KAPITEL 19

Er war wieder im Zuckerrohrfeld.

Das Feuer knisterte, und er sah zwar keine Flammen, aber den rötlichen Schein, der die Dunkelheit erhellte.

Er spürte es, von allen Seiten kroch es auf ihn zu. Es war, als umkreisten ihn Jäger, die sich ihrer Beute so sicher waren, dass sie glaubten, jede Vorsicht außer acht lassen zu können.

Trotzdem hatte er keine Angst vor den Jägern.

Die ersten Rauchfäden stiegen in seine Nase, glitten seine Luftröhre hinab in die Lunge.

Doch es roch nicht nach Rauch - nicht ganz.

Sonst hatte er immer husten müssen, wenn er in die Nähe von Rauch gekommen war, seine Augen hatten gebrannt und getränt, und er hatte einen bitteren Geschmack im Mund gespürt.

Jetzt atmete er den Qualm tief ein, saugte ihn in seine Lunge wie frische Salzluft, welche die Passatwinde vom Meer herantrugen. Während der Rauch in seinen Körper drang, spürte er eine nie gekannte Erregung, eine regelrechte Euphorie. Sein Körper wurde mit Kraft und Wohlbehagen erfüllt, und er kam sich unbesiegbar vor.

Das Knacken des Feuers wurde lauter, aber jetzt hörte er noch etwas anderes. Ein seltsames Stöhnen, als leide jemand große Schmerzen. Doch es war kein Stöhnen, sondern das Geräusch des Feuers, das immer stärker wurde, während es durch das Zuckerrohr raste. Es nährte sich von allem, was ihm in den Weg kam, und wuchs aus sich selbst. Es hatte sich in eine lebende Kraft verwandelt, es trampelte über die Erde und erzeugte einen wirbelnden, heulenden Aufwärtswind, der jedes verfügbare Luftmolekül verschlang. Das stetig wachsende Monster ernährte sich davon, es war bereits riesig und wurde immer riesiger, und es breitete sich aus.

Doch noch immer sah er keine Flammen.

Aber dann kamen sie endlich.

Zuerst sah er nur die Spitzen, ein kaum sichtbares orangefarbenes Flackern, wie von Schlangen, die durch das Zuckerrohrdickicht züngelten.

Er fühlte die Hitze des Feuers auf seiner Haut, eine Hitze, wie er sie nie zuvor gespürt hatte.

Das Feuer schien ihn zu beleben, seine Kräfte zu verstärken, anstatt sie zu verschlingen. Sein ganzes Ich blühte bei dem Gedanken an den nahen hechelnden Atem des Ungeheuers auf. Nun begann das Blattwerk um ihn herum vor dem wilden Tier zu weichen. Wohin er auch sah, überall schrumpften Blätter und Zweige durch die Hitze zusammen, um sich dann dem wütenden Monster zu ergeben und in Flammen aufzugehen.

Die Fühler aus Rauch verwandelten sich in feiste Schlangen, die sich um seinen Körper wanden und ihn fest umschlangen, aber anstatt sich gegen ihren Griff zu wehren, genoß er das Gefühl und schöpfte aus den sich zusammenziehenden Rauchspiralen ebenso viel Kraft wie aus dem Feuer selbst.

Das Heulen des Mahlstroms erfüllte seine Ohren, und die Dunkelheit der Nacht wurde von Funkenschauern vertrieben. Rauch und Flammen taten sich zusammen und wirbelten wie ein lebendiges Wesen um ihn herum.

Wie in Trance streckte er den Arm aus, als wolle er die Kraft des Feuersturms in sich aufnehmen. Er stieß einen lauten, ekstatischen Schrei aus.

Nun war er nicht länger der Gejagte, sondern wurde eins mit dem Inferno um ihn herum und fühlte, wie der Geist des Feuers seine Seele betrat.

Er reckte sich zu voller Höhe auf, er streckte seine Gliedmaßen, und der Schrei des Jägers drang aus seinem tiefsten Inneren ...

Jeff Kina wand sich zuckend. Der Schrei, den er ausgestoßen hatte, hatte ihn aus dem Bann des Traumes gerissen. Doch obwohl er erwachte, blieb der Traum bei ihm. Das Feuer, das er eben noch gespürt hatte, war verschwunden. Aber als er die Augen öffnete, sah er, dass der Rauch weiterhin um ihn herum wirbelte, ein so dichter grau-brauner Nebel, dass er instinktiv die Augen wieder schloß.

Er lag mit zusammengekniffenen Augen da. Sein Herz pochte, aber nicht mehr, weil ihn sein Traum so erregt hatte.

