7 Leichter als eine Feder

Nachts erschien die Luft ruhiger, obwohl der Donner Lan noch immer warnte, dass längst nicht alles in Ordnung war. In den Wochen seiner Reise mit Bulen schien der Sturm über ihnen finsterer geworden zu sein.

Nach dem Ritt gen Süden ging es nach Osten weiter; sie waren irgendwo in der Nähe der Grenze zwischen Saldaea und Kandor, auf der Lanzenebene. Um sie herum ragten gewaltige verwitterte Hügel in die Höhe, deren steile Hänge an Festungen erinnerten.

Vielleicht hatten sie die Grenze verfehlt. Diese Straßen im Hinterland hatten oft keine Grenzsteine, und den Bergen war egal, welche Nation sie für sich beanspruchte.

»Meister Andra«, sagte Bulen hinter ihm. Lan hatte ihm ein Reitpferd besorgt, eine weiße Stute. Er führte noch immer sein Lastpferd Späher.

Bulen holte ihn ein. Lan bestand darauf, als »Andra« angesprochen zu werden. Ein Anhänger war schlimm genug. Wenn niemand wusste, wer er war, konnte auch niemand darum bitten, ihn zu begleiten. Im Grunde war er Bulen für die Warnung, was Nynaeve getan hatte, zu Dank verpflichtet. Dafür schuldete er dem Mann etwas. Allerdings redete Bulen gern.

»Meister Andra«, fuhr Bulen fort. »Falls ich einen Vorschlag machen darf, wir könnten an der Kreuzung von Berndt doch nach Süden abbiegen, nicht wahr? Ich kenne dort eine Herberge, die großartige Wachteln serviert. Auf der Straße nach Südmettier könnten wir dann wieder nach Osten reiten.

Ein bedeutend leichterer Weg. An dieser Straße hat mein Cousin einen Bauernhof – er ist ein Cousin mütterlicherseits, Meister Andra -, und wir könnten …«

»Wir bleiben auf diesem Weg«, sagte Lan.

»Aber Südmettier ist eine so viel bessere Straße!«

»Und darum herrscht dort auch viel mehr Betrieb, Bulen.«

Bulen seufzte, hielt dann aber den Mund. Der Hadori auf seiner Stirn stand ihm, und er hatte sich als überraschend fähig mit dem Schwert erwiesen. Ein Schüler mit einem Talent, wie es Lan schon lange nicht mehr erlebt hatte.

Es war dunkel – wegen der Berge brach die Nacht hier früh herein. Verglichen mit den Gebieten in der Nähe der Großen Fäule war es auch recht kühl. Leider war das Land hier ziemlich bevölkert. Tatsächlich kamen sie eine Stunde nach der Kreuzung zu einer Herberge, in deren Fenster noch Licht brannte.

Bulen betrachtete sie sehnsüchtig, aber Lan ritt weiter. Er ließ sie hauptsächlich nachts reiten. So verhinderte man, gesehen zu werden.

Vor der Herberge saßen drei Männer, die in der Dunkelheit ihre Pfeifen rauchten. Der würzige Rauch verbreitete sich in der Luft und wehte an den Fenstern der Herberge vorbei. Lan schenkte ihnen keine große Aufmerksamkeit, bis sie aufhörten zu rauchen – alle gleichzeitig. Sie banden Pferde von dem Zaun neben der Herberge los.

Großartig, dachte Lan. Straßenräuber, die auf den nächtlichen Wegen nach müden Reisenden Ausschau hielten. Nun, drei Männer sollten sich nicht als zu gefährlich erweisen. Sie trabten hinter Lan her. Angreifen würden sie erst, wenn die Herberge ein Stück hinter ihnen lag. Lan lockerte das Schwert in der Scheide.

»Mein Lord«, sagte Bulen drängend und schaute über die Schulter. »Zwei der Männer tragen den Hadori.«

Lan fuhr so schnell herum, dass sein Umhang wallte. Die drei Männer kamen näher und hielten nicht an. Sie strebten auseinander und ritten an Bulen und ihm vorbei.

