13 Was geschmiedet wurde

Min rannte aus dem Drachenmauertor an der Ostseite des Steins und stürmte über den Hof. Hinter ihr strömte scheinbar ein ganzer Clan Aiel heraus, die um sie herum rasten wie Hirsche um eine Eiche. Die Aiel eilten vorbei an Verteidigern und Stallburschen und bewegten sich mit Anmut und Schnelligkeit der Mauer entgegen.

Es war ärgerlich, mit welcher Mühelosigkeit sie sie überholten – vor Jahren hatte sie sich gerühmt, jeden Jungen in einem ehrlichen Wettlauf schlagen zu können. Und jetzt… nun, vermutlich hatte sie zu viele Monate damit verbracht, die Nase in Bücher zu stecken.

Immerhin war sie dennoch schneller als die Aes Sedai, die die Notwendigkeit bremste, die Form zu wahren. Min hatte schon vor langer Zeit sämtliche Hemmungen von sich geworfen, wenn es um ihren großen Schafhirten ging. Also rannte sie auf das Tor zu, dankbar für ihre Hosen und Stiefel.

Und da war er. Ruckartig verlangsamte sie ihre Geschwindigkeit, schaute durch einen Korridor aus Aiel im Cadin’sor zu dem Mann, der mit zwei Verteidigern sprach, die zur Mauerwache gehörten. Er blickte in ihre Richtung, als sie näher kam; er konnte sie fühlen, so wie sie ihn fühlte.

Rand hatte irgendwo einen alten langen braunen Umhang gefunden. Er hatte Ärmelschlitze wie ein Mantel, fiel aber locker von den Schultern. Darunter trug er ein Hemd und eine teure schwarze Hose.

Jetzt, wo er so nahe war, erschien die durch den Bund fließende Wärme überwältigend. Konnten die anderen sie sehen?

Sie erweckte in ihr den Wunsch, den Arm zu heben und die Augen zu beschatten, obwohl es in Wirklichkeit nichts zu sehen gab. Das war einfach nur der Bund. Obwohl… um ihn herum schien sich tatsächlich die Luft zu verzerren. Lag das am Sonnenlicht? Neue Sichten wirbelten um seinen Kopf. Normalerweise ignorierte Min sie, aber in diesem Augenblick war das unmöglich. Eine offene Höhle, die wie ein Rachen aufklaffte. Blutbefleckte Felsen. Zwei tote Männer auf dem Boden, umgeben von Rängen aus Trollocs, eine Pfeife, aus der Rauch aufstieg.

Rand erwiderte ihren Blick, und trotz des Bundes erstaunte sie, was sie darin las. Diese grauen, an Edelsteine erinnernden Augen waren noch durchdringender geworden. Feine Fältchen umgaben sie. Waren die schon zuvor dagewesen? Sicherlich war er dafür zu jung.

Diese Augen sahen nicht jung aus. Min verspürte einen Augenblick der Panik, als er ihren Blick erwiderte. War das derselbe Mann? War der Rand, den sie liebte, gestohlen und durch die uralte Naturgewalt eines Mannes ersetzt worden, den sie niemals kennen oder verstehen würde? Hatte sie ihn doch verloren?

Und dann lächelte er, und es waren seine Augen, so unergründlich sie auch geworden waren. Auf dieses Lächeln hatte sie eine sehr lange Zeit warten müssen. Es war jetzt bedeutend selbstbewusster als jenes, das er ihr während ihrer Anfangszeit gezeigt hatte, aber es war noch immer verletzlich. Es ließ sie einen Teil von ihm sehen, der anderen immer verwehrt blieb.

Dieser Teil war der junge Mann, der irgendwie noch immer unschuldig war. Sie rannte zu ihm und riss ihn in eine Umarmung. »Du wollköpfiger Narr! Drei Tage? Was hast du drei Tage lang gemacht?«

»Existiert, Min«, antwortete er und legte die Arme fest um sie.

»Ich wusste nicht, dass das eine so schwierige Aufgabe ist.«

»Manchmal war es das für mich.« Er schwieg, und sie war zufrieden, ihn zu halten. Ja, das war derselbe Mann. Er hatte sich verändert, und zwar zum Besseren, aber er war noch immer Rand. Sie klammerte sich an ihn. Ihr war egal, dass sich Leute um sie herum versammelten, immer mehr. Sollten sie doch zusehen.

