24 Standhalten

Bettruhe«, verkündete Melfane und nahm das Ohr von der Holzröhre, die sie an Elaynes Brust gehalten hatte. Die Hebamme war eine kleine Frau mit dicken Wangen, die das Haar heute mit einem hellblauen Tuch zurückgebunden hatte. Ihr schlichtes Kleid war weiß und in einem dazu passenden Hellblau, als sollte es dem ständig bewölkten Himmel trotzen. »Wie bitte?«, fragte Elayne.

»Eine Woche«, sagte Melfane und drohte Elayne mit einem dicken Finger. »Ihr werdet eine Woche lang keinen Schritt laufen.«

Verblüfft blinzelte Elayne und vergaß einen Augenblick lang ihre Erschöpfung. Melfane lächelte fröhlich, als sie Elayne zu dieser unmöglichen Strafe verurteilte. Bettruhe? Eine ganze Woche lang?

Birgitte stand in der Tür, Mat war im Raum nebenan. Er hatte das Zimmer für Melfanes Untersuchung verlassen, aber ansonsten hielt er sich in ihrer Nähe auf und benahm sich beinahe genauso fürsorglich wie Birgitte. Allerdings hätte man ihren Worten nicht entnehmen können, dass sie überhaupt etwas für sie übrighatten – sie hatten versucht, einander mit ihren Flüchen zu übertrumpfen. Elayne hatte ein paar neue gelernt. Wer hätte je geahnt, dass Tausendfüßler solche Dinge taten?

Soweit es Melfane sagen konnte, hatten ihre Kinder keinen Schaden davongetragen. Das war der wichtige Teil. »Natürlich ist Bettruhe unmöglich«, sagte sie. »Ich habe viel zu viel zu tun.«

»Nun, dann müsst Ihr es eben vom Bett aus tun«, erwiderte Melfane freundlich, aber völlig kompromisslos. »Euer Körper und Eure Kinder haben eine große Belastung erfahren. Sie brauchen Zeit zur Erholung. Ich kümmere mich um Euch und sorge dafür, dass Ihr einen strikten Speiseplan einhaltet.«

»Aber…«

»Keine Ausreden«, unterbrach Melfane sie.

»Ich bin die Königini«, rief Elayne außer sich.

»Und ich bin die Hebamme der Königin«, erwiderte Melfane noch immer ruhig. »Es gibt im Palast nicht einen Soldaten oder Diener, der mir nicht hilft, falls ich entscheide, dass Eure Gesundheit und die Eurer Kinder in Gefahr sind.« Sie erwiderte Elaynes Blick. »Möchtet Ihr mich auf die Probe stellen, Euer Majestät?«

Elayne zuckte zusammen. Sie stellte sich vor, wie ihre eigenen Gardistinnen ihr verboten, die eigenen Gemächer zu verlassen. Oder noch schlimmer, sie fesselten. Sie warf Birgitte einen Blick zu, fand aber nur ein zufriedenes Nicken. Das hast du dir redlich verdient, schien das Nicken zu besagen.

Elayne lehnte sich frustriert in ihrem Bett zurück. Es war ein gewaltiges Himmelbett in roten und weißen Farben. Der Raum war überladen; diverse Gegenstände aus Kristall und Rubin funkelten. Er würde in der Tat einen prächtigen goldenen Käfig abgeben. Beim Licht! Das war nicht gerecht! Sie knöpfte ihr Gewand zu.

»Wie ich sehe, wollt Ihr mein Wort nicht auf die Probe stellen«, sagte Melfane und stand von der Bettkante auf. »Ihr zeigt Weisheit.« Sie schaute Birgitte an. »Ich erlaube Euch eine Weile mit dem Generalhauptmann, um die Ereignisse des Abends zu besprechen. Aber nicht länger als eine halbe Stunde, verstanden? Ich lasse nicht zu, dass Ihr Euch überanstrengt!«

»Aber …«

Melfane drohte ihr wieder mit dem Finger. »Eine halbe Stunde, Euer Majestät. Ihr seid eine Frau, kein Zugpferd. Ihr braucht Ruhe und Pflege.« Sie wandte sich wieder Birgitte zu. » Regt sie nicht zu sehr auf.«

»Würde mir im Traum nicht einfallen«, sagte Birgitte. Ihre Wut schwand endlich und wurde von Belustigung ersetzt. Unerträgliche Frau.

Melfane zog sich in das äußere Gemach zurück. Birgitte blieb, wo sie war, und betrachtete Elayne durch die zusammengekniffenen Augen. Durch den Bund brodelte noch immer Unmut. Sie musterten sich einen langen Augenblick.

»Elayne Trakand, was sollen wir bloß mit dir machen?«, fragte Birgitte schließlich.

»Wie es aussieht, mich in meinem Schlafzimmer einschließen«, fauchte Elayne.

»Keine schlechte Lösung.«

»Und würdest du mich für alle Ewigkeit hier behalten? So wie Gelfina aus den Sagen, die man tausend Jahre lang in einem vergessenen Turm wegsperrte?«

Birgitte seufzte. »Nein. Aber sechs Monate würden mich schon sehr beruhigen.«

»Dafür haben wir keine Zeit«, erwiderte Elayne. »In diesen Tagen haben wir für nichts Zeit. Risiken müssen eingegangen werden.«

»Risiken, bei denen die Königin von Andor allein loszieht, um einer Horde Schwarzer Ajah gegenüberzutreten? Du bist wie ein vom Blut berauschter Narr auf dem Schlachtfeld, der seinen Kameraden vorausstürmt und den Tod sucht, ohne dass sein Schildkamerad seinen Rücken deckt!«

Der Zorn in den Worten der Frau ließ Elayne blinzeln.

»Vertraust du mir nicht, Elayne?«, fragte Birgitte. »Würdest du mich loswerden, wenn du könntest?«

»Was? Nein! Natürlich vertraue ich dir.«

»Und warum lässt du mich dann nicht helfen? Eigentlich sollte es mich jetzt hier gar nicht geben. Ich habe keinen Daseinszweck abgesehen von dem, der sich zufällig ergibt. Du hast mich zu deiner Behüterin gemacht, aber du erlaubst nicht, dass ich dich beschütze! Wie soll ich deine Leibwächterin sein, wenn du mir nicht sagst, dass du dich in Gefahr begibst?«

Am liebsten hätte sich Elayne die Decke über den Kopf gezogen, um sich vor diesem Blick zu verbergen. Wie konnte sich Birgitte nur so verletzt fühlen? Schließlich war sie diejenige, die verwundet worden war! »Falls es etwas bedeutet«, sagte sie, »ich habe nicht die Absicht, das zu wiederholen.«

»Nein. Du wirst etwas anderes finden, das genauso tollkühn ist.«

»Ich meine, ich will vorsichtiger sein. Vielleicht hast du recht und die Sicht ist keine perfekte Garantie. Sie hat jedenfalls nicht verhindert, dass ich in Panik geriet, als ich eine richtige Gefahr verspürte.«

»Du hast keine Gefahr gefühlt, als dich die Schwarze Ajah einsperrte und wegschaffen wollte?«

Elayne zögerte. Eigentlich hätte sie sich damals fürchten müssen, aber das hatte sie nicht. Nicht nur wegen Mins Sicht. Die Schwarze Ajah hätte sie niemals getötet, nicht unter diesen Umständen. Sie war zu wertvoll.

Zu fühlen, wie das Messer in sie eindrang, ihre Haut durchbohrte und sich ihrem Schoß entgegengrub … das war anders gewesen. Das Entsetzen. Sie konnte sich daran erinnern, wie es um sie herum dunkel wurde, ihr Herz wild pochte und lauter wurde wie die Trommeln am Ende einer Vorstellung. Die, die vor der Stille kamen.