Es pochte vor Angst.

Der Traum war so real gewesen, als befände er sich wieder im Zuckerrohrfeld, im Strudel des Feuers, kurz bevor die Männer aus dem gelben Laster ihn gepackt hatten und Josh Malani in seinem Pick-up davongefahren war.

In diesen Sekunden, als er neben Joshs Wagen stand, hatte ein nie gekanntes Gefühl ihn durchströmt.

Zum Teil war es das Feuer selbst gewesen. Etwas an der Art und Weise, wie die Flammen heranströmten, verebbten und tanzten, hatte sein Innerstes berührt, fast so, als hätten die Flammen ihn hypnotisiert. Und als der Rauch ihm in die Nase gestiegen war, hatte er noch etwas anderes gespürt.

Die Unruhe, die ihn den ganzen Abend gequält hatte, verschwand, und sein Körper kribbelte, als habe er bei einem Laufwettbewerb seine Aufwärmübungen beendet und warte auf den Startschuß.

Dann stürzten sich die Männer aus dem gelben Truck auf ihn. Sie brüllten ihn an, packten ihn und versuchten ihn vom Feuer fortzuziehen.

Er war größer als sie - viel größer -, und er hatte sich losgerissen und einem der Männer seine Faust ins Gesicht geschlagen. Er erinnerte sich daran, wie das Blut aus der Nase des Mannes schoß, wie überrascht er ihn angesehen und wie wütend er geschrien hatte. Jeffs Augen waren noch immer geschlossen.

Danach verschwammen die Ereignisse. Scheinwerfer, gleißendes Licht hatte ihn geblendet, als hätte ihm jemand einen Sack über den Kopf gestülpt.

Danach nur noch Erinnerungsfetzen.

Scheinwerfer.

Motorengeräusch, Schreie.

Er wurde niedergerissen, lag auf dem Boden, und jemand kniete auf seiner Brust, ein anderer auf seinen Beinen.

Irgend etwas wurde auf sein Gesicht gedrückt, und er versuchte sich zu wehren, aber es gelang ihm nicht.

Dann hatte sich um ihn herum Dunkelheit ausgebreitet, und er hatte geglaubt, er müsse sterben.

Aber jetzt war er wach. Er lebte.

Bewegungslos lag er da und lauschte.

Er hörte Geräusche, die er nie zuvor vernommen hatte.

Er hörte sein Herz, das Blut durch die Venen pumpte. Er glaubte sogar sein Blut zu hören - auch wenn das unmöglich war -, das durch seine Arterien floß und mit jedem Zusammenziehen der Herzkammern seinen Klang änderte.

Er machte eine Bestandsaufnahme seines Körpers und testete jeden Muskel, ohne sich dabei zu bewegen.

Nichts war gebrochen. Er schien nicht einmal verletzt.

Und er war nackt.

Er wandte seine Aufmerksamkeit der Umgebung zu. Auch wenn er die Augen noch immer geschlossen hatte, spürte er doch, dass er von Wänden umgeben war, die nicht weit entfernt waren.

Und er war allein.

Die Luft um ihn herum bewegte sich, und unbekannte Gerüche drangen in seine Nase.

Keine unangenehmen Gerüche - vertraute.

Schließlich öffnete er sein rechtes Auge - nur einen Spalt breit und so vorsichtig, dass es keinem Beobachter aufgefallen wäre.

Nebel.

Der gleiche braune Nebel.

Aber es war kein Nebel, denn er spürte keine kühle Feuchtigkeit auf seiner Haut.

Seine Augen bewegten sich unter den Lidern und suchten die Umgebung ab. Er hatte zuviel Angst vor der Entdeckung, wo er sein oder was in seiner Nähe sein könnte, um sich durch eine schnelle Bewegung zu verraten.

Doch er sah nichts.

Schließlich wagte er es. Er öffnete beide Augen und blickte starr nach oben.

Sein Gehirn verarbeitete die Daten, die seine Augen, seine Ohren und seine Nase sammelten, und suchte nach dem unbekannten Feind, der möglicherweise in diesem Brodem lauerte.

Warum schmerzten seine Augen nicht?

Warum brannten sie nicht, warum tränten sie nicht, obwohl er von Rauch umhüllt war?

Er wusste es nicht.

Er lag da, ohne sich zu rühren, und bewegte nur die Augen.

Nichts, was er sah, hörte oder roch, deutete auf die Anwesenheit eines anderen Lebewesens hin.

Und doch fühlte er sich beobachtet.

