Kapitel 2 IM LABOR

18. OKTOBER, 15 UHR

Als sie in ihr Labor zurückkehrten, erschien ihnen die vertraute Umgebung plötzlich unansehnlich und altmodisch. Und überlaufen. Die Spannungen im Labor köchelten bereits seit längerer Zeit. Rick Hutter und Karen King konnten sich von dem Tag an nicht leiden, als sie ins Labor gekommen waren. Erika Moll hatte mit ihren Bettgeschichten in der ganzen Gruppe Unruhe gestiftet. Außerdem waren sie wie so viele Forschungsstudenten überall auf der Welt Rivalen. Und sie hatten ihre Arbeit hier ziemlich satt. Anscheinend empfanden sie alle das Gleiche. Als sie an ihre Labortische zurückkehrten und ihre Arbeit wiederaufnahmen, herrschte erst einmal großes Schweigen. Peter nahm seinen Melkbehälter vom Eis, etikettierte ihn und stellte ihn in sein Kühlschrankregal. Plötzlich hörte er ein eigentümliches Klimpern in seiner Hosentasche. Etwas rieb sich an seinem Kleingeld. Er holte den Gegenstand heraus. Es war das kleine Ding, das er in dem gemieteten Ferrari seines Bruders gefunden hatte. Ohne sich etwas dabei zu denken, schnippte er es über die Oberfläche des Arbeitstisches. Es begann, sich im Kreis zu drehen.

Amar Singh, der Pflanzenvirologe, schaute zu. »Was ist das denn?«

»Oh, das ist wohl vom Ferrari meines Bruders abgebrochen. Irgendein Teil. Ich hatte Angst, es würde das Leder zerkratzen.«

»Könnte ich es mir mal anschauen?«

»Klar.« Es war etwas größer als sein Fingernagel. »Hier«, sagte Peter, ohne es näher zu betrachten.

Amar legte es in seine Handfläche und musterte es genau. »Das sieht für mich nicht wie ein Autoteil aus.«

»Nicht?«

»Nein. Ich würde sagen, es ist ein Flugzeug.«

Jetzt starrte auch Peter angestrengt auf das Objekt. Es war so klein, dass man auf den ersten Blick kaum irgendwelche Einzelheiten erkennen konnte. Als er jetzt jedoch genauer hinsah, schien es wirklich ein winziges Flugzeug zu sein. Es erinnerte ihn an die Modellbaukästen, die er als kleiner Junge so sehr geliebt hatte. Vielleicht das Modell eines Kampfflugzeugs, das man auf einen Flugzeugträger kleben konnte. Allerdings glich es keinem der Kampfflugzeuge, die er kannte. Dieses hatte eine stumpfe Nase, ein offenes Cockpit, kein Kabinendach und ein kastenförmiges Heck mit winzigen stummelartigen Ausbuchtungen. Vor allem fehlten richtige Flügel.

»Du hast doch nichts dagegen …«

Amar war bereits zu dem Vergrößerungsglas unterwegs, das auf dem Arbeitstisch angebracht war. Er legte den Gegenstand unter die Linse und drehte ihn vorsichtig um. »Das hier ist wirklich fantastisch«, rief er aus.

Jetzt brachte auch Peter den Kopf über das Glas. Unter Vergrößerung sah dieses Flugzeug – oder was auch immer es war – ausgesprochen schön und detailreich aus. Die Instrumente im Cockpit waren erstaunlich genau ausgeführt. Sie waren so winzig, dass man sich überhaupt nicht vorstellen konnte, wie sie eingeritzt worden sein konnten. Amar dachte das Gleiche.

»Vielleicht mithilfe von Laserlithografie«, sagte er, »so wie sie Computerchips herstellen.«

»Aber ist das überhaupt ein Flugzeug?«

»Das bezweifle ich. Es hat überhaupt keinen Antrieb. Ich weiß es nicht. Vielleicht nur eine Art Modell.«

»Ein Modell?«

»Vielleicht solltest du deinen Bruder fragen«, sagte Amar, bevor er sich wieder seiner eigenen Arbeit widmete.

Peter erreichte Eric auf seinem Handy. Im Hintergrund waren laute Stimmen zu hören. »Wo bist du gerade?«, fragte Peter.

»Auf dem Memorial Drive. Sie lieben uns am MIT. Sie verstehen wirklich, wovon wir sprechen.«

Peter beschrieb den kleinen Gegenstand, den er gefunden hatte. »Den solltest du eigentlich gar nicht haben«, meinte Eric. »Das ist ein Betriebsgeheimnis.«

»Aber was ist es?«

»Tatsächlich ist das Ganze ein Test«, sagte sein Bruder. »Eines der ersten Probeobjekte unserer neuartigen Robotertechnik. Das ist ein Roboter.«

»Anscheinend hat es ein Cockpit mit einem kleinen Pilotensessel und Instrumenten, als ob jemand dort sitzen sollte …«

»Nein, nein, was du da siehst, ist der Schlitz, in den später die Mikrobatterie und der Steuerungsblock eingesetzt werden. Auf diese Weise können wir das Gerät mit einer Fernbedienung steuern. Ich versichere dir, Peter, es ist ein Roboter. Einer der ersten Machbarkeitsbeweise unserer Fähigkeit, Dinge so weit zu verkleinern, wie es bisher noch niemand geschafft hat. Ich würd’s dir gerne näher erklären, aber mir fehlt die Zeit – also, ich würde es vorziehen, wenn du das kleine Gerät erst einmal nicht herumzeigst, zumindest für den Moment.«

»Geht klar.« Er musste ihm ja nicht unbedingt von Amar erzählen …

»Bring es mit, wenn du uns in Hawaii besuchen kommst«, beendete Eric das Gespräch.