Birgitte betrachtete sie abschätzend. Sie bekam ihre Gefühle mit. Elayne war die Königin. Sie konnte Risiken nicht meiden. Aber … vielleicht konnte sie sich zügeln.

»Nun«, sagte Birgitte, »hast du wenigstens etwas entdeckt?«

»Das habe ich. Ich …«

In diesem Augenblick erschien ein von einem Tuch verhülltes Gesicht in der Tür. Mat hatte die Augen fest geschlossen. »Bist du angezogen?«

»Ja«, sagte Elayne. »Und zwar weitaus besser als du, Matrim Cauthon. Das Halstuch sieht lächerlich aus.«

Er runzelte die Stirn, öffnete die Augen und zog das Tuch ab, um sein Gesicht zu enthüllen. »Versuch du einmal, durch die Stadt zu gehen, ohne erkannt zu werden«, sagte er. »Jeder Metzger, Wirt und verdammter Hinterzimmerlangfinger scheint zu wissen, wie ich aussehe.«

»Die Schwarzen Schwestern wollten dich ermorden lassen«, sagte Elayne.

»Was?«, fragte Mat.

Elayne nickte. »Eine hat dich erwähnt. Anscheinend suchen die Schattenfreunde schon längere Zeit nach dir, um dich zu töten.«

Birgitte zuckte mit den Schultern. »Es sind Schattenfreunde. Zweifellos wollen sie uns alle tot sehen.«

»Das war etwas anderes. Es erschien… verbissener. Ich schlage vor, du passt in nächster Zeit gut auf dich auf.«

»Das will ich sehen«, bemerkte Birgitte. »Wenn man bedenkt, dass er gar nicht weiß, wie so etwas geht.«

Mat verdrehte die Augen. »Habe ich irgendwie deine Erklärung verpasst, was du in dem verdammten Kerker zu suchen hattest, wo du in deinem eigenen Blut gehockt und ausgesehen hast, als hättest du in einem Scharmützel auf dem Schlachtfeld zu den Verlierern gehört?«

»Ich habe die Schwarzen Ajah verhört«, erwiderte Elayne. »Die Einzelheiten gehen dich nichts an. Birgitte, was ist mit dem Bericht vom Palastgelände?«

»Niemand hat Mellar gesehen«, sagte die Behüterin. »Allerdings fanden wir draußen die Leiche des Sekretärs; sie war noch warm. Starb durch einen Messerstich in den Rücken.«

Elayne seufzte. »Shiaine?«

»Weg. Zusammen mit Marillin Gemalphin und Falion Bhoda.«

»Der Schatten konnte sie nicht in unserer Gewalt lassen«, sagte Elayne und seufzte erneut. »Sie wussten zu viel. Man konnte sie nur retten oder hinrichten.«

Mat zuckte mit den Schultern. »Nun, du lebst, und drei von ihnen sind tot. Klingt nach einem halbwegs vernünftigen Ergebnis.«

Aber der, der entkam, hat eine Kopie deines Medaillons, dachte Elayne. Aber das behielt sie für sich. Sie erwähnte auch nichts von der Invasion, von der Chesmal gesprochen hatte. Natürlich würde sie das bald mit Birgitte besprechen, aber zuerst wollte sie selbst darüber nachdenken.

Mat war der Ansicht, dass die Ereignisse dieser Nacht ein »halbwegs vernünftiges Ergebnis« gebracht hatten. Aber je länger Elayne darüber nachdachte, desto unzufriedener wurde sie. Eine Invasion Andors stand unmittelbar bevor, aber sie kannte den Zeitpunkt nicht. Der Schatten wollte Mat tot sehen, aber das war keine Überraschung, wie Birgitte so treffend bemerkt hatte. Tatsächlich war das einzige unumstößliche Ergebnis dieses abendlichen Abenteuers die Erschöpfung, die Elayne verspürte. Das und die Woche, die sie in ihren Gemächern zu verbringen hatte.

»Mat«, sagte sie und nahm sein Medaillon ab. »Hier, es ist Zeit, dass ich es dir zurückgebe. Du solltest wissen, dass es mir heute Abend vermutlich das Leben gerettet hat.«

Er nahm es begierig entgegen, dann zögerte er. »Konntest du es…«

»Kopieren? Nicht richtig. Aber im Grunde schon.«

Er legte es wieder an, sah aber besorgt aus. »Es fühlt sich gut an, es wiederzuhaben. Übrigens wollte ich dich etwas fragen. Aber jetzt dürfte dafür nicht der richtige Zeitpunkt sein.«

»Nun sag schon«, erwiderte Elayne müde. »Darauf kommt es auch nicht mehr an.«

»Nun, es geht um den Gholam …«


»Man hat die meisten Zivilisten aus der Stadt gebracht«, sagte Yoeli, als er und Ituralde durch Maradons Tor traten. »Die Große Fäule liegt ganz in der Nähe; das ist nicht das erste Mal, dass wir evakuiert werden. Meine Schwester Sigril führt die Letztreiter an, die von einem Kamm im Südosten zusehen und die Nachricht verbreiten werden, sollten wir fallen. Sie wird unsere Wachtposten in Saldaea benachrichtigt und Hilfe angefordert haben. Wenn sie kommen, wird sie ein Wachfeuer entzünden.«

Der Mann mit dem schmalen Gesicht sah Ituralde grimmig an. »Es gibt kaum Truppen, die uns zu Hilfe kommen können. Königin Tenobia nahm viele mit, als sie losritt, um den Wiedergeborenen Drachen zu finden.«

Ituralde nickte. Er ging, ohne zu hinken – Antail, einer der Asha’man, war recht geschickt im Heilen. Seine Männer schlugen auf dem Hof direkt bei den Stadttoren ein provisorisches Lager auf. Die Trollocs hatten die von ihnen zurückgelassenen Zelte genommen und nachts in Brand gesteckt, damit man genau sehen konnte, wie sie die Verletzten fraßen. Ituralde hatte ein paar seiner Verbände in leeren Häusern einquartiert, aber er wollte die meisten von ihnen in Tornähe wissen, falls es einen Angriff gab.

Die Asha’man und Aes Sedai hatten Ituraldes Männer Geheilt, aber man konnte sich nur um die schlimmsten Fälle kümmern. Ituralde nickte Antail zu, der in einem mit Seilen abgesperrten Teil des Platzes mit den Verwundeten arbeitete. Antail bemerkte es nicht. Er konzentrierte sich schwitzend und arbeitete mit einer Macht, über die Ituralde nicht nachdenken wollte.

»Seid Ihr sicher, dass Ihr sie sehen wollt?«, fragte Yoeli. Er hatte eine Reiterlanze auf die Schulter gelegt; an der Spitze flatterte ein dreieckiger schwarzer und gelber Wimpel. Die Saldaeaner hier nannten es das Verräterbanner.

In der Stadt herrschte eine angespannte feindselige Stimmung, verschiedene Gruppen Saldaeaner betrachteten einander mit grimmigem Gesichtsausdruck. Viele trugen schwarze und gelbe Tuchstreifen oder hatten sie um ihre Schwertscheiden geknotet. Sie nickten Yoeli zu.

Desya gavane cierto cuendar isain carentin, dachte Ituralde. Ein Satz in der Alten Sprache. »Ein resolutes Herz ist zehnfachen Streit wert.« Er konnte sich denken, was das Banner bedeutete. Manchmal wusste ein Mann, was er tun musste, auch wenn es falsch klang.

