KAPITEL 30

»Und wenn er es nicht kann?« fragte Katharine. Sie fuhren die Lipoa Street hinauf zum Computercenter. In den fünfzehn Minuten, seit sie den Tauchladen verlassen hatten, hatte Rob zwei Leute angerufen. Al Kalama hatte sich gemeldet, Nick Grieco nicht. Einer schrecklichen Ahnung folgend, hatte Rob beschlossen, bei Nicks Apartment vorbeizuschauen. Die drei Polizeiwagen vor seinem Haus schienen seine schlimmsten Ahnungen zu bestätigen.

»Ich glaube, wir haben jetzt keine Wahl mehr«, sagte Rob düster. »Du kannst Michael nicht länger auf Yoshiharas Anwesen allein lassen, und Phil Howell und ich brauchen jemanden, der uns bei der Suche hilft. Wir brauchen einen Experten. Wir brauchen Al.«

»Aber du hast gesagt, er sei Tauchführer«, sagte Katharine.

»Und Computerfreak. Wenn er nicht gerade taucht, tummelt er sich im Internet. Falls er die Informationen, die wir brauchen, nicht findet, gibt es sie nicht.«

»Warum hat er denn keinen Job, wenn er ein solches Genie ist?«

Rob sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Komm schon, Kath, wir sind hier auf Maui. Ist dir noch nicht aufgefallen, wie viele Jobs nur dazu da sind, die Miete und die Sportausrüstung zu finanzieren? Außerdem hatte Al vor ein paar Jahren mal ein kleineres Problem. Es hatte irgendwas mit einem Regierungscomputer zu tun, in den er sich ohne Erlaubnis eingeklinkt hat. So wie er es erzählt, ist er nur deshalb nicht ins Gefängnis gewandert, weil niemand zugeben wollte, dass das, was er getan hatte, überhaupt möglich war. Und es ist schwer, jemanden wegen eines Verbrechens zu verurteilen, wenn man nicht zugeben will, dass es begangen wurde.«

Die Ampel am Piilani Highway wechselte auf Grün. Als Rob aufs Gaspedal trat, ertönte hinter ihm eine Hupe, und ein alter Honda Civic schoß an ihnen vorbei. Die eingebeulte Beifahrertür war mit einem zerschlissenem Seil zugebunden, und auf dem Dach war ein Surfbrett befestigt. »He Mann, hör auf, mit dieser Schrottkiste die Straße zu blockieren!« Der Fahrer streckte seine Hand aus dem Fahrerfenster und wackelte mit Daumen und kleinem Finger.

Katharines Hoffnungen sanken. »Das ist Al Kalama, nicht wahr?« fragte sie.

»Glaub mir, er ist kein Spinner«, behauptete Rob, aber ein schneller Seitenblick belehrte ihn, dass Katharine ihm nicht glaubte. Ein paar Sekunden später hielt Rob neben dem Honda an.

Al Kalama lehnte bereits an seinem Wagen. Er trug lediglich Shorts und Sandalen und grinste sie breit an. »Wieso die Eile, Mann? Du klangst am Telefon, als wäre jemand gestorben oder so.«

Rob Silver sah den gealterten Strandjungen ernst an. »Ken Richter ist tot, und wir nehmen an, dass Nick Grieco ebenfalls tot ist.«

Kalamas Grinsen erstarb, und er hörte zu, als sie ihm von ihrer Entdeckung im Tauchladen und von den Polizeiautos vor Griecos Wohnung erzählten. Er stieß einen leisen Pfiff aus. »Was, zum Teufel, geht da vor?«

»Um das herauszukriegen, brauchen wir dich«, sagte Rob. Er reichte Kalama die Namensliste, die Katharine von dem Terminbrett in Ken Richters Laden abgeschrieben hatte. »Wir müssen herausfinden, wo diese fünf Jungen sind oder zumindest, ob sie noch leben.«

Al Kalama sah sie überrascht an. »Ich war vor ein paar Tagen mit diesen Jungen tauchen«, sagte er.

Rob sah Katharine an. »Bist du sicher?«

»Klar bin ich sicher! Ich erinnere mich an die Kids, weil die meisten von ihnen Arschlöcher waren. Außerdem hatte einer von ihnen Probleme mit seiner Sauerstoffflasche, was wirklich seltsam war, weil Takeo Yoshihara brandneue Ausrüstung in den Laden geschickt hatte.«

Die Worte trafen Katharine wie Nägel, die man in einen Sarg schlägt.

Michaels Sarg.