Er wusste es genau, selbst ohne dieses Gefühl zu kennen. Auch wenn ihm seine Sinne nichts verrieten, das Kitzeln auf seiner Haut und seine angespannten Nerven verrieten es ihm.

Dann sah er es.

Es befand sich hoch über ihm, rechts von ihm.

Eine Kamera.

Er starrte in die Linse wie ein Wolf in das Zielfernrohr eines Gewehrs.

Während er die Kamera im Auge behielt, machte er sich langsam bereit. Jede Bewegung vollzog sich so geschmeidig, dass sie kaum wahrnehmbar schien.

Hätte er im Gras gelegen, so hätte sich kaum ein Halm bewegt.

Er blickte auf die Kamera und wartete. Er spannte die Muskeln an.

Dann sprang er, stieß sich wie eine Katze vom Boden ab und streckte die Arme aus. Seine langen Beine katapultierten ihn in die Höhe.

Den Bruchteil einer Sekunde später prallte er gegen eine unsichtbare Mauer.

Er stöhnte auf und fiel zurück auf den Boden. Schmerzen schossen durch seine rechte Hüfte und sein linkes Knie, als er auf die ebene Fläche unter ihm schlug.

Regungslos wartete er, bis der Schmerz nachließ. Dann richtete er sich langsam auf und begann sich vorsichtig zu bewegen. Er streckte die Hände aus und tastete.

Er befand sich in einer Art Kasten.

Einem großen durchsichtigen Kasten, der sich nicht kalt anfühlte.

Plexiglas.

Der dichte grau-braune Nebel hatte ihm bislang die Sicht genommen, aber jetzt, da er sich bewegte, konnte er es nicht nur fühlen, sondern auch erkennen.

Er war gefangen, eingesperrt in diesem Kasten, der weder Eingang noch Ausgang zu haben schien - abgesehen von zwei Schläuchen, durch welche die nebelartige Substanz wirbelte, und einem kleinen Luftschacht mit einer Tür auf jeder Seite.

Die innere Tür konnte er öffnen, nicht jedoch die äußere.

Eingesperrt wie ein wildes Tier.

Und auf die beiden Männer, die beobachteten, was die Kamera aufnahm, machte er auch den Eindruck eines wilden Tieres.

Eines Raubtiers, das in seinem Käfig auf- und abging.

Michael, der zum Lunch in die Cafeteria gehen wollte, schloß gerade sein Fach ab, als er die Stimme hinter sich hörte.

»Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich kriege langsam Schiß.«

Michael wusste, wovon Rick sprach. Auch er hatte sich immer mehr Sorgen gemacht, als Josh nicht einmal in der Pause nach der zweiten Stunde aufgetaucht war. Auch nach der Nachricht von Jeffs Verschwinden hatte er irgendwie erwartet, den großen Hawaiianer unter dem Banyanbaum zu sehen, wo sich das Laufteam stets traf. Aber als Jeff nicht gekommen war...

»Hast du versucht, Jeff anzurufen?« fragte er, als sie zur Cafeteria gingen.

Rick nickte. »Ich habe mit seiner Mutter gesprochen, vor der dritten Stunde. Sie sagte, er sei gestern abend um neun Uhr aus dem Haus gegangen und nicht wiedergekommen. Um vier habe sie dann die Polizei angerufen.«

Michael blieb vor der Cafeteriatür stehen und wartete, bis die Schüler hinter ihnen vorbeigegangen waren. »Vielleicht sollten wir sie auch anrufen«, sagte er. »Ich meine, nach dem, was mit Kioki passiert ist ...«

»Wir wissen doch gar nicht, was mit Kioki passiert ist«, entgegnete Rick.

»Und was ist, wenn jemand gesehen hat, wie wir vorgestern abend in den Tauchladen eingebrochen sind?« fragte Michael. Er suchte nach einer Erklärung für das, was mit Kioki passiert war, und nach einer Erklärung für das Verschwinden von Josh und Jeff. »Ich meine, vielleicht hat jemand dem Besitzer verraten, dass wir es waren.«

Rick sah ihn überrascht an, dann schüttelte er den Kopf. »So etwas würde Ken Richter nicht tun.«

»Woher willst du das wissen?« fragte Michael. »In New York ...«

»Wir sind hier nicht in New York«, unterbrach ihn Rick. »Wenn Ken überhaupt etwas tun würde, dann höchstens die Cops informieren, und der Deputy, der gestern mit uns gesprochen hat, hat nichts von einem Einbruch erwähnt.«

»Was könnte es dann sein?« sagte Michael. »Hatten Josh und Jeff vielleicht irgendwie Ärger?«

Rick zögerte.