Eine Weile streiften sie durch die Straßen. Maradon war wie die meisten Städte in den Grenzlanden: rechteckige Gebäude, schmale Straßen. Die Häuser sahen aus wie Festungen mit kleinen Fenstern und wuchtigen Türen. Die Straßen verliefen auf merkwürdige Weise, und es gab keine strohgedeckten Dächer – nur feuerfeste Dachschindeln aus Schiefer. Auf dem dunklen Stein von so mancher wichtiger Krezung war das getrocknete Blut nur schwer zu erkennen, aber Ituralde wusste, worauf er achten musste. Yoeli war erst zu seiner Rettung gekommen, nachdem es unter den Saldaeanern zu Kämpfen gekommen war.

Sie kamen zu einem unscheinbaren Gebäude. Kein Fremder konnte erkennen, dass dieses besondere Haus Vram Torkumen gehörte, einem entfernten Cousin der Königin, der in ihrer Abwesenheit der designierte Herrscher über die Stadt war. Die Soldaten an der Tür trugen Gelb und Schwarz. Sie salutierten vor Yoeli.

Hinter dem Eingang lag eine schmale Treppe; Ituralde und Yoeli stiegen drei Absätze hinauf. In fast jedem Raum waren Soldaten. Im obersten Stockwerk bewachten vier Männer mit dem Verräterbanner eine große, mit goldenen Einlegearbeiten verzierte Tür. Der Korridor war dunkel: schmale Fenster und ein schwarzer, grüner und roter Teppich.

»Bericht, Tarran?«, fragte Yoeli.

»Keine Vorkommnisse, Herr«, sagte der Mann mit einem Salut. Er hatte einen langen Schnurrbart und die krummen Beine eines Mannes, der sich im Sattel wohlfühlte.

Yoeli nickte. »Vielen Dank, Tarran. Für alles!«

»Ich stehe an Eurer Seite, Herr. Bis zum Ende.«

»Möget Ihr Eure Augen nach Norden richten, aber Euer Herz nach Süden, mein Freund«, sagte Yoeli, holte tief Luft und stieß die Tür auf. Ituralde folgte ihm.

In dem Raum saß ein Saldaeaner in einer teuren roten Robe neben dem Kamin und trank einen Becher Wein. Ihm gegenüber saß eine Frau in einem kostbaren Gewand und beschäftigte sich mit einer Stickarbeit. Keiner der beiden schaute auf.

»Lord Torkumen«, sagte Yoeli. »Das hier ist Rodel Ituralde, der Befehlshaber des Domani-Heeres.«

Der Mann am Kamin seufzte in seinen Wein. »Ihr klopft nicht an, Ihr wartet nicht darauf, dass ich Euch hereinbitte, Ihr kommt in einer Stunde, in der ich ausdrücklich darum bat, meinem Bedürfnis nach Besinnlichkeit nachgehen zu dürfen.«

»Also wirklich, Vram«, sagte die Frau, »du erwartest von diesem Mann Manieren? Jetzt?«

Yoeli legte stumm die Hand auf den Schwertgriff. In dem Raum stand zusammengewürfeltes Mobiliar: das Bett an der Wand gehörte offensichtlich nicht hierher; dann gab es noch ein paar Truhen und einen Kleiderschrank.

»Also«, sagte Vram, »Rodel Ituralde. Ihr seid einer der Großen Hauptmänner. Mir ist durchaus klar, dass meine Frage möglicherweise eine Beleidigung darstellt, aber ich muss mich an die Formalitäten halten. Euch ist klar, dass Ihr einen Krieg riskiert habt, indem Ihr Truppen auf unser Gebiet gebracht habt?«

»Ich diene dem Wiedergeborenen Drachen«, erwiderte Ituralde. »Tarmon Gai’don kommt, und alle ehemaligen Bündnisse, Grenzen und Gesetze sind dem Willen des Drachen unterworfen.«

Vram schnalzte mit der Zunge. »Drachenverschworene. Ich kenne natürlich die Berichte – und diese Männer in Eurem Gefolge sind ein offensichtlicher Hinweis. Aber sich das anhören zu müssen ist trotzdem so seltsam. Ist Euch eigentlich nicht klar, wie albern Ihr Euch anhört?«

Ituralde erwiderte den Blick des Mannes. Er hatte sich nicht als Drachenverschworener betrachtet, aber es war sinnlos, ein Pferd als Stein zu bezeichnen und zu erwarten, dass alle anderen das auch so sahen. »Ist Euch die Trolloc-Invasion denn völlig egal?«

»Es sind schon früher Trollocs gekommen«, sagte Vram. »Trollocs hat es immer gegeben.«

»Die Königin …«, sagte Yoeli.

»Die Königin wird bald von ihrer Expedition zurückkehren«, unterbrach ihn Vram, »und diesen falschen Drachen demaskiert und gefangen genommen haben. Sobald das geschehen ist, wird sie dafür sorgen, dass man Euch hinrichtet, Verräter. Rodel Ituralde, Euch wird man wegen Eures Standes vermutlich verschonen, aber ich möchte nicht Eure Familie sein, wenn sie die Lösegeldforderung erhält. Ich hoffe, Euer Reichtum entspricht Eurem Ruf. Wenn nicht, werdet Ihr vermutlich viele der nächsten Jahre nur die Ratten in Eurer Zelle befehligen.«

»Ich verstehe«, sagte Ituralde. »Wann habt Ihr Euch dem Schatten zugewandt?«

Vram riss die Augen weit auf und erhob sich. »Ihr wagt es, mich als Schattenfreund zu bezeichnen?«

»Ich kenne einige Saldaeaner«, sagte Ituralde. »Ein paar habe ich Freund genannt, gegen andere habe ich gekämpft. Aber mir ist noch nie zuvor einer begegnet, der einfach nur zusieht, wie Männer gegen Schattengezücht kämpfen, ohne seine Hilfe anzubieten.«

»Hätte ich ein Schwert…«, sagte Vram.

»Von mir aus könnt Ihr zu Asche verbrennen, Vram Torkumen«, sagte Ituralde. »Ich bin nur gekommen, um Euch das zu sagen, wegen der Männer, die ich verlor.«

Der Mann schien schockiert zu sein, als sich Ituralde abwandte und ging. Yoeli schloss sich ihm an und zog die Tür hinter sich zu.

»Ihr stimmt nicht mit meiner Beschuldigung überein?«, fragte Ituralde, als er und der Verräter zusammen die Treppe hinuntergingen.