Bis zu diesem Augenblick hatte sie sich immer noch an die Hoffnung geklammert, wie vage sie auch sein mochte, dass Michaels Erkrankung auf einem Zufall beruhte, wie Takeo Yoshihara behauptet hatte. »Der Junge, der Probleme mit seiner Flasche hatte«, sagte sie mit zitternder Stimme, »können Sie herausfinden, ob er noch lebt? Ist er noch auf der Insel?«

Kalama zuckte mit den Schultern. »Das ist ein Klacks. Alle Kids, mit denen ich tauchen war, sind entweder an diesem Nachmittag oder am nächsten Morgen abgereist. Dieser Junge kam aus Chicago, und wenn er in der Zwischenzeit gestorben ist, dann müsste bestimmt was davon in den Lokalzeitungen stehen.«

»Kriegen Sie es raus«, bat Katharine. »Bitte.« Sie wandte sich an Rob. »Ich muss zurück. Ich muss Michael da rausholen.« Sie wollte sich ans Steuer des Explorers setzen, aber Rob hielt sie auf.

»Katharine, bist du verrückt? Wie willst du ihn da rausholen? Und selbst wenn du es schaffst, wohin willst du ihn bringen? Außerhalb der Box kann er nicht atmen, das weißt du doch.«

Katharine wischte den Einwand beiseite. »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ich werde schon einen Weg finden. Mein Gott, Rob, verstehst du denn nicht? Takeo Yoshihara will ihn gar nicht am Leben erhalten. Er will nur herausfinden, wie Michael und seine Freunde mit dem Zeug in Berührung gekommen sind, und sowie er das weiß, tötet er ihn!« Noch während sie sprach, tauchten neue Fragen vor ihr auf.

Was, wenn sie gar nicht mehr auf das Gelände gelassen wurde?

Was, wenn Michael schon ...

Sie weigerte sich, auch nur die Möglichkeit in Betracht ziehen. »Versuche alles herauszufinden, was du kannst«, sagte sie zu Rob. »Finde heraus, was in diesen Dateien ist. Finde heraus, was sie da wirklich machen!« Sie legte ihre Arme um ihn und drückte ihn kurz an sich. Dann ließ sie ihn los und stieg in den Explorer. Als sie eben davonfahren wollte, holte Rob sein Handy hervor und reichte es ihr durchs offene Fenster.

»Nimm das mit«, sagte er. »Ich habe das Gefühl, dass wir bald miteinander reden müssen.«

»Aber wenn ich dein Handy habe ...«, begann Katharine.

Rob unterbrach sie. »Ich besorge mir ein anderes. Phil Howell hat eins. Sein Wagen steht noch hier, also ist er sicher auch noch in der Nähe. Ich ruf dich an und geb' dir die Nummer, sobald ich es habe.«

Katharine fuhr zurück zum Piilani Highway, und Rob und Al Kalama eilten ins Computercenter.

Weniger als eine Minute darauf saß Al vor dem Terminal neben dem Computer, an dem Phil arbeitete. Al wartete kaum ab, bis Rob ihn Phil vorgestellt hatte. Noch bevor ein Bild auf dem Monitor erschien, flogen seine Finger über die Tastatur.

Während sich Kalama durch das Internet navigierte, wandte sich Rob an Phil Howell. »Ich muss mir mal dein Handy ausleihen, Phil«, sagte er. Als er keine Antwort bekam, warf er einen Blick auf den Monitor, vor dem der Astronom saß. Die Ergebnisse des Programms, das er gestartet hatte, wurden endlich angezeigt. Der Bildschirm zeigte ein neues Fenster, in dem eine Liste der vierundzwanzig Dateien zu sehen war, die der Computer produziert hatte. Jede dieser Dateien enthielt die Resultate einer von vierundzwanzig Ersetzungsgleichungen, die man auf die Originalsequenz von vier Buchstaben anwenden konnte.

Neben jeder Datei wurde angezeigt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass die Buchstabensequenz den DNS-Code repräsentierte.

Die vierte Datei von unten war markiert. Daneben stand: 79%.

Rob runzelte die Stirn. »Bedeutet es das, was ich glaube?« fragte er Howell.

Der Astronom nickte. Als sich das Fenster geöffnet und er die vierte Reihe von unten gelesen hatte, war ihm ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen. Seine Stimme zitterte vor Erregung. »Ich glaube schon. Zumindest glaubt es der Computer.« Langsam schüttelte er den Kopf, als könne er nicht wirklich glauben, was er da sah. »Mein Gott«, flüsterte er. »Was ist, wenn es tatsächlich stimmt?«

»Wenn was stimmt?« fragte Al Kalama von seinem Terminal, aber Phil hatte sich bereits wieder so sehr in seine Arbeit vertieft, dass er die Frage gar nicht mitbekam. Noch bevor Al sie wiederholen konnte, öffnete sich auf seinem eigenen Bildschirm ein Fenster. Es enthielt einen Zeitungsausschnitt aus der Chicago Tribune - eine Meldung über den Tod eines gewissen Kevin O'Connor. Der sechzehnjährige Junge sei an nicht näher beschriebenen »Atemproblemen« gestorben.