Lan schaute ihnen nach. »Andere?«, rief er. »Was glaubt Ihr eigentlich, was Ihr da macht?«

Einer der drei – ein schlanker, gefährlich aussehender Mann – warf einen Blick zurück über die Schulter. Der Hadori hielt sein langes Haar zurück. Es war Jahre her, dass Lan Andere gesehen hatte. Anscheinend hatte er endlich seine Kanndori-Uniform abgelegt; unter seinem tiefschwarzen Umhang war lederne Jagdkleidung zu sehen.

»Ah, Lan«, sagte Andere, und die drei Männer zugehen die Pferde. »Ich habe Euch gar nicht bemerkt.«

»Natürlich nicht«, sagte Lan. »Und Ihr, Nazar. Ihr habt Euren Hadori als junger Bursche abgelegt. Jetzt tragt Ihr ihn?«

»Ich kann tun, was ich will«, sagte Nazar. Er wurde alt – er musste sein siebzigstes Jahr schon hinter sich haben -, aber an seinem Sattel hing ein Schwert. Sein Haar war weiß geworden.

Der dritte Mann, Rakim, war kein Malkieri. Er hatte die schrägen Augen eines Saldaeaners, und er sah Lan schulterzuckend an und schien peinlich berührt zu sein.

Lan hob die Finger zur Stirn und schloss die Augen, während die drei vorausritten. Was für ein albernes Spiel war das denn schon wieder? Egal, dachte Lan und öffnete die Augen wieder.

Bulen wollte etwas sagen, aber Lan brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. Er bog nach Süden von der Straße auf einen kleinen, abgenutzten Pfad ab.

Es dauerte nicht lange, und hinter ihm ertönten gedämpfte Hufschläge. Mit zusammengebissenen Zähnen zügelte Lan Mandarb. »Ich hisse den Goldenen Kranich nichtl«

»Das haben wir auch nie behauptet«, sagte Nazar. Die drei ritten wieder um ihn herum und ließen ihn zurück.

Lan stieß Mandarb die Fersen in die Flanken und schloss zu ihnen auf. »Dann hört auf, mir zu folgen.«

»Als ich mich das letzte Mal dafür interessierte, waren wir vor Euch«, sagte Andere.

»Ihr seid hinter mir auf diesen Weg abgebogen«, beschuldigte Lan ihn.

»Die Straßen gehören nicht Euch, Lan Mandragoran«, sagte Andere. Er sah Lan an, das Gesicht in der Nacht von Schatten verhüllt. »Falls es Euch nicht aufgefallen sein sollte, ich bin nicht länger der Junge, den der Held von Salmara vor so langer Zeit ausgeschimpft hat. Ich wurde Soldat, und Soldaten werden gebraucht. Also reite ich auf diesem Weg, wenn ich das will.«

»Ich befehle Euch, umzudrehen und zurückzukehren«, sagte Lan. »Findet einen anderen Weg nach Osten.«

Rakim lachte, nach all den Jahren war seine Stimme noch immer heiser. »Ihr seid nicht länger mein Hauptmann, Lan. Warum sollte ich Euren Befehlen gehorchen?« Die anderen kicherten.

»Einem König würden wir natürlich gehorchen«, sagte Nazar.

»Ja«, sagte Andere. »Sollte er uns einen Befehl geben, würden wir das vielleicht tun. Aber ich sehe hier keinen König. Es sei denn, ich irre mich.«

»Ein untergegangenes Volk kann keinen König haben«, sagte Lan. »Kein König ohne Königreich.«

»Dennoch reitet Ihr«, sagte Nazar und schnippte mit den Zügeln. »Reitet in einem Land in Euren Tod, von dem Ihr behauptet, dass es kein Königreich ist.«

» Es ist mein Schicksal.«

Die drei Männer zuckten mit den Schultern, dann trieben sie wieder die Pferde an.