»Ich kann mich einfach nicht entscheiden, ob er ein Narr oder ein Schattenfreund ist«, sagte Yoeli. »Eins davon muss er sein, wenn er nach diesem Winter, diesem Wolkenhimmel und den Gerüchten, dass al’Thor die halbe Welt erobert hat, nicht die Wahrheit erkennt.«

»Dann habt Ihr nichts zu befürchten«, sagte Ituralde. »Man wird Euch nicht hinrichten.«

»Ich habe meine Landsmänner getötet«, erwiderte Yoeli, »eine Revolte gegen den von meiner Königin eingesetzten Anführer angezettelt und den Befehl über die Stadt an mich gerissen, obwohl ich nicht einen Tropfen adliges Blut habe.«

»Ich schätze, das ändert sich in dem Augenblick, in dem Tenobia zurückkehrt«, sagte Ituralde. »Auf jeden Fall habt Ihr Euch einen Titel verdient.«

Yoeli blieb im dunklen Treppenhaus, das nur von oben und unten erhellt wurde, stehen. »Ich sehe, dass Ihr das nicht versteht. Ich habe meine Eide verraten und Freunde getötet. Ich werde die Hinrichtung verlangen, wie es mein Recht ist.«

Ituralde fröstelte. Verdammte Grenzländer, dachte er. »Verschwört Euch dem Drachen. Er hebt sämtliche Eide auf. Verschwendet Euer Leben nicht. Kämpft an meiner Seite in der Letzten Schlacht.«

»Ich werde mich nicht hinter Ausflüchten verstecken, Lord Ituralde«, sagte der Mann und ging weiter die Stufen hinunter. »Genauso wenig wie ich zusehen konnte, dass Eure Männer sterben. Kommt. Lasst uns dafür sorgen, dass diese Asha’man untergebracht werden. Ich würde sehr gern diese Wegetore sehen, von denen Ihr sprecht. Wenn wir sie dazu nutzen könnten, Botschaften zu verschicken und Vorräte zu holen, könnte das in der Tat eine sehr interessante Belagerung werden.«

Ituralde seufzte, folgte ihm dann aber. Es war nicht die Rede davon gewesen, durch die Wegetore zu fliehen. Yoeli würde seine Stadt nicht im Stich lassen. Und er würde Yoeli und dessen Männer ebenfalls nicht im Stich lassen, wie ihm plötzlich klar wurde. Nicht nach dem, was sie durchgemacht hatten, um ihn zu retten.

Dieser Ort war genauso gut wie jeder andere, um sich dem Feind entgegenzustellen. Besser als so manche Situation, in der er in letzter Zeit gesteckt hatte, das war mal sicher.


Als Perrin das Zelt betrat, bürstete sich Faile gerade das Haar. Sie war so schön. Jeden Tag hielt er es noch immer für ein Wunder, dass sie wirklich wieder bei ihm war.

Sie drehte sich zu ihm um und lächelte zufrieden. Sie benutzte den neuen Silberkamm, den er ihr aufs Kissen gelegt hatte – er hatte ihn Gaul abgehandelt, der ihn in Maiden gefunden hatte. Wenn ihr dieses Shanna’har wichtig war, dann sollte es ihm auch wichtig sein.

»Die Boten sind zurückgekehrt«, sagte Perrin und schloss die Zeltplane. »Die Weißmäntel haben ein Schlachtfeld bestimmt. Beim Licht, Faile. Sie werden mich zwingen, sie auszulöschen.«

»Gräme dich nicht«, erwiderte sie. »Wir werden siegen.«

»Vermutlich.« Perrin setzte sich neben ihrer Schlafpritsche auf ein Kissen. »Aber auch wenn die Asha’man zuerst zuschlagen, müssen wir doch kämpfen. Das bedeutet, wir werden Leute verlieren. Gute Männer, die wir in der Letzten Schlacht brauchen werden.« Er zwang sich, die Fäuste zu entspannen, die er geballt hatte. »Das Licht soll diese Weißmäntel für das verbrennen, was sie getan haben, und dafür, was sie tun.«

»Dann ist das eine willkommene Gelegenheit, sie zu besiegen.«

Perrin grunzte zur Erwiderung und verschwieg, wie frustrierend er das doch alles fand. Er würde den Kampf gegen die Weißmäntel verlieren, ganz egal, was geschah. Auf beiden Seiten würden Männer sterben. Männer, die sie dringend brauchten.

Draußen blitzte es, was Schatten auf das Zeltdach warf. Faile holte für sich ein Nachthemd aus ihrer Truhe und legte ihm einen Schlafmantel heraus. Sie war der Ansicht, dass ein Lord einen Schlafmantel in der Nähe haben sollte, falls man in der Nacht nach ihm verlangte. Bis jetzt hatte sie damit mehrere Male recht gehabt.

Sie ging an ihm vorbei und roch besorgt, obwohl ihre Miene ganz entspannt war. Er hatte sämtliche Möglichkeiten für eine friedliche Lösung mit den Weißmänteln ausgeschöpft. So wie es aussah, würde er bald wieder töten müssen, ob er es wollte oder nicht.

Er zog sich bis auf den Lendenschurz aus und legte sich hin, dann schlief er ein, bevor sich Faile ausgezogen hatte.

Er betrat den Wolfstraum unter dem großen Schwert, das im Boden begraben lag. In der Ferne konnte er den Hügel ausmachen, den Gaul als »guten Wachpunkt« bezeichnet hatte. Das Lager wurde dahinter von einem Bach mit Wasser versorgt.

Perrin drehte sich um und eilte zum Lager der Weißmäntel. Sie saßen da wie ein Damm in einem Fluss und hinderten ihn an der Weiterreise.

»Springer?«, rief er und schaute sich im Lager des Feindes um, Zelte, die auf einem offenen Feld standen. Der Wolf meldete sich nicht, also durchsuchte Perrin noch eine Weile das Lager. Balwer hatte das Siegel nicht erkannt, das Perrin ihm beschrieben hatte. Wer war der Anführer dieser Weißmäntel?

Etwa eine Stunde später hatte Perrin noch immer keine neuen Erkenntnisse. Allerdings glaubte er ziemlich sicher zu wissen, in welchen Zelten ihre Vorräte lagerten; möglicherweise waren sie nicht so gut bewacht wie die Gefangenen, und mit Wegetoren würde er sie vielleicht verbrennen können.

Vielleicht. Die Briefe ihres Kommandierenden Lordhauptmanns waren gefüllt mit Sätzen wie: »Ich halte Euren Leuten zugute, dass sie keine Ahnung von Eurer wahren Natur hatten« oder »Meine Geduld für Eure Verzögerungstaktik schwindet« oder »Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Stellt Euch einem ordentlichen Verfahren oder kommt mit Eurem Heer, um das Urteil des Lichts zu erfahren.«

Dieser Mann hatte ein seltsames Ehrgefühl, das Perrin schon bei ihrer Begegnung aufgefallen war, aber seine Briefe brachten das noch mehr zum Ausdruck. Aber wer war er? Er unterschrieb immer nur mit »Kommandierender Lordhauptmann der Kinder des Lichts «.

Perrin begab sich zur Landstraße. Wo steckte Springer? Perrin rannte los. Ein paar Augenblicke später wechselte er auf das Gras über. Die Erde war so weich, bei jedem Schritt sanken seine Pfoten ein wenig ein.

Er sandte seine Gedanken aus und glaubte im Süden etwas zu spüren. Er rannte darauf zu; er wünschte sich, schneller zu sein, also war er es auch. Bäume und Hügel rasten an ihm vorbei.

Die Wölfe waren sich seiner Anwesenheit bewusst. Das war Eichentänzerins Rudel, da waren Grenzenlos, Funke, Morgenlicht und andere. Perrin konnte fühlen, wie sie miteinander sprachen, fernes Geflüster aus Bildern und Gerüchen. Perrin bewegte sich schneller, und der Wind um ihn herum stieg zu einem Brausen an.

Die Wölfe liefen weiter nach Süden. Wartet!, übermittelte er ihnen. Ich will euch sehen!

Sie reagierten bloß mit Belustigung. Plötzlich gingen sie in Richtung Osten, und er hielt an und drehte sich um. Er rannte so schnell er konnte, aber wenn er sich ihnen näherte, befanden sie sich unversehens woanders. Sie bewegten sich, verschwanden im Süden und erschienen im Norden vor ihm.

Perrin knurrte, und plötzlich lief er auf allen vieren. Sein Fell wehte, als er mit geöffnetem Rachen nach Norden raste und den zischenden Wind trank. Aber die Wölfe blieben unerreichbar in der Ferne.

Er heulte auf. Sie verspotteten ihn zur Antwort.