»Sag schon«, drängte Michael.

»Jeff hatte keinen Ärger«, sagte Rick vorsichtig. »Aber Josh steckt doch dauernd in Schwierigkeiten.«

»Ach ja?« sagte jemand hinter ihnen, und als Rick sich umdrehte, sah er Josh, der mit zornig funkelnden Augen um die Ecke der Cafeteria geschossen kam. »Nur weil ich nicht jedem in den Arsch krieche ...«

»Na schön, um Josh brauchen wir uns dann wohl keine Sorgen mehr zu machen«, zischte Rick wütend. Bevor Michael oder Josh noch etwas sagen konnten, verschwand er in der Cafeteria.

Michael starrte Josh an. Seine knittrige Kleidung und sein schmutziges Gesicht verrieten, dass er letzte Nacht nicht zu Hause gewesen war. »Was ist los?« fragte Michael. »Wo ist Jeff?«

»O nein«, flüsterte Josh. »Ist er nicht hier?«

Etwas in der Stimme seines Freundes verwandelte die Befürchtungen, die Michael den ganzen Morgen über gehegt hatte, in Angst. Er schüttelte den Kopf und berichtete Josh, was er im Radio gehört und was Rick vorhin bestätigt hatte.

»Ich hab' ihn getroffen, nachdem ich von dir weg bin«, sagte Josh. Er sah sich nervös um. »Vielleicht hauen wir besser ab, was?«

»Einfach die Schule schwänzen?« entgegnete Michael. »Komm schon, Josh. Erzähl mir, was passiert ist, okay?«

»Nicht hier!« sagte Josh. In diesem Augenblick kamen zwei Schüler aus der Cafeteria, sahen ihn mißtrauisch an und gingen schnell weiter. »Was ist denn mit denen?« fragte Josh, nachdem sie um die Ecke gebogen waren.

»Hast du dich mal im Spiegel angesehen? Was hast du letzte Nacht gemacht?«

Josh wurde langsam sauer. Wieso fragte ihn Michael so aus? Er verlangte ja nicht viel ...

Aber wo sollte er hin, wenn er sich mit Michael verkrachte? Mit wem konnte er reden? Außerdem fühlte er sich nicht gut. Aber das war schließlich kein Wunder, nachdem er den Rauch auf dem Zuckerrohrfeld eingeatmet und dann in seinem Truck geschlafen hatte. »Okay, laß uns zu den Umkleideräumen gehen. Dann kann ich wenigstens duschen, und anschließend erzähle ich dir, was heute nacht passiert ist. Aber du musst mir versprechen, keinem ein Wort davon zu sagen, okay?«

Michael steckte ein paar Münzen in den Automaten neben der Eingangstür und zog zwei Cola, eine Packung Chips und zwei Tüten mit verdächtig trocken aussehenden Keksen. Er zog den Verschluß von einer Dose ab und reichte sie Josh, der einen kräftigen Schluck nahm, während sie auf die Umkleideräume zugingen. Als er die Cola erneut an die Lippen setzte, wurde er plötzlich von einem Hustenanfall geschüttelt.

»Alles in Ordnung?« fragte Michael.

Josh schüttelte den Kopf. »Ich fühle mich beschissen.«

In den Umkleideräumen zog Josh sich aus und ging duschen. Während er unter dem dampfenden Wasserstrahl stand und sich Ruß und Schmutz vom Körper wusch, erzählte er Michael, was letzte Nacht geschehen war.

»Du hast ihn einfach dagelassen?« fragte Michael, als Josh fertig war und sich abtrocknete.

»Was hätte ich denn tun sollen?« blaffte Josh ihn an. »In den Truck wollte er nicht, das Feuer hatte uns eingeschlossen, die Kerle kamen, und ...« Ein weiterer Hustenanfall schnitt ihm das Wort ab, und er krümmte sich vor Schmerzen.

»Vielleicht solltest du besser nach Hause gehen«, schlug Michael vor.

»Nach Hause?« stöhnte Josh, als der Husten nachließ. Er rang nach Atem. »Das sagt sich für dich so leicht. Schließlich besäuft sich deine Mom nicht und verprügelt dich anschließend wie mein Vater und ...« Plötzlich blieb Josh der Atem weg. Hustend stolperte aus dem Umkleideraum und auf die Toiletten zu.

Michael lief hinter ihm her. Josh lag mit bleichem Gesicht auf den Fliesen. Ängstlich berührte Michael den Arm seines Freundes.

Seine Haut fühlte sich kalt und feucht an.

Josh schnappte nach Luft. »Was ist los?« fragte Michael. »Was fehlt dir?

