Kapitel 30

Das Telefon klingelte. Marie fuhr im Sessel herum, aber Mo Panov hob beschwichtigend die Hand. Der Arzt ging durch das Hotelzimmer, nahm den Hörer von dem Apparat neben dem Bett ab. »Ja?« sagte er leise. Dann runzelte er die Stirn und sah dann, als wäre ihm plötzlich klargeworden, daß sein Ausdruck seine Patientin beunruhigen könnte, zu Marie hinüber und schüttelte den Kopf. »Schön«, meinte er schließlich. »Wir bleiben hier, bis wir von Ihnen hören, aber ich muß Sie fragen, Alex, und das dürfen Sie mir nicht übelnehmen: Hat man Sie mit Drinks angefüllt?« Panov zuckte zusammen und hielt den Hörer von sich weg. »Meine einzige Antwort darauf ist, daß ich zu liebenswürdig und zu erfahren bin, Sie mit Schimpfnamen zu belegen. Wir sprechen uns später.« Er legte auf.

»Was ist passiert?« rief Marie.

»Weit mehr, als er mir sagen konnte, aber es hat genügt.« Der Psychiater hielt inne und blickte auf Marie herab. »Catherine

Staples ist tot. Sie ist vor ein paar Stunden vor ihrem Appartementhaus erschossen worden -«

»Du lieber Gott«, flüsterte Marie.

»Dieser hünenhafte Abwehroffizier«, fuhr Panov fort. »Der, den wir auf dem Bahnhof gesehen haben, den Sie den Major nannten und den Catherine Staples als einen Mann namens Lin Wenzu identifiziert hat -«

»Was ist mit ihm?«

»Er ist schwer verwundet und liegt in sehr kritischem Zustand im Krankenhaus. Von dort aus hat Conklin angerufen, von einem Automaten im Krankenhaus.«

Marie musterte Panovs Gesicht. »Zwischen Catherines Tod und Lin Wenzu gibt es doch einen Zusammenhang, oder?«

»Ja. Die Ermordung von Catherine Staples läßt klar erkennen, daß die Operation infiltriert worden ist -«

»Welche Operation? Und von wem!«

»Alex hat gesagt, das würde er uns alles später erklären. Jedenfalls scheint der Siedepunkt erreicht zu sein. Dieser Lin hat möglicherweise sein Leben dafür gegeben, um die Infiltration auszuschalten - >sie zu neutralisieren< wie Conklin es formuliert hat.«

»O Gott«, schrie Marie mit aufgerissenen Augen und einer Stimme, in der Hysterie mitklang. »Operationen! Infiltrationen! Neutralisieren, Lin, selbst Catherine - eine Freundin, die mich verraten hat - ich will nichts von diesen Dingen wissen! Was ist mit David?«

»Es heißt, er sei in China.«

»Du lieber Gott, die haben ihn umgebracht!« schrie Marie und sprang auf.

Panov eilte auf sie zu und hielt sie an den Schultern fest. Er packte fester zu, zwang sie, ihn anzusehen. »Lassen Sie sich von mir sagen, was Alex mir gesagt hat ... hören Sie mir zu!«

Langsam, atemlos, so als bemühte sie sich, in ihrer Verwirrung und Erschöpfung einen Augenblick der Klarheit zu finden, stand Marie reglos da und starrte den Psychiater an. »Was?« flüsterte sie.

»Er sei in gewisser Weise froh darüber, daß David dort oben ist - oder dort draußen -, weil er seiner Ansicht nach dort eine bessere Überlebenschance hat.«

»Und das glauben Sie?« schrie David Webbs Frau. Tränen traten ihr in die Augen.

»Vielleicht«, sagte Panov und nickte. Dann fuhr er mit leiser Stimme fort: »Conklin wies darauf hin, daß David hier in Hongkong auf einer überfüllten Straße erschossen oder niedergestochen werden könnte - Menschenmengen, so sagte er, seien gleichzeitig ein Feind und ein Freund. Fragen Sie mich nicht, wo diese Leute ihre Redewendungen herhaben, ich weiß es nämlich nicht.«

»Was, zum Teufel, wollen Sie mir damit klarmachen?«

»Was Alex mir gesagt hat. Er sagte, sie hätten ihn dazu gezwungen, wieder der zu sein, den er vergessen wollte. Und dann sagte er, es habe nie jemanden gegeben, der >Delta< gleichgekommen sei. >Delta< sei der Beste gewesen, den es je gegeben habe ... David Webb war >Delta<, Marie. Ganz gleich, was er auch aus seiner Erinnerung verdrängen wollte, er war Delta, Jason Borowski kam später, eine Ausgeburt des Schmerzes, den er sich selbst zufügen mußte. Aber alles, was er gelernt hat, seine Fähigkeiten, seine Geschicklichkeit, hat er sich als Delta erworben ... In mancher Hinsicht kenne ich Ihren Mann ebensogut, wie Sie ihn kennen.«

»In der Hinsicht sicherlich wesentlich besser«, sagte Marie und lehnte den Kopf an Morris Panovs Brust. »Es hat so viele Dinge gegeben, über die er nicht sprechen wollte. Er hatte zu viel Angst oder er schämte sich zu sehr ... Oh Gott, Mo! Wird er zu mir zurückkommen?«

»Alex glaubt, daß Delta zurückkommen wird.«

Marie löste sich von dem Psychiater und sah ihm in die Augen; ihr tränenverhangener Blick war starr. »Was ist mit David?« fragte sie so leise, daß man es kaum hören konnte. »Wird er zurückkommen?«

»Das kann ich nicht beantworten. Ich wünschte, ich könnte das, aber ich kann es nicht.«

»Ich verstehe.« Marie ließ Panov los und ging ans Fenster, blickte auf die Menschenmengen hinunter, die sich durch die überfüllten, grell beleuchteten Straßen drängten. »Sie haben Alex gefragt, ob er getrunken habe, Mo. Warum haben Sie das getan, Mo?«

»Das hat mir in dem Augenblick leid getan, als es heraus war.«

»Weil Sie ihn beleidigt haben?« fragte Marie und drehte sich zu dem Psychiater herum.

»Nein. Weil ich wußte, daß Sie es gehört haben, und daß Sie eine Erklärung verlangen würden. Und die kann ich Ihnen nicht verweigern.«

»Nun?«

»Das war das letzte, was er zu mir gesagt hat - eigentlich sogar zwei Dinge. Er sagte, Sie hätten wegen Catherine Staples unrecht -«

»Unrecht? Ich habe es doch selbst erlebt. Es gesehen. Ich habe ihre Lügen gehört!«

»Sie hat versucht, Sie zu schützen, ohne Sie in Panik zu versetzen.«

»Das sind nur noch mehr Lügen! Und was war das andere?«

Panov rührte sich nicht von der Stelle, und als er sprach, sah er Marie voll in die Augen. »Alex sagte, daß das alles zwar verrückt wirke, in Wahrheit aber gar nicht so verrückt sei.«

»Mein Gott, die haben ihn umgedreht!«

»Nicht ganz. Er wird denen nicht sagen, wo Sie sind - wo wir sind. Er hat mir gesagt, wir sollten uns bereithalten, Minuten nach seinem nächsten Anruf hier auszuziehen. Er kann das Risiko nicht eingehen, hierher zurückzukommen. Er hat Angst, daß man ihm folgen könnte.«

»Also fliehen wir wieder - ohne ein Ziel, mit der einzigen Aussicht, uns erneut verstecken zu müssen. Und plötzlich ist an unserem Panzer etwas faul. Unser verkrüppelter Sankt Georg, der Drachentöter, macht sich jetzt plötzlich mit den Drachen gemein.«