Er trieb sich noch mehr an, sprang von Hügel zu Hügel, setzte über Bäume hinweg; der Boden war nur noch ein Schemen. Augenblicke später traten zu seiner Linken die Verschleierten Berge in Erscheinung, und er passierte sie wie im Rausch.

Die Wölfe wandten sich nach Osten. Warum konnte er sie nicht einholen? Er roch sie doch voraus. Junger Bulle heulte sie an, erhielt aber keine Antwort.

Klammere dich nicht zu verhissen hier fest, junger Bulle.

Junger Bulle blieb stehen, und die Welt um ihn herum tat einen Ruck. Das Rudel bewegte sich weiter nach Osten, aber Springer saß neben einer Flussbiegung auf den Hinterbeinen. Junger Bulle war schon einmal hier gewesen; das war ganz in der Nähe seiner Erzeuger. Er war schon selbst auf einem der treibenden Bäume der Menschen darauf gereist. Er …

Nein … nein … erinnere dich an Faile!

Sein Fell verwandelte sich in Kleidung, und er fand sich auf Händen und Knien wieder. Er starrte Springer böse an. »Warum bist du weggelaufen?«, verlangte er zu wissen.

Du willst lernen. Du wirst geschickter. Schneller. Du streckst die Beine und läufst. Das ist gut.

Perrin schaute zurück auf den Weg, den er gekommen war, dachte an seine Schnelligkeit. Er war von Hügel zu Hügel gesprungen. Das war wunderbar gewesen. »Aber um das zu tun, musste ich zum Wolf werden«, sagte er. »Und das führte wiederum beinahe dazu, dass ich mich zu sehr ›festklammere‹. Was nutzt eine Übung, wenn sie mich Dinge tun lässt, die du verboten hast?«

Du gibst schnell anderen die Schuld, junger Bulle. Ein junger Wolf, der außerhalb des Baus ziemlichen Lärm veranstaltete. So sind Wölfe nicht.

Springer verschwand innerhalb eines Blinzeins.

Perrin knurrte und schaute nach Osten, wo er die Wölfe spürte. Er setzte ihnen hinterher, dieses Mal aber vorsichtiger. Er konnte es sich nicht leisten, sich vom Wolf vereinnahmen zu lassen. Sonst würde er wie Noam enden, gefangen in einem Käfig, nachdem er jede Menschlichkeit verloren hatte. Warum sollte Springer ihn dazu ermutigen, genau das zu tun?

So sind Wölfe nicht. Hatte er den Vorwurf gemeint oder das, was mit Perrin geschah?

Die anderen wussten alle, wann sie mit der Jagd aufhören mussten, übermittelte Springer aus der Ferne. Nur du musstest aufgehalten werden.

Perrin erstarrte und blieb am Flussufer stehen. Die Jagd nach dem weißen Hirsch. Plötzlich stand Springer neben ihm am Fluss.

»Das alles fing an, als ich das erste Mal die Wölfe spürte«, sagte Perrin. »Das erste Mal verlor ich die Kontrolle bei diesen Weißmänteln.«

Springer legte sich hin und bettete den Kopf auf die Pfoten. Du klammerst dich hier oft viel zu verbissen fest, übermittelte der Wolf. So bist du eben.

Das hatte ihm Springer schon mehrmals gesagt, seit er den Wolf und dem Wolfstraum kannte. Aber plötzlich eröffnete sich ihm in den Worten eine neue Bedeutung. Es ging um den Übergang in den Wolfstraum, aber es ging auch um ihn selbst.

Er hatte angefangen, die Wölfe für sein Tun verantwortlich zu machen, wozu er auf der Suche nach Faile geworden war. Aber trugen die Wölfe überhaupt die Schuld daran? War es nicht vielmehr ein Teil von ihm? War es möglich, dass dieser Teil ihn überhaupt erst zu einem Wolfsbruder gemacht hatte?

»Ist es möglich«, fragte er, »auf vier Beinen zu laufen, sich aber nicht zu sehr am Traum festzuklammern?«

Aber natürlich, meinte Springer und lachte auf die Weise der Wölfe – als wäre das, was Perrin entdeckt hatte, die offensichtlichste Sache auf der ganzen Welt. Vielleicht war sie es ja auch.

Vielleicht war er nicht wie die Wölfe, weil er ein Wolfsbruder war. Vielleicht war er ein Wolfsbruder, weil er wie die Wölfe war. Er brauchte sie nicht zu kontrollieren. Er musste sich selbst kontrollieren.

»Das Rudel. Wie hole ich es ein? Indem ich mich schneller bewege?«

Das ist eine Möglichkeit. Oder du bist dort, wo du sein willst.

Perrin runzelte die Stirn. Dann schloss er die Augen und benutzte die Richtung, in die die Wölfe liefen, um zu erahnen, wo sie sein würden. Etwas verschob sich.

Als er die Augen öffnete, stand er auf einem sandigen Hügel, aus dem lange Grasbüschel wucherten. Rechts von ihm erhob sich ein gewaltiger Berg mit einem zerbrochenen Gipfel, zerschmettert wie von Riesenhand.

Ein Rudel Wölfe brach aus dem Wald hervor. Viele von ihnen lachten. Junger Bulle, der jagte, wo er doch das Ziel hätte suchen sollen! Junger Bulle, der das Ziel suchte, wo er doch die Jagd hätte genießen sollen! Er lächelte und bemühte sich mitzulachen, aber in Wirklichkeit fühlte er sich wie an dem Tag, an dem sein Cousin Will einen Eimer mit nassen Federn so aufgestellt hatte, dass er auf ihn herunterfallen musste.

Etwas flatterte durch die Luft. Eine Hühnerfeder. Feucht am Rand. Perrin zuckte zusammen, als ihm bewusst wurde, dass sie sich um ihn herum auf dem Boden ausbreiteten. Als er blinzelte, verschwanden sie. Die Wölfe rochen ausgesprochen belustigt und schickten Bilder von einem mit Federn bedeckten Junger Bulle.

Verlier dich hier in Träumen, sagte Springer, und diese Träume werden zu diesem Traum.

Perrin kratzte sich am Bart und versuchte, sich seine Verlegenheit nicht anmerken zu lassen. Die unberechenbare Natur des Wolftraums war ihm nicht neu. »Springer«, sagte er und wandte sich dem Wolf zu. »Wie sehr könnte ich meine Umgebung verändern, wenn ich das will?«

Wenn du es willst? Es geht nicht um das, was du willst, Junger Bulle. Es geht um das, was du brauchst. Was du weißt.

Perrin runzelte die Stirn. Manchmal verwirrte ihn der Wolf noch immer.

Plötzlich drehten sich die anderen Wölfe wie auf einen lautlosen Befehl alle gleichzeitig um und schauten nach Südwesten. Sie verschwanden.

Sie sind hierhin. Springer übermittelte das Bild einer fernen bewaldeten Senke. Der Wolf bereitete sich darauf vor, ihnen zu folgen.

»Springer!« Perrin trat vor. »Woher wusstest du das? Wo sie hin sind. Haben sie es dir gesagt?« Nein. Aber ich kann ihnen folgen. »Wie?«

Das habe ich immer gekonnt. Es ist wie laufen. Oder springen.

»Ja, aber wie?«

Der Wolf roch verwirrt. Es ist ein Geruch, erwiderte er schließlich, obwohl es sich bei diesem »Geruch« um eine viel kompliziertere Sache handelte. Es war ein Gefühl, ein Eindruck, ein Geruch – nur alles zusammen.