Schließlich atmete sie aus und löste sich zögernd von ihm. »Rand, Alanna ist weg. Sie ist heute verschwunden.«

»Ja. Ich habe gefühlt, wie sie ging. Irgendwo nach Norden. In die Grenzlande, vielleicht Arafel.«

»Man könnte sie gegen dich benutzen, um herauszufinden, wo du bist.«

Er lächelte. Beim Licht, es fühlte sich so gut an, diesen Ausdruck auf seinem Gesicht zu sehen! »Der Schatten braucht sie nicht, um mich zu finden, nie wieder. Seine sämtlichen Augen sind direkt auf mich gerichtet, und das wird so sein, bis ich sie blende.«

»Was? Aber Rand …«

»Es ist in Ordnung, Min. Die Zeit ist vorbei, in der er mich verstohlen zum Schweigen bringen und darum siegen konnte. Die Konfrontation ist gesichert, und der Schrei, der die Lawine auslöst, ist getan.«

Das Leben in ihm schien zu lodern. Der davon ausgehende Schauer war berauschend. Er ließ einen Arm um sie gelegt – der Arm, der als Stumpf endete -, als er sich den Aiel zuwandte. »Ich habe Toh.« Obwohl der Hof hinter ihnen in Aufruhr war, standen die Aiel stumm da.

Sie waren dafür bereit, dachte Min. Die Aiel waren nicht unbedingt feindselig, aber sie teilten nicht die Aufregung der Verteidiger. Die Tairener glaubten, dass Rand zurückgekehrt war, um sie in die Letzte Schlacht zu führen.

»In der Wüste«, sagte Rhuarc und trat vor, »gibt es ein Tier. Das Meegerling. Es hat große Ähnlichkeit mit einer Ratte, ist aber weitaus dümmer. Wenn man es neben Korn absetzt, läuft es direkt darauf zu, ohne an die Gefahr zu denken. Ganz egal, wie oft es in einen Graben fällt, der sich zwischen ihm und der Nahrung befindet, es wird immer wieder das Gleiche tun, wenn man es zurück an den Anfang setzt. Aielkinder amüsieren sich mit diesem Spiel.« Er musterte Rand. »Ich hätte Euch nicht für einen Meegerling gehalten, Rand al’Thor.«

»Ich verspreche, euch nie wieder zu verlassen«, sagte Rand. »Nicht aus eigenem Willen und nicht ohne die Töchter vorher zu informieren und sie, falls sie einverstanden sind, als Leibwächter mitzunehmen.«

Die Aiel rührten sich nicht. »Das wird verhindern, dass Ihr noch mehr Toh erringt«, sagte Rhuarc. »Es ändert nichts an dem, was war. Und Versprechen gab es schon zuvor.«

»Das stimmt«, sagte Rand und erwiderte Rhuarcs Blick. »Dann erfülle ich mein Toh.«.

Zwischen ihnen fand ein Austausch statt, etwas, das Min nicht verstand, und die Aiel erschienen entspannter und gaben den Weg frei. Zwanzig Töchter traten vor, um sich als Wache um Rand zu scharen. Rhuarc zog sich mit den anderen zurück und gesellte sich zu einer kleinen Gruppe Weiser Frauen, die von der Seite aus zusahen.

»Rand?«, fragte Min.

»Das geht schon in Ordnung«, sagte er, obwohl seine Gefühle einen düsteren Unterton hatten. »Das war eines der Dinge, die ich regeln musste. Eines von vielen.« Er ließ sie los und betrachtete den Hof, erschien zögernd, als hielte er nach jemandem Ausschau. Was auch immer es war, er sah es nicht, also ging er auf König Darlin zu, der gerade in aller Hast eingetroffen war.