»Willst du mir nicht sagen, was hier abgeht?« fragte er Rob.

Rob, der fasziniert Phils Bildschirm beobachtet hatte, wandte sich wieder Al zu. »Takeo Yoshihara führt Menschenversuche durch«, sagte er ohne Einleitung. »Ka-tharines Sohn ist einer von denen, mit denen er experimentiert.«

Al Kalama stieß einen leisen Pfiff aus, aber er stellte keine weiteren Fragen. Statt dessen sagte er nur: »Wie können wir das Schwein aufs Kreuz legen?«

»Es gibt ein Verzeichnis im Computer auf seinem Anwesen«, sagte Rob. »Darin sind die Dateien gespeichert, von denen Katharine sprach, bevor sie losfuhr. Wir glauben, dass diese Dateien alle Informationen über das Projekt enthalten.«

»Was ist mit dem Jungen?« fragte Al Kalama. »Was können wir für ihn tun?«

Darauf wusste Rob keine Antwort.

Da er wusste, dass er Phil Howell nicht mit der Frage nach so etwas Trivialem wie einem Handy von seinem Monitor loseisen konnte, suchte er selbst danach, und als er es gefunden hatte - in der rechten Brusttasche von Howells Hemd -, bemerkte der Astronom nicht einmal, dass Rob es herauszog.

»Kath?« sagte er einen Moment später, nachdem er seine eigene Nummer gewählt hatte. »Es sieht aus, als hättest du recht. Sei vorsichtig.« Er gab ihr die Nummer des Telefons durch, das er sich gerade angeeignet hatte, und beendete das Gespräch.

Noch immer wusste er nicht, wie man Michael Sundquist helfen konnte.

Katharine wurde verfolgt.

Sie wusste es so sicher wie ihren eigenen Namen.

Die Scheinwerfer waren angegangen, als sie in Puunene links abgebogen war. Im Rückspiegel hatte sie beobachtet, dass der Wagen hinter ihr blieb, auch als sie scharf rechts in die Hanson Road abbog, die Abkürzung zum Hana Highway.

Woher hatten die gewusst, dass sie hier vorbeikommen würde?

Wurde ihr Wagen angezapft?

Natürlich wurde er das - die Vorrichtung, mit der sich das Tor automatisch öffnen ließ, sendete zweifellos ein Signal aus, das Takeo Yoshiharas Männer orten konnten.

Sie spielte mit dem Gedanken, von der Hanson Road abzufahren und eine der schmalen Straßen durch die Zuckerrohrfelder nach Kula zu nehmen. Aber obwohl sie schon abgebremst hatte, entschied sie sich im letzten Augenblick anders, als sie die enge Straße sah, die in der Finsternis verschwand.

Eine Finsternis, die ihr düsterer erschien als sonst.

Wenn sie eine dieser Straßen nahm und sich verfuhr, konnte sie sicherlich eine Stunde in Kula oder Pukalani herumirren, bevor sie den Weg nach Makawao fand. Schlimmer noch, wenn der Wagen, der sie verfolgte, sie überholte und von der Straße drängte ...

Sie schüttelte die Vorstellung ab und sagte sich, dass sie wieder an Paranoia litt, aber im gleichen Augenblick tauchte - unerwartet und unaufhaltsam - das Bild von Ken Richter vor ihr auf, der in der riesigen Blutlache lag, und die Angst, die sich den ganzen Tag über in ihr aufgebaut hatte, schlug wieder zu. Wenn sie nicht gezögert hatten, Ken Richter zu erschießen, warum sollten sie dann zögern, sie selbst zu töten?

Als der Wagen hinter ihr hupte und dann an ihr vorbei in die Nacht brauste, zuckte sie so heftig zusammen, dass ihr der Sicherheitsgurt in die Schulter schnitt.

Das reicht! schalt sie sich. Wenn du dich nicht beruhigst, hast du keine Chance, Michael zu retten.