»Geh irgendwohin«, sagte Perrin. »Lass mich versuchen, dir zu folgen.«

Springer verschwand. Perrin ging zu der Stelle, an der der Wolf gestanden hatte.

Rieche es, übermittelte Springer aus der Ferne. Allerdings war er nahe genug, um es übermitteln zu können. Reflexartig streckte Perrin seine Gedanken aus. Er fand Dutzende Wölfe. Tatsächlich erstaunte es ihn, wie viele von ihnen hier an den Hängen des Drachenberges waren. Noch nie zuvor hatte er so viele an einem Ort versammelt gefühlt. Warum waren sie hier? Und sah der Himmel an diesem Ort nicht viel stürmischer aus als in anderen Gebieten des Wolfstraums?

Springer konnte er nicht länger spüren; irgendwie hatte sich der Wolf von ihm abgegrenzt und machte es ihm unmöglich, seinen Aufenthaltsort zu bestimmen. Perrin kauerte sich nieder. Rieche es, hatte Springer gesagt. Wie denn? Perrin schloss die Augen und überließ es seiner Nase, die Gerüche der Umgebung an ihn heranzutragen. Tannenzapfen und Baumsaft, Blätter, Torfgränke und Schierling.

Und … etwas anderes. Ja, er konnte etwas riechen. Ein ferner, verweilender Duft, der nicht hierherzugehören schien. Viele Gerüche waren gleich – die gleiche fruchtbare Luft der Natur, die zahllosen Bäume. Aber darin mischten sich die Gerüche von Moos und feuchtem Stein. Die Luft war anders. Voller Pollen und Blumen.

Perrin schloss die Augen und atmete tief ein. Irgendwie setzte er in seinem Verstand aus diesen Gerüchen ein Bild zusammen. Der Prozess hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit der Art und Weise, wie sich die Kommunikation eines Wolfes in Worte übersetzte.

Da, dachte er. Etwas verschob sich.

Er schlug die Augen auf. Zwischen Kiefern saß er auf einem Felsen; er befand sich am Drachenberg, etliche Stunden zu Fuß von der Stelle entfernt, an der er eben noch gewesen war. Der Felsen war mit Flechten bewachsen und erhob sich über die Bäume. Wo das Sonnenlicht die Blüten erreichte, wuchsen violette Frühlingsglocken. Es tat gut, Blumen zu sehen, die nicht verkümmerten oder verdorrten, selbst wenn es nur im Wolfstraum war.

Komm, übersandte Springer. Folge uns.

Und er war wieder weg.

Perrin schloss die Augen, atmete ein. Dieses Mal fiel es leichter. Eiche und Gras, Schlamm und schwüle Luft. Anscheinend hatte jeder Ort seinen ganz besonderen Duft.

Perrin versetzte sich, schlug die Augen auf. Er hockte in einem Feld an der Jehannahstraße. Hier war Eichentänzerins Rudel zuvor hingelaufen; Springer schlich über die Wiese und roch nach Neugier. Das Rudel war weitergezogen, aber es befand sich noch immer in der Nähe.

»Kann ich das immer tun?«, fragte Perrin den Wolf. »Riechen, wo ein Wolf im Traum hinging?«

Das kann jeder, erwiderte Springer. Wenn er wie ein Wolf riechen kann. Er grinste.

Perrin nickte nachdenklich.

Springer schaute ihn über die Wiese hinweg an. Wir müssen üben, Junger Bulle. Du bist noch immer ein Welpe mit kurzen Beinen und weichem Fell. Wir…

Springer erstarrte plötzlich.

»Was ist?«

Ein Wolf heulte schmerzerfüllt. Perrin fuhr herum. Es war Morgenlicht. Das Heulen verstummte wie abgeschnitten, und das Bewusstsein des Wolfs verschwand.

Springer knurrte. Er roch panisch, wütend und traurig.

»Was war das?«, wollte Perrin wissen.

Man jagt uns. Geh, Junger Bulle! Wir müssen gehen.

Die anderen Rudelmitglieder sprangen weg. Perrin knurrte. Starb ein Wolf im Wolfstraum, starb er für immer. Es gab keine Wiedergeburt, keine Jagd mit der Nase im Wind. Nur einer jagte die Geister von Wölfen.

Der Schlächter.

Junger Bulle! Wir müssen gehen!

Perrin knurrte immer noch. Morgenlicht hatte einen letzten Ausbruch von Überraschung und Schmerzen geschickt, ihr letzter Blick auf die Welt. Perrin formte ein Bild aus dem Wirrwarr. Dann schloss er die Augen. Junger Bulle! Nein! Er…

Ortswechsel. Perrin riss die Augen auf und fand sich auf einer kleinen Lichtung in der Nähe der Stelle wieder, wo seine Leute in der realen Welt ihr Lager aufgeschlagen hatten. In der Mitte der Lichtung kauerte ein muskulöser, gebräunter Mann mit dunklem Haar und blauen Augen. Vor ihm lag ein Wolfskadaver. Der Schlächter war ein Mann mit kräftigen Armen, und er roch leicht unmenschlich, wie ein mit Stein vermischter Mensch. Er war dunkel gekleidet; Leder und schwarze Wolle. Er hatte gerade damit begonnen, den Kadaver zu häuten.

Perrin stürmte los. Der Schlächter schaute überrascht auf. Er hatte eine fast schon unheimliche Ähnlichkeit mit Lan, sein hartes Gesicht bestand nur aus scharfen, kantigen Zügen. Perrin brüllte auf und hielt plötzlich einen Hammer in Händen.

Der Schlächter verschwand in der Spanne eines Blinzeins, und der Hammer teilte nur die Luft. Perrin atmete tief ein. Die Gerüche waren da. Salzwasser und durchnässtes Holz. Möwen und ihre Exkremente. Perrin griff auf seine neu errungenen Fertigkeiten zurück und schleuderte sich an den fernen Ort.

Ortswechsel.

Er erschien auf einem leeren Dock in einer ihm unbekannten Stadt. Der Schlächter stand in der Nähe und inspizierte seinen Bogen.

Perrin griff an. Der Schlächter hob den Kopf, und seine Augen weiteten sich; er roch erstaunt. Er riss den Bogen hoch, um den Schlag abzuwehren, aber Perrins Hieb zerschmetterte ihn.

Aufbrüllend riss Perrin die Waffe zurück und schwang sie erneut, zielte dieses Mal auf den Kopf des Schlächters. Seltsamerweise lächelte der Mann, in seinen dunklen Augen funkelte es belustigt. Mit einem Mal roch er begierig. Begierig zu töten. In seiner erhobenen Hand erschien ein Schwert, und er parierte Perrins Hieb.

Der Hammer prallte viel zu hart ab, als hätte er einen Stein getroffen. Perrin stolperte, und der Schlächter legte ihm die Hand auf die Schulter. Und stieß ihn zurück.

Seine Kraft war gewaltig. Der Stoß warf Perrin rückwärts auf das Dock, aber das Holz verschwand, als er auftraf. Er flog weiter durch die Luft und landete im Wasser. Sein wütendes Brüllen verwandelte sich in ein Gurgeln; dunkle Flüssigkeit umgab ihn.

Mühsam schwamm er nach oben, ließ den Hammer los, aber unerklärlicherweise war die Oberfläche zu Eis gefroren. Seile peitschten aus der Tiefe, schlangen sich um seine Arme und rissen ihn zurück. Ein Schatten bewegte sich über der Eisdecke. Der Schlächter, der seinen wiederhergestellten Bogen hob.

Das Eis verschwand, und das Meer teilte sich. Wasser strömte von Perrins Gestalt, und er starrte auf einen Pfeil, der direkt auf sein Herz zielte.