»Seid keine Narren«, sagte Lan mit leiser Stimme, als er Mandarb anhielt. »Dieser Weg führt in den Tod.«

»Der Tod ist leichter als eine Feder, Lan Mandragoran«, rief Rakim über die Schulter. »Wenn wir bloß in den Tod reiten, dann wird der Weg viel leichter, als ich dachte!«

Lan biss die Zähne zusammen, aber was sollte er tun? Alle drei bewusstlos schlagen und dann am Straßenrand liegen lassen? Er trieb Mandarb an.

Aus zweien waren fünf geworden.

Galad aß weiter, als Kind Byar kam, um mit ihm zu sprechen. Das Frühstück war einfach: Haferbrei mit einer Handvoll Rosinen. Ein einfaches Mal für jeden Soldaten erzeugte keinen Neid. Manche Kommandierende Lordhauptmänner hatten bedeutend besser als ihre Männer gespeist. Für Galad kam das nicht infrage. Nicht, wenn so viele Menschen auf der Welt hungerten.

Kind Byar wartete direkt hinter dem Eingang von Galads Zelt darauf, zur Kenntnis genommen zu werden. Der hagere Mann mit den eingefallenen Wangen trug seinen weißen Umhang; das darunterliegende Kettenhemd war mit einem Wappenrock bedeckt.

Schließlich legte Galad den Löffel zur Seite und nickte Byar zu. Der Soldat trat zum Tisch und wartete, noch immer in der vorgeschriebenen Haltung. Galads Zelt wies keine aufwendigen Möbel auf. Sein Schwert – Valdas Schwert – lag ein Stück aus der Scheide gezogen hinter der Holzschüssel auf dem schlichten Tisch. Die Reiher auf der Klinge lugten aus der Scheide, und der polierte Stahl spiegelte Byars Gestalt wider.

»Sprecht«, sagte Galad.

»Ich habe weitere Neuigkeiten über das Heer, mein Kommandierender Lordhauptmann«, meldete Byar. »Die Truppen sind ungefähr dort, wo die Gefangenen behaupteten, ein paar Tagesreisen von uns entfernt.«

Galad nickte. »Sie führen die Flagge von Ghealdan?«

»Neben der Flagge von Mayene.« Die Flamme des Eifers funkelte in Byars Augen. »Und dem Wolfskopf, obwohl Berichte behaupten, dass sie den gestern spät am Tag eingeholt haben. Goldauge ist da. Da sind sich unsere Späher sicher.«

»Hat er wirklich Bornhaids Vater getötet?«

»Ja, mein Kommandierender Lordhauptmann. Ich kenne diese Kreatur. Er und seine Truppen kommen von einem Ort namens die Zwei Flüsse.«

»Die Zwei Flüsse? Seltsam, wie oft ich diesen Namen in den letzten Tagen zu hören scheine. Kommt dort nicht al’Thor her?«

» So heißt es «, erwiderte Byar.

Galad rieb sich das Kinn. »Dort baut man guten Tabak an, Kind Byar, aber ich habe nicht gehört, dass sie Heere züchten. «

»Es ist ein finsterer Ort, mein Kommandierender Lordhauptmann. Kind Bornhaid und ich haben letztes Jahr dort einige Zeit verbracht. Dort wimmelt es vor Schattenfreunden.«

Galad seufzte. »Ihr hört Euch an wie ein Zweifler.«

»Mein Kommandierender Lordhauptmann«, fuhr Byar ernst fort, »mein Lord, bitte glaubt mir. Ich spekuliere hier nicht. Das ist etwas anders.«

Galad runzelte die Stirn. Dann deutete er auf den anderen Hocker an seinem Tisch. Byar setzte sich.

»Erklärt es mir«, sagte Galad. »Und erzählt mir alles, was Ihr über diesen Perrin Goldauge wisst.«


Perrin konnte sich an eine Zeit erinnern, in der ein schlichtes Frühstück aus Brot und Käse ihn zufriedengestellt hatte. Das war nicht länger der Fall. Vielleicht lag es an seiner Beziehung zu den Wölfen, vielleicht hatte sich im Laufe der Zeit auch einfach nur sein Geschmack verändert. Heute sehnte er sich nach Fleisch, vor allem am Morgen. Er konnte es nicht immer haben, das war in Ordnung. Aber für gewöhnlich brauchte er nicht danach zu fragen.