Sie beschleunigte und fuhr zügig weiter, bis sie die Kreuzung erreichte, von der eine Straße zum Hana Highway führte. Ein paar hundert Meter weiter bog sie ab und fuhr die Straße zum Haleakala hinauf. Sie fuhr ruhig weiter, bis sie in Haliimaile an die Abkürzung kam, die durch die Zuckerrohrfelder führte und sie schließlich zur Baldwin Road bringen würde, nur etwas mehr als einen Kilometer unterhalb von Makawao.

Instinktiv heftete sie ihren Blick auf die beiden Scheinwerfer in ihrem Rückspiegel.

Sie preßte die Lippen aufeinander und fuhr auf die linke Abbiegespur.

Der Wagen folgte ihr.

Sie ging mit dem Tempo herunter, bis sie fast mitten auf der Kreuzung war. Dort gab sie plötzlich Gas, bog scharf nach rechts ab und mogelte sich in eine Lücke in den bergauf fahrenden Verkehr, die so klein war, dass der Fahrer des Wagens, den sie geschnitten hatte, wütend hupte. Katharine kümmerte sich nicht darum, sondern schaute in den Seitenspiegel.

Der andere Wagen war nach links abgebogen, und sie sah, wie seine Rücklichter auf der Straße verschwanden, die bergab nach Haliimaile führte.

Sie fühlte sich erleichtert, auch wenn sie sich etwas albern vorkam. Immerhin gelang es ihr, ihre Angst im Zaum zu halten, bis sie zu der Abzweigung auf der Olinda Road kam, zu der dunklen, schmalen Straße zu ihrem Haus.

Ihr Fuß bewegte sich vom Gaspedal zur Bremse, als habe er einen eigenen Willen. Der Explorer rollte aus. Seine Scheinwerfer erhellten die Straße und vertrieben die Schatten bis zur ersten Kurve der Straße, die sich durch den Eukalyptuswald wand.

Die Straße schien leer zu sein.

Verdächtig leer.

Sie stellte sich vor, wie jemand sie beobachtete, während sie im Haus eine Tasche packte, damit es so aussah, als wolle sie wirklich eine Nacht auf Takeo Yoshiharas Anwesen verbringen.

Wann würden sie kommen?

Würden sie sie in ihrem Haus überfallen?

Oder würden sie warten, bis sie auf dem Anwesen war?

Hör auf!

Niemand ist dir gefolgt, niemand wartet auf dich.

Gerade in dem Augenblick, als sie den Fuß wieder auf das Gaspedal stellen wollte, klingelte das Handy und erschreckte sie so sehr, dass sie laut aufschrie. Sie suchte in ihrer Tasche, klappte das Gerät auf und hielt es ans Ohr. »Rob?«

»Ja, ich bin's«, sagte die vertraute Stimme. »Zwei Dinge. Erstens: Von einem Computer außerhalb des Anwesens kommt Al nicht an das Serinus-Projekt heran. Aber es gibt eine Möglichkeit. Wenn du da bist, musst du zu irgendeinem Computer - am besten zu dem in meinem Büro - gehen und dich mit dieser Nummer verbinden. Hast du was zu schreiben?« Katharine holte einen Stift aus ihrer Tasche, und Rob diktierte ihr die Telefonnummer. »Wenn du von meinem Büro aus die Verbindung hergestellt hast, kann er mein Terminal sozusagen als Sklaven benutzen, und Yoshiharas zentraler Server merkt nicht, dass er von außen hereinkommt.«

»Und die andere Sache?«

»Michael«, sagte Rob. »Wir brauchen einen Ort, wohin wir ihn bringen können.«

»Zuerst müssen wir ihn rausholen.«

»Ich denke, das schaffen wir. Die große Frage lautet, wohin bringen wir ihn?«

Katharine hatte es vermieden, sich diese Frage zu stellen. Jetzt konnte sie sie nicht länger verdrängen. Wenn Michael wirklich keine frische Luft mehr atmen konnte, wohin sollten sie dann gehen? Egal, wohin, überall ...

Und dann fiel es ihr ein: der Schädel.

Der Schädel von den Philippinen - und der Grund, warum er für das Serinus-Projekt von solchem Interesse war. Der junge Mutant - Katharine war sich mittlerweile sicher, dass es sich bei dem ermordeten Kind um einen Mutanten handelte - hatte am Rand des Vulkans gelebt und die Dämpfe aus dem Krater eingeatmet. »Die Große Insel«, sagte sie. »Wenn wir ihn dorthin schaffen, wo der Ausbruch stattfindet, kann er dort vielleicht atmen.«

Nach kurzem Zögern sagte Rob: »Vielleicht hast du recht. Aber er muss auch atmen können, während du ihn aus dem Gebäude schaffst. Und dann noch einmal zehn bis fünfzehn Minuten. Kann er das?«

