Kapitel 17 MANOA-TAL

29. OKTOBER, 13:00 UHR

Ein neuer schwarzer Pick-up bog auf den Parkplatz vor dem Gewächshaus im Waipaka-Arboretum ein. Don Makele, der Sicherheitschef von Nanigen, stieg aus, schulterte einen Rucksack und klipste sich ein Messer an den Gürtel. Er kniete sich am Rand des Parkplatzes neben eine Gruppe weißer Ingwerpflanzen auf den Boden und zog das Messer aus der Scheide. Es war ein KA-BAR, ein Kampfmesser mit einer schwarzen Klinge, wie es die Marines bei ihren Einsätzen benutzten. Vorsichtig schob er mit der stumpfen Klingenseite die Pflanzenstängel beiseite, bis er das kleine Zelt fand. Die Versorgungsstation Alpha lag tief im Schatten der Ingwerblätter verborgen. Er beugte sich über die Pflanzen, um besser sehen zu können, und zog mit der Messerspitze die winzige Zeltklappe beiseite.

»Jemand zu Hause?«, fragte er.

Er wusste, dass er keine Antwort hören würde, selbst wenn ein Mikromensch ihm tatsächlich antworten sollte. Weit und breit waren sowieso keine Mikromenschen zu sehen. Station Alpha war bereits vor einem Monat vorläufig eingemottet worden, als das letzte dort stationierte Außenteam sie verlassen hatte.

Er stach das Messer direkt neben dem Zelt in den Boden und zog mit ihm einen Kreis um die ganze Station, wobei er die Klinge ständig vor- und zurückbewegte. Danach wuchtete er den Bunker aus der Erde, von dem jetzt kleine Dreckbrocken herunterfielen, während das Zeltdach auf der Spitze der Anlage wie in einem Sturmwind flatterte. Er stand auf und schlug mit dem Bunker auf seinen Schuh, um ihn von den letzten Klumpen zu befreien. Dann steckte er ihn in seinen Rucksack.

Don Makele holte eine Karte heraus und studierte sie aufmerksam. Der nächste Halt würde die Station Bravo sein. Er ging schnell den Pfad hinunter, der zur Farnschlucht führte. Nach etwa fünfzehn Metern verließ er den gebahnten Weg und ging ein Stück in den Wald hinein. Auch in dieser Dschungelumgebung kam er sehr schnell voran. Laut Karte lag Station Bravo auf der Südseite eines Koa-Baums, dessen Stamm markiert worden war, damit man die Station leichter finden konnte. Nach einigen Minuten kam er am richtigen Baum an. An dessen Stamm hatte man ein orangefarbenes Reflexionsschild genagelt. Er kniete sich hin, fand das Zelt und spähte hinein. Niemand da. Aber was war mit dem Bunker?

Er richtete sich auf, rief ganz laut »Hey!« und stampfte mit dem Fuß auf die Erde neben dem Zelt. Das würde sie heraustreiben, wenn sie im Bunker sein sollten. Er sah jedoch nichts, keine Bewegung und keine kleinen Gestalten, die vor ihm wegliefen. Er schnitt den Boden mit dem Messer auf, holte den Bunker heraus und legte ihn in seinen Rucksack neben Station Alpha. Er schaute noch einmal auf die Karte und blickte danach zu den Abhängen der Berge hinüber, die sich bis zu den Felsspitzen und schließlich zu den Höhen des Tantalus hinaufzogen. Es wäre Zeitverschwendung, alle Stationen ins Nanigen-Hauptquartier zurückzubringen, dachte er. Die Mikrowelt hatte die Studenten verschlungen, ohne eine einzige Spur zu hinterlassen. Trotzdem musste er Drakes Anordnungen befolgen. Es machte ihm auch nichts aus, die einzige Überlebenshoffnung der Studenten zu zerstören, die waren ohnehin ganz bestimmt schon tot. Er tat nichts Unrechtes, wenn er diese Stationen abräumte.

Er wanderte am Fuß der Berghänge entlang und grub dabei die Stationen Foxtrot, Golf und Hotel aus. Er kam weiterhin schnell voran. In diesem Dschungel fühlte er sich inzwischen fast zu Hause. Langsam stieg das Gelände immer mehr an. Er lokalisierte die Station India und grub sie aus. Noch ein Stück höher fand er Juliet, von der er bei der Bergung eine Menge Schlamm abklopfen musste. Station Kilo schien dagegen verschwunden zu sein. Sie hätte am Fuß eines Felsens neben einem kleinen Wasserfall in einem dichten Lianengestrüpp liegen sollen. Er konnte sie einfach nicht finden. Schließlich kam er zu der Überzeugung, dass Kilo wahrscheinlich während eines starken Regenschauers weggespült worden war. Wäre nicht das erste Mal, dass einer Station so etwas passierte. Bei ihrer Größe spielte ihnen das Wetter übel mit.

Er machte kehrt und ging auf direktem Weg wieder in die Farnschlucht hinunter. Sein nächstes Ziel war die Station Echo, die tief unten inmitten einiger Albesia-Bäume lag.