So wie heute. Er war aufgestanden, hatte sich das Gesicht gewaschen, und eine Dienerin trat mit einem dampfenden und saftigen Stück Schinken ein. Keine Bohnen, kein Gemüse. Keine Soße. Nur der Schinken, mit Salz eingerieben und kurz angebraten, dazu zwei gekochte Eier. Die Frau stellte alles auf dem Tisch ab und ging wieder.

Perrin trocknete sich die Hände ab, schritt über den Teppich seines Zelts und nahm den Schinkenduft in sich auf. Ein Teil von ihm fand, er sollte ihn ablehnen, aber er konnte es nicht. Nicht, wenn er direkt vor ihm stand. Er setzte sich, nahm Messer und Gabel und legte los.

»Ich begreife noch immer nicht, wie du das zum Frühstück essen kannst«, bemerkte Faile, verließ die Waschecke ihres Zelts und trocknete sich die Hände an einem Handtuch ab. Ihr großes Zelt verfügte über mehrere abgetrennte Räume. Sie trug eines ihrer unauffälligen grauen Kleider. Perfekt, weil es nicht von ihrer Schönheit ablenkte. Ein breiter schwarzer Gürtel betonte es noch – sie hatte ihre sämtlichen goldenen Gürtel weggegeben, ganz egal, wie kostbar sie waren. Er hatte ihr vorgeschlagen, sich doch einen auszusuchen, der ihr mehr zusagte, und sie hatte ausgesehen, als bereite ihr der Gedanke Übelkeit.

»Es ist etwas zu essen«, sagte Perrin.

»Das sehe ich.« Sie schnaubte und betrachtete sich kurz im Spiegel. »Was glaubst du, wofür ich es hielt? Einen Stein?«

»Ich meinte«, sagte Perrin zwischen zwei Bissen, »dass Essen Essen ist. Warum sollte ich mir Gedanken darüber machen, was ich zum Frühstück esse und was bei einer anderen Gelegenheit?«

»Weil es merkwürdig ist«, sagte sie und legte eine Schnur mit einem kleinen blauen Stein an. Sie betrachtete sich noch einmal im Spiegel, dann drehte sie sich um; die locker fallenden Ärmel des nach saldaeanischer Mode geschnittenen Kleides raschelten. Sie blieb neben seinem Teller stehen und schnitt eine Grimasse. »Ich frühstücke mit Alliandre. Lass mich holen, wenn es etwas Neues gibt.«

Er nickte und schluckte. Warum sollte jemand Fleisch zu Mittag essen, es aber als Frühstück verschmähen? Das ergab keinen Sinn.

Er hatte sich dazu entschieden, weiterhin neben der Jehannahstraße zu lagern. Was hätte er sonst tun sollen, während direkt voraus ein Heer der Weißmäntel zwischen ihm und Lugard wartete? Seine Kundschafter brauchten Zeit, um die Gefahr einzuschätzen. Er hatte viel Zeit damit verbracht, über die seltsamen Visionen nachzudenken, die er gehabt hatte, die Wölfe, die Schafe auf eine Bestie zujagten, und Faile, die auf eine Klippe zuging. Er hatte keinen Sinn darin erkennen können, aber war es möglich, dass sie etwas mit Weißmänteln zu tun hatten? Ihr Auftauchen störte ihn mehr, als er zugeben wollte, aber er hegte die winzige Hoffnung, dass sie sich als unbedeutend erweisen und ihn nicht zu lange aufhalten würden.

»Perrin Aybara«, rief eine Stimme vor dem Zelt. »Erlaubst du mir einzutreten?«

»Komm rein, Gaul«, rief er. »Mein Schatten gehört dir.«

Der hochgewachsene Aiel trat ein. »Danke, Perrin Aybara«, sagte er und warf einen Blick auf den Schinken. »Ein ziemliches Festmahl. Feierst du?«

»Nichts außer dem Frühstück.«

»Ein mächtiger Sieg«, sagte Gaul lachend.