In diesem Moment kam der Leiter des Labors, Ray Hough, herein, um den Rest des Tages in seinem Büro Unterlagen durchzugehen und Forschungspapiere zu sichten. Es galt unter den Forschungsstudenten als schlechter Stil, über andere Jobs zu sprechen, solange Professor Hough anwesend war. Aus diesem Grund trafen sie sich alle um 16 Uhr in Lucy’s Deli in der Massachusetts Avenue. An den kleinen Tischchen begann sofort eine lebhafte Debatte. Rick Hutter bestand immer noch darauf, dass man nur an einer Universität auf ethisch korrekte Weise forschen könne. Allerdings hörte niemand mehr auf ihn. Alle anderen befassten sich nur noch mit den Behauptungen, die Vin Drake aufgestellt hatte. »Er war wirklich gut«, sagte Jenny Linn, »aber das Ganze war doch eher ein Verkaufsgespräch.«

»Ja«, stimmte Amar Singh zu, »aber wenigstens ein Teil davon war durchaus richtig. Neue Entdeckungen hängen an neuen Werkzeugen. Wenn diese Jungs so etwas wie ein neuartiges Mikroskop oder eine Technik, die mit der PCR vergleichbar wäre, entwickelt haben sollten, werden ihnen bald wichtige Entdeckungen gelingen.«

»Aber das beste Forschungsumfeld der Welt?«, fragte Jenny Linn skeptisch.

»Wir könnten es uns ja selbst ansehen«, meinte Erika Moll. »Sie wollen uns ja angeblich sogar den Flug bezahlen.«

»Wie ist denn das Wetter in Hawaii zu dieser Jahreszeit?«, fragte Jenny.

»Ich kann nicht glauben, dass ihr denen das alles abkauft«, maulte Rick.

»In Hawaii ist immer schönes Wetter«, sagte Karen King. »Ich habe einmal in Kona an einem Taekwondokurs teilgenommen. Es war herrlich.« Karen war eine begeisterte Kampfsportlerin und hatte auch schon den Sportanzug für ihr Abendtraining an.

»Ich habe die Finanzchefin sagen hören, dass sie bis Jahresende hundert Leute einstellen wollen«, sagte Erika Moll im Versuch, einer echten Auseinandersetzung zwischen Karen und Rick zuvorzukommen.

»Sollte uns das abschrecken oder ködern?«

»Oder beides?«, sagte Amar Singh.

»Wissen wir überhaupt etwas über diese neue Technik, über die sie angeblich verfügen?«, fragte Erika. »Weißt du was darüber, Peter?«

»Was die Karriereplanung angeht, wäre es äußerst unklug, nicht zuerst den Doktor zu machen«, warf Rick Hutter ein.

»Ich habe keine Ahnung«, sagte Peter. Er schaute Amar an, der jedoch nur schweigend nickte.

»Offen gesagt, würde ich mir ihre Anlage gerne einmal ansehen«, sagte Jenny.

»So geht’s mir auch«, bestätigte Amar.

»Ich habe mir mal ihre Website angeschaut«, sagte Karen King. »Nanigen MicroTech. Dort steht, dass sie spezialisierte Roboter in Mikro- und Nanogröße herstellen. Das heißt also von millimetergroßen Geräten bis zu solchen, die nur einen Tausendstelmillimeter groß sind. Sie haben die Abbildungen von Robotern ins Netz gestellt, die so aussehen, als ob sie vier oder fünf Millimeter lang wären, und dann einige, die anscheinend mit etwa zwei Millimetern nur halb so lang sind. Die Roboter sehen sehr fein ausgeführt aus. Es wird jedoch überhaupt nicht erklärt, wie sie hergestellt werden.«

Amar schaute Peter an. Der zog es vor zu schweigen.

»Also, ich weiß nicht, was die unter Roboter in Nanogröße verstehen«, fuhr Karen King fort. »Das wäre weniger als die Dicke eines Menschenhaars. Niemand kann etwas dermaßen Kleines herstellen. Man müsste fähig sein, einen Roboter Atom für Atom aufzubauen, und das kann niemand.«

»Und sie behaupten, dass sie das können?«, rief Rick. »Das ist Firmenwerbungsscheiße.«

»Die Ferraris waren jedenfalls keine Scheiße.«

»Die Ferraris waren gemietet.«

»Ich muss in meinen Kurs«, sagte Karen King und stand auf. »Aber eines muss ich euch noch erzählen. Nanigen hat sich bisher ziemlich zurückgehalten, was seine Öffentlichkeitsarbeit angeht. Aber einige Wirtschaftswebsites bringen seit etwa einem Jahr immer mal wieder einzelne Nachrichten über das Unternehmen. Sie haben finanzielle Mittel in der Höhe von fast einer Milliarde Dollar von einem Konsortium erhalten, das von Davros Venture Capital zusammengestellt wurde –«

»Eine Milliarde!«

»Genau. Und dieses Konsortium setzt sich hauptsächlich aus internationalen Arzneimittelunternehmen zusammen.«

»Arzneimittelunternehmen?« Jenny Linn runzelte die Stirn. »Warum sollten die sich für Miniroboter interessieren?«

»Jetzt kann man allmählich den Braten riechen«, sagte Rick in raunendem Ton. »Die Pharmamultis!«

»Vielleicht suchen die nach neuen Verabreichungsverfahren«, sagte Amar.