König Darlin verbeugte sich, die Hand auf dem Knauf seines schmalen Schwertes. »Mein Lord Drache. Marschieren wir endlich?«

»Begleitet mich, Darlin«, erwiderte Rand und schritt voran. » Es gibt viel zu tun. Wer ist noch hier? Narishma, Flinn. Ausgezeichnet.« Er nickte den beiden schwarzgekleideten Asha’man zu, die angelaufen kamen. » Eure Aes Sedai ? Ah, da kommen sie ja schon. Nun, das ist der nächste Punkt. Kainea, wärt ihr so freundlich und würdet mir ein paar Boten besorgen?«

Eine der Töchter, die für eine Aiel seltsam dunkles Haar hatte, rannte los, um für das Gewünschte zu sorgen. Min runzelte die Stirn und hielt mit Rand und Darlin Schritt, während sich die beiden Asha’man ihnen anschlossen.

Nynaeve und Merise führten die Gruppe Aes Sedai an. Als sie Rand näher kommen sahen, blieben sie stehen, als wollten sie ihn denjenigen sein lassen wollen, der zu ihnen kam. Sie rückten zusammen und nestelten an ihrer Kleidung herum, sahen weitaus beunruhigter aus, als für Aes Sedai üblich war.

Rand überquerte den von Leuten wimmelnden offenen Hof und trat in den Schatten der sich auftürmenden Befestigungen des Steins, dann gesellte er sich zu ihnen.

»Rand al’Thor«, sagte Nynaeve und verschränkte die Arme. »Du bist ein …«

»Idiot?«, vollendete Rand den Satz und erschien amüsiert. »Ein arroganter Narr? Ein unbedachter wollköpfiger Junge, der eine ordentliche Ohrfeige braucht?«

»Äh. Ja.«

»Das stimmt alles, Nynaeve. Ich verstehe das jetzt. Vielleicht habe ich endlich eine gewisse Weisheit errungen. Aber ich glaube, du brauchst dringend ein paar neue Beleidigungen. Deine sind so aus der Mode wie der Spitzenbesatz vom letzten Jahr. Jemand soll nach Cadsuane schicken. Ich verspreche, sie nicht hinrichten zu lassen.«

Sein brüsker Ton schien die Aes Sedai zu entsetzen, aber Min lächelte. Nach der Konfrontation mit den Aiel war sein Selbstbewusstsein sprunghaft gestiegen. Es war außerordentlich befriedigend mit ansehen zu dürfen, wie er Aes Sedai entwaffnete und Vorwürfe und Einwände auf ihren Lippen erstarben. Merise schickte einen Diener los, um Cadsuane zu holen.

»Narishma«, sagte Rand und drehte sich um. »Ihr müsst dieses Heer der Grenzländer besuchen, das nach mir suchte. Ich vermute, es lagert noch immer in Far Madding. Sagt seinen Anführern, dass ich ihre Bedingungen akzeptiere und mich in wenigen Tagen mit ihnen treffe.«

»Mein Lord Drache?«, sagte Narishma. »Ist das besonnen angesichts der Natur dieses Ortes?«

»Ist es besonnen? Besonnenheit ist etwas für Leute, die ein langes Leben führen wollen, Narishma. Darlin, ich brauche die Hochlords und Hochladys, sie sollen hier vor mir Aufstellung nehmen. Einer der Boten sollte für diese Aufgabe reichen. Und verbreitet die Nachricht, dass die Weiße Burg wieder vereint und Egwene al’ Vere der Amyrlin-Sitz ist.«

» Was?«, stieß Merise hervor. Mehrere Aes Sedai keuchten auf.

»Rand«, sagte Min. »Ich bezweifle, dass die Amyrlin darüber erfreut wäre, wenn du die Spaltung öffentlich machst.«

»Gutes Argument«, sagte Rand. »Darlin, schreibt eine Proklamation, dass Egwene al’Vere die Nachfolgerin von Elaida a’Roihan als Amyrlin ist. Das sollte als Information reichen, ohne zu viel zu enthüllen. Das Licht weiß, dass ich nicht noch etwas brauche, das Egwene wütend auf mich macht…«

»Noch etwas?«, fragte Corele und wurde blass.

»Ja«, sagte Rand ungerührt. »Ich habe sie bereits in der Weißen Burg besucht.«

»Und man ließ Euch wieder gehen?«, fragte Corele.