Der Schlächter ließ die Sehne los.

Perrin versetzte sich mit der Kraft seines Willens.

Ortswechsel. Keuchend landete er auf dem Felsen, auf dem er zuvor mit Springer gewesen war. Er fiel auf die Knie, Meerwasser strömte von seinem Körper. Er rang nach Luft, wischte sich mit pochendem Herzen das Gesicht.

Hechelnd erschien Springer an seiner Seite. Der Wolf verströmte den Geruch von Wut. Dummer Welpe! Verrückter Welpe! Bist kaum entwöhnt und willst einen Löwen erlegen?

Perrin setzte sich zitternd auf. Würde der Schlächter ihm folgen? Konnte er das überhaupt? Als die Minuten vergingen und niemand kam, fing er an sich zu entspannen. Der Kampf mit dem Schlächter war so schnell geschehen, dass er ihm unwirklich vorkam. Diese Kraft… kein Mann sollte solche Kräfte haben. Und das Eis, die Seile …

»Er veränderte Dinge«, sagte Perrin. »Ließ unter mir das Dock verschwinden, erschuf Seile, um mich zu fesseln, verdrängte das Wasser, um freie Schussbahn zu haben.«

Er ist ein Löwe. Er tötet. Ist gefährlich.

»Ich muss lernen. Ich muss mich ihm stellen, Springer.«

Du bist zu jung. Diese Dinge sind zu groß für dich.

»Zu jung?« Perrin stand auf. »Springer, die Letzte Jagd ist fast da!«

Springer legte sich hin, bettete den Kopf auf die Pfoten.

»Du sagst mir immer, ich sei zu jung«, sagte Perrin. »Oder dass ich nicht weiß, was ich tue. Nun, warum mich unterrichten, wenn du mir nicht zeigst, wie man gegen Männer wie den Schlächter kämpft?«

Wir werden sehen. Für diese Nacht gehst du. Wir sind fertig -

Perrin spürte einen trauernden Unterton in der Botschaft und Entschlossenheit. Heute Nacht würden Eichentänzerins Rudel und Springer um Morgenlicht trauern.

Seufzend setzte sich Perrin mit untergeschlagenen Beinen hin. Er konzentrierte sich, und es gelang ihm die Dinge zu imitieren, die Springer getan hatte, um ihn aus dem Traum zu werfen.

Die Umgebung verblich um ihn herum.


Er erwachte auf der Pritsche in dem dunklen Zelt. Faile schmiegte sich an ihn.

Eine Weile lag er einfach nur da und starrte zur Decke hoch. Die Dunkelheit erinnerte ihn an den stürmischen Himmel des Wolfstraums. Schlaf erschien so fern wie Caemlyn. Schließlich löste er sich vorsichtig von Faile, stand auf und zog Hosen und Hemd an.

Im Lager war es dunkel, aber für seine Augen reichte das Licht. Er nickte Kenly Maerin und Jaim Dawtry zu, den beiden Männern von den Zwei Flüssen, die heute Nacht sein Zelt bewachten.

»Wie spät ist es?«, fragte er.

»Nach Mitternacht, Lord Perrin«, sagte Jaim.

Perrin grunzte. In der Ferne erhellten Blitze die Landschaft. Er ging ein paar Schritte, und die Männer schlossen sich ihm an. »Ich brauche keine Wächter«, sagte er. »Passt auf mein Zelt auf – Lady Faile schläft noch.«

Sein Zelt stand in der Nähe des Lagerrandes. Ihm gefiel das; die Nähe des Hügels an der westlichen Lagerseite verstärkte das Gefühl der Abgeschiedenheit. Trotz der späten Stunde schärfte Gaul neben einem umgestürzten Baumstamm seine Speere. Der hochgewachsene Steinhund stand auf und folgte ihm, und Perrin schickte ihn nicht weg. Gaul war der Ansicht, seiner selbstauferlegten Pflicht, auf Perrin aufzupassen, in letzter Zeit nicht ausreichend nachgekommen zu sein, und hatte seine Bemühungen verstärkt. Perrin glaubte, dass er eigentlich nur einen Vorwand suchte, um von seinem Zelt und den beiden Gai’schain-Frauen wegzubleiben, die sich dort eingenistet hatten.

Gaul hielt Abstand, worüber Perrin froh war. Empfanden alle Anführer so? Kein Wunder, dass so viele Nationen irgendwann miteinander Krieg führten – ihre Führer hatten niemals Gelegenheit, in Ruhe nachzudenken, und griffen vermutlich an, damit ihre Leute endlich aufhörten, sie zu bedrängen!

Ein kurzes Stück entfernt betrat er eine kleine Baumgruppe, in der aufgeschichtetes Holz lag. Sein Diener Denton, der Lamgwin bis zu dessen Rückkehr vertrat, hatte die Stirn gerunzelt, als Perrin darum gebeten hatte. Denton war einst ein unbedeutender Lord in Cairhien gewesen, der sich geweigert hatte, seine Stellung wieder einzunehmen. Er betrachtete sich jetzt als Diener, und niemand konnte ihn vom Gegenteil überzeugen.

Dort lag eine Axt. Nicht die tödliche halbmondförmige Klinge, die er in der Schlacht getragen hatte, sondern eine stabile Holzfälleraxt mit einem prächtigen Stahlkopf und einem von verschwitzten Arbeiterhänden geglätteten Schaft. Perrin rollte die Ärmel auf, dann spuckte er in die Hände und nahm die Axt. Es fühlte sich gut an, das abgenutzte Holz in den Händen zu halten. Er legte sie sich auf die Schulter, stellte das erste Scheit auf, trat dann einen Schritt zurück und schwang die Axt.

Er traf das Scheit beim ersten Mal. Splitter flogen in die dunkle Nachtluft, das Holz teilte sich. Als Nächstes spaltete er eine der Hälften. Gaul setzte sich neben einen Baum, zog einen Speer und machte damit weiter, die Klinge zu schärfen. Das Scharren aufeinandertreffenden Metalls begleitete das dumpfe Dröhnen von Perrins Axt auf dem Holz.

Es fühlte sich gut an. Warum funktionierte sein Verstand so viel besser, wenn er sich beschäftigte? Loial sprach oft vom Sitzen und Denken. Perrin glaubte nicht, auf diese Weise jemals etwas ergründen zu können.

Er spaltete das nächste Scheit. Stimmte das wirklich? Konnte er seine eigene Natur für seine Handlungen verantwortlich machen und nicht die Wölfe? Daheim in den Zwei Flüssen hatte er sich nie so verhalten.

Er spaltete das nächste Scheit. Ich war immer gut darin, mich auf eine Sache zu konzentrieren. Das hatte zu den Dingen gehört, die Meister Luhhan beeindruckt hatten. Man übertrug ihm eine Aufgabe, und er arbeitete daran, bis sie erledigt war.

Er spaltete die Hälften des Scheits.

Vielleicht lag es ja an seiner Begegnung mit der Welt, dass er sich so verändert hatte. Er machte die Wölfe für vieles verantwortlich, und er hatte Springer unmöglich zu erfüllende Dinge abverlangt. Wölfe waren weder dumm noch einfältig, aber sie betrachteten die Dinge auf eine andere Weise als die Menschen. Es musste Springer sehr schwergefallen sein, ihn auf eine Weise zu unterrichten, die er verstand.