»Das glaube ich nicht. Die haben sie doch mit den Nanosphären längst gefunden. Sie würden also nicht noch einmal eine Milliarde Dollar dafür investieren. Sie müssen auf neuartige Medikamente hoffen.«

»Aber wie …« Erika schüttelte verwundert den Kopf.

»Auf den Wirtschaftswebsites habe ich noch etwas anderes gefunden«, ergänzte Karen King. »Kurz nachdem sie diese Finanzmittel erhalten hatten, machte eine andere Mikrorobotik-Firma in Palo Alto Nanigen schwere Vorwürfe. Sie behauptete, Nanigen habe falsche Angaben gemacht, um die entsprechenden Kapitalien zu bekommen. In Wirklichkeit würden sie gar nicht über die entsprechende Technik verfügen. Diese andere Firma entwickelte ebenfalls mikroskopisch kleine Roboter.«

»Und, wie ging das Ganze aus?«

»Die Anzeige wurde zurückgezogen. Das Unternehmen in Palo Alto ging in Konkurs. Das war dann das Ende der Geschichte, außer dass der Chef dieser Firma mit der Aussage zitiert wurde, dass Nanigen doch über diese Technik verfügen würde.«

»Du glaubst also, dass wirklich etwas dahintersteckt?«, fragte Rick.

»Ich glaube, dass ich zu spät in meinen Kurs komme«, sagte Karen.

»Ich glaube, dass das alles stimmt«, sagte Jenny Linn. »Und ich fliege nach Hawaii, um es mir mit eigenen Augen anzuschauen.«

»Ich auch«, sagte Amar.

»Das kann doch nicht wahr sein«, rief Rick Hutter.

Peter ging mit Karen King die Massachusetts Avenue in Richtung Central Square hinunter. Obwohl es bereits später Nachmittag war, spendete die Sonne noch eine Menge Wärme. Karen trug in der einen Hand ihren Sportbeutel, die andere Hand war frei.

»Rick regt mich wirklich auf«, sagte Karen. »Er spielt immer den Obermoralischen, dabei ist er einfach nur faul.«

»Wie meinst du das?«

»An der Uni zu bleiben ist die sicherste Lösung«, entgegnete Karen. »Das bedeutet ein nettes, bequemes und sicheres Leben. Nur will er das nicht zugeben. Tu mir einen Gefallen«, fügte sie dann noch hinzu, »und geh auf meiner anderen Seite, okay?«

Peter wechselte auf Karens linke Seite hinüber. »Warum?«

»Damit ich meine Hand frei habe.«

Peter schaute auf ihre rechte Hand hinunter. Sie hielt ihre Autoschlüssel so in der Faust, dass der Schlüsselbart zwischen ihren Knöcheln wie eine Messerklinge herausragte. Außerdem baumelte an ihrem Schlüsselanhänger ganz dicht am Handgelenk noch ein kleiner Pfefferspraybehälter.

Peter konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Glaubst du, wir sind hier in Gefahr?«

»Die Welt ist ein gefährlicher Ort.«

»Auf der Massachusetts Avenue? Um fünf Uhr nachmittags?« Sie gingen gerade durch die belebte Stadtmitte von Cambridge.

»Die Unis verschweigen die wirkliche Zahl der Vergewaltigungen auf ihrem Campus und unter ihren Studenten«, sagte Karen. »Das ist schlechte Werbung. Kein reicher Alumnus schickt dann noch seine Tochter hin.«

Er konnte seinen Blick nicht von ihrer geballten Faust wenden, aus der ihr Schlüssel herausragte. »Was würdest du mit diesem Schlüssel machen, wenn dich jemand angreift?«

»Ich würde den Angreifer damit in seine Luftröhre stechen. Das verursacht sofort einen entsetzlichen Schmerz, vor allem wenn ich seine Luftröhre tatsächlich durchbohre. Wenn ihn das noch nicht außer Gefecht setzt, sprühe ich ihm das Spray aus nächster Nähe direkt ins Gesicht. Außerdem könnte ich ihn noch hart an die Kniescheibe treten, möglichst brechen. Dann liegt er am Boden und bleibt auch da.«

Sie wirkte ganz ernst, fast grimmig. Peter kämpfte gegen seinen Drang zu lachen an. Die Straße vor ihnen war so ruhig und alltäglich wie gewöhnlich. Die Leute hatten gerade Feierabend gemacht und waren auf dem Weg nach Hause zum Abendessen. Sie gingen an einem gehetzt aussehenden Professor vorbei, der eine zerknitterte Cordjacke trug und krampfhaft versuchte, den Stapel blauer Klausurpapiere nicht aus den Händen gleiten zu lassen. Ihm folgte eine kleine alte Dame mit einer Gehhilfe. In der Ferne sah man gerade eine Gruppe von Joggern verschwinden.