Perrin schüttelte den Kopf. Aielhumor. Er hatte den Versuch aufgegeben, ihn jemals zu verstehen. Gaul setzte sich auf den Boden, und Perrin seufzte innerlich, bevor er den Teller nahm und sich Gaul gegenüber auf den Teppich setzte. Er stellte die Mahlzeit auf seinem Schoß ab und aß weiter.

»Meinetwegen musst du nicht auf dem Boden sitzen«, sagte Gaul.

»Ich tue das nicht, weil ich es muss, Gaul.«

Gaul nickte.

Perrin schnitt den nächsten Bissen ab. Es wäre so viel einfacher gewesen, alles mit den Fingern zu packen und anzufangen, große Stücke herauszureißen. Wölfe aßen einfacher. Besteck. Wozu eigentlich?

Solche Gedanken ließen ihn innehalten. Er war kein Wolf und wollte auch nicht wie einer denken. Vielleicht sollte er damit anfangen, zum Frühstück Obst zu essen, wie Faile es vorschlug. Er runzelte die Stirn und wandte sich wieder seinem Fleisch zu.


»In den Zwei Flüssen bekämpften wir Trollocs«, sagte Byar und senkte die Stimme. Galads Haferbrei wurde kalt, auf dem Tisch in Vergessenheit geraten. »Das können mehrere Dutzend Männer in unserem Lager bestätigen. Ich tötete mehrere der Bestien mit meinem eigenen Schwert.«

»Trollocs in den Zwei Flüssen?«, sagte Galad. »Das ist Hunderte von Meilen von den Grenzlanden entfernt!«

»Sie waren trotzdem da«, sagte Byar. »Der Kommandierende Lordhauptmann Niall musste es geahnt haben. Aufgrund seiner Befehle schickte man uns an diesen Ort. Ihr wisst, dass Pedron Niall nicht ohne guten Grund so gehandelt hätte.«

»Ja, da stimme ich zu. Aber die Zwei Flüsse?«

»Die Gegend ist voller Schattenfreunde«, versicherte Byar. »Bornhaid hat Euch von Goldauge erzählt. In den Zwei Flüssen hisste dieser Perrin Aybara die Flagge des untergegangenen Manetheren und stellte aus Bauern ein Heer zusammen. Ausgebildete Soldaten mögen nur Hohn und Spott für in den Dienst gezwungene Bauern übrig haben, aber holt genug von ihnen zusammen, und sie können eine Gefahr darstellen. Manche von ihnen wissen mit dem Stab oder dem Bogen umzugehen.«

»Das ist mir durchaus bewusst«, erwiderte Galad tonlos und erinnerte sich an eine besonders peinliche Lektion, die er einst erhalten hatte.

»Dieser Mann, dieser Perrin Aybara«, fuhr Byar fort. »Er ist Schattengezücht, das ist gar keine Frage. Man nennt ihn Goldauge, weil seine Augen golden sind, so etwas gab es noch nie. Wir sind sicher, dass Aybara die Trollocs hereinbrachte und mit ihnen die Menschen in den Zwei Flüssen zwang, sich seinem Heer anzuschließen. Schließlich vertrieb er uns von diesem Ort. Jetzt ist er hier, vor uns.«

Ein Zufall, oder steckte mehr dahinter?

Byar dachte offensichtlich in die gleiche Richtung. »Mein Kommandierender Lordhauptmann, vielleicht hätte ich das schon früher erwähnen sollen, aber die Zwei Flüsse waren nicht meine erste Erfahrung mit dieser Kreatur Aybara. Vor ungefähr zwei Jahren tötete er zwei Kinder auf einer abseits gelegenen Straße in Andor. Ich reiste mit Bornhaids Vater. Wir begegneten Aybara in einem Lager jenseits der Straße. Er rannte wie ein Wilder mit Wölfen herum! Er tötete zwei Männer, bevor wir ihn überwältigen konnten, dann floh er in die Nacht, nachdem wir ihn gefangen genommen hatten. Mein Lord, er sollte gehängt werden.«

»Kann das noch jemand bestätigen?«, fragte Galad.