»Ich ließ ihnen keine andere Wahl. Darlin, holt doch bitte unsere Streitkräfte hierher zusammen. Ich möchte, dass sie heute Abend versammelt sind. Flinn, wir werden Wegetore brauchen. Große. Möglicherweise ist ein Zirkel nötig.«

»Der Tarwin-Pass?«, fragte Nynaeve eifrig.

Rand sah sie an und zögerte. Min fühlte, wie es ihn schmerzte, als er sprach, ein scharfer, stechender, echter Schmerz. »Noch nicht, Nynaeve. Ich goss heißes Öl in die Weiße Burg, und es wird bald sieden. Zeit. Wir haben keine Zeit! Ich werde Lan Hilfe verschaffen, ich schwöre es dir, aber im Augenblick muss ich mich auf die Begegnung mit Egwene vorbereiten.«

»Du musst ihr entgegentreten?« Nynaeve trat vor. »Rand, was hast du getan?«

»Was getan werden musste. Wo ist Bashere?«

»Er ist mit seinen Männern in die Stadt, mein Lord Drache«, sagte Flinn, »die Pferde bewegen. Sie müssten bald zurück sein.«

»Gut. Er begleitet mich nach Arad Doman. Du auch, Nynaeve. Min.« Er sah sie an, und diese unergründlichen Augen schienen sie zu verschlingen. »Min, ich brauche dich.«

»Du hast mich, dummer Kerl.«

»Callandor«, sagte er. »Es spielt eine Rolle dabei. Du musst herausfinden, welche. Ich kann den Stollen nicht auf die gleiche Weise versiegeln wie beim letzten Mal. Ich übersehe etwas, etwas Entscheidendes. Finde es für mich.«

»Das werde ich, Rand.« Ein kalter Schauder durchfuhr sie. »Ich verspreche es.«

»Ich vertraue dir.« Er schaute auf, als eine Gestalt mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze aus einem der vielen Wachtposten des Steins trat.

»Cadsuane Melaidhrin«, sagte Rand, »ich verzeihe Euch frühere Fehler und hebe Euer Exil auf. Nicht, dass es je mehr als eine kleine Unannehmlichkeit für Euch gewesen wäre.«

Sie schnaubte und schlug die Kapuze zurück. »Wenn Ihr glaubt, dass es bloß eine ›kleine Unannehmlichkeit‹ ist, bei dieser Hitze einen Umhang zu tragen, mein Junge, dann braucht Ihr eine Lektion in Gegensätzen. Ich gehe davon aus, Ihr seht ein, dass Eure Handlung auf falschen Voraussetzungen beruhte. Es erscheint mir unpassend, dass ich überhaupt der ›Vergebung‹ oder ›Begnadigung‹ bedarf.«

»Nun denn«, sagte Rand. »Bitte akzeptiert meine Begnadigung zusammen mit meiner Entschuldigung. Man könnte sagen, ich stand in letzter Zeit unter ungewöhnlichem Druck.«

»Gerade Ihr von allen Leuten könnt es Euch nicht leisten, Euch von den Belastungen des Lebens antreiben zu lassen«, sagte Cadsuane streng.

»Ganz im Gegenteil. Gerade wegen dieses Drucks bin ich das geworden, was ich bin, Cadsuane. Eisen kann nicht ohne den Schlag des Hammers geformt werden. Aber darum geht es auch nicht. Ihr wolltet mich manipulieren und seid dabei schrecklich gescheitert. Aber in diesem Scheitern habt Ihr mir etwas klargemacht.«

»Und das wäre?«

»Ich dachte, ich würde zu einem Schwert geschmiedet«, sagte Rand. Ein geistesabwesender Blick trat in seine Augen. »Aber da lag ich im Irrtum. Ich bin keine Waffe. Das war ich nie.«

»Und was bist du dann?«, fragte Min interessiert.

Er lächelte bloß. »Cadsuane Sedai, ich habe eine Aufgabe für Euch, falls Ihr sie annehmt.«

»Ich nehme an, das kommt auf die Aufgabe an«, erwiderte sie und verschränkte die Arme.

