16 Shanna’har

Faile durchquerte das Lager im schwindenden Abendlicht, auf dem Weg zum Zelt des Quartiermeisters. Perrin hatte ihre Späher durch das Wegetor nach Cairhien geschickt; sie würden am nächsten Morgen zurückkehren.

Perrin grübelte noch immer über die Weißmäntel nach. Im Verlauf der letzten beiden Tage hatten die beiden Heere mehrere Briefe ausgetauscht. Perrin wollte ein zweites, offizielles Gespräch, während die Weißmäntel auf einer Schlacht bestanden. Faile hatte Perrin ordentlich den Kopf gewaschen, weil er sich ohne sie davongeschlichen hatte, um die Kinder des Lichts zu treffen.

Perrin versuchte Zeit zu schinden, während er den Gegner von Elyas und den Aiel ausspionieren ließ, um eine Möglichkeit zu finden, ihre Leute ohne großen Aufwand zu befreien, aber ein Erfolg war unwahrscheinlich. In den Zwei Flüssen war ihm das gelungen, aber damals waren es nur eine Handvoll Gefangene gewesen. Jetzt waren es Hunderte.

Perrin kam nicht gut mit seinen Schuldgefühlen zurecht. Nun, sie würde bald mit ihm sprechen. Sie passierte die Zelte der Mayener, deren Banner hoch oben im Wind flatterten.

Darum werde ich mich auch bald kümmern müssen, dachte sie und warf einen Blick auf Berelains Banner. Die Gerüchte über die Erste und Perrin waren problematisch. Es war keine große Überraschung gewesen, dass Berelain in ihrer Abwesenheit etwas versucht hatte, ihn aber in ihrem Zelt übernachten zu lassen erschien besonders dreist.

Ihre nächsten Züge würden mit außerordentlicher Sorgfalt erfolgen müssen. Ihr Gemahl, seine Leute und seine Verbündeten unterlagen einem sehr unsicheren Gleichgewicht. Faile ertappte sich bei dem Wunsch, sie hätte ihre Mutter um Rat fragen können.

Das erschütterte sie; unwillkürlich blieb sie auf dem Weg aus niedergetretenem gelben Gras und Schlamm stehen. Beim Licht, dachte sie. Sieh an, was mit mir passiert ist.

Vor zwei Jahren war Faile aus ihrem Zuhause in Saldaea fortgelaufen, hatte den Namen Zarine angenommen und war eine Jägerin das Horns geworden. Sie hatte gegen ihre Pflichten als Älteste und die Ausbildung rebelliert, auf die ihre Mutter bestanden hatte.

Sie war nicht fortgelaufen, weil sie die Arbeit hasste; tatsächlich hatte sie alles geschafft, was man von ihr verlangte. Also warum war sie gegangen? Sicherlich aus Abenteuerlust. Aber vor allem wegen der vielen Dinge, die einfach vorausgesetzt wurden – wie sie jetzt vor sich zugeben konnte. In Saldaea tat man immer das, was von einem erwartet wurde. Es stand nie zur Debatte, ob man seine Pflicht erfüllen würde, vor allem nicht, wenn man mit der Königin verwandt war.

Und so … war sie gegangen. Nicht, weil sie das hasste, als was sie enden würde, sondern weil sie die Tatsache hasste, dass es so unausweichlich erschienen war. Jetzt war sie hier und nutzte all die Dinge, die sie auf den Befehl ihrer Mutter hatte lernen müssen.

Beinahe hätte sie gelacht. Ein bloßer Blick verriet ihr eine Menge über das Lager. Sie würden bald gutes Leder für die Schuster finden müssen. Wasser war kein Problem, da es in den letzten Tagen oft Nieselregen gegeben hatte, aber trockenes Holz für Lagerfeuer war knapp. Eine Gruppe Flüchtlinge – eine Ansammlung ehemaliger Feuchtländer-Gafscliam, die Perrins Aiel mit offener Feindseligkeit betrachteten – würde man im Auge behalten müssen. Unterwegs hatte sie darauf geachtet, ob die sanitären Einrichtungen ausreichten und die Soldaten auf sich achteten. Einige Männer kümmerten sich aufopferungsvoll um ihre Pferde und vergaßen dann etwas Vernünftiges zu essen – oder zumindest etwas Gesundes. Ganz zu schweigen von der Gewohnheit, die halbe Nacht lang mit Gesprächen am Lagerfeuer zu verbringen.

Sie schüttelte den Kopf und ging weiter, betrat den Versorgungskreis, wo die Proviantwagen für die Köche und Dienstmägde ausgeladen worden waren. Der Versorgungskreis war beinahe ein Dorf für sich, in dem Hunderte von Menschen schnell Trampelpfade in das schlammige Gras traten. Sie passierte eine Gruppe Jugendliche mit dreckigen Gesichtern, die Gruben schaufelten, dann eine Gruppe Frauen, die plaudernd und vor sich hin summend Kartoffeln schälten, während Kinder die Schalen aufsammelten und in die Gruben warfen. Es waren nicht viele Kinder, aber Perrins Streitmacht hatte einige Familien aus der ganzen Gegend aufgenommen, die kurz vor dem Verhungern gestanden und sie angefleht hatten, sich ihnen anschließen zu dürfen.