»H-e-y!« Das Donnergeräusch hallte durch den Bunker und weckte schlagartig alle Studenten auf. Der ganze Raum schwankte und rüttelte hin und her. Sie wurden wie bei einem starken Erdbeben aus ihren Stockbetten gerissen und durch den Bunker geschleudert. Das Licht ging aus. Kisten, Regale und Laboreinrichtungen krachten in der Dunkelheit aufeinander. Der ganze Raum bebte. Peter Jansen begriff sofort, was da vor sich ging. »Jemand ist da draußen!«, rief er. »Los! Los! Wir müssen hier raus!« Er tastete nach seiner Stirnlampe, die er vor sein Bett gelegt hatte, fand sie und schaltete sie ein.

Jetzt ging auch das Raumlicht wieder an. Die Batterien hatten durch das Gerüttel kurz Kontakt verloren.

Rick Hutter packte seine Pfeile und begann, die Leiter hinaufzuklettern. Karen King folgte ihm. Die anderen griffen sich die Campingrucksäcke, die Macheten und alles andere, was sie tragen konnten.

Rick kam am Ende der Leiter an. Er wollte gerade das Verschlussrad aufdrehen, als der ganze Raum plötzlich in die Luft gehoben wurde. Rick fiel von der Leiter herunter, während die anderen in alle Richtungen geschleudert wurden. Der Raum kippte zur Seite, und ein ohrenbetäubendes Hämmern ließ den ganzen Bunker erzittern.

»Ach – du – blödes – Ding –« Die vier Wörter schienen den Bunker wie einschlagende Artilleriegeschosse zu erschüttern.

Er hatte einen Kreis um Station Echo gestochen, sie aus der Erde herausgehoben und spähte jetzt durch die Zeltöffnung. Drinnen waren auf dem Boden alle möglichen Versorgungsgüter verstreut. Das sah ungewöhnlich aus, deshalb entschloss er sich, den Lukendeckel zu öffnen und in den Bunker hineinzuschauen. Er kniff das Lukenrad zwischen Daumen und Zeigefinger, aber es brach plötzlich ab. Jetzt konnte er die Luke nicht mehr öffnen. »Scheiße.« Er legte die ganze Station seitlich auf dem Boden ab, kniete sich neben sie und schlug mit der Spitze seines Messers auf den Lukendeckel, aber auch das half nichts. Die Luke blieb fest verschlossen. Er holte mit dem Messer weit aus. Er würde den Bunker aufschlitzen.

Die KA-BAR-Klinge war für die Mikromenschen so groß wie ein zehnstöckiges Gebäude. Jetzt schlug sie mit ungeheurem Getöse in den Bunker ein und schleuderte zerschmetterte Betonbrocken durch den Raum. Die Klinge fuhr bis in die Erde unter dem Bunker hinein. Oben klaffte ein riesiges Loch. Die Schneide begann, den ganzen Bunker zu zersägen.

Rick war inzwischen wieder die Leiter hinaufgeklettert. Jetzt versuchte er verzweifelt, das Verschlussrad aufzudrehen und die Luke zu öffnen. Tatsächlich gelang ihm das nach einigen Sekunden. Als Erstes warf er seinen Campingrucksack nach draußen. Dann erhob sich der Bunker jedoch in die Luft. Er konnte tief unten den Erdboden sehen. Der Bunker drehte sich vollständig auf die Seite, bis Rick rücklings auf der Leiter lag. Die anderen drängten sich hinter ihm. Er begann, nach ihnen zu greifen. Er packte Amar, stieß ihn durch die Luke nach draußen und sah ihn dann gerade noch hinunterfallen. Der Bunker stieg noch höher und kippte. Als Nächster war Peter Jansen an der Reihe, der Rick jedoch zurief: »Hilf mir, die anderen rauszubringen!«

Gemeinsam schafften sie es, Danny durch die Luke zu bugsieren. Sie hörten ihn schreien und sahen ihn fallen. Erika schlüpfte als Nächste ins Freie.

Im Bunker selbst steckte Jenny Linn in großen Schwierigkeiten. Ihr Arm war zwischen der riesigen Messerklinge und der Betonwand eingeklemmt. Karen King versuchte, sie zu befreien, während sich die Klinge immer weiter seitwärtsbewegte und drohte, sie beide zu zerquetschen.

»Mein Arm«, jammerte Jenny. »Ich kann mich nicht bewegen!«

Zu allem Überfluss rutschte jetzt noch ein Tisch auf Jenny. Ein Betonbrocken zerschmetterte den Tisch, bevor er Karen rammte. Karen kickte ihn weg. Sie war überrascht von ihrer Stärke, während sie verzweifelt Jenny zu befreien versuchte.

Der Bunker senkte sich wieder nach unten und schlug auf dem Boden auf. In diesem Moment teilte ihn das Messer endgültig in zwei Teile. Jenny und Karen wurden herausgeschleudert. Sie sahen den Himmel. Zwischen ihnen und dem Himmel erhob sich ein Riese, ein Mann, den sie nicht kannten. Er öffnete den Mund und ließ laute, unverständliche Töne hören. Dann holte er mit dem Messer aus.

Karen packte Jenny und zog sie auf die Füße. Gleichzeitig beobachtete sie fasziniert, wie das Messer hoch über ihnen geschwenkt wurde. Jennys Arm hing in einem seltsamen Winkel schlaff nach unten. »Lauf!«, schrie Karen, als das große Messer auf sie heruntersauste.

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