Karen griff in ihre Sporttasche und holte ein kleines Klappmesser heraus. Sie klappte es auf, um ihm die dicke gezackte Klinge zu zeigen. »Ich habe auch mein Spyderco-Messer dabei. Ich könnte damit einen Bastard abstechen, wenn es nötig werden sollte.« Als sie aufsah, bemerkte sie seinen entgeisterten Gesichtsausdruck. »Du findest mich lächerlich, oder?«

»Nein. Aber – würdest du wirklich mit diesem Messer jemanden abstechen?«

»Ich erzähle dir jetzt eine Geschichte«, sagte sie. »Meine Halbschwester ist Anwältin in Baltimore. Einmal geht sie um zwei Uhr nachmittags zu ihrem Auto in der Tiefgarage. Da wird sie von so einem Typen angegriffen. Er schlägt sie zu Boden, sie kommt mit dem Kopf auf dem harten Beton auf und verliert das Bewusstsein. Sie wird zusammengeschlagen und vergewaltigt. Als sie wieder zu sich kommt, leidet sie unter retrograder Amnesie. Sie kann sich nicht mehr an ihren Angreifer, wie er aussah und wie alles ablief, erinnern. An nichts. Sie behalten sie gerade einmal einen Tag im Krankenhaus, dann schicken sie sie heim.

In ihrer Kanzlei begegnet sie danach einem Kollegen, dessen Hals völlig zerkratzt ist. Vielleicht war er es ja, denkt sie. Ein Kerl aus ihrer eigenen Kanzlei, der ihr nach draußen gefolgt ist und sie dort vergewaltigt hat. Aber sie kann sich an nichts mehr erinnern und sich niemals sicher sein, ob er es wirklich war. Das Ganze reibt sie auf. Schließlich verlässt sie die Kanzlei, zieht nach Washington und muss dort einen schlechter bezahlten Job annehmen.« Karen hielt Peter ihre Faust vors Gesicht. »Und das alles, weil sie keinen Schlüssel wie den hier dabeihatte. Sie war zu ›nett‹ und wohlerzogen, um sich selbst zu schützen. Was für eine Scheiße.«

Peter überlegte sich, ob Karen King tatsächlich auf jemanden mit dem Schlüssel einstechen oder ihn mit dem Messer aufschlitzen würde. Er hatte das unbehagliche Gefühl, dass sie das tun würde. In einer solchen akademischen Umgebung war man es gewohnt, dass die Leute es beim Reden beließen. Sie schien dagegen zum Handeln bereit zu sein.

Sie kamen zu einem Kampfsportstudio, dessen Fenster mit Papier verklebt waren. Er konnte von drinnen kurze, gemeinsam ausgestoßene Kampfrufe hören. »So, hier findet mein Kurs statt«, sagte sie. »Wir sehen uns später. Wenn du mit deinem Bruder sprechen solltest, frag ihn doch, warum Pharmafirmen so viel Geld für Mikroroboter ausgeben, okay? Das würde mich wirklich interessieren.« Sie ging durch die Schwingtür zu ihrem Kurs.

Peter kehrte an diesem Abend noch einmal ins Labor zurück. Er musste die Kobra alle drei Tage füttern und tat dies normalerweise nach Einbruch der Dunkelheit, wenn die Kobras aktiv wurden. Es war 20 Uhr, und die Laborlichter hatten bereits auf den Nachtmodus umgeschaltet, als er eine wild zappelnde weiße Ratte in den Glaskasten setzte, den er danach wieder fest verschloss. Die Ratte rannte zum äußersten Ende des Kastens und stellte sich dann tot. Nur ihre Nase zuckte noch. Die Schlange drehte sich ganz langsam um, rollte sich auf und fixierte das Nagetier.

»Mir dreht sich der Magen um, wenn ich das sehe«, sagte Rick Hutter, der hinter Peter getreten war.

»Warum?«

»Es ist so grausam.«

»Jeder muss essen, Rick.«

Die Kobra stieß zu und senkte ihre Giftzähne tief in den Körper der Ratte. Diese zitterte, versuchte eine Zeit lang, auf den Füßen zu bleiben, und brach dann zusammen. »Deshalb bin ich Vegetarier«, sagte Rick.

»Glaubst du etwa, Pflanzen hätten keine Gefühle?«, sagte Peter.

