Von oben sah der Tag vollkommen aus.
Ein azurblauer Himmel, ein türkisglänzendes Meer. Vereinzelt trieben Wolken wie aus Zuckerwatte über den unendlichen blauen Hintergrund.
Der Wind hatte sich gelegt, und die Ozeanwellen schlugen sanft gegen das zersplitterte Ende des Lavastroms, der sich von seinem Eruptionskanal an der Flanke des Kilauea auf der Insel Hawaii bis zum Meer erstreckte.
Auf der Großen Insel, die bei weitem größer war als alle anderen hawaiianischen Inseln zusammen.
Und sie wuchs mit jedem Tag.
Heute jedoch schien sich die Erde der Ruhe des Wassers und des Windes anzupassen. Die Feuer im Kern der Insel brodelten offenbar nur leicht vor sich hin, als warteten sie auf eine günstigere Gelegenheit, sich durch die Felskruste einen Weg nach oben zu bahnen und Flüsse aus glühendem Magma auszusenden, damit diese sich die Bergflanken hinabwälzten und immer weiter ins Meer vordrangen.
Auf einen Tag wie diesen hatte das Tauchteam gewartet.
Eine Stunde nach Sonnenaufgang waren sie an Bord des Schleppdampfers gegangen, der sie aus der Hilo-Bucht herausbrachte. Jetzt lag das Schiff etwa zweihundert Meter hinter dem Ende des Lavastroms, befestigt durch drei Anker, die an schwere Trosse gekettet waren. Den Schleppkran hielt ein kleinerer Anker in Position. Die Schiffscrew hatte nicht viel zu tun, solange die Taucher keine Signale gaben. Die Männer vertrieben sich die Zeit auf Deck, spielten Karten und tranken Bier.
Bei dem herrlichen Wetter dachte niemand an etwas Böses.
Hätten sich nicht Wind und Meer gegen sie verschworen, so hätte vielleicht jemand den winzigen seismischen Ausschlag bemerkt und erkannt, dass die Idylle dieses ruhigen Tages bloße Illusion war.
Unter der dicken Lavazunge, die von dem Vulkanschlot an der Bergflanke bis zum Meer führte, war der Druck im heißen Kern weit unter der Erdkruste ständig gestiegen und hatte einen riesigen Gesteinsbrocken aufgespalten.
Es handelte sich nicht um eine explosive Spalte - nicht annähernd von der gewaltigen Kraft, die freigesetzt worden war, als die Kontinentalplatten zerbrachen und Hunderte von Kilometern scheinbar fester Erde jählings in entgegengesetzte Richtungen geschoben wurden.
Auch handelte es sich nicht um eine Spalte jener Art, in der sich urplötzlich der Meeresboden hebt, woraufhin große Flutwellen Tausende von Kilometern in alle Richtungen jagen, sich über dem Land auftürmen und alles niederwalzen, was ihnen im Weg steht.
Diese Spalte, die sich dicht unter der Oberfläche befand, erzeugte nur winzigste Ausschläge auf den Seismografen, welche die Bewegungen des Berges registrierten. Wenn es irgend jemand auf der Insel überhaupt bemerkt hatte, dann fragte er sich einen Augenblick später, ob er sich das Ganze nicht bloß eingebildet hatte.
Unter der Lavazunge bot der Riß im Gestein gerade so viel Platz, dass sich eine glühende Säule geschmolzenen Felsens langsam ihren Weg nach oben bahnen konnte. Dabei verbreiterten Hitze und Druck den Kanal, bis schließlich weißglühendes Magma den leeren Tunnel unter der Lavazunge füllte, dort, wo vor Jahren der flüssige innere Kern des Lavastroms aus der Röhre abgeflossen war, welche die sich schnell abkühlende Oberfläche der Lavamasse geschaffen hatte.
Und nun, da der Schlepper friedlich am Ende der Zunge im Wasser schaukelte und die Taucher nichtsahnend in der Tiefe arbeiteten, strömte das flüssige Feuer den Berg hinab, durch das schwarze Gestein darüber verborgen und isoliert.
Schließlich erreichte es das Ende der Röhre, dort, wo der Fluss durch das Meer abgekühlt und zum Stillstand gebracht worden war. Dort häufte sich nun die neue Lava an, und mit jeder Minute strömte weitere Masse hinzu, deren Gewicht gegen die Innenwand des Kliffs drückte und deren Hitze unablässig gegen die Steinwände brannte, die das brodelnde Magma von der See trennten.
Dreißig Meter unter der Oberfläche arbeiteten die beiden Taucher, ein Mann und eine Frau. Sie wollten das Objekt bergen, das sie vor einer Woche entdeckt hatten.
Es lag eingebettet in die Lavaschicht auf dem Meeresboden und war von fast vollkommener Kugelform. Seine Farbe ähnelte der von Lava so sehr, dass die Taucher es fast übersehen hätten, als sie zum erstenmal daran vorbeikamen. Doch schließlich war der Frau die gerundete Form, die sie soeben aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte, doch noch aufgefallen.
Sie hatte das Ganze etwas näher angesehen, weil ihr eine solche Lavaformation noch nicht begegnet war. Kurz darauf merkte ihr Partner, dass sie sich nicht mehr in der üblichen Position rechts neben ihm befand, und machte kehrt, um sie zu suchen. Kaum hatte er die Kugel gesehen, zeigte er ein ebenso großes Interesse wie sie.