Katharine zögerte keine Sekunde. »Ich werde dafür sorgen.«

»Wann bist du auf dem Anwesen?«

Katharine sah auf ihre Uhr. Es war kurz nach halb zehn. »Ich komme gerade nach Hause«, sagte sie und überschlug, wie lange es dauern würde, ein paar Sachen einzupacken und dann zum Anwesen zu fahren. »Ich denke, ich müsste gegen zehn da sein. Hoffentlich lassen sie mich überhaupt rein.«

»So etwas solltest du nicht sagen«, entgegnete Rob. »Du solltest es nicht mal denken. Pack das Nötigste ein und fahr los. Wenn wir Glück haben, kriegen wir alles, was wir brauchen, ein paar Minuten, nachdem du mit Al online geschaltet bist. Was glaubst du, wie lange es dauert, bis du eine Möglichkeit gefunden hast, ihn aus dem Gebäude zu schaffen?«

»Wieviel Zeit habe ich denn?«

»Ich wünschte, ich wüßte es.«

»Also gut, ich sage dir Bescheid, wenn ich da bin. Kann ich mit Al über den Computer sprechen?«

»Aber sicher. So einfach, als würdest ihr in der Schulklasse Zettel austauschen.«

Katharine lächelte bitter. »Warum kann ich das nicht so ganz glauben?«

»Na ja, ich dachte, ich versuch's mal.« Als Rob nach einer kurzen Pause wieder sprach, klang seine Stimme plötzlich scheu. »Katharine? Sei bitte vorsichtig, okay?«

Es waren nicht nur die Worte, sondern auch der Tonfall. Plötzlich fühlte sich Katharine etwas leichter, als sie langsam die Einfahrt hinunterfuhr. »Du machst dir keine Vorstellung, wie vorsichtig ich sein werde«, sagte sie sanft. »Und du kannst dir gar nicht vorstellen, wieviel Mut es mir macht, nur mit dir zu reden, während ich langsam diese Straße entlangfahre. Erinnere mich daran, dass ich nie mehr ein Haus miete, das am Ende einer langen, dunklen Straße liegt.«

»Worüber soll ich reden?«

»Das ist mir egal. Sag mir, dass ich keine Angst haben soll, dass niemand in meinem Haus auf mich lauert, dass mit Michael alles gut wird und dass du mich, wenn alles gut ausgeht, heiraten und wie ein Ritter in funkelnder Rüstung von all dem befreien wirst.«

»Also gut.«

»Wie bitte?«

»Ich sagte, also gut. Zu allem. Du hast mir einen Antrag gemacht. Ich habe angenommen. In deinem Haus ist niemand. Du holst dir, was du brauchst. Dann fährst du zum Anwesen, und wir knacken den Computer und enthüllen Yoshiharas schmutzige kleine Geheimnisse. Dann hole ich dich und deinen Sohn, der lernen muss, mich zu mögen, und dann leben wir glücklich und zufrieden bis an unser Lebensende.«

Katharine schwieg. Dann sagte sie: »Versprochen?«

»Versprochen.«

Sie hatte die Lichtung erreicht. Katharine spähte in die Dunkelheit. Sie sah keinen anderen Wagen.

»Ich komme darauf zurück«, sagte sie. »Ruf mich in einer halben Stunde wieder an. Wenn ich mich nicht melde, hast du mich angelogen, und es war doch jemand in meinem Haus.«

»Ich würde dich nie anlügen. Ich liebe dich. Ich habe dich immer geliebt.«

»Eine toller Zeitpunkt, um mir das zu sagen«, seufzte Katharine. »Trotzdem hat es mir gut getan. Bis später.«

Sie unterbrach die Verbindung und blieb noch einige Sekunden im Wagen sitzen, in denen sie Mut sammelte, um ins Haus zu gehen. Als sie es betrat, schaltete sie das Licht an und sah sich um. Sie erwartete beinahe eine Szene wie aus einem Film, nachdem die Mafia jemandem einen Besuch abgestattet hat.

Es sah alles genauso aus, wie sie es zurückgelassen hatte.

Nichts war angerührt worden.

Katharine warf schnell ein paar Sachen in einen kleinen Koffer, damit es aussah, als wolle sie ein paar Tage auf dem Anwesen verbringen. Als sie daran dachte, was in den nächsten Stunden auf sie zukommen würde, fügte sie noch einige Dinge hinzu.

Nach nicht einmal fünf Minuten saß sie wieder in ihrem Auto, auf dem Weg zu Takeo Yoshiharas Anwesen, was immer sie dort erwarten würde.

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