe, liebe Catherine. Der Mann ist in dich verliebt.«

»Du lieber Herrgott von Calgary, das hat mir gerade noch gefehlt!«

Lin Wenzu saß auf dem Vordersitz von Wagen zwei, und sein geduldiger Blick ruhte auf dem Eingang zur Apex-Agentur am Bonham Strand East. Alles war in Ordnung; nur noch wenige Minuten, und er würde die zwei Frauen in Gewahrsam nehmen können. Einer seiner Männer war hineingegangen und hatte mit dem Disponenten gesprochen. Der Agent hatte seinen Ausweis gezeigt, worauf ihm der verängstigte Angestellte die Aufzeichnungen des Abends gezeigt hatte. Es lag tatsächlich eine Bestellung für eine Mrs. Catherine Staples vor, die dann aber wieder gestrichen worden war; der Wagen war jetzt auf den Namen eines Chauffeurs des Hotels eingetragen. Und da Mrs. Catherine Staples den Wagen nicht mehr haben wollte, hatte der Mann auch keinen Anlaß gesehen, Polizeizentrale vier zu rufen. Was hätte er denn sagen sollen? Und da der Wagen vom Mandarin reserviert war, würde ihn ganz sicher auch niemand sonst abholen.

Alles war in Ordnung, dachte Lin. Die Erleichterung am Victoria Peak würde ungeheuer sein, sobald er das abgeschottete Haus mit seiner Nachricht erreicht hatte. Der Major wußte ganz genau, was er sagen würde. »Wir haben die Frauen - wir haben die Frau.«

Auf der anderen Straßenseite trat ein Mann in Hemdsärmeln durch die Tür der Agentur. Auf Lin wirkte er etwas zögernd, und da war etwas ... plötzlich fuhr ein Taxi vor, und der Major schoß nach vorne, griff nach dem Türgriff - der zögernde Mann in Hemdsärmeln war vergessen.

»Jetzt gut aufpassen, Leute«, sprach Lin in das Mikrofon des Funkgerätes am Armaturenbrett. »Wir müssen schnell handeln und so unauffällig wie möglich. So etwas wie an der Arbuthnot Road darf hier nicht passieren. Und selbstverständlich keine Waffen. Achtung jetzt.«

Aber da war nichts, worauf man hätte aufpassen können; das Taxi fuhr weg, ohne daß jemand ausgestiegen wäre.

»Wagen drei!« sagte der Major knapp. »Beschaffen Sie sich die Nummer und rufen Sie die Taxigesellschaft an! Über Funk. Ich will genau wissen, was das Taxi hier verloren hatte! Besser noch, fahren Sie hinterher und tun Sie, was ich gesagt habe. Es könnten die Frauen sein.«

»Ich glaube, auf dem Rücksitz war nur ein Mann, Sir«, sagte der Fahrer.

»Sie könnten sich unter den Sitz geduckt haben! Diese verdammten Augen. Ein Mann, sagen Sie?«

»Ja, Sir.«

»Da stinkt etwas.«

»Warum, Herr Major?«

»Wenn ich das wüßte, wäre der Gestank nicht so kräftig.«

Das Warten ging weiter, und der hünenhafte Lin Wenzu begann zu schwitzen. Die untergehende Sonne warf ihr orangefarbenes Licht durch die Windschutzscheibe und erzeugte auf dem Bonham Strand East dunkle Schatten.

»Das dauert zu lang«, flüsterte der Major im Selbstgespräch.

Jetzt waren aus dem Funkgerät Störgeräusche zu hören. »Wir haben den Bericht von der Taxigesellschaft, Sir.«

»Raus damit!«

»Das betreffende Taxi sucht eine Importfirma am Bonham Strand East. Aber der Fahrer hat seinem Fahrgast gesagt, die Adresse müsse am Bonham Strand West sein. Sein Fahrgast ist offenbar sehr zornig. Er ist vor wenigen Augenblicken ausgestiegen und hat Geld durch das Fenster geworfen.«

»Abbrechen und hierher zurückkommen«, befahl Lin und sah in dem Augenblick, wie sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Garagentore der Apex-Agentur öffneten. Ein Wagen kam heraus und bog nach links; der Mann in Hemdsärmeln saß am Steuer.

Jetzt rann dem Major der Schweiß über das Gesicht. Etwas war hier nicht in Ordnung; eine andere Ordnung schob sich darüber. Doch was war es, was ihn da beunruhigte? Was war es?

»Er!« rief Lin seinem erschreckten Fahrer zu.

»Sir?«

»Ein zerdrücktes weißes Hemd, aber messerscharf gebügelte Hosen. Eine Uniform! Ein Chauffeur! Drehen Sie um! Folgen Sie ihm!«

Der Fahrer ließ die Hupe nicht los, machte auf der Straße kehrt und drängte sich brutal in den Verkehrsstrom, während der Major den anderen Wagen Anweisung gab, einem befahl, bei der Apex-Agentur zu bleiben, wogegen die anderen sich der neuen Verfolgungsjagd anschließen sollten.