»Fang nur nicht damit an«, entgegnete Rick. »Du und Jenny.« Jen untersuchte unter anderem die Kommunikation unter Pflanzen und Insekten mithilfe von Pheromonen und chemischen Stoffen, die von den Organismen freigesetzt wurden, um bestimmte Reaktionen hervorzurufen. Dieses Forschungsgebiet hatte in den letzten zwanzig Jahren große Fortschritte gemacht. Jenny bestand darauf, dass man Pflanzen als aktive, intelligente Lebewesen betrachten müsse, die sich kaum von den Tieren unterschieden. Außerdem machte es ihr Spaß, Rick zu ärgern. »Das ist lächerlich«, fauchte Rick Peter an. »Erbsen und Bohnen haben keine Gefühle.«

»Natürlich nicht«, entgegnete Peter mit einem Lächeln. »Und zwar, weil du die Pflanzen bereits getötet hast – sie herzlos für deine eigene egoistische Mahlzeit geopfert hast. Du willst nur nicht wahrhaben, dass die Pflanze einen Todesschrei ausgestoßen hat, als du sie getötet hast, weil du dich nicht den Konsequenzen deines kaltblütigen Pflanzenmords stellen willst.«

»Das ist absurd.«

»Nein, das ist Speziesismus«, sagte Peter. »Und du weißt es.« Er lächelte zwar, aber es war doch etwas Wahres an dem, was er sagte. Sie gingen ins Labor zurück. Peter war überrascht, dass Erika und Jenny noch da waren. Nur wenige Studenten arbeiteten noch am Abend. Was ging hier vor?

Erika Moll stand an einem Sezierbrett und schnitt gerade ganz vorsichtig einen schwarzen Käfer auf. Erika war Koleopterologin, also eine Entomologin, die sich auf Käfer spezialisiert hatte. Sie erzählte gerne, dass das schon manchen Small Talk auf Cocktailpartys abrupt beendet hatte (»Was machen Sie?« – »Ich untersuche Käfer.«). Tatsächlich waren Käfer für das Ökosystem sogar ausgesprochen wichtig. Ein Viertel aller bekannten Arten waren Käfer. Vor Jahren hatte ein Reporter den berühmten Evolutionsbiologen J. B. S. Haldane einmal gefragt, was man aus der Schöpfung über ihren Schöpfer ableiten könne. Haldane hatte geantwortet: »Er hat eine besondere Vorliebe für Käfer.«

»Was hast du denn da?«, wollte Peter von Erika wissen.

»Das ist ein Bombardierkäfer«, sagte sie. »Ein australischer Pheropsophus, dessen Sprühleistung besonders beeindruckend ist.«

Während sie das sagte, kehrte sie zu ihrer Sezierarbeit zurück. Als sie ihren Körper bewegte, berührte sie ganz leicht den seinen. Es schien ein zufälliger Kontakt zu sein – kein Anzeichen dafür, dass sie diese »Begegnung« überhaupt bemerkt hatte. Andererseits war sie berühmt für ihre Flirtkünste. »Und was ist an diesem Bombardierkäfer so besonders?«, fragte Peter.

Die Bombardierkäfer hatten ihren Namen von ihrer Fähigkeit, aus einer beweglichen Spritzdüse am Hinterleibsende ihren Angreifern ein heißes, ätzendes Gasgemisch entgegenzuschleudern. Dieses Wehrsekret war dermaßen unangenehm, dass es Kröten und Vögel davon abhielt, sie zu fressen, und es war giftig genug, um kleinere Insekten sofort zu töten. Wie die Bombardierkäfer das schafften, wurde bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts untersucht. Inzwischen wusste man genau, wie das Ganze funktionierte.

»Die Käfer produzieren ein kochend heißes Benzochinon-Spray, das sie aus Vorgängerstoffen herstellen, die in ihrem Körper gelagert sind. An ihrem Hinterleibsende haben sie zwei kleine Blasen oder Kammern – ich schneide sie jetzt auf, siehst du sie? In dieser sogenannten Sammelblase hier bewahren sie den Vorgängerstoff Hydrochinon und das Oxidationsmittel Wasserstoffperoxid auf. Die zweite Blase, eine feste Kammer, enthält Enzyme, Katalasen und Peroxidasen. Wenn der Käfer angegriffen wird, presst er durch eine Muskelbewegung den Inhalt der Sammelblase in die zweite, die sogenannte Explosionskammer, wo sich alle Bestandteile vereinen, um ein hochexplosives Benzochinon-Spray zu bilden.«

»Und was ist mit diesem besonderen Käfer hier?«

»Dieser fügt seinem Verteidigungsmechanismus noch etwas ganz Bestimmtes hinzu«, erklärte sie. »Er produziert nämlich auch ein Keton, und zwar 2-Tridecanon. Das Keton verstärkt die Abwehrwirkung, wirkt jedoch auch als Tensid, das die Flüssigkeitsdurchmischung fördert und damit die Ausbreitung des Benzochinons beschleunigt. Ich möchte herausfinden, wo dieses Keton hergestellt wird.« Sie legte für einen Augenblick ihre Hand ganz leicht auf seinen Arm.

»Du glaubst also nicht, dass es der Käfer selbst produziert?«, fragte Peter.

»Nein, nicht unbedingt. Vielleicht lässt er das Keton von irgendwelchen Bakterien herstellen, die er mit sich herumträgt.« Das war in der Natur eine ziemlich häufige Erscheinung. Die Produktion chemischer Verteidigungsstoffe verbrauchte viel Energie. Wenn ein Tier auf Bakterien zurückgreifen konnte, die diese Aufgabe für es erledigten, war das ein gewaltiger Vorteil.