»Das ist nicht fair, Marie. Das hat er nicht gesagt und ich auch nicht.«

»Blödsinn, Doktor! Das dort draußen ist mein Mann oder dort droben! Die setzen ihn ein, bringen ihn um, ohne uns zu sagen, warum! Oder vielleicht - vielleicht - überlebt er sogar, weil er das, was er tut - getan hat -, so schrecklich gut kann, obwohl er das so verabscheut hat, aber was wird dann von dem Mann noch übrig sein und von seinem Verstand? Sie sind der Fachmann, Herr Doktor! Was wird dann noch übrig sein, wenn all die Erinnerungen auf ihn einstürmen? Und das müssen sie wohl, sonst überlebt er nämlich nicht!«

»Ich habe Ihnen schon gesagt, darauf kann ich keine Antwort geben.«

»Oh, Sie sind wirklich großartig, Mo! Alles, was Sie haben, sind sorgfältig abgewogene Hypothesen und Meinungen, aber keine Antwort, nicht einmal Vermutungen. Sie verstecken sich! Rechtsanwalt hätten Sie werden müssen! Sie haben den Beruf verfehlt!«

»Ich habe eine Menge falsch gemacht, und das Flugzeug nach Hongkong hätte ich auch beinahe verpaßt.«

Marie stand reglos und wie vom Donner gerührt da. Dann brach sie in Tränen aus und rannte auf Panov zu, umarmte ihn.

»O Gott, es tut mir furchtbar leid, Mo! Sie müssen mir verzeihen, bitte, verzeihen Sie mir!«

»Ich bin derjenige, ckr sich entschuldigen sollte«, sagte der Psychiater. »Das war billig.« Er strich ihr über das Haar, das graue Haar mit den weißen Strähnen. »Herrgott, ich kann diese Perücke nicht mehr ertragen!«

»Das ist keine Perücke, Herr Doktor.«

«Ich bin kein Kosmetiker.«

»Nur Fußpfleger.«

»Die sind auch einfacher zu pflegen als Köpfe, das können Sie mir glauben.«

Das Telefon klingelte. Marie holte tief Luft, und Panov stockte der Atem. Dann drehte er sich langsam zu dem schrill klingelnden Apparat herum.

»Wenn Sie das noch einmal versuchen, oder so etwas Ähnliches, sind Sie tot!« brüllte Borowski und griff sich an den Handrücken, wo die Haut bereits anfing, sich zu verfärben. Der Killer hatte sich mit den gefesselten Händen gegen die Tür des billigen Hotels geworfen uid Jasons linke Hand im Türrahmen festgeklemmt.

»Was, zum Teufel, erwarten Sie eigentlich von mir?« brüllte der ehemalige Kommandotruppführer zurück. »Daß ich sanftmütig in die Nacht hinausgehe und meinem Erschießungskommando zulächle?«

»Gedanken lesen können Sie also auch«, sagte Borowski und sah zu, wie der Killer sich die Stelle unter dem Brustbein hielt, wo ihn Jasons rechter Fuß getroffen hatte. »Vielleicht ist es Zeit, Sie zu fragen, warum Sie in der Branche sind, der ich nie richtig angehört habe. Warum also, Major?«

»Interessiert Sie das wirklich, Mr. Original?« knurrte der Killer und ließ sich in einen ziemlich abgewetzten Sessel fallen.

»Dann bin ich wohl an der Reihe, die Frage nach dem Warum zu stellen.«

»Vielleicht weil ich mich selbst nie verstanden habe«, sagte David Webb. »Ich sehe das ganz rational.«

»Oh, ich weiß alles über Sie! Das gehörte mit zu der Ausbildung, die mir der Franzose verpaßt hat. Der große Delta war meschugge! Seine Frau und seine Kinder sind von einem Tiefflieger an einem Ort namens Phnom Penh im Wasser abgeknallt worden. Dieser ach so kultivierte Gelehrte verlor den Verstand, und es ist eine Tatsache, daß keiner ihn unter Kontrolle halten konnte, und das wollte auch keiner, weil er und die Teams, die er angeführt hat, mehr Schaden angerichtet haben als alle militärischen Einsätze zusammengenommen. In Saigon hieß es, Sie seien ein Selbstmordkommando gewesen, und von Saigons Standpunkt aus konnte denen das nur recht sein. Die wollten, daß Sie und das Pack unter Ihrem Kommando ins Gras beißen. Die waren nie daran interessiert, daß Sie zurückkamen, lästig waren Sie denen und unangenehm!«

Schlangenweib, Schlangenweib, ... hier spricht ein Freund, ihr Arschlöcher! Ihr habt hier unten nicht viele davon ... Aufgeben! Ihr habt keine Chance!

»Ich weiß, oder ich glaube zumindest, daß ich darüber Bescheid weiß«, sagte Webb. »Ich hatte nach Ihren Motiven gefragt.«

Die Augen des Killers weiteten sich, und er starrte seine gefesselten Handgelenke an. Als er dann sprach, kam seine Stimme ganz leise, nur ein Flüstern. Eine Stimme, die wie ihr eigenes Echo klang, unwirklich. »Weil ich geistesgestört bin, Sie Scheißkerl! Das weiß ich schon seit meiner Kindheit. Die häßlichen finsteren Gedanken, die Messer, die ich Tieren in den Leib stieß, nur um ihre Augen und ihre Münder zu beobachten. Die Nachbarstochter habe ich vergewaltigt, die Tochter des Pfarrers, weil ich wußte, daß sie nichts verraten durfte, und dann habe ich ihr auf der Straße aufgelauert und sie zur Schule begleitet. Elf Jahre war ich damals alt. Und später, in Oxford, habe ich einen Jungen unter Wasser gedrückt, dicht unter die Wasseroberfläche, bis er ertrank - um seine Augen zu sehen und seinen Mund. Und dann ging ich wieder in die Klasse zurück, um mich in all dem Unsinn hervorzutun und gute Noten zu bekommen, wie es jeder Idiot kann, der genügend Verstand hat, sich unterzustellen, wenn's regnet. Dort war ich der richtige Typ, so wie es dem Sohn meines Vaters gebührte.«

»Und Sie haben nie versucht, sich helfen zu lassen?«

»Mir helfen zu lassen? Mit einem Namen wie Alcott-Price?«

»Alcott - ?« Borowski starrte seinen Gefangenen an. »General Alcott-Price? Montgomerys Wunderknabe im Zweiten Weltkrieg? > Schlächter Alcott<, der Mann, der den Flankenangriff in Tobruk geführt hat und später wie eine Dampfwalze Italien und Deutschland überrollte? Englands Pattoni«

»Damals war ich noch nicht am Leben, Herrgott! Ich war das Kind seiner dritten Frau - vielleicht auch seiner vierten, so genau weiß ich das nicht. In der Beziehung war er groß - Frauen, meine ich.«

»D'Anjou hat gesagt, Sie hätten ihm nie Ihren richtigen Namen verraten.«

»Und da hat er verdammt recht! Der General in seinem ach so eleganten Club in St. James, mit dem Cognacschwenker in der Hand, hatte ja gesagt, was geschehen sollte. >Bringt ihn um! Bringt dieses verdorbene Vieh um und sorgt dafür, daß nichts bekannt wird. Er ist kein Stück von mir, die Frau war eine Hure!< Aber ich bin ein Stück von ihm, und das weiß er auch. Er weiß ganz genau, was mir Spaß macht, dieser sadistische Schweinehund, und wir haben beide eine ganze Anzahl von Auszeichnungen dafür eingeheimst, daß wir das getan haben, was wir am liebsten tun.«