Was schuldete der Wolf ihm? Springer war während dieser schicksalhaften Nacht vor so langer Zeit gestorben. Die Nacht, in der er seinen ersten Mann getötet hatte, die Nacht, in der er im Kampf das erste Mal die Kontrolle über sich verloren hatte. Springer schuldete ihm nicht das Geringste, hatte ihn aber bei mehreren Gelegenheiten gerettet – tatsächlich wurde ihm klar, dass Springers Eingreifen ihm dabei geholfen hatte, sich nicht im Wolf zu verlieren.

Er schlug auf das Holz ein, ein schlecht gezielter Schlag, der an der Seite abglitt und es umstieß. Er stellte das Scheit wieder auf und machte weiter – Gauls stummes Speerschärfen beruhigte ihn. Sauber teilte die Axt das Holz.

Er ließ sich von den Dingen vereinnahmen, die er tat, vielleicht sogar zu sehr. Das stimmte schon.

Andererseits, wollte man je etwas erreichen, dann musste man so lange an einer Sache arbeiten, bis sie erledigt war. Er kannte viele Männer, die anscheinend niemals etwas zu Ende brachten, und ihre Höfe befanden sich in einem schlimmen Zustand. So konnte er nicht leben.

Es musste ein Gleichgewicht geben. Er hatte immer behauptet, in eine Welt gestoßen worden zu sein, deren zahllose Probleme so viel größer als er waren. Er hatte von sich behauptet, nur ein einfacher Mann zu sein.

Was, wenn er sich irrte? Was, wenn er ein komplizierter Mann war, der einst nur zufällig ein einfaches Leben gelebt hatte? Denn wenn er tatsächlich so schlicht war, wieso hatte er sich dann in eine so komplizierte Frau verliebt?

Das gespaltete Holz häufte sich. Perrin bückte sich und sammelte es auf; die Maserung fühlte sich auf seiner Haut rau an. Schwielige Finger; er würde nie ein Lord wie diese verwöhnten Kreaturen aus Cairhien sein. Aber es gab auch eine andere Sorte von Lord, Männer wie Failes Vater. Oder Männer wie Lan, die mehr Waffe als Mann zu sein schienen.

Perrin stapelte das Holz auf. Es machte ihm Spaß, die Wölfe in seinem Traum anzuführen, aber Wölfe erwarteten auch nicht von einem, dass man sie beschützte oder für sie sorgte oder für sie Gesetze machte. Sie klagten einen nicht an, wenn ihre geliebten Angehörigen unter seinem Kommando starben.

Nicht die Führung bereitete ihm Sorgen. Sondern all die Dinge, die sie mit sich brachte.

Die Luft trug den Geruch des sich nähernden Elyas heran.

Mit seinem natürlichen, erdigen Duft roch er wie ein Wolf. Zumindest beinahe.

»Du bist aber noch spät auf«, sagte Elyas. Perrin hörte, wie Gaul seinen Speer raschelnd an seinem angestammten Platz im Bogenköcher verstaute und sich dann mit der Lautlosigkeit eines in den Himmel aufsteigenden Spatzen zurückzog. Er würde in der Nähe bleiben, aber er würde nicht zuhören.

Perrin schaute in den dunklen Himmel, dann legte er die Axt auf die Schulter. »Manchmal fühle ich mich nachts lebendiger als tagsüber.«

Elyas lächelte. Perrin sah es nicht, aber er konnte die Belustigung riechen.

»Hast du je versucht, das alles zu meiden?«, fragte Perrin. »Ihre Stimmen zu ignorieren, einfach so zu tun, als hätte sich nichts an dir verändert?«

»Das habe ich«, erwiderte Elyas. Seine Stimme war leise und weich; irgendwie erinnerte sie an in Bewegung geratenes Erdreich. An fernen Donner. »Ich wollte es, aber dann wollten die Aes Sedai mich einer Dämpfung unterziehen. Ich musste fliehen.«

»Vermisst du dein altes Leben?«

Elyas zuckte mit den Schultern – Perrin konnte die Bewegung hören, der Stoff, der gegeneinander schabte. »Kein Behüter will seine Pflicht im Stich lassen. Aber manchmal sind andere Dinge wichtiger. Oder … vielleicht verlangen sie auch einfach mehr. Ich bereue meine Entscheidungen nicht.«

»Ich kann nicht gehen, Elyas. Ich werde es auch nicht.«

»Ich habe mein Leben für die Wölfe hinter mir gelassen. Das bedeutet noch lange nicht, dass du das auch tun musst.«

»Noam blieb keine andere Wahl.«

»Hatte er die wirklich nicht?«

»Es verschlang ihn. Er hörte auf, ein Mensch zu sein.« Da war ein Hauch von Sorge. Elyas wusste darauf keine Antwort.

»Besuchst du die Wölfe je im Traum?«, fragte Perrin. »An einem Ort, an dem tote Wölfe wieder laufen und leben?«

Elyas drehte sich um und musterte ihn. »Dieser Ort ist gefährlich. Es ist eine andere Welt, auch wenn sie irgendwie mit der hier verbunden ist. Legenden zufolge konnten die Aes Sedai der Vergangenheit sie betreten.«

»Und andere Leute auch«, sagte Perrin und musste an den Schlächter denken.

»Sei in diesem Traum vorsichtig. Ich halte mich davon fern.« Sein Geruch kündete von Vorsicht.

»Fällt es dir jemals schwer?«, wollte Perrin wissen. »Dich von dem Wolf zu trennen?«

»Früher schon.«

»Aber heute nicht mehr?«

»Ich habe ein Gleichgewicht gefunden«, sagte Elyas. » Wie?«

Der ältere Mann schwieg einen Augenblick lang. »Ich wünschte, ich könnte das sagen. Es war einfach etwas, das ich lernte, Perrin. Etwas, das du lernen musst.«

Oder du endest wie Noam. Perrin erwiderte den Blick aus Elyas’ goldenen Augen, dann nickte er. »Danke.«

»Für den Rat?«

»Nein«, sagte Perrin. »Dafür, dass du zurückgekommen bist. Dass du mir gezeigt hast, dass zumindest einer von uns mit den Wölfen leben kann, ohne sich darin zu verlieren.«

»Das war doch nicht der Rede wert«, sagte Elyas. »Ich hatte ganz vergessen, dass es durchaus nett sein kann, sich zur Abwechslung mal mit Menschen zu umgeben. Aber ich weiß nicht, wie lange ich bleiben kann. Die Letzte Jagd ist fast da.«

Perrin schaute wieder zum Himmel. »Das ist sie. Teile bitte Tarn und den anderen in meinem Namen Folgendes mit. Ich habe mich entschieden. Die Weißmäntel haben ein Schlachtfeld bestimmt. Ich habe mich entschieden, sie morgen zu treffen.«

»Also gut«, sagte Elyas. »Obwohl du dich nicht gerade so anhörst, als wolltest du das wirklich tun.«

»Es muss erledigt werden. Und damit ist alles gesagt.« Jeder wollte, dass er wie ein Lord handelte. Nun, genau das taten Lords. Sie trafen Entscheidungen, die niemand sonst treffen wollte.

Trotzdem würde ihm dieser Befehl Magenschmerzen bereiten. Er hatte eine Vision gehabt, wie diese Wölfe Schafe auf eine Bestie zutrieben. Möglicherweise tat er ja genau das, die Weißmäntel auf ihre Vernichtung zutreiben. Zweifellos trugen sie die Farbe von Schafwolle.

Aber was hatte die Vision von Faile und den anderen zu bedeuten, die sich einem Abgrund näherten? Elyas ging und ließ Perrin noch immer mit der Axt auf der Schulter zurück. Es kam ihm so vor, als hätte er nicht auf Holz eingeschlagen, sondern auf Menschen.

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