»Kind Oratar. Und Kind Bornhaid kann bezeugen, was wir in den Zwei Flüssen erlebten. Goldauge war auch in Falme. Allein schon wegen dem, was er dort tat, sollte man ihn richten. Es ist eindeutig. Das Licht hat ihn in unsere Hand gegeben.«

»Und du bist sicher, dass unsere Leute bei den Weißmänteln sind?«, fragte Perrin.

»Ich konnte keine Gesichter sehen«, sagte Gaul, »aber Elyas Macheras Augen sind sehr scharf. Er ist sich sicher, dass er Basel Gill sah.«

Perrin nickte. Elyas’ goldene Augen waren so gut wie die seinen.

»Sulin und ihre Späher haben ähnliche Berichte«, fuhr Gaul fort und nahm einen Becher Ale entgegen, den Perrin aus der Kanne eingeschenkt hatte. »Das Heer der Weißmäntel hat zahlreiche Karren, sie ähneln denen, die wir vorausgeschickt haben. Sie entdeckte das früh am Morgen, bat mich aber, es dir erst zu sagen, sobald du wach bist, denn sie weiß, dass Feuchtländer launisch sind, wenn man sie am Morgen stört.«

Gaul hatte offensichtlich nicht die geringste Ahnung, dass seine Worte möglicherweise beleidigend waren. Perrin war ein Feuchtländer. Feuchtländer waren launisch, zumindest nach Meinung der Aiel. Also gab Gaul nur eine allgemein akzeptierte Tatsache wieder.

Perrin schüttelte den Kopf und probierte eines der Eier. Zu lange gekocht, aber essbar. »Hat Sulin jemanden gesehen, den sie kannte?«

»Nein, allerdings entdeckte sie ein paar Gai’schain. Doch Sulin ist eine Tochter, also sollten wir vielleicht jemanden schicken, der ihre Worte bestätigt – jemand, der nicht verlangt, unsere Unterwäsche waschen zu dürfen.«

»Probleme mit Bain und Chiad?«

Gaul verzog das Gesicht. »Ich schwöre, diese Frauen rauben mir noch den Verstand. Welcher Mann kann so etwas ertragen? Es wäre beinahe besser, den Sichtblender als Gai’schain zu haben, als diese beiden.«

Perrin kicherte.

»Davon abgesehen, machen die Gefangenen einen unversehrten und gesunden Eindruck. Es gibt noch mehr zu berichten. Eine der Töchter sah eine Flagge über dem Lager wehen, die markant wirkte, also kopierte sie sie für deinen Sekretär, Sebban Balwer. Er sagt, das bedeutet, dass der Kommandierende Lordhauptmann selbst mit diesem Heer reitet.«

Perrin schaute auf das letzte Stück Schinken. Das war keine gute Nachricht. Er hatte den Kommandierenden Lordhauptmann nie kennengelernt, aber einem der Lordhauptmänner der Weißmäntel war er begegnet. Das war die Nacht gewesen, in der Springer gestorben war, eine Nacht, die Perrin seit zwei Jahren verfolgte.

Das war die Nacht gewesen, in der er das erste Mal getötet hatte.

»Was braucht Ihr noch?« Byar beugte sich vor, fanatischer Eifer leuchtete in den eingesunkenen Augen. »Wir haben Zeugen, die mit eigenen Augen gesehen haben, wie dieser Mann zwei der unsrigen ermordete! Lassen wir ihn einfach vorbeimarschieren, als wäre er unschuldig?«

»Nein«, sagte Galad. »Nein, beim Licht, wenn es stimmt, was Ihr sagt, können wir diesem Mann nicht einfach den Rücken zuwenden. Es ist unsere Pflicht, denen Gerechtigkeit zu bringen, denen man Unrecht tat.«

Byar lächelte, sah begierig aus. »Die Gefangenen enthüllten, dass die Königin von Ghealdan ihm den Treueid leistete.«