»Dann wußte er es also? Das mit Ihrer Krankheit, meine ich.«

»Er wußte es ... Er weiß es. Er hat dafür gesorgt, daß ich nicht nach Sandhurst kam - das ist unsere beste Kadettenschule, falls Sie das nicht wissen -, weil er nicht wollte, daß ich seiner heißgeliebten Armee zu nahe kam. Er hätte fast einen Schlaganfall bekommen, als ich in die Armee eintrat. Und ich weiß ganz genau, daß er keine Nacht ruhig schläft, solange ihm nicht gemeldet wird, daß ich erledigt bin - tot, und alle Spuren verwischt.«

»Warum sagen Sie mir, wer Sie sind?«

»Ganz einfach«, erwiderte der ehemalige Kommandotruppführer, und seine Augen bohrten sich in die Jasons. »So wie ich das verstehe, wird, ganz gleich, wie die Sache läuft, nur einer von uns es schaffen. Ich werde mich verdammt anstrengen, um dafür zu sorgen, daß ich das bin, das habe ich Ihnen gesagt. Aber vielleicht schaffe ich es nicht - Sie sind ja nicht gerade ein Amateur -, und wenn ich es nicht schaffe, dann haben Sie einen Namen, mit dem Sie die ganze beschissene Welt schockieren können. Und außerdem können Sie vielleicht noch ein Vermögen damit machen, mit Buch- und Filmrechten und all dem Zeug.«

»Damit der General den Rest seines Lebens friedlich schlafen kann.«

»Schlafen? Das Hirn wird er sich wahrscheinlich aus dem Schädel pusten! Sie haben mir nicht zugehört. Ich habe gesagt, er will es leise hören, will hören, daß alle Spuren beseitigt sind und daß kein Name an die Öffentlichkeit dringt. Aber auf die Weise wird nichts beseitigt. Auf diese Weise hängt alles raus, wie Maggies Unterhosen, die ganze widerwärtige Scheiße, und ich entschuldige mich nicht dafür, alter Junge. Ich weiß, was ich bin, ich akzeptiere es. Manche Leute sind einfach anders. Wir wollen sagen, wir sind antisozial, um es so zu formulieren; krankhaft gewalttätig wäre ein anderer Ausdruck dafür - und verkommen noch ein anderer. Der einzige Unterschied ist, daß ich intelligent genug bin, es zu wissen.«

»Und es zu akzeptieren«, sagte Borowski leise.

»Es zu genießen! Mich geradezu daran zu berauschen! Und -sehen wir es doch einmal so. Wenn ich verliere und die Geschichte bekannt wird, wie viele praktizierende Antisoziale könnten denn daran Freude haben? Wie viele Männer, die anders sind, würden sich ein Vergnügen daraus machen, meinen Platz einzunehmen, so wie ich den Ihren eingenommen habe? Diese verdammte, blutige Welt wimmelt von Jason Borowskis. Man braucht ihnen bloß ein Ziel zu geben, eine Idee, und schon kommen sie gerannt. Das war die geniale Erkenntnis des Franzosen, können Sie das nicht sehen?«

»Ich kann nur Abschaum sehen, sonst nichts.«

»Sie sehen gar nicht so schlecht. Das wird der General auch sehen - ein Abbild seiner selbst -, und er wird damit leben müssen, daran ersticken müssen.«

»Wenn er Ihnen nicht helfen wollte, hätten Sie sich selbst helfen sollen, sich irgendeine Aufgabe suchen. Sie sind so intelligent, das zu wissen.«

»Und auf all den Spaß verzichten, all die Aufregung? Unvorstellbar, alter Junge! Nein, so einer wie ich sucht sich ein Himmelfahrtskommando, hofft, daß es zu einem Unfall kommt, der dem Ganzen ein Ende macht, ehe sie einen als das erkennen, was man wirklich ist. Himmelfahrtskommandos habe ich genug gefunden bei der Truppe, bei der ich war, aber der Unfall ist nie passiert. Unglücklicherweise wächst man im Kampf immer über sich selbst hinaus, nicht wahr? Wir überleben, einfach deswegen, weil ein anderer nicht will, daß wir überleben ... und dann ist da natürlich der Alkohol, der gibt uns Selbstvertrauen, ja selbst den Mut, die Dinge zu tun, von denen wir nicht sicher sind, ob wir sie tun können.«

»Nicht bei der Arbeit.« »Natürlich nicht. Aber die Erinnerungen an den Suff sind noch da. An den Mut, den man sich angetrunken hat. Im Suff weiß man, daß man es schafft.«

»Falsch«, sagte Jason Borowski.

»Nicht ganz«, wandte der Killer ein. »Sie beziehen Stärke aus dem, was Sie können.«

»Es gibt immer zwei Menschen«, sagte Jason. »Den, den Sie kennen, und den anderen, den Sie nicht kennen - oder nicht kennen wollen.«

»Falsch!« wiederholte der Killer. »Den gäbe es nicht, wenn ich nicht meinen Nervenkitzel wollte, machen Sie sich da ja nichts vor. Und noch etwas, Mr. Original. Sie wären besser beraten, wenn Sie mir eine Kugel durch den Kopf jagten, denn ich werde Sie fertigmachen, wenn ich kann. Ich werde Sie umbringen, wenn ich kann.«

»Sie verlangen von mir, daß ich das zerstöre, womit Sie nicht leben können.«

»Hören Sie auf mit dem Scheiß, Borowski! Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist, aber ich habe meinen Spaß! Und den will ich! Ohne den will ich nicht leben!«

»Jetzt haben Sie mich gerade wieder darum gebeten.«

»Sie sollen aufhören, verdammter Scheißkerl!«

»Und schon wieder.«

»Aufhören!« Der Killer stürzte sich aus dem Sessel. Jason trat zwei Schritte vor, und wieder zuckte sein rechter Fuß nach vorne, krachte dem Killer gegen die Rippen und ließ ihn in den Sessel zurücktaumeln. Akott-Price schrie schmerzerfüllt auf.

»Ich werde Sie nicht umbringen, Major«, sagte Borowski leise. »Aber ich werde Sie dazu bringen, daß Sie sich wünschen, Sie wären tot.«

»Einen letzten Wunsch sollten Sie mir gewähren«, würgte der Killer heraus und hielt sich mit den gefesselten Händen die

Brust. »Das habe selbst ich meinen Opfern gewährt ... Ich kann eine unerwartete Kugel ertragen, aber nicht die Garnison von Hongkong. Die würden mich spät in der Nacht hängen, wenn keiner dabei ist, nur um es amtlich zu machen, so wie es in den Vorschriften steht. Die würden mir ein dickes Seil um den Hals legen und mich auf eine Plattform stellen. Und das kann ich nicht ertragen!«

Delta wußte, wann der Zeitpunkt da war, die Gangart zu wechseln. »Ich habe Ihnen schon einmal gesagt«, meinte er ruhig, »daß es bei Ihnen gar nicht so weit zu kommen braucht. Ich habe mit den Briten in Hongkong nichts zu tun.«

»Sie haben was?«

»Sie haben das angenommen, aber ich habe das nie gesagt.«

»Sie lügen!«

»Dann sind Sie weniger talentiert, als ich gedacht habe, und dabei habe ich gar nicht mit viel gerechnet.«