Josh sah mit glasigen Augen zu Michael hinauf.

»Ich ... ich weiß nicht«, keuchte er. »K...kann nicht atmen...«

Michael riß die Augen auf. Konnte es sein, dass Josh einen Asthmaanfall hatte? Ihm fiel sein Asthmaspray ein, das er noch immer überallhin mitnehmen musste, obwohl er seit einem Jahr keinen Anfall mehr gehabt hatte. Aber seine Mutter bestand darauf. Wo hatte er es nur gelassen?

Genau, in seinem Schließfach.

Oder sollte er die Krankenschwester holen?

Er wusste nicht einmal, wo ihr Büro war!

»Ich bin gleich wieder da«, sagte er. »Ich hole die Krankenschwester, und in meinem Spind ist etwas, womit du besser atmen kannst.«

»Nicht die Schwester«, keuchte Josh. »Ich will nicht...« Aber Michael war bereits losgelaufen.

Langsam rappelte sich Josh wieder auf, immer noch schwer atmend. Er hielt sich am Türgriff des Wandschranks fest, an dem er eben noch gelehnt hatte. Als er einen vorsichtigen Schritt nach vorne machte, verlor er sofort das Gleichgewicht, und als er sich an dem Türgriff festhalten wollte, riß er die Schranktür auf.

Schachteln, Dosen und Flaschen kamen ihm entgegen. Die Reinigungs- und Desinfektionsmittel, die der Hausmeister hier lagerte, kippten um und fielen auf den Boden. Scharf riechende Flüssigkeit strömte auf den Boden, Scheuerpulver staubte hoch.

Instinktiv trat Josh einen Schritt zurück und starrte das Durcheinander aus den verschiedensten Behältern an. Er griff nach einer Flasche mit Ammoniak und hielt sie vorsichtig an die Nase.

Als er die Dämpfe durch die Nase einatmete, spürte er einen sofortigen Energieschub, als hätte man Adrenalin in seinen Blutkreislauf gepumpt.

Er atmete wieder ein, und ein fast elektrisches Kitzeln lief durch seinen Körper.

Als kurz darauf Michael mit dem Spray herbeigelaufen kam, bot sich ihm ein völlig verändertes Bild.

Josh Malani sah wieder völlig gesund aus, seine Augen glänzten, und er schien auch wieder vollkommen normal zu atmen.

Doch dann sah Michael, dass Josh eine Ammoniakflasche an seine Nase hielt und die Dämpfe in seine Lunge sog. »Um Gottes willen, Josh, was machst du da?« schrie Michael und riß ihm die Flasche aus der Hand. »Was ist hier los?«

»Gib sie mir wieder!« forderte Josh. »Ich hab' nur dran gerochen.«

»Bist du verrückt? Das Zeug ist giftig. Es bringt dich um.«

Josh griff nach der Flasche. »Los, her damit!«

Michael schob Josh beiseite und schlug die Schranktür zu. Dann lehnte er sich mit der Ammoniakflasche in der Hand dagegen. Josh sah ihn düster an, und einen Augenblick fürchtete Michael, er würde sich auf ihn stürzen. Aber dann schüttelte Josh den Kopf. »Zur Hölle mit dir«, murmelte er. Er drehte sich um und stapfte aus dem Raum. Michael schloß die Flasche weg und ging hinter ihm her. Josh zog sich an.

»Hör zu, Josh«, sagte er. »Ich will dir doch nur helfen.«

Josh würdigte ihn kaum eines Blickes. »Ich brauche deine Hilfe nicht. Ich brauche überhaupt keine Hilfe, von niemandem.« Er schob Michael beiseite und eilte aus den Umkleideräumen hinaus und zum Parkplatz. Er stieg bereits in seinen Truck ein, als Michael ihn eingeholt hatte.

»Ich komme mit dir«, sagte Michael und ging auf die Beifahrerseite.

»Den Teufel wirst du tun.« Josh startete, legte den ersten Gang ein und fuhr mit quietschenden Reifen vom Parkplatz.

Michael stand in einer Staubwolke und sah seinem Freund hinterher. Tränen schossen ihm in die Augen, und in seinem Magen spürte er einen Knoten aus Wut und Angst, so fest, als könne er ihn nie mehr entwirren. Er wird darüber hinwegkommen, sagte er sich schließlich, drehte sich um und ging wieder zu den Umkleideräumen. Spätestens wenn die Schule aus ist, wird er sich wieder beruhigen. Es wird schon werden.

Aber noch während er das dachte, wusste er, dass er nicht daran glaubte.

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