»Das könnte ein Problem sein.«

»Oder eine Gelegenheit. Vielleicht ist Ghealdan genau das, was die Kinder brauchen. Eine neue Heimat, ein Ort, an dem man zu neuen Kräften kommt. Ihr sprecht von Andor, mein Kommandierender Lordhauptmann, aber wie lange wird man uns dort ertragen? Ihr sprecht von der Letzten Schlacht, aber bis dahin könnten noch Monate vergehen. Was, wenn wir eine ganze Nation aus der Umklammerung eines schrecklichen Schattenfreunds befreien? Sicherlich würde die Königin – oder ihr Nachfolger – sich uns verpflichtet fühlen.«

»Immer unter der Voraussetzung, wir können diesen Aybara besiegen.«

»Das können wir. Unsere Streitmacht ist kleiner als seine, aber viele seiner Soldaten sind Bauern.«

»Bauern, die gefährlich sein könnten, wie Ihr gerade sagtet«, bemerkte Galad. »Man sollte sie nicht unterschätzen.«

»Ja, aber ich weiß, dass wir sie besiegen können. Es kann gefährlich sein, ja, aber konfrontiert mit der Macht der Kinder werden sie zerbrechen. Dieses Mal wird sich Goldauge nicht hinter seiner kleinen Dorfbefestigung oder seinen zerlumpten Verbündeten verstecken können. Schluss mit den Ausreden.«

Lag das am ta’veren? Konnte Perrin dieser Nacht vor Jahren nicht entkommen? Er stellte den Teller ab und verspürte Übelkeit.

»Alles in Ordnung, Perrin Aybara?«, fragte Gaul.

»Ich denke nur nach.« Die Weißmäntel würden ihn nicht in Ruhe lassen, und das verfluchte Muster würde sie immer wieder auf seinen Pfad bringen, bis er sich um sie gekümmert hatte.

»Wie groß ist ihr Heer?«

»Sie haben zwanzigtausend Soldaten«, erwiderte Gaul. »Und da sind noch ein paar Tausend andere, die vermutlich noch nie einen Speer in der Hand hielten.«

Diener und Leute, die dem Heer folgten. Gaul hatte seine Belustigung aus seinem Tonfall herausgehalten, aber Perrin konnte sie riechen. Bei den Aiel würde so gut wie jeder Mann – jeder außer den Schmieden – einen Speer ergreifen, wenn man sie angriff. Die Tatsache, dass viele Feuchtländer nicht dazu in der Lage waren, sich zu verteidigen, verwirrte die Aiel oder machte sie zornig.

»Ihre Streitmacht ist groß«, fuhr Gaul fort, »aber unsere ist größer. Und sie haben weder Algai’d’siswai noch Asha’man, auch keine anderen Machtlenker, falls man sich auf Sebban Balwers Wort verlassen kann. Er scheint viel über diese Weißmäntel zu wissen.«

»Er hat recht. Weißmäntel hassen Aes Sedai und halten jeden, der die Eine Macht benutzen kann, für einen Schattenfreund. «

»Wir greifen ihn also an?«, fragte Byar.

Galad stand auf. »Wir haben keine Wahl. Das Licht hat ihn ausgeliefert. Aber wir brauchen mehr Informationen. Vielleicht sollte ich zu diesem Aybara gehen und ihn wissen lassen, dass wir seine Verbündeten haben, und dann sein Heer auffordern, uns auf dem Schlachtfeld gegenüberzutreten. Ich würde ihn lieber herauslocken, um meine Kavallerie einsetzen zu können.«

» Was willst du tun, Perrin Aybara?«, fragte Gaul.

Was wollte er tun? Er wünschte sich, er hätte darauf eine Antwort gehabt.

»Schickt mehr Kundschafter los«, sagte er. »Und findet einen besseren Lagerplatz. Wir werden ihnen Verhandlungen anbieten, aber beim Licht, auf gar keinen Fall lasse ich Gill und die anderen in den Händen der Weißmäntel. Wir werden den Kindern Gelegenheit geben, unsere Leute ziehen zu lassen. Wenn sie das nicht wollen … nun, dann werden wir sehen.«

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