»Ich weiß. Ich kann nicht logisch denken!«

»Das können Sie ganz bestimmt nicht.«

»Dann sind Sie ein Lohnkiller - das, was man bei Ihnen in Amerika einen Kopfgeldjäger nennt -, aber Sie arbeiten privat und auf eigene Faust.«

»In gewissem Sinne, ja. Und ich kann mir gut vorstellen, daß der Mann, der mich hinter Ihnen hergeschickt hat, Sie anheuern und nicht umbringen möchte.«

»Herr und Heiland -«

»Und mein Preis war hoch. Sehr hoch.«

»Dann sind Sie in der Branche.«

»Nur dieses eine Mal. Es war ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte. Legen Sie sich auf das Bett.«

»Was?«

»Sie haben mich gehört.«

»Ich muß aufs Klo.«

»Bitte schön«, erwiderte Jason und ging zur Badezimmertür und öffnete sie. »Das ist nicht gerade mein Lieblingssport, aber ich werde Sie beobachten.« Alcott-Price erleichterte sich, während Borowski die Waffe auf ihn gerichtet hielt. Als er fertig war, trat er wieder in das kleine, schäbige Zimmer in dem billigen Hotel südlich von Mongkok.

»Das Bett«, sagte Borowski erneut und gestikulierte mit der Pistole. »Legen Sie sich flach hin und spreizen Sie die Beine.«

»Die Schwuchtel unten am Empfang würde ihre Freude an diesem Gespräch haben.«

»Sie können ihn ja nachher anrufen, wenn Sie Zeit haben. Hinlegen. Schnell!«

»Sie haben es immer eilig - «

»Eiliger als Sie je verstehen werden.« Jason hob den Beutel auf und stellte ihn auf das Bett. Er holte die Nylonschnüre heraus, während der geisteskranke Killer auf die schmutzige Überdecke kroch. Neunzig Sekunden später waren die Knöchel des Briten an den hinteren Metallfedern des Bettes festgebunden, und um seinen Hals lag eine dünne weiße Schnur, die straff und gespannt zum Vorderteil des Bettes führte. Schließlich zog Borowski das Kopfkissen ab und band dem Major den Überzug um den Kopf, so daß seine Augen und Ohren bedeckt waren und er nur den Mund zum Atmen frei hatte. Mit auf dem Rücken zusammengebundenen Handgelenken war der Killer wieder bewegungsunfähig. Aber jetzt begann sein Kopf plötzlich ruckartig zu zucken, und sein Mund spannte sich bei jedem Krampf, der ihn schüttelte. Äußerste Angst hatte Exmajor Alcott-Price übermannt. Jason nahm das leidenschaftslos zur Kenntnis.

Das schäbige Hotel, das er ausfindig gemacht hatte, verfügte nicht über die Annehmlichkeit eines Telefons. Die einzige Art und Weise, mit der Umwelt in Verbindung zu treten, war ein

Klopfen an der Tür, was entweder bedeutete, daß die Polizei davor stand, oder ein mißtrauischer Hotelangestellter den Gast darüber informieren wollte, daß eine weitere Tagesmiete fällig war, falls er das Zimmer noch benötige. Borowski ging an die Tür, trat lautlos in den schmutzigen Flur hinaus und begab sich zu dem Telefonautomaten, von dem man ihm gesagt hatte, daß er sich am Ende des Korridors befand.

Er hatte sich die Telefonnummer eingeprägt und auf den Augenblick gewartet - gebetet, wenn das möglich gewesen wäre -, wo er sie wählen würde. Er schob eine Münze in den Schlitz und wählte. Sein Atem ging stoßweise, das Blut stieg ihm in den Kopf. »Schlangenweib!« sprach er ins Telefon und zog das Wort in die Länge. »Schlangenweib, Schlangen ...!«

»Qing, qing«, unterbrach ihn eine unpersöhnliche Stimme, die schnell chinesisch sprach. »Der Telefondienst ist kurzzeitig gestört, mehrere Telefone in diesem Amtsbezirk sind außer Betrieb. Wir nehmen an, daß die Anlage in Kürze wieder funktionieren wird. Dies ist eine Bandaufzeichnung ... Qing, cjing -«

Jason legte den Hörer auf, und tausend zersplitternde Gedanken kollidierten wie Glasscherben in seinem Bewußtsein. Er ging schnell den schwach beleuchteten Korridor zarück und kam an einer Prostituierten vorbei, die in einer Türnische Geld zählte. Sie lächelte ihm zu, griff sich mit beiden Händen an die Bluse; er schüttelte den Kopf und rannte in sein Zimmer. Dort wartete er eine Viertelstunde ruhig am Fenster und lauschte den kehligen Lauten, die sein Gefangener ausstieß. Dann kehrte er zur Tür zurück und trat wieder lautlos in den Korridor. Er ging ans Telefon, steckte Geld in den Schlitz und wählte.

»Qing -« Er knallte den Hörer auf die Gabel; seine Hände zitterten, an seinen Kinnladen traten Muskelstränge hervor, und er dachte an die ans Bett gefesselte »Ware«, die er zurückgebracht hatte, um sie gegen seine Frau einzutauschen. Er nahm den Hörer zum drittenmal auf, schob die letzte Münze, die er hatte, in den Schlitz und wählte Null. »Fernamt«, begann er auf chinesisch. »Das ist äußerst dringend! Ich muß unbedingt die folgende Telefonnummer erreichen.« Er gab sie ihr, und seine Stimme klang dabei fast schrill. »Ich habe eine Tonbandaufzeichnung gehört, wonach die Leitung gestört ist, aber es ist sehr dringend -!«

»Einen Augenblick bitte. Ich versuche, Ihnen zu helfen.« Dann folgte Schweigen, und jede Sekunde war von einem immer lauter werdenden Echo in seiner Brust erfüllt, in der es trommelte wie eine Kesselpauke. Seine Schläfen pochten; sein Mund war trocken, seine Kehle ausgedörrt - brannte wie vom Fieber.

»Die Leitung ist im Augenblick unterbrochen«, sagte eine zweite Frauenstimme.

»Die Leitung? Jene Leitung?«

»Ja, so ist es.«

»Nicht >mehrere Telefone< in dem Amtsbereich?«

»Sie haben sich nach einer ganz speziellen Nummer erkundigt, mein Herr. Von anderen Nummern weiß ich nichts. Wenn Sie sie mir nennen wollen, werde ich sie gern für Sie überprüfen.«

»In der Tonbandansage hieß es ganz eindeutig, mehrere Telefone, und doch sagen Sie, eine Leitung! Wollen Sie damit sagen, daß Sie keinen ... Mehrfachdefekt ... bestätigen können?«

»Einen was?«

»Ob mehrere Telefone nicht funktionieren! Sie haben doch Computer. Da kann man Störungen feststellen. Ich habe der anderen Dame schon gesagt, daß es sehr dringend ist!«

»Wenn es sich um einen Krankheitsfall handelt, rufe ich Ihnen gern einen Notarztwagen. Wenn Sie mir bitte Ihre Adresse nennen wollen -«

»Ich möchte wissen, ob mehrere Telefone nicht funktionieren, oder nur eines! Ich muß das wissen!«

»Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Es ist nach neun Uhr abends, und die Störungsstelle arbeitet mit reduzierter Belegschaft -«

»Aber die können Ihnen doch sagen, ob es ein Flächenproblem ist, verdammt noch mal!«