»Findet man dieses Keton auch anderswo?«, fragte Peter. Das würde darauf hindeuten, dass es externen bakteriellen Ursprungs war.

»Ja, bei einigen Raupenarten.«

»Ganz etwas anderes. Warum arbeitest du eigentlich noch so spät?«, fragte Peter sie.

»Das tun wir doch alle.«

»Und warum?«

»Ich möchte meinen Zeitplan einhalten«, sagte sie. »Und nächste Woche werde ich wahrscheinlich nicht mehr hier, sondern auf Hawaii sein.«

Jenny Linn hielt eine Stoppuhr in der Hand, während sie eine komplexe Versuchsanordnung beobachtete: Blattpflanzen unter einem großen Glaskolben wurden von Raupen gefressen, während ein Luftschlauch den ersten Kolben mit drei weiteren Kolben verband, in denen sich weitere Pflanzen, allerdings ohne Raupen, befanden. Eine kleine Pumpe kontrollierte die Luftbewegung zwischen den einzelnen Kolben.

»Im Prinzip wissen wir, wie’s funktioniert«, erklärte sie. »Es gibt auf der Welt 300 000 bekannte Pflanzenarten und 900 000 Insektenarten, von denen viele Pflanzen fressen. Warum sind also die Pflanzen bisher nicht verschwunden? Sie alle müssten inzwischen doch aufgefressen worden sein. Weil sämtliche Pflanzen bereits vor langer Zeit Abwehrmechanismen gegen Insekten entwickelt haben, die sie angreifen. Tiere können den Beutegreifern davonlaufen, Pflanzen können das nicht. Aus diesem Grund greifen sie zur chemischen Kriegführung. Pflanzen produzieren ihre eigenen Pestizide, oder sie stellen Giftstoffe her, die ihre Blätter schlecht schmecken lassen, oder sie setzen flüchtige Chemikalien frei, die die natürlichen Feinde der Insekten anlocken. Manchmal setzen sie sogar chemische Stoffe frei, die anderen Pflanzen signalisieren, dass sie ihre Blätter toxischer und damit weniger genießbar machen sollen. Wir messen hier, wie die Pflanzen miteinander kommunizieren.«

Die Raupen im ersten Kolben brachten die von ihnen befallenen Pflanzen dazu, einen chemischen Stoff, ein Pflanzenhormon, auszustoßen, das dann in die anderen Kolben hinübergeleitet wurde. Die dortigen Pflanzen erhöhten daraufhin ihre Nikotinsäureproduktion. »Ich versuche hier, die Reaktionsrate zu messen«, erklärte Jenny. »Deshalb habe ich auch mehrere Kolben hier. Ich werde an unterschiedlichen Stellen Blätter abschneiden, um das Nikotinsäureniveau in ihnen zu messen. Sobald ich jedoch ein Blatt von der Nachbarpflanze abschneide …«

»…wird diese Pflanze agieren, als werde sie angegriffen, und wird noch mehr flüchtige Stoffe absondern.«

»Richtig. Deshalb halte ich die Kolben getrennt. Wir wissen bereits, dass die Reaktion ziemlich schnell, nämlich innerhalb von Minuten, erfolgt.« Sie deutete auf einen Kasten neben den Kolben. »Ich messe die flüchtigen Stoffe mit einem ultraschnellen Gaschromatografen. Die Entnahme der Pflanzenblätter erfolgt in regelmäßigen Abständen.« Sie schaute auf ihre Stoppuhr. »Und jetzt musst du mich entschuldigen …«

Sie deckte den ersten Glaskolben auf und begann, die Blätter von unten nach oben abzuschneiden und sorgfältig geordnet abzulegen.

»Hey, hey, hey, was ist denn hier los?« Danny Minot betrat den Raum und wedelte mit den Händen. Er war rundlich, hatte ein rosiges Gesicht und trug ein Tweed-Sportsakko mit Ellbogenflicken, eine gestreifte Krawatte und ausgebeulte Hosen. Wenn man ihn so sah, hätte man ihn für einen typischen englischen Professor halten können. So ganz falsch war das nicht einmal. Minot machte gerade seinen Doktor in Wissenschaftsforschung, einer Mischung aus Psychologie und Soziologie mit einer tüchtigen Beimengung von französischer Postmoderne. Er hatte einen Studienabschluss in Biochemie und vergleichender Literaturwissenschaft, wobei Letztere den Sieg davongetragen hatte. Er zitierte ständig Bruno Latour, Jacques Derrida, Michel Foucault und andere Denker, die glaubten, dass es keine objektive Wahrheit gebe, sondern nur die Wahrheiten, die von den jeweiligen Machtverhältnissen vorgegeben wurden. Minot war in diesem Labor, um seine Doktorarbeit über »wissenschaftliche linguistische Codes und Paradigmenwechsel« fertigzustellen, was in der Praxis bedeutete, dass er den anderen Forschungsstudenten auf die Nerven ging, sie bei der Arbeit störte und die Gespräche mit ihnen aufzeichnete.

