Kapitel 28
Mittwochnachmittag
»Sexpuppen sind nichts Neues«, sagte Smith und warf einen Blick auf die Frau aus Plastik und Silikon, die auf dem Bett lag. »Als die Niederländer die sieben Weltmeere beherrschten, hatten die Seeleute die lederne Nachbildung einer Vagina dabei. Diese Dinger waren so verbreitet, dass die Chinesen sie als dutch wife bezeichnet haben.«
»Wirklich?«, fragte Katrine und betrachtete die weißgekleideten Engel der Spurensicherung, die das Schlafzimmer absuchten. »Haben die Englisch gesprochen?«
Smith lachte. »Erwischt. Die Artikel in den Fachzeitschriften sind auf Englisch. In Japan gibt es Bordelle nur mit Sexpuppen. Die teuersten sind mit Heizelementen ausgestattet, die sie immer auf Körpertemperatur halten, einem Skelett, damit Arme und Beine nur in natürliche Positionen geschoben werden können, und sie haben eine automatische Schmierung …«
»Danke, ich denke, das reicht«, sagte Katrine.
»Natürlich, tut mir leid.«
»Hat Bjørn gesagt, warum er im Heizungsraum geblieben ist?«
Smith schüttelte den Kopf.
»Er und Lien mussten noch etwas erledigen«, sagte Wyller.
»Berna Lien? Etwas erledigen?«
»Er hat nur gesagt, dass er die Wohnung auch anderen überlassen könne, schließlich sei das ja kein mutmaßlicher Tatort.«
»Erledigen«, murmelte Katrine, während sie, gefolgt von Wyller und Smith, aus dem Schlafzimmer ging. Dann aus der Wohnung und nach unten auf den Parkplatz. Sie gingen zu dem blauen Honda, dessen Kofferraum von zwei Kriminaltechnikern untersucht wurde. Die Autoschlüssel hatten sie in der Wohnung gefunden, und es war ihnen bestätigt worden, dass der Wagen auf Alexander Dreyer angemeldet war. Der Himmel war stahlgrau, und hinter der großen, hohen Wiese auf der anderen Straßenseite zerrte der Wind an den Bäumen. Laut letztem Wetterbericht war Emilia nur noch wenige Stunden entfernt.
»Klug von ihm, den Wagen stehenzulassen«, sagte Wyller.
»Richtig«, sagte Katrine.
»Wie meint ihr das?«, fragte Smith.
»Mautstationen, Parkhäuser, Kameras«, sagte Wyller. »Es gibt Programme, die in nur wenigen Sekunden eine Autonummer auf Videoaufzeichnungen erkennen.«
»Brave new world«, warf Katrine ein.
»O brave new world, that has such people in it«, sagte Smith.
Katrine drehte sich zu dem Psychologen um. »Haben Sie eine Idee, wohin jemand wie Valentin flüchten würde?«
»Nein.«
»Nein wie ›keine Ahnung‹?«
Smith schob sich die Brille etwas höher auf die Nase. »Nein im Sinne von ›Ich kann mir nicht vorstellen, dass er flieht‹.«
»Warum nicht?«
»Weil er wütend ist.«
Katrine lief ein Schauer über den Rücken. »Sie haben ihn in Ihrem Podcast mit Daa nicht gerade weniger wütend gemacht, sollte er den gehört haben.«
»Nein«, seufzte Smith. »Ich bin vielleicht zu weit gegangen. Und das zum wiederholten Male. Zum Glück haben wir gute Schlösser und Überwachungskameras, seit bei uns im Stall eingebrochen wurde. Aber vielleicht …«
»Vielleicht was?«
»Vielleicht würden wir uns sicherer fühlen, wenn ich eine Waffe hätte. Eine Pistole oder so.«
»Laut Vorschriften dürfen wir Ihnen ohne Lizenz und Kurs keine Polizeiwaffe überlassen.«
»Notbewaffnung«, sagte Wyller.
Katrine sah ihn nachdenklich an. Die Kriterien für eine Notbewaffnung waren möglicherweise tatsächlich erfüllt, vielleicht aber auch nicht. Andererseits sah sie die Schlagzeilen in den Zeitungen geradezu vor sich, sollte Smith erschossen werden und dann an die Öffentlichkeit geraten, dass er um Notbewaffnung gebeten hatte, ohne dass diesem Wunsch nachgekommen worden wäre. »Helfen Sie Smith dabei, dass er eine Waffe erhält?«
»Ja.«
»Okay. Skarre wird Züge, Schiffe, Flugzeuge, Hotels und Pensionen überprüfen. Hoffen wir, dass Valentin nicht noch Papiere für andere Identitäten als Alexander Dreyer hat.« Katrine sah hoch zum Himmel. Sie hatte mal einen Lover gehabt, der Gleitschirm flog und ihr erzählt hatte, dass es am Boden windstill sein konnte, während nur wenige Hundert Meter oberhalb die Luftmassen so schnell in Bewegung waren, dass sie jedem Autobahnraser Konkurrenz machten. Dreyer. Dutch wife. Erledigen? Pistole. Wütend.
»Und Harry war nicht zu Hause?«, fragte sie.
Wyller schüttelte den Kopf. »Ich habe geklingelt, bin um das Haus herumgegangen und habe in jedes Fenster geschaut.«
»Dann wird es Zeit, mit Oleg zu reden«, sagte sie. »Er hat sicher die Schlüssel.«
»Ich kümmere mich sofort darum.«
Sie seufzte. »Wenn ihr Harry nicht bei sich zu Hause findet, müssen wir Telenor bitten, sein Telefon zu orten.«
Einer der weißgekleideten Kriminaltechniker kam zu ihr.
»Im Kofferraum ist Blut«, sagte er.
»Viel?«
»Ja, und das hier.« Er hielt einen Beweisbeutel aus durchsichtigem Plastik in die Höhe, in dem eine weiße Bluse steckte. Zerrissen. Blutig. Mit Rüschen. Genau so eine Bluse sollte Marte Ruud nach Aussage der Gäste am Abend ihres Verschwindens getragen haben.