»Bitte, mein Herr, man bezahlt mich nicht dafür, daß ich mich beleidigen lasse.«

»Tut mir leid, wirklich, es tut mir leid! ... Adresse? Ja, die Adresse! Nennen Sie mir die Adresse der Nummer, die ich Ihnen gegeben habe!«

»Die ist nicht registriert.«

»Aber Sie haben sie!«

»Nein, ich habe sie nicht. Die Datenschutzvorschriften in Hongkong sind sehr strikt. Auf meinem Bildschirm steht nur >nicht registrierte«:

»Ich wiederhole! Es geht hier wirklich um Leben und Tod!«

»Dann lassen Sie mich mit einem Krankenhaus sprechen .... oh, warten Sie bitte, Sie hatten recht. Ich kann jetzt auf dem Bildschirm erkennen, daß die letzten drei Stellen der Nummer, die Sie mir gegeben haben, elektronisch ineinander übergehen, das heißt, die Störungsstelle ist im Augenblick damit beschäftigt, das Problem zu beheben.«

»Und die geographische Lage?«

»Die erste Ziffer ist 5, deshalb ist es auf der Insel Hongkong.«

»Etwas genauer! Wo auf der Insel?«

»Aus den Telefonnummern kann man keine Straßen oder Orte herauslesen. Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Es sei denn, Sie möchten mir Ihre Adresse nennen, damit ich einen Notarztwagen schicken kann.«

»Meine Adresse ...?« sagte Jason verwirrt und erschöpft, am Rande der Panik. »Nein«, fuhr er dann fort. »Ich glaube nicht, daß ich das tun werde.«

Edward Newington McAllister beugte sich über den Schreibtisch, als die Frau den Hörer auflegte. Sie war sichtlich mitgenommen und leichenblaß geworden. Das Telefonat hatte ihr schwer zugesetzt. Der Staatssekretär legte seinen Hörer auf der anderen Seite des Schreibtisches auf; er hielt einen Bleistift in der rechten Hand, und auf dem Notizblock vor ihm stand eine Adresse. »Sie waren wunderbar«, sagte er und tätschelte den Arm der Frau. »Wir haben es geschafft, wir haben ihn. Sie haben ihn lang genug aufgehalten - länger, als er das in den alten Tagen zugelassen hätte -, die Peilung ist bestätigt. Zumindest das Gebäude, und das reicht. Ein Hotel.«

»Er spricht ausgezeichnet Chinesisch. Und er hat mir nicht vertraut.«

»Das hat nichts zu bedeuten. Wir werden das Hotel umstellen. Jeden Eingang und Ausgang. Es liegt an einer Straße, die Shek Lung heißt.«

»Unterhalb vom Mongkok, genauer gesagt in Yau Ma Ti«, sagte die Dolmetscherin. »Es gibt wahrscheinlich nur einen Eingang, durch den ohne Zweifel jeden Morgen der Abfall getragen wird.«

»Ich muß Havilland im Krankenhaus erreichen. Er hätte nicht dort hingehen dürfen!«

»Auf mich hat er einen sehr besorgten Eindruck gemacht«, meinte die Dolmetscherin.

»Letzte Worte«, sagte McAllister und wählte. »Wichtige Informationen von einem Sterbenden. Das ist zulässig.«

»Ich kann Sie alle nicht verstehen.« Die Frau stand auf, und der Staatssekretär ging um den Schreibtisch herum und nahm den Platz ein, den sie freigemacht hatte. »Ich kann Ihre Anweisungen befolgen, aber ich verstehe Sie nicht.«

»Du lieber Gott, das hätte ich fast vergessen. Sie müssen jetzt gehen. Was ich zu besprechen habe, ist streng geheim ... Wir wissen das, was Sie getan haben, sehr zu schätzen, und ich kann Sie unserer Dankbarkeit versichern. Sie werden auch eine Prämie bekommen. Aber ich muß Sie jetzt leider bitten, zu gehen.«

»Sehr gerne, Sir«, sagte die Dolmetscherin. »Und das mit der Dankbarkeit können Sie vergessen, aber bitte die Prämie nicht. So viel habe ich in Wirtschaftskunde auf der Universität von Arizona gelernt.« Die Frau ging.

»Dringender Notfall. Polizei!« schrie McAllister förmlich ins Telefon. »Den Botschafter bitte. Es ist sehr dringend. Nein, nein, keinen Namen, vielen Dank, holen Sie ihn an ein Telefon, wo er ungestört sprechen kann.« Der Staatssekretär rieb sich die linke Schläfe, bis Havilland sich meldete.

»Ja, Edward?«

»Er hat angerufen. Es hat geklappt. Wir wissen jetzt, wo er ist! Ein Hotel im Yau Ma Ti.«

»Lassen Sie es umstellen, aber unternehmen Sie nichts! Conklin muß verstehen, was wir vorhaben. Wenn er Unrat wittert oder das, was er dafür hält, wird er aussteigen. Und wenn wir die Frau nicht haben, dann bekommen wir auch unseren Killer nicht. Um Himmels willen, passen Sie auf, daß ja nichts schiefgeht, Edward! Sonst könnte leicht jemand auf die Abschußliste kommen.«

»Ich bin solche Worte nicht gewöhnt, Mr. Ambassador.«

Am anderen Ende der Leitung trat eine Pause ein; als Havilland dann wieder sprach, war seine Stimme kalt. »O doch, Edward, das sind Sie sehr wohl. Sie protestieren zuviel, in dem Punkt hatte Conklin recht. Sie hätten am Anfang nein sagen können, in Sangre de Cristo in Colorado. Da hätten Sie aussteigen können, aber das haben Sie nicht getan, das konnten Sie nicht. In mancher Hinsicht sind Sie wie ich - natürlich ohne ein paar zufällige Pluspunkte zu meinen Gunsten. Wir denken und kombinieren, und unsere Manipulationen sind unser Lebenselixier. Und bei jedem Zug in dem Schachspiel mit Menschen, das wir spielen, schwillt uns vor Stolz der Kamm - in einem Spiel, wo jeder Zug schreckliche Folgen für irgend jemanden haben kann -, weil wir an etwas glauben.

Das wirkt wie ein Rauschgift, und die Sirenengesänge sind in Wirklichkeit eine Verneigung vor unserem Ego. Unser überlegener Intellekt verschafft uns unsere Macht. Geben Sie es ruhig zu, Edward, ich habe das auch zugegeben. Ich will noch einmal sagen, was ich schon gesagt habe: Jemand muß es tun.«

»Von Vorträgen zur Unzeit halte ich erst recht nichts«, sagte McAllister.

»Ich werde Ihnen keinen mehr halten. Tun Sie einfach, was ich Ihnen gesagt habe. Sichern Sie alle Ausgänge dieses Hotels, aber sagen Sie jedem Mann, daß er keine weiteren Schritte unternehmen soll. Wenn Borowski irgendwohin geht, ist ihm diskret zu folgen, aber er darf unter keinen Umständen angerührt werden. Wir müssen die Frau haben, ehe der Kontakt hergestellt wird.«

Morris Panov nahm den Hörer ab. »Ja?«

»Es ist etwas geschehen.« Conklin redete schnell und leise. »Havilland hat den Warteraum verlassen, um ein dringendes Telefonat entgegenzunehmen. Ist bei Ihnen irgend etwas?«

»Nein, nichts. Wir haben nur miteinander gesprochen.«

»Ich bin beunruhigt. Havillands Leute könnten Sie gefunden haben.«

»Du lieber Gott, wie denn!«

»Indem sie sich in jedem Hotel in der Kronkolonie nach einem weißen Mann erkundigt haben, der hinkt, ganz einfach.«

»Sie haben den Mann am Empfang dafür bezahlt, daß er den Mund hält. Sie haben gesagt, es handle sich um eine vertrauliche geschäftliche Besprechung - etwas völlig Normales.«

»Die können auch bezahlen und sagen, es handle sich um eine vertrauliche Angelegenheit der Regierung. Dreimal dürfen Sie raten, wer da den Vorrang bekommt.«

»Ich glaube, Sie sehen zu schwarz«, wandte der Psychiater ein.