Niemand konnte ihn leiden. Sie hatten sich häufig gefragt, warum Ray Hough ihn überhaupt in das Labor aufgenommen hatte. Schließlich hatte jemand Ray gefragt, und der hatte geantwortet: »Er ist der Cousin meiner Frau, und kein anderer wollte ihn haben.«

»Kommt schon, Leute«, krähte er jetzt, »niemand arbeitet so spät noch in diesem Labor, und trotzdem seid ihr heute Abend alle hier.« Wieder wedelte er mit den Händen.

Jenny schnaubte voller Verachtung: »Handwedler.«

»Das habe ich gehört«, sagte Minot. »Was bedeutet das eigentlich?«

Jenny zeigte ihm die kalte Schulter.

»Was bedeutet das? Dreh mir nicht den Rücken zu!«

Peter ging zu Danny hinüber. »Ein Handwedler ist jemand, der seine Ideen noch nicht durchdacht hat und sie deshalb auch nicht verteidigen kann. Wenn er bei einem Kolloquium seine Erkenntnisse vorstellen soll und zu dem Teil kommt, den er noch nicht wirklich durchdacht hat, fängt er an, mit den Händen zu wedeln und ganz schnell zu sprechen, in der Art, wie manche mit den Händen wedeln und ›und so weiter und so fort‹ sagen. In der Wissenschaft bedeutet das Händewedeln, dass du nichts wirklich Tragfähiges zu bieten hast.«

»Das hat mit dem, was ich hier tue, allerdings gar nichts zu tun«, sagte Minot und wedelte mit den Händen. »Das ist eine völlig verquere Semiotik.«

»Soso.«

»Aber schon Derrida hat ja festgestellt, dass die Übersetzung unterschiedlicher Ausdruckstechniken besonders schwierig ist. Ich versuche hier nur, euch alle in einem gestischen Inklusionsmodus zusammenzufassen. Also noch mal: Was geht hier vor?«

»Erzählt’s ihm bloß nicht«, sagte Rick, »sonst will er noch mitkommen.«

»Natürlich will ich mitkommen«, sagte Danny. »Ich bin doch der Laborchronist. Ich muss mitkommen. Wohin geht ihr eigentlich?«

Peter erzählte ihm in Kurzform die ganze Geschichte.

»Aber ja, ich komme ganz bestimmt mit. Die Überschneidung von Wissenschaft und Wirtschaft? Die Korruption der goldenen Jugend? Da muss ich unbedingt dabei sein.«

Peter holte sich gerade an der Maschine in der Ecke des Labors einen Becher Kaffee, als Erika auf ihn zutrat: »Was machst du nachher?«

»Ich weiß nicht, warum?«

»Vielleicht könnte ich heute Abend bei dir vorbeikommen.«

Sie schaute ihm direkt in die Augen. Etwas an ihrer Direktheit stieß ihn ab. »Ich weiß nicht, Erika«, sagte er, »ich arbeite eventuell hier bis spät in die Nacht.« Dabei dachte er: Seit dem letzten Mal habe ich dich doch drei Wochen nicht mehr gesehen.

»Ich bin jedenfalls fast fertig«, sagte sie. »Außerdem ist es erst neun Uhr.«

»Ich weiß nicht. Mal sehen.«

»Passt dir mein Angebot nicht?« Sie schaute ihm immer noch forschend ins Gesicht.

»Ich dachte, du gehst gerade mit Amar.«

»Ich mag Amar sehr. Er ist sehr intelligent. Aber dich mag ich auch. Das habe ich immer getan.«

»Vielleicht sprechen wir später darüber«, sagte er, während er Milch in seinen Kaffee goss. Danach machte er sich so schnell davon, dass er ein wenig von seinem Kaffee verschüttete.

»Das hoffe ich«, rief sie ihm nach.

»Probleme mit deinem Kaffee?«, sagte Rick Hutter und grinste Peter an. Rick hielt unter einer Halogenlampe eine Ratte am Schwanz, sodass ihr Kopf nach unten baumelte, und vermaß mit einer kleinen Schieblehre ihre geschwollene Hinterpfote.

»Nein«, stotterte Peter, »ich war nur, ähm, etwas überrascht, wie heiß er war.«

»Mhm. Erstaunlich heiß, würde ich sagen.«

»Ist das ein Versuch mit Carrageen?«, fragte Peter, um das Thema zu wechseln. Carrageen, ein Rotalgenextrakt, war das gebräuchliche Mittel, um in der Pfote eines Labortiers ein Ödem zu verursachen. Es war ein standardisiertes Tierversuchsmodell für Ödeme, das in der ganzen Welt zur Untersuchung von Entzündungen angewendet wurde.

