Kapitel 44 ROURKES FESTUNG

31. OKTOBER, 23:45 UHR

Rourke döste eine Weile, wachte dann aber auf, als ihm bewusst wurde, dass Danny Minot immer noch nicht von der Toilette zurückgekehrt war. Inzwischen war geraume Zeit vergangen. Das Feuer war heruntergebrannt. Er stand auf und eilte den Tunnel hinunter zur Toilette. Danny war nicht da.

Die Festung war ein ausgedehntes Labyrinth mit vielen unbenutzten Tunneln. Vielleicht hatte sich Danny in einem von ihnen verlaufen. Rourke ging in einen Seitentunnel hinein und rief: »Danny! Bist du da?« Keine Antwort. Auch im nächsten Tunnel herrschte tiefe Stille. Dann bemerkte Rourke einen Luftzug im Tunnel. Der Hangar … Er lief zum Hangar hinauf. Dort stand das Tor offen, und ein Flugzeug fehlte.

Er schloss das Tor und weckte Rick und Karen auf. »Euer Freund ist weg. Er hat ein Flugzeug genommen.«

Sie konnten sich nicht erklären, was in Danny gefahren war. Vielleicht hatte er Angst bekommen, war wegen seines Arms in Panik geraten und hatte sich entschieden, allein ins Nanigen-Hauptquartier zu fliegen. Das bewies allerdings mehr Mut, als sie Danny zugetraut hätten.

»Vielleicht sollten wir losfliegen und versuchen, ihn zu finden«, schlug Karen vor.

Rourke wollte nichts davon hören. »Er ist weg. Der Wind könnte ihn irgendwo über die Insel geweht haben.« Außerdem sei es viel zu gefährlich, nach Einbruch der Dunkelheit zu fliegen, wenn die Fledermäuse unterwegs seien. »Das grenzt an Selbstmord.«

Danny war vielleicht längst tot. Und wenn er den Flug überlebte, war unklar, wie er ins Nanigen-Hauptquartier hineinzukommen gedachte.

»Das ergibt alles keinen Sinn«, sagte Karen.

»War wohl reine Panik«, vermutete Rick.

Vin Drake saß in seinem Auto. Der Lichtstrahl des Leuchtturms schwang in regelmäßigen Abständen über ihn hinweg und leuchtete durch die Äste der Bäume. Der Mond hüllte die Szene in seinen Silberglanz. Was für eine wunderschöne Welt das doch war. Ihn überkam tiefe Gelassenheit. Er schwebte hoch über der Welt, balancierte auf einem Drahtseil und tat das sogar ziemlich gut.

Ein schwarzer Pick-up tauchte auf und parkte direkt neben Drake. Er stieg aus und kletterte in den Pick-up. Er erklärte Makele die Situation. »Er fliegt hierher. Er kennt ein Heilmittel gegen die Tensor-Krankheit. Wenn er gelandet ist, verrät er sie mir.«

»Und dann?«, fragte Makele.

Drake gab darauf keine Antwort. Er setzte das Headset auf und begann, Danny zu rufen, den Blick auf die Berge gerichtet. »Daniel? Daniel, sind Sie da?«

Er hörte nichts außer einem leichten Zischen. Er wandte sich an Makele. »Halten Sie nach den Positionslichtern Ausschau! Rot und grün und sehr klein.«

»Was werden Sie mit dem Jungen machen?«, fragte Makele.

Drake ignorierte ihn. »Der Wind bläst vom Tantalus rüber. Er sollte jede Minute hier sein.«

Ein Wagen bog auf den Parkplatz ein. Drake schaltete das Funkgerät aus und blickte hinüber. »Schauen Sie nach.«

Makele näherte sich dem geparkten Auto. In dessen Innerem sah er ein Pärchen, das anfing, Zärtlichkeiten auszutauschen. Er erzählte Drake, dass man sich da wohl keine Sorgen machen müsse.

Drake versuchte weiterhin, Danny anzufunken, bekam aber keine Antwort. Autos fuhren vorbei, und der Lichtstrahl des Leuchtturms drehte weiterhin über ihnen seine Runden. Das Pärchen im Auto tauchte jetzt vollends ab. Die beiden Männer blickten zum Himmel hinauf und versuchten vor dem Hintergrund der Sterne kleine Lichter zu entdecken. »Der liebe Danny hat mich angelogen«, sagte Drake schließlich.

»Worüber?«

»Über ein Heilmittel für die Tensor-Krankheit.« Er hat mich angelogen, damit ich ihn rette. Ha.

Sie horchten eine Zeit lang nach dem wimmernden Surren eines Mikroflugzeugs. Don Makele sah, dass im Moment ein ziemlich starker Wind wehte. Vielleicht wurde der Junge aufs Meer hinausgetrieben. Drake holte etwas aus dem Kofferraum seines Sportwagens und legte es auf die Ladefläche des Pick-up-Trucks. Dann sagte er: »Ich gebe Ihnen noch drei Gründungsaktien. Jetzt haben Sie insgesamt sieben. Das wird Ihnen sieben Millionen Dollar einbringen.«

Der Sicherheitschef knurrte. »Was machen wir mit dem Jungen?«, wollte er wissen.

»Ihn befragen.« Drake tippte an das Headset, mit dessen Hilfe er mit Mikromenschen kommunizieren konnte.

»Und danach?«

Drake gab eine Zeit lang keine Antwort. Dann lehnte er sich gegen den Pick-up und schlug mit der flachen Hand gegen das Metall. Er schaute in den Himmel und murmelte: »Die Fliegen sind heute wieder ganz schön lästig.«

»Ich verstehe«, sagte Makele.

Die beiden Männer beobachteten noch eine Weile den Nachthimmel. Makele ging dann am Pick-up entlang und schaute nach, was Drake auf dessen Ladefläche gelegt hatte. Es war ein voller Plastikkanister. Er konnte das Benzin riechen.

Drake rief noch einige Male in sein Sendemikrofon hinein, riss sich schließlich sein Headset vom Kopf. »Mr. Minot hatte einen Unfall. Oder er hat es sich anders überlegt.« Er stieg in den Pick-up und übergab Don Makele die Schlüssel seines Sportwagens.

»Was soll ich mit Ihrem Wagen machen, Sir?«

»Stellen Sie ihn vor dem Nanigen-Gebäude ab. Dann fahren Sie mit dem Taxi nach Hause.«

Drake ließ den Pick-up an und brauste die Diamond Head Road hinunter. Während die Rücklichter allmählich in der Ferne verschwanden, schüttelte Makele den Kopf.

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