»Mir ist egal, was Sie glauben, Doktor, nur sehen Sie zu, daß Sie dort verschwinden. Sofort. Vergessen Sie Maries Gepäck -falls sie welches hat. Verschwinden Sie so schnell wie möglich.«

»Und wohin sollen wir gehen?«

»Wo viele Leute sind, aber wo ich Sie finden kann.«

»Ein Restaurant?«

»Das ist zu lange her, die wechseln hier ja alle zwanzig Minuten die Namen. Hotels kommen auch nicht in Frage; die lassen sich zu leicht überwachen.«

»Wenn Sie recht haben, Alex, dann vergeuden Sie aber jetzt Zeit -«

»Ich muß nachdenken!... also gut, nehmen Sie sich ein Taxi zur Nathan Road, dort wo sie die Salisbury kreuzt - haben Sie das? Nathan und Salisbury. Sie werden das Peninsula-Hotel sehen, aber gehen Sie nicht hinein. Der Straßenzug, der von dort nach Norden führt, nennt sich die Goldene Meile. Gehen Sie auf der rechten Seite auf und ab, der Ostseite, aber nicht weiter als vier Kreuzungen. Ich komme sobald wie möglich dorthin.«

»In Ordnung«, sagte Panov. »Nathan und Salisbury, in nördlicher Richtung auf der rechten Seite bis zur vierten

Kreuzung. Alex, Sie sind auch ganz sicher, daß Sie recht haben, oder?«

»Aus zwei Gründen«, antwortete Conklin. »Zunächst einmal hat Havilland mich nicht aufgefordert, mitzukommen, um herauszufinden, um was für einen bringenden Notfall< es sich handelte - und das entspricht nicht unserer Vereinbarung. Und wenn der Notfall nicht Sie und Marie sind, dann bedeutet das, daß Webb Kontakt aufgenommen hat. Wenn das der Fall ist, will ich mein einziges Unterpfand nicht aus der Hand geben, und das ist Marie. Nicht ohne sichere Garantien. Nicht bei Botschafter Raymond Havilland. Und jetzt verschwinden Sie!«

Irgend etwas stimmte nicht! Aber was? Borowski war in das schmutzige Hotelzimmer zurückgekehrt, stand jetzt am Fußende des Bettes und beobachtete seinen Gefangenen, dessen Zuckungen noch stärker geworden waren, dessen gestreckter Körper krampfartig auf jede nervöse Bewegung reagierte. Was war es? Warum hatte ihn das Gespräch mit dem Mädchen vom Fernamt so beunruhigt? Sie war höflich und hilfsbereit gewesen; sogar seine Beleidigung hatte sie hingenommen. Was also war es? ... plötzlich drängten sich Worte aus einer weit zurückliegenden Vergangenheit in sein Bewußtsein. Worte, die er vor Jahren zu einer Frau vom Fernamt, einer Frau ohne Gesicht, nur mit einer reizbaren Stimme, gesagt hatte.

Ich habe Sie nach der Nummer des iranischen Konsulats gefragt.

Die steht im Telefonbuch. Wir haben hier alle Hände voll zu tun und für solche Anfragen keine Zeit. Fragen Sie meinetwegen die Auskunft. Klick. Leitung tot.

Das war es! Die Leute beim Fernamt in Hongkong galten als die unfreundlichsten der Welt. Sie vergeudeten keine Zeit, ganz gleich, wie hartnäckig der Kunde auch war. Die viele Arbeit in dieser überfüllten, hektischen Finanzmetropole ließ das einfach nicht zu. Und doch hatte die Frau geradezu eine Engelsgeduld gehabt ... Von anderen Nummern weiß ich nichts. Wenn Sie sie mir nennen wollen, werde ich sie gern für Sie überprüfen ... Es sei denn, Sie möchten mir Ihre Adresse nennen ... Die Adresse! Und ohne richtig über die Frage nachzudenken, hatte er instinktiv geantwortet: Nein, ich glaube nicht, daß ich das tun werde. Und tief in seinem Inneren hatten Alarmglocken geschrillt.

Eine Peilung! Sie hatten ihn hingehalten, ihn lange genug an der Leitung festgehalten, um sein Gespräch auf elektronischem Wege anzupeilen! Öffentliche Telefone ausfindig zu machen, war besonders schwierig. Man mußte zuerst die Umgebung feststellen; anschließend den genauen Punkt oder das Gebäude, und schließlich den Apparat selbst, aber das war nur eine Frage von Minuten und Minutenbruchteilen zwischen dem ersten Schritt und dem letzten. War er lange genug an der Leitung geblieben? Und wenn ja, wie weit waren sie gekommen? Die Umgebung? Das Hotel? Der Telefonautomat selbst? Jason versuchte, sein Gespräch mit der Frau zu rekonstruieren. Verzweifelt und doch mit aller Präzision, derer er fähig war, versuchte er, sich den Rhythmus ihrer Worte zu vergegenwärtigen, ihrer Stimme, und erkannte, daß sie jedesmal, wenn er schneller gesprochen hatte, langsamer geworden war. Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen ... Nein, ich habe sie nicht, Sir. Die Datenschutzvorschrifien in Hongkong sind sehr strikt - ein Vortrag! Oh, warten Sie bitte. Sie hatten recht... ich kann jetzt auf dem Bildschirm erkennen ... Eine Erklärung, die ihn besänftigen sollte und Zeit in Anspruch nahm. Zeit! Wie hatte er das nur zulassen können? Wie lange ...? Neunzig Sekunden - allerhöchstem zwei Minuten. Sein Zeitgefühl war stark ausgeprägt. Zwei Minuten also. Das reichte, um eine Umgebung festzustellen, möglicherweise auch einen Ort zu bestimmen, aber angesichts der Hunderttausende von Meilen Telefonleitungen reichte es wahrscheinlich nicht, um ein ganz bestimmtes Telefon zu orten. Aus irgendeinem Grund drängten sich ihm Bilder von Paris auf, und dann die verschwommenen Umrisse von Telefonzellen, und wie er und Marie von einer zur anderen rasten, durch die blendenden Straßen von Paris, und wie sie dort nicht anpeilbare Anrufe tätigten, in der Hoffnung, das Rätsel zu lösen, das Jason Borowski war. Vier Minuten. So lange dauert es, aber wir müssen aus dem Viertel verschwinden! Das haben die nämlich inzwischen!

Die Männer des Taipan - wenn es diesen hünenhaften Taipan überhaupt gab - hatten möglicherweise das Hotel herausgefunden, aber daß sie auch den Apparat oder das Stockwerk kannten, war höchst unwahrscheinlich. Und dann war da noch eine weitere Zeitspanne in Betracht zu ziehen, die ihm nutzen würde, wenn er schnell handelte. Wenn man das Hotel herausgefunden hatte, dann würden die Jäger einige Zeit brauchen, um den Süden Mongkoks zu erreichen, immer vorausgesetzt, daß sie auf der Insel Hongkong waren, worauf ja die erste Ziffer der Telefonnummer deutete. Alles kam jetzt auf höchste Geschwindigkeit an. Schnell.