Diener brachten Körbe voller geschälter Kartoffeln zu Kochtöpfen, die von jungen Frauen mit Wasser aus dem Fluss gefüllt wurden. Kochgehilfen bereiteten Holzkohle für die Kochfeuer vor, und ältere Köche mischten Gewürze in Saucen, die man über andere Speisen kippen würde, was wirklich die einzige Möglichkeit war, um solch gewaltigen Mengen an Essen Geschmack zu verleihen.

Ältere Frauen, von denen es im Lager nur wenige gab, schlurften mit gekrümmten Rücken und leichten Weidenkörben voller Kräuter auf den dünnen Armen vorbei; ihre Schultertücher wehten, während sie sich mit brüchigen Stimmen unterhielten. Soldaten eilten umher mit frisch erlegtem Wild. Jungen zwischen Kindheit und Mannbarkeit sammelten Feuerholz; Faile passierte eine kleine Gruppe von ihnen, die sich durch Spinnenfangen hatten ablenken lassen.

Es war ein Orkan aus Ordnung und Verwirrung, beides zugleich, zwei Seiten einer Münze. Seltsam, wie gut sie hierher passte. Wenn sie ein paar Jahre in die Vergangenheit blickte, erstaunte es sie, ein verwöhntes, egozentrisches Kind zu sehen. Die Grenzlande zu verlassen, um eine Jägerin das Horns zu werden? Sie hatte ihre Pflichten, ihr Zuhause und ihre Familie im Stich gelassen. Was hatte sie sich dabei nur gedacht?

Sie kam an ein paar Frauen vorbei, die Korn mahlten, dann ging sie um einen Haufen wilder Schalotten, die auf einer Decke daneben lagen und darauf warteten, zu Suppe gemacht zu werden. Sie war froh, dass sie gegangen war und Perrin kennengelernt hatte, aber das entschuldigte ihre Handlungen nicht. Mit einer Grimasse erinnerte sie sich daran, wie sie Perrin gezwungen hatte, in der Dunkelheit durch die Kurzen Wege zu reisen, allein. Sie wusste nicht einmal mehr, was er getan hatte, um sie in Wut zu bringen, obwohl sie das ihm gegenüber niemals zugeben würde.

Ihre Mutter hatte sie einmal als verwöhnt bezeichnet, und sie hatte recht gehabt. Ihre Mutter hatte auch darauf bestanden, dass sie lernte, wie man ihre Güter bewirtschaftete, und die ganze Zeit hatte sie bloß davon geträumt, einen Jäger des Horns zu heiraten und ihr Leben weit weg von den Heeren und den langweiligen Pflichten der Adligen zu verbringen.

Das Licht segne dich, Mutter, dachte sie. Was hätten sie und Perrin nur ohne diese Ausbildung gemacht? Ohne die Lektionen ihrer Mutter wäre sie völlig nutzlos gewesen. Die Verwaltung des ganzen Lagers hätte allein auf Aravines Schultern gelastet. So fähig die Frau als Perrins Lagerverwalterin auch war, allein hätte sie das alles nicht geschafft. Und man hätte das auch nicht von ihr erwartet.

Faile erreichte den Posten des Quartiermeisters, einen kleinen Pavillon in der genauen Mitte der Kochfeuer. Der Wind trug die verschiedensten Gerüche heran: von Flammen verbranntes Fett, kochende Kartoffeln, mit Knoblauch gewürzte Saucen, der feuchte, klebrige Geruch von Kartoffelschalen, die man an die kleine Schweineherde verfütterte, die sie aus Maiden hatten mitnehmen können.

Der Quartiermeister, Bavin Rockshaw, war ein blasser Cairhiener mit ergrauendem braunen Haar, das von ein paar blonden Strähnen durchzogen wurde; es sah aus wie das Fell eines Mischlings. Arme, Beine und Brust waren spindeldürr, dafür hatte er einen fast perfekten Schmerbauch. Anscheinend hatte er schon im Aiel-Krieg als Quartiermeister gearbeitet und war ein Experte – er konnte Proviantzuteilungen so geschickt verwalten, wie ein Meistertischler sein Holz bearbeiten konnte.

Das bedeutete natürlich auch, dass er Experte darin war, Bestechungsgelder anzunehmen. Als er Faile sah, lächelte er und verbeugte sich steif genug, um formell zu sein, ohne es zu übertreiben. ›Ich bin ein einfacher Soldat, der seine Pflicht tut‹, besagte die Verbeugung.

»Lady Faile!«, rief er aus und winkte ein paar seiner Knechte herbei. »Ich nehme an, Ihr seid gekommen, um die Bücher zu überprüfen?«

»Ja, Bavin«, sagte sie, obwohl sie genau wusste, dass dort nichts Verdächtiges zu finden sein würde. Dafür war er zu vorsichtig.

Trotzdem ging sie die Aufzeichnungen flüchtig durch. Einer der Männer brachte ihr einen Hocker, ein anderer einen Tisch, auf den sie die Bücher legen konnte, und noch ein anderer eine Tasse Tee. Sie war beeindruckt, wie genau sich die Zahlenreihen addierten. Ihre Mutter hatte ihr erklärt, dass Quartiermeister oft viele schlampige Eintragungen machten, auf andere Seiten oder andere Kontobücher verwiesen, verschiedene Arten