»Ihr müsst jemanden für mich finden. Jemand, der verschollen ist, jemand, der sich meiner Meinung nach in den Händen wohlmeinender Verbündeter befindet. Ihr müsst wissen, man hat mich darüber informiert, dass die Weiße Burg Mattin Stepaneos festhält.«

Cadsuane runzelte die Stirn. »Ihr wollt ihn haben?«

»Nicht im Mindesten. Ich habe mich noch nicht entschieden, was ich mit ihm machen will, also kann er im Moment Egwenes Problem bleiben. Nein, derjenige, den ich will, hält sich vermutlich irgendwo auf der Caralain-Steppe auf. Ich erkläre es genauer, wenn wir nicht länger in der Öffentlichkeit sind.«

Die Hochlords und Hochladys versammelten sich. Rand sah ihnen entgegen, obwohl er sich zwischendurch immer wieder auf dem Hof umblickte, als würde er nach etwas Ausschau halten. Etwas, das ihn nervös machte.

Er wandte sich wieder den Adligen zu. Min betrachtete sie skeptisch. Mit Ausnahme von Darlin war sie nie besonders beeindruckt von ihnen gewesen. Rand legte ihr die Hand auf die Schulter. Die versammelten Adligen sahen zerzaust aus; anscheinend hatte man sie von Mahlzeiten oder Mittagsschläfchen geholt, obwohl sie alle kostbare Seide und Spitze trugen. Auf dem Hof des Steins, wo sonst jeder einer Tätigkeit nachging, sahen sie seltsam fehl am Platz aus.

Ich sollte nicht so streng über sie urteilen, dachte Min und verschränkte die Arme. Aber sie hatte zugesehen, wie ihre Intrigen und Vetternwirtschaft Rand frustriert hatten. Davon abgesehen hatte sie noch nie viel für Leute übriggehabt, die sich selbst wichtiger als alle anderen nahmen.

»Stellt euch in einer Reihe auf«, sagte Rand und trat auf sie zu.

Die Adligen sahen ihn verwirrt an.

»Eine Reihe«, sagte Rand mit lauter und entschiedener Stimme.» Sofort.«

Sie gehorchten und stellten sich hastig auf. Rand schritt die Reihe entlang, die mit Darlin begann, und schaute jedem Mann und jeder Frau in die Augen. Rands Gefühle waren … seltsam. Vielleicht war da ein Hauch von Wut. Was tat er da?

Auf dem Hof wurde es still. Rand schritt die Reihe weiter ab und musterte nacheinander jeden der Adligen, ohne ein Wort zu sagen. Min warf einen Blick zur Seite. Am Ende der Reihe musterte Weiramon Rand, um dann wegzuschauen. Der hochgewachsene Mann hatte schütteres graues Haar, sein Bart war zu einer Spitze geölt.

Schließlich kam Rand zu ihm. »Erwidert meinen Blick, Weiramon«, sagte Rand leise.

»Mein Lord Drache, sicherlich bin ich es nicht wert…«

»Tut es.«

Es kostete Weiramon eine seltsame Anstrengung, der Aufforderung zu folgen. Er sah aus, als würde er die Zähne zusammenbeißen; dabei tränten seine Augen.

»Also seid Ihr es«, sagte Rand. Min konnte seine Enttäuschung fühlen. Rand schaute zu Anaiyella, die den Abschluss der Reihe bildete. Die hübsche Frau hatte sich von Rand abgewandt, drehte den Kopf zur Seite. »Ihr beide.«

»Mein Lord …«, setzte Weiramon an.

»Ich möchte, dass Ihr für mich eine Botschaft überbringt«, sagte Rand. »An die anderen Eurer… Gesellschaft. Sagt ihnen, dass sie sich nicht länger unter meinen Verbündeten verstecken können.«

Weiramon wollte sich aufplustern, aber Rand trat einen Schritt näher an ihn heran. Der Adlige riss die Augen auf, und Anaiyella schrie auf und bedeckte ihr Gesicht.