»Die Augenbinde bleibt, Major, aber Sie ziehen um«, sagte er zu dem Killer, während er schnell den Knebel und die Knoten löste, die ihn mit den Matratzenfedern verbanden, und die drei Stück Nylonschnur zusammenrollte und sie in das Jackett des Killers stopfte.

»Was? Was haben Sie gesagt?«

»So ist's noch besser«, sagte Borowski mit lauter Stimme. »Stehen Sie auf, wir machen einen Spaziergang.« Jason griff nach seinem Beutel, öffnete die Tür und sah sich im Korridor um. Ein Betrunkener taumelte in ein Zimmer links von ihm und knallte die Tür zu. Auf der rechten Seite war der Korridor leer, bis zu dem Telefonautomaten und dem Feuerausgang dahinter. »Bewegen Sie sich«, befahl Borowski und gab seinem Gefangenen einen Stoß.

Eine Versicherungsgesellschaft hätte die Feuertreppe auf den ersten Blick abgelehnt. Das Metall war verrostet, und das Geländer gab nach. Wenn man vor einem Feuer fliehen wollte, wäre sicherlich ein verräuchertes Treppenhaus vorzuziehen gewesen. Trotzdem, es kam nur darauf an, daß sie bis zur Straße hinunterklettern konnten, ohne daß die Leiter zusammenbrach. Jason packte den Killer am Revers und führte ihn die ächzenden Metall sprossen hinunter, bis sie den Absatz im ersten Stock erreicht hatten. Die Leiter darunter war völlig verrottet, aber die Halterung reichte halb bis zu der Gasse darunter. Bis zum Pflaster waren es höchstens zwei Meter, und das war nach unten leicht zu schaffen - und was noch wichtiger war, auch wenn man wieder hinauf wollte.

»Schlafen Sie gut«, sagte Borowski, zielte in dem schwachen Licht und schmetterte dem Killer die Faust ins Genick. Der Brite brach auf dem Treppenabsatz zusammen, und Borowski holte die Schnüre heraus, fesselte den Killer ans Geländer und zerrte zuletzt den Kopfkissenbezug heraus und band ihn seinem Gefangenen um den Mund. Die nächtlichen Geräusche von Yau Ma Ti und aus dem nahen Mongkok würden leicht etwaige Schreie übertönen - falls Alcott-Price aufwachte, ehe Jason ihn weckte, was höchst zweifelhaft war.

Borowski stieg das letzte Stück Leiter hinunter und ließ sich, nur Sekunden bevor drei junge Männer auftauchten, in die schmale Gasse fallen. Sie kamen von der überfüllten Straße her um die Ecke gerannt und duckten sich atemlos in eine Türnische, während Jason auf die Knie gekauert wartete - für sie unsichtbar, wie er hoffte. Hinter dem Eingang zu der Gasse rannte eine weitere Gruppe junger Leute vorbei, schreiend vor Wut. Die drei jungen Männer lösten sich aus der Türnische und rannten hinaus, in die entgegengesetzte Richtung, aus der ihre Verfolger gekommen waren. Borowski stand auf und ging mit schnellen Schritten zur Mündung der Gasse und sah sich nach der Feuerleiter um. Von hier aus war sein Gefangener nicht zu sehen.

Er stieß mit zwei Männern zusammen, die hastig herangerannt kamen. Er prallte von ihnen ab und drückte sich gegen die Wand; vermutlich gehörten die jungen Männer zu den Verfolgern der letzten drei, die sich in der Türnische versteckt hatten. Einer hielt drohend ein Messer in der Hand. Das hatte Jason gerade noch gefehlt, das konnte er jetzt nicht brauchen. Ehe der junge Mann merkte, wie ihm geschah, packte Borowski das Handgelenk des jungen Mannes und drehte es herum. Die Klinge fiel ihm aus der Hand und er stieß einen schrillen Schmerzensschrei aus.

»Verschwindet hier!« schrie Jason in schroffem Kantonesisch. »Eure Gang hat hier nichts verloren! Wenn wir euch noch mal hier erwischen, dann schicken wir euren Müttern eure Leichen hübsch verpackt. Haut ab!«

»Aiya!«

»Wir sind hinter Dieben her! Solche aus dem Norden. Die stehlen, die -«

»Haut ab!«

Die jungen Männer liefen weg, tauchten in der überfüllten Straße des Yau Ma Ti unter. Borowski schüttelte seine Hand, die Hand, die der Killer im Hotel gegen den Türrahmen gequetscht hatte. Vor lauter Anspannung hatte er den Schmerz vergessen; so ließ er sich am besten ertragen.

Er blickte auf, als er das Geräusch hörte - Geräusche. Zwei dunkle Limousinen kamen die Shek Lung Street heruntergerast und hielten vor dem Hotel an. Sie sahen eindeutig nach Dienstwagen aus. Jason sah beunruhigt zu, wie aus jedem Wagen Männer stiegen, zwei aus dem ersten, drei aus dem dahinter.

O Gott, Marie! Wir werden verlieren! Ich habe uns umgebracht - Herrgott, ich habe uns umgebracht!

Er erwartete, daß die fünf Männer ins Hotel rannten, den Mann am Empfang verhörten, Stellung bezogen und handelten. Sie würden erfahren, die Gäste auf Zimmer 301 seien wahrscheinlich noch oben; man habe sie nicht weggehen sehen. In nicht einmal einer Minute würde das Zimmer aufgebrochen werden, und Sekunden später würde man die Feuertreppe entdecken! Würde er es schaffen? Würde er wieder hinaufklettern können, den Killer losschneiden, ihn in die Gasse herunterholen und entkommen können? Das mußte er! Er sah sich noch einmal um, ehe er zur Leiter zurückrannte.

Dann hielt er inne. Irgend etwas stimmte hier nicht - da war etwas Unerwartetes, völlig Unerwartetes. Der erste Mann aus dem vorderen Wagen hatte sein Jackett ausgezogen -Kleidungsvorschrift - und seine Krawatte gelöst. Jetzt fuhr er sich mit der Hand durchs Haar, brachte es in Unordnung und ging - mit unsicheren Schritten? - auf den Eingang des baufälligen Hotels zu. Seine vier Begleiter schwärmten aus, blickten zu den Fenstern hinauf, zwei nach rechts, zwei nach links, auf die Gasse zu - auf ihn zu. Was ging hier vor? Diese Männer handelten nicht amtlich. Sie benahmen sich wie Verbrecher, wie Mafiosi, die ein Opfer umstellten, die eine Falle stellten, aber nicht auffallen wollten. Du großer Gott, sollte Alex Conklin unrecht gehabt haben, damals auf dem Dulles-Flughafen in Washington?

Du kannst es immer noch. Halte dich an das Drehbuch. Du kannst das, Delta!

Keine Zeit. Jetzt war keine Zeit mehr zum Überlegen. Er durfte die wertvollen Sekunden nicht damit vergeuden, über die Existenz oder Nichtexistenz eines hünenhaften Taipans nachzudenken, der ohnehin zu Operettenhaft wirkte, als daß er hätte echt sein können. Die zwei Männer, die auf ihn zustrebten, hatten jetzt die Gasse entdeckt. Sie fingen zu laufen an - auf die Gasse zu, auf die »Ware« zu, auf die Vernichtung und den Tod von allem, was Jason in dieser verkommenen Welt wichtig war, dieser Welt, die er liebend gerne verlassen hätte, wenn nicht Marie gewesen wäre.