»Aiya!« schrie der Fahrer und trat auf die Bremsen, so daß sie kreischend zum Stillstand kamen, als eine schwere braune Limousine aus einer Seitengasse schoß und ihnen den Weg versperrte. Es war nur zu einem ganz leichten Zusammenprall gekommen, der Dienstwagen hatte die linke Hintertüre des großen Wagens kaum berührt.

»Feng zu« schrie der Chauffeur der Limousine und hieß Lins Fahrer einen verrückten Hund, während er aus seinem Straßenkreuzer sprang, um festzustellen, ob sein Fahrzeug irgendeinen Schaden davongetragen hatte.

»Lau Lau« kreischte der Fahrer des Majors und sprang heraus.

»Aufhören!« brüllte Lin. »Sehen Sie zu, daß er hier verschwindet!«

»Er rührt sich ja nicht vom Fleck, Sir!«

»Sagen Sie ihm, daß er das muß! Zeigen Sie ihm Ihre Papiere!«

Der gesamte Verkehr war jetzt zum Stillstand gekommen; Hupen tönten, Menschen in Automobilen und auf der Straße schrien zornig. Der Major schloß die Augen und schüttelte bedrückt den Kopf. Ihm blieb jetzt nichts anderes übrig, als auszusteigen.

So wie es der Passagier der Limousine jetzt tat. Ein Chinese in mittleren Jahren, mit halb kahlem Schädel. »Ich nehme an, wir haben ein Problem«, sagte Lee Teng.

»Ich kenne Sie!« schrie Lin. »Das Mandarin-Hotel.«

»Viele kennen mich, die soviel Geschmack haben, unser schönes Hotel zu besuchen. Ich fürchte, daß ich leider nicht die Ehre habe, Sie zu kennen. Waren Sie Gast bei uns, Sir?«

»Was haben Sie hier zu suchen?«

»Ein vertraulicher Auftrag, den ich für einen Herrn im Mandarin erledige. Ich habe nicht die Absicht, mehr zu sagen.«

»Verdammt, verdammt! Eine Anweisung der Regierung ist ergangen! Eine Kanadierin namens Staples! Einer Ihrer Leute hat uns angerufen.«

»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden. Ich war die letzte Stunde damit beschäftigt, ein Problem für eine Dame zu lösen, die heute abend an einem Ball im Government House teilnimmt. Es wäre mir ein Vergnügen, Ihnen ihren Namen zu liefern - falls Ihre Position das rechtfertigt.«

»Meine Position rechtfertigt das! Ich wiederhole: warum haben Sie uns aufgehalten?«

»Ich glaube, Ihr Fahrer ist bei Rot über die Kreuzung gefahren.«

»Nicht wahr!« schrie Lins Fahrer.

»Dann werden sich wohl die Gerichte damit befassen müssen«, sagte Lee Teng. »Können wir jetzt weiterfahren?«:

»Noch nicht!« erwiderte der Major und ging auf den Chefportier des Mandarin zu. »Ich wiederhole noch einmal: In Ihrem Hotel ist eine Regierungsanweisung eingegangen. In ihr stand eindeutig, dne Frau namens Staples könnte versuchen, einen Wagen zu mieten. In dem Fall sollten Sie der Polizeizentrale vier Meldung machen.«

»Dann darf ich wiederholen, Sir. Ich bin seit einer guten Stunde nicht an meiner Theke gewesen und habe auch keine Anweisung der Art gesehen, wie Sie sie schildern. Aber ich werde Ihnen in Würdigung Ihrer bisher noch nicht gezeigten Papiere sagen, daß alle Mietvorgänge dieser Art über meinen ersten Assistenten laufen müssen, einen Mann, den ich, offen gestanden, in vieler Hinsicht als häufig recht unzuverlässig kennengelernt habe.«

»Aber Sie sind hier!«

»Wie viele Gäste des Mandarin haben Geschäfte am Bonham Strand East, Sir? Akzeptieren Sie den Zufall.«

»Ihre Augen lächeln mich an, Zhongguo ren.«

»Ohne zu lachen, Sir. Ich fahre jetzt weiter. Der Schaden ist geringfügig.«

»Mir ist es ganz egal, ob Sie und Ihre Leute die ganze Nacht dort bleiben müssen«, sagte Botschafter Havilland. »Das ist jetzt unsere einzige Chance. So wie Sie das beschrieben haben, wird sie den Wagen zurückgeben und ihren eigenen abholen. Verdammt, morgen nachmittag um vier ist eine kanadischamerikanische Strategiekonferenz. Sie muß bis dahin zurück sein! Bleiben Sie dort! Bleiben Sie auf allen Posten! Solange Sie sie mir nur bringen.«

»Sie wird behaupten, man habe sie unter Druck gesetzt. Wir brechen die Gesetze der internationalen Diplomatie.«

»Dann brechen Sie sie! Solange Sie sie mir nur hierherschaffen, im Teppich der Kleopatra, wenn Sie müssen. Ich habe keine Zeit zu vergeuden - keine Minute!«

Von zwei Agenten festgehalten, wurde eine wütende Catherine Staples in ein Zimmer im Haus am Victoria Peak geführt. Lin Wenzu hatte die Tür geöffnet; jetzt schloß er sie, und Catherine Staples sah sich Botschafter Raymond Havilland und Staatssekretär Edward McAllister gegenüber. Es war 11.35 Uhr vormittags, und die Sonne strömte durch das breite Erkerfenster über dem Garten herein.