Fast zehn Minuten lang untersuchten sie das Objekt. Obwohl es fest in der Lava steckte, konnten sie erkennen, dass es kein Bestandteil dieser Schicht, sondern eine Art Hohlraum war. Nachdem sie es fotografiert und seine genaue Position bestimmt hatten, beendeten sie ihren Tauchgang, um später an jenem Tag ihrem Arbeitgeber von ihrer Entdeckung zu berichten.
Nun waren sie an ihren Fundort zurückgekehrt. Fast eine Stunde hatten sie sich unter Wasser aufgehalten und sorgsam ein speziell angefertigtes Netz um die Kugel plaziert. Dann hatten sie das Netz an einem Haken befestigt, der von einem Kran auf dem Deck der Barke herunterhing. Das Korbnetz, das nur für diese Aufgabe entworfen worden war, ähnelte den geknüpften Wadennetzen, die Generationen japanischer Fischer an Glasschwimmern befestigt hatten. Das Material war allerdings eine Kunststoffaser und stärker als Stahl.
Nachdem sie das Netz angebracht und sich davon überzeugt hatten, dass das schwere Geflecht nicht abgleiten konnte, aktivierte die Frau einen Signalgeber, der an ihrem Bleigürtel hing.
Die Crew auf dem Schlepper machte sich daran, die Kugel vom Boden des Ozeans nach oben zu ziehen.
Einer der Männer glaubte, einen Hauch Schwefel in der Luft zu riechen. Er rümpfte die Nase. Wahrscheinlich wieder die Tankbatterien, die von Zeit zu Zeit unangenehme Dämpfe ausstießen.
Da sie sich auf die Arbeit mit dem Kran konzentrierten, bemerkte keiner der Matrosen die Rauchfäden, die langsam durch die ersten winzigen Risse an der Oberseite des zweihundert Meter entfernten Kliffs drangen.
Dreißig Meter tiefer hielten die Taucher nun einen Abstand von etwa zehn Metern zu der Kugel. Sie beobachteten, wie sich das Seil, an dem der Haken hing, straffte. Einen Augenblick lang geschah nichts, doch dann schoß die Kugel, die einen Durchmesser von etwa einem Meter hatte, förmlich aus ihrem Lavabett, um sofort wieder bis fast auf den Boden herabzusinken wie ein gigantisches Jo-Jo. Nach einer kurzen Ruhepause stieg die Kugel langsam an die Oberfläche, während die beiden Taucher dorthin schwammen, wo sie gelegen hatte.
In dem Augenblick, als die Kugel über dem Deck des Schleppers baumelte und herabgelassen wurde, gab die Außenseite des Kliffs nach. Ein Strom glitzernder gelber Lava ergoß sich aus der Öffnung ins Meer, wo die heiße Masse in Millionen winziger Fragmente explodierte, als sie mit dem Wasser in Berührung kam. Der Kranführer stieß einen Warnschrei aus. Innerhalb von Sekunden hatte die Crew die Ankerkette gekappt, Anker und Ketten aufgegeben. Mit voller Kraft flüchtete der Schlepper aufs offene Meer.
Das eben noch trügerisch ruhige Wasser schlug nun heftig gegen das Boot. Es reagierte auf die explosive Kraft des rasch anwachsenden Lavastroms, der aus der weiter nachgebenden Öffnung im Kliff schoß.
»Was ist mit den Tauchern?« schrie ein entsetzter Matrose.
Doch er kannte die Antwort selbst.
Die Taucher spähten gerade in die Spalte, in der die Kugel geruht hatte, als sie die ersten Unterschallvibrationen spürten. Aus Überraschung wurde in Sekundenschnelle Panik, aber als sie nach ihren Gürteln griffen, um die Gewichte zu lösen und so schnell wie möglich nach oben zu schwimmen, war es bereits viel zu spät.
Plötzlich zerbarst der Boden des Ozeans, und als das brodelnde Magma durch diesen Riß ins Meer brach, war es, als würde das Wasser selbst explodieren in einem Höllenfeuer aus Schwefelsäure, kochendem Wasser und Dampf. Vulkanisches Glas schoß wie Schrapnellfeuer in alle Richtungen. Eine Sekunde, nachdem Dampf, Säure und das kochende Wasser die Taucher getötet hatten, wurden ihre Leichen von den Silikatfragmenten zerfetzt, die wie Millionen heißer Skalpelle durch ihre Körper fuhren.
Nach wenigen Sekunden war nichts mehr von ihnen übrig.
Eine Meile weiter draußen auf dem Meer betrachtete die Crew des Schleppers fasziniert und entsetzt das Schauspiel, das sich ihnen bot. Die Küste war verschwunden, eingehüllt in einen dichten Nebel aus Dampf, giftigen Gasen und vulkanischer Asche, die wie ein Vorhang dort hing, wo noch vor wenigen Minuten das Kliff gewesen war. Eine aufkommende Brise ließ die Wellen rollen, und am Himmel zogen dunkle Wolken auf, als hätten die Kräfte, die den Zorn des Berges entfesselt hatten, auch einen Sturm entfacht.
Mit Ferngläsern suchten die Matrosen das Wasser nach irgendeinem Lebenszeichen der beiden Taucher ab, auch wenn sie wussten, dass es sinnlos war. Sie selbst waren nur knapp mit dem Leben davongekommen. Als der Sturm stärker wurde und die Wellen immer heftiger gegen den Schlepper schlugen, wendete der Kapitän das Boot, und sie fuhren in den sicheren Hafen von Hilo zurück.
An Deck machten drei Männer die Kugel fest. Während sie arbeiteten, fragten sie sich, ob dieses Ding die Leben wert war, die seine Bergung gekostet hatte.