Kapitel 3 MAPLE AVENUE, CAMBRIDGE

27. OKTOBER, 19:20 UHR

Einer nach dem anderen entschlossen sich alle sieben Forschungsstudenten, Vin Drakes Angebot anzunehmen. Sie sammelten Daten, beschrieben ihre Forschungsfelder und schickten diese Informationen samt einem Begleitbrief an Nanigen zu Händen von Alyson Bender. Einer nach dem anderen bekamen sie die Nachricht, dass Nanigen ihren Flug nach Hawaii bezahlen und organisieren würde. Der Einfachheit halber würden sie als Gruppe reisen. Je weiter der Oktober voranschritt, desto mehr beschäftigten sie sich nur noch mit den Vorbereitungen ihrer Reise. Dabei hatten alle sieben ausgesprochen viel zu tun. Sie mussten ihre laufenden Experimente zu Ende führen, ihre Forschungsprojekte so organisieren, dass sie sie eine Weile unterbrechen konnten, und natürlich mussten sie packen. Sie planten am frühen Sonntagmorgen vom Logan Airport in Boston abzufliegen und dann in Dallas in eine andere Maschine umzusteigen, die noch am selben Nachmittag in Honolulu ankommen würde. Es war abgemacht, dass sie dort vier Tage bleiben würden, um dann am Wochenende an die Ostküste zurückzukehren. Ihre Flüge waren bestätigt worden. Alle waren reisefertig.

An einem grauen, kalten Samstag, dem Tag vor ihrem Flug, saß Peter Jansen bereits früh am Morgen in seinem Apartment an seinem Computer. In der Küche brutzelte Erika Moll Eier mit Schinken und trällerte den Song »Take a Chance on Me«. Plötzlich fiel Peter ein, dass er an diesem Morgen vergessen hatte, sein Telefon wieder einzuschalten. Er hatte es am Abend vorher ausgeschaltet, als Erika überraschend vorbeigekommen war. Er schaltete es ein und legte es auf den Schreibtisch. Kurz darauf summte es. Eine SMS von seinem Bruder Eric.

KOMM NICHT

Er schaute auf die Textbotschaft. Sollte das ein Witz sein? War etwas passiert? Er schickte seinerseits eine SMS an seinen Bruder:

WARUM NICHT?

Er beobachtete aufmerksam den Handybildschirm, aber es kam keine Antwort. Einige Minuten später wählte er Erics Nummer in Hawaii. Dort meldete sich nur seine Mailbox. »Eric, hier ist Peter. Was ist los? Ruf mich an!«

Aus der Küche rief Erika herüber: »Mit wem sprichst du?«

»Mit niemandem. Ich versuche nur, meinen Bruder zu erreichen.«

Er scrollte zur SMS seines Bruders zurück. Sie war um 21:49 Uhr angekommen. Sie war also schon am Abend zuvor eingetroffen! Zu dieser Zeit war in Hawaii erst Nachmittag gewesen.

Peter rief noch einmal seinen Bruder an. Wieder meldete sich nur seine Mailbox. Er legte auf.

»Frühstück ist fast fertig«, sagte Erika.

Er nahm das Handy in die Küche mit und legte es neben seinen Teller. Erika rümpfte die Nase. Sie mochte keine Telefone beim Essen. Sie schob einige Eier auf seinen Teller und sagte: »Ich habe sie nach dem Rezept meiner Großmutter gemacht, mit Milch und Mehl –«

Das Telefon klingelte.

Er griff sofort danach und hielt es ans Ohr. »Hallo?«

»Peter?« Eine Frauenstimme. »Peter Jansen?«

»Ja, am Apparat.«

»Hier ist Alyson Bender. Von Nanigen.« Sofort hatte er das Bild dieser blonden Frau vor Augen, die ihren Arm um Erics Taille gelegt hatte. »Hören Sie«, fuhr sie fort, »wie schnell können Sie hierher nach Hawaii kommen?«

»Laut Plan fliegen wir morgen«, sagte er.

»Können Sie nicht heute schon kommen?«

»Ich weiß nicht. Ich –«

»Es ist wichtig.«

»Also, ich kann nachschauen, ob es einen früheren Flug gibt –«

»Tatsächlich habe ich mir die Freiheit genommen, einen für Sie zu buchen, der in drei Stunden abgeht. Schaffen Sie das?«

»Ich glaube schon – aber warum diese Eile?«

»Leider habe ich eine schlechte Nachricht für Sie, Peter.« Sie machte eine kleine Pause. »Es geht um Ihren Bruder.«

»Was ist mit ihm?«

»Er wird vermisst.«

»Vermisst?« Er fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Er verstand überhaupt nichts mehr. »Was meinen Sie mit ›vermisst‹?«

»Seit gestern«, sagte Alyson. »Es war ein Bootsunfall. Ich weiß nicht, ob er Ihnen erzählt hat, dass er sich ein Motorboot gekauft hat, einen Boston Whaler? Wie auch immer, gestern ist er auf der Nordseite der Insel damit rausgefahren. Offensichtlich bekam er dann Motorprobleme. Gestern schlug die Brandung besonders stark gegen die Felsen. Dann fiel wohl der Motor ganz aus, und das Boot trieb auf das Ufer zu …«

Peter wurde beinahe schwarz vor Augen. Er schob den Teller mit den Eiern von sich weg. Erika beobachtete ihn mit blassem Gesicht. »Woher wissen Sie das alles?«, fragte er.

»Da waren Leute oben auf dem Steilufer, die haben das Ganze beobachtet.«

»Und was ist dann mit Eric passiert?«

»Er versuchte, den Motor wieder zu starten, schaffte das aber nicht. Die Brandung war hoch, und er wusste, dass das Boot an den Felsen zerschellen würde. Er sprang ins Wasser … und versuchte, ans Ufer zu schwimmen. Aber die Strömung … Jedenfalls kam er nie dort an …« Sie atmete einmal tief durch. »Es tut mir so leid, Peter.«

»Aber Eric ist ein guter Schwimmer«, sagte Peter. »Ein starker Schwimmer.«

»Ich weiß. Deshalb hoffe ich auch immer noch, dass er zurückkommen wird. Aber, ähm, die Polizei hat uns erzählt, nun … Die Polizei würde gerne mit Ihnen sprechen und alles mit Ihnen durchgehen, sobald Sie hier ankommen.«

»Ich fahre jetzt gleich zum Flughafen«, sagte er und legte auf. Erika hatte bereits seine Reisetasche aus dem Schlafzimmer geholt, die er für den nächsten Tag gepackt hatte.

»Wir sollten jetzt besser gehen«, sagte sie, »wenn du den Elf-Uhr-Flug noch erreichen willst.« Sie legte ihm den Arm um die Schulter, und sie gingen gemeinsam die Treppe hinunter zum Auto.

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