»Stimmt genau«, bestätigte Rick. »Ich habe Carrageen injiziert, um die Pfote anschwellen zu lassen. Dann habe ich einen Extrakt aus der Rinde von Himatanthus sucuuba, einem mittelgroßen Regenwaldbaum, aufgetragen. Jetzt können wir – hoffentlich – dessen entzündungshemmende Wirkung beweisen. Für den Latex dieses Baumes habe ich das bereits bewiesen. Der Himatanthus ist ein wirklich vielseitiger Baum, er heilt Wunden und kuriert Geschwüre. Die Schamanen in Costa Rica behaupten, der Baum habe antibiotische und fiebersenkende Eigenschaften und er helfe gegen Krebs und Parasiten. Diese Behauptungen habe ich aber noch nicht überprüft. Eines steht jedoch fest: Der Rindenextrakt hat die Schwellung bei der Ratte erstaunlich schnell abklingen lassen.«

»Hast du bereits bestimmt, welche chemischen Stoffe für diese entzündungshemmende Eigenschaft verantwortlich sind?«

»Brasilianische Forscher führen sie auf Alpha-Amyrin-Cinnamat und andere Cinnamat-Verbindungen zurück, aber das habe ich noch nicht verifiziert.« Rick beendete die Ausmessung seiner Ratte, setzte diese wieder in ihren Käfig und tippte die Messergebnisse samt deren Zeitpunkt in seinen Laptop ein. »Aber eines kann ich dir jetzt schon sagen: Die Extrakte von diesem Baum scheinen völlig ungiftig zu sein. Eines Tages könnten wir die sogar schwangeren Frauen geben. Jetzt sieh dir das an!« Er deutete auf die Ratte, die durch ihren Käfig rannte. »Sie hinkt überhaupt nicht mehr.«

Peter schlug ihm auf die Schulter. »Pass bloß auf«, sagte er, »sonst veröffentlicht irgendein Pharmaunternehmen diese Ergebnisse vielleicht noch vor dir.«

»Hey, da habe ich keine Angst. Wenn diese Typen tatsächlich aktiv Arzneimittel entwickeln würden, hätten sie sich längst mit diesem Baum befasst. Aber warum sollten sie dieses Risiko eingehen? Sie lassen lieber den amerikanischen Steuerzahler die entsprechende Forschung bezahlen und irgendeinen Studenten monatelang arbeiten, bis er die Entdeckung macht. Dann stehen sie sofort auf der Matte und kaufen der Universität die Rechte ab. Danach verkaufen sie uns unsere Entdeckung zum vollen Preis zurück. Genialer Deal, nicht wahr?« Er setzte zu einer seiner gefürchteten Tiraden an. »Ich sage dir, diese gottverdammten Pharma –«

»Rick«, schnitt ihm Peter das Wort ab. »Ich muss gehen.«

»Na klar. Keiner will sich diese Wahrheiten anhören, ich weiß.«

»Ich muss unbedingt mein Naja-Gift abzentrifugieren.«

»Kein Problem.« Rick zögerte einen Moment und schaute über seine Schulter auf Erika. »Hör mal, es geht mich ja nichts an –«

»Stimmt. Das geht dich wirklich –«

»Aber ich sehe nun einmal nicht gerne zu, wenn ein guter Kerl wie du in die Fänge von jemandem gerät, der … na ja, du weißt schon. Kennst du eigentlich meinen Freund Jorge, der am MIT Computerwissenschaft studiert? Wenn du wirklich wissen willst, was mit Erika los ist, ruf diese Nummer an« – er drückte Peter einen Notizzettel in die Hand – »und Jorge beschafft dir ihre Telefonverbindungsdaten, einschließlich ihrer Sprachnachrichten und SMS. Dann wirst du die Wahrheit über ihre, ähm, promiskuitive Lebensführung herausfinden.«

»Ist das legal?«

»Nein, aber es ist verdammt nützlich.«

»Danke, aber –«

»Nein, nein, behalte ihn«, beharrte Rick.

»Ich werde ihn nicht benutzen.«

»Man kann nie wissen«, sagte Rick. »Telefonaufzeichnungen lügen nicht.«

»Okay.« Es war einfacher, die Notiz zu behalten, als einen Streit anzufangen. Er steckte sie in die Tasche.

»Übrigens«, sagte Rick, »was deinen Bruder angeht …«

»Was ist mit ihm?«

»Meinst du, er war ehrlich zu uns?«

»Über seine Firma?«

»Ja, Nanigen.«

»Ich glaube schon«, sagte Peter. »Aber ehrlich gesagt, weiß ich nicht sehr viel darüber.«

»Hat er dir nichts erzählt?«

»Über diese ganze Sache hat er fast nichts rausgelassen.«

»Glaubst du, die sind wirklich so innovativ?«

Ja, innovativ sind sie ganz bestimmt, dachte Peter, als er durch das Rastermikroskop blickte. Er musterte noch einmal diesen weißen Kiesel, diesen Mikroroboter oder was immer das Ding war. Vor allem versuchte er die Behauptung seines Bruders nachzuprüfen, dass dies kein Cockpit war, sondern nur ein Schlitz zur Aufnahme einer Mikrobatterie oder eines Steuerungsblocks. So sah er aber gar nicht aus. Man erkannte eindeutig einen Sitz vor einem winzigen, in allen Einzelheiten ausgeführten Instrumentenbrett.

Er dachte immer noch darüber nach, als ihm plötzlich bewusst wurde, dass es in dem Labor um ihn herum absolut still war. Als er hochschaute, merkte er, dass das Mikroskopbild auch auf einem großen, an die Wand montierten Flachbildschirm zu sehen war. Alle, die sich gerade im Labor befanden, starrten gebannt darauf.

»Was zum Teufel ist das?«, rief Rick.

»Ich weiß es nicht.« Peter schaltete den Monitor aus. »Und wir werden es nie herausfinden, wenn wir nicht nach Hawaii reisen.«

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