Die Sekunden tickten dahin, in Millisekunden vorausberechneter Gewalt, die er gleichzeitig akzeptierte und verabscheute. David Webb wurde zum Schweigen gebracht, und Jason Borowski übernahm erneut die Befehlsgewalt. Laß mich in Ruhe! Verschwinde! Das ist alles, was uns noch bleibt!

Der erste Mann fiel um, mit zerschmettertem Brustkorb, zum Schweigen gebracht mit einem Schlag gegen die Kehle. Dem zweiten Mann wurde eine Vorzugsbehandlung zuteil. Es war lebenswichtig, daß er bei Bewußtsein blieb, das, was folgte, wach in sich aufnahm. Er zerrte beide Männer in die tiefsten Schatten der Gasse, zerfetzte ihnen mit dem Messer die Kleider, fesselte sie an Armen und Füßen und knebelte sie mit den Kleiderfetzen.

Dann drückte Borowski den zweiten Mann zu Boden, preßte ihm die Arme mit dem Knie gegen den Leib und setzte sein Messer unter dem linken Auge an und verkündete ihm sein Ultimatum. »Meine Frau! Wo ist sie? Jetzt gleich! Oder Sie verlieren Ihr Auge, und dann das andere auch! Ich schneide Sie in Stücke, jung gwo, glauben Sie mir!« Er riß dem Mann den Knebel aus dem Mund.

»Wir sind nicht Ihr Feind, Zhangu!« schrie der Asiate auf englisch und gebrauchte das kantonesische Wort für Ehemann. »Wir haben uns bemüht, sie zu finden! Wir suchen überall!«

Jason starrte den Mann an, und das Messer zitterte in seiner Hand, seine Schläfen pochten wie wild. Sein persönliches Universum war im Begriff zu explodieren, der Himmel würde gleich Feuer und Schmerz auf ihn herunterregnen lassen, so viel, daß es seine Vorstellung überstieg. »Marie!« schrie er gequält. »Was habt ihr mit ihr gemacht? Man hat mir doch eine Garantie gegeben! Ich bringe die Ware heraus und man gibt mir meine Frau zurück! Ich sollte ihre Stimme am Telefon hören, aber das

Telefon funktionierte nicht! Statt dessen peilte man mich an, und plötzlich sind Sie hier, und meine Frau nicht! Wo ist sie?!«

»Wenn wir das wüßten, wäre sie hier bei uns.«

»Lügner!« schrie Borowski.

»Ich lüge Sie nicht an, Sir, und Sie dürfen mich nicht umbringen, bloß weil ich Ihnen die Wahrheit sage. Sie ist aus dem Krankenhaus entkommen -«

»Dem Krankenhaus?«

»Sie war krank. Der Arzt hat darauf bestanden. Ich war dort, vor ihrem Zimmer, habe sie bewacht! Sie war schwach, aber sie ist entkommen -«

»O Gott! Krank? Schwach? Allein in Hongkong? Mein Gott, ihr habt sie umgebracht.«

»Nein, Sir. Wir hatten Anweisung, dafür zu sorgen, daß ihr nichts fehlte -«

»Sie hatten Anweisung«, sagte Jason Borowski, und seine Stimme war ausdruckslos und kalt. »Aber nicht Ihr Taipan. Er hat andere Anweisungen befolgt, Anweisungen, wie sie zuvor in Zürich und in Paris gegeben wurden und an der Einundsiebzigsten Straße in New York. Ich habe das erlebt - wir haben das erlebt. Und jetzt habt ihr sie umgebracht. Ihr habt mich benutzt, so wie ihr mich früher benutzt habt, und als ihr gedacht habt, es sei vorbei, habt ihr sie mir weggenommen. >Was macht schon der Tod einer weiteren Tochter ausTaipan?«

»Er ist kein Taipan! Er ist von den Briten ausgebildet und geschult, ein Offizier, der in der Kronkolonie großes Ansehen genießt. Er arbeitet mit Ihren Landsleuten zusammen, den Amerikanern. Er ist vom Geheimdienst.«

»Natürlich ... es war von Anfang an ganz genauso. Nur daß es diesmal nicht der Schakal war, sondern ich. Man hat mich auf dem Schachbrett herumgeschoben, bis ich keine Wahl mehr hatte, als mich selbst zu jagen - einen Abklatsch meiner selbst, einen Mann, der sich Borowski nannte. Wenn er ihn hat, dann bringt ihn um, bringt beide um. Sie wissen zuviel.«

»Nein!« schrie der Asiate schwitzend und mit geweiteten Augen, starrte das Messer an, das sich in sein Fleisch bohrte. »Man sagt uns sehr wenig, aber davon habe ich nichts gehört!«

»Was machen Sie dann hier?« fragte Jason schroff.

»Überwachung, das schwöre ich! Das ist alles!«

»Bis die Revolverhelden anrücken?« sagte Borowski eisig. »Damit eure adretten Anzüge sauber bleiben, kein Blut an eure Hemden kommt, und damit es keine Spuren gibt, die zu diesen namenlosen, gesichtslosen Leuten führen, für die Sie arbeiten.«

»Nein, das stimmt nicht! So sind wir nicht, und unsere Vorgesetzten sind auch nicht so!«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, ich kenne das alles. Sie sind so, glauben Sie mir ... Und jetzt werden Sie mir etwas sagen. Was auch immer das alles zu bedeuten hat, es ist schmutzig und niederträchtig und abgesichert bis zum Gehtnichtmehr. Niemand führt eine solche Operation ohne einen getarnten Stützpunkt. Wo ist dieser Stützpunkt?«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Das Hauptquartier oder Basislager oder ein abgeschottetes Haus oder ein Kommandozentrum - wie, zum Teufel, es auch immer heißt. Wo ist es?«

»Bitte, ich kann nicht -«

»Sie können. Sie werden .. denn wenn Sie es nicht tun, steche ich Ihnen die Augen aus. Jetzt!«

»Ich habe eine Frau, Kinder!

»Die hatte ich auch. Ich verliere gleich die Geduld.« Jason hielt inne, lockerte den Druck seines Messers leicht. »Außerdem, wenn Sie so sicher sind, daß Sie recht haben - daß Ihre Vorgesetzten nicht das sind, was ich behaupte, welchen Schaden können Sie dann schon anrichten? Man kann sich doch arrangieren?«

»J!« schrie der verängstigte Mann. »Arrangieren! Es sind gute Menschen. Die werden Ihnen nichts tun!«

»Dazu werden sie auch keine Chance haben«, flüsterte Borowski.

»Was, Sir?«

»Nichts. Wo ist es? Wo ist dieses ach so geheime Hauptquartier? Schnell!«

»Victoria Peak!« sagte der zu Tode erschrockene und vor Angst fast versteinerte Geheimdienstler. »Das zwölfte Haus auf der rechten Seite mit hohen Mauern ..«

Borowski hörte sich die Beschreibung eines abgeschotteten Hauses an, eines ruhigen, von Streifen bewachten Grundstücks in einem wohlhabenden Viertel.

Er hörte sich an, was er hören mußte; sonst brauchte er nichts. Dann schlug er dem Mann den schweren Griff seines Messers gegen den Schädel, stopfte ihm den Knebel wieder in den Mund und richtete sich auf.

Er sah die Feuertreppe hinauf, betrachtete die kaum erkennbaren Umrisse seines Gefangenen.

Sie wollten Jason Borowski haben und waren dafür zum Morden bereit.

Sie würden zwei Jason Borowskis bekommen und ihrer Lügen wegen sterben.

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