»Sagt ihnen«, fuhr Rand mit leiser, aber fordernder Stimme fort, »dass ich nicht länger blind bin.«

»Warum …?«, sagte Anaiyella. »Warum lasst Ihr uns gehen?«

»Weil heute ein Tag des Wiedersehens ist«, antwortete Rand. »Und nicht ein Tag des Todes. Geht.«

Die beiden stolperten davon und sahen völlig erschöpft aus. Die auf dem Hof versammelten Leute sahen überrascht und verwirrt zu. Die Aiel fingen allerdings an, die Speere gegen die Schilde zu schlagen. Anaiyella und Weiramon schienen die Schatten des Hofes zu suchen, als sie den Stein mit gesenkten Köpfen verließen.

»Leeh«, sagte Rand. »Nehmt zwei andere. Beobachtet sie.«

Drei Töchter lösten sich aus der Gruppe, die Rand beschützte, und eilten hinter den beiden ehemaligen Adeligen her. Min ergriff Rands Arm. »Was war das? Was hast du in ihnen gesehen?«

»Die Zeit des Versteckspielens ist vorbei, Min. Der Schatten hat seinen Zug gemacht, um mich zu bekommen, und verloren. Jetzt bewegt Krieg und nicht die List die Welt weiter.«

»Also sind sie Schattenfreunde?«, fragte Min stirnrunzelnd.

Rand wandte sich ihr lächelnd zu. »Sie sind keine Bedrohung mehr. Ich …« Er unterbrach sich und schaute an ihr vorbei. Min drehte sich um, und ihr wurde kalt.

In der Nähe stand Tarn al’Thor. Er war gerade aus einem Eingang des Steins getreten und verharrte auf den flachen Stufen, die in den Hof hinunterführten. Rands Gefühle wurden wieder nervös, und Min begriff, wonach er zuvor gesucht hatte.

Tarn sah seinen Sohn an und verharrte. Sein Haar war grau und sein Gesicht voller Falten, und doch strahlte er eine Entschlossenheit aus wie nur wenige andere Menschen.

Rand hob die Hand, und die Menge teilte sich. Rand passierte sie, Min direkt hinter ihm, und begab sich zu der Treppe, die in den Stein führte. Zögernd erklomm er ein paar Stufen. Stille trat auf dem Hof ein; selbst die Möwen verstummten.

Rand blieb stehen, und Min spürte sein Zögern, seine Scham, sein Entsetzen. Es erschien so seltsam. Rand, der ohne ein Zittern den Verlorenen entgegengetreten war, hatte Angst vor seinem Vater.

Plötzlich machte Rand zwei große Schritte, nahm die letzten paar Stufen und riss Tarn in eine Umarmung. Er trat wieder eine Stufe herunter, was sie beinahe auf gleiche Höhe brachte. Tatsächlich erschien Tarn in dieser Haltung beinahe wie ein Riese und Rand wie ein Kind, das sich an ihn klammerte.

Dort hielt sich der Wiedergeborene Drache an seinem Vater fest und fing an zu weinen.

Die versammelten Aes Sedai, Tairener und Aiel sahen ernst zu. Niemand wandte sich ab oder bewegte sich. Rand kniff fest die Augen zusammen. »Vater, es tut mir leid«, flüsterte er so leise, dass Min es kaum hören konnte. »Es tut mir so leid.«

»Schon gut, Sohn. Es ist in Ordnung.«

»Ich habe so viel Schreckliches getan.«

»Niemand beschreitet einen schwierigen Weg, ohne gelegentlich zu stolpern. Dein Sturz hat dich nicht gebrochen. Nur darauf kommt es an.«

Rand nickte. Sie hielten sich eine Weile. Schließlich löste sich Rand und gab Min, die am Fuß der Stufen stand, ein Zeichen.

»Komm, Vater«, sagte er, »da gibt es jemanden, den ich dir vorstellen möchte.«

Tarn kicherte. »Drei Tage sind vergangen, Rand. Ich habe sie bereits kennengelernt.«

»Ja, aber ich habe sie dir nicht vorgestellt. Das muss ich tun.« Er winkte Min herbei, und sie hob eine Braue und verschränkte die Arme. Er sah sie bittend an, also seufzte sie und stieg die Stufen hinauf.

»Vater«, sagte Rand und legte seine Hand auf Mins Rücken. »Das ist Min Farshaw. Und sie ist jemand ganz Besonderes für mich.«

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