»Sie sind zu weit gegangen, Havilland«, sagte Catherine, und ihre kehlige Stimme klang dabei eisig.

»Soweit es Sie betrifft, bin ich noch nicht weit genug gegangen. Sie haben ein Mitglied der amerikanischen Botschaft aktiv kompromittiert. Sie haben einen erpresserischen Akt zum Nachteil meiner Regierung begangen.«

»Das können Sie nicht beweisen, weil es keine Beweise gibt, keine Fotografien -«

»Ich brauche es nicht zu beweisen. Um exakt sieben Uhr gestern abend ist der junge Mann hier vorgefahren und hat uns alles erzählt. Eine schmutzige kleine Geschichte, nicht wahr?«

»Verfluchter Idiot! Ihn trifft keine Schuld, wohl aber Sie. Und da Sie das Wort >schmutzig< gebrauchen - nun, nichts von dem, was er getan hat, ist so schmutzig wie Ihre Handlungen.«

Catherines Blick wanderte, ohne mit der Wimper zu zucken, zu dem Staatssekretär hinüber. »Ich nehme an, das hier ist der Lügner, der McAllister heißt.«

»Sie machen es einem nicht leicht«, sagte der Staatssekretär.

»Und Sie sind ein prinzipienloser Lakai, der anderen die schmutzige Arbeit macht. Ich habe alles gehört, und es widert einen an. Aber jeder Faden in diesem schmutzigen Netz -« Catherines Kopf fuhr wieder zu Havilland herum, »ist von einem Experten geknüpft. Wer hat Ihnen das Recht gegeben, den lieben Gott zu spielen? Irgendeinem von Ihnen? Wissen Sie, was Sie diesen zwei Leuten dort draußen angetan haben? Wissen Sie, was Sie von ihnen verlangt haben?«

»Das wissen wir«, sagte der Botschafter leise. »Ich weiß es.«

»Sie weiß es auch, und das, obwohl ich nicht das Herz hatte, ihr die letzte Bestätigung dafür zu liefern. Sie, McAllister! Als ich erfuhr, daß Sie das hier oben waren, war ich nicht sicher, ob sie damit fertig werden würde. Jedenfalls nicht im Augenblick. Ich habe vor, es ihr zu sagen. Sie und Ihre Lügen! Die Frau eines Taipan in Macao ermordet - oh, was für eine ausgleichende Gerechtigkeit, was für ein Vorwand, einem anderen Mann die Frau wegzunehmen! Lügen! Ich habe meine eigenen Gewährsleute. All das ist nie geschehen! Wir wollen das jetzt einmal klarstellen. Ich bringe sie ins Konsulat, und zwar unter dem vollen Schutz meiner Regierung. Und wenn ich Sie wäre, Havilland, dann wäre ch verdammt vorsichtig, hier von illegalen Handlungen herumzutönen. Sie und Ihre Lakaien hier haben eine kanadische Bürgerin in eine lebensgefährliche Operation hineinmanipuliert - worum auch immer es sich dieses Mal handeln mag. Ihre Arroganz ist einfach unglaublich! Aber ich kann Ihnen versichern, das wird ein Ende haben. Ob es meiner Regierung nun paßt oder nicht, ich werde Sie auffliegen lassen! Sie alle! Sie sind kein Jota besser als die Barbaren im KGB. Diesmal wird der amerikanische Geheimdienst damit nicht durchkommen! Ich bin das einfach leid, die ganze Welt ist es leid!«

»Meine liebe Frau!« schrie der Botschafter und verlor in einer plötzlichen Aufwallung von Zorn jegliche Kontrolle über sich. »Sie können drohen, soviel Sie wollen, aber anhören werden Sie mich! Und wenn Sie gehört haben, was ich Ihnen zu sagen habe, und dann noch den Krieg erklären wollen, dann tun Sie es! Wie es so schön heißt, meine Tage sind gezählt, aber nicht die von Millionen anderer! Ich würde gern alles in meiner Macht Stehende tun, um das Leben dieser anderen zu verlängern. Aber es könnte sein, daß Sie anderer Meinung sind, dann erklären Sie Ihren Krieg, liebe Lady! Und dann, bei Gott, können Sie mit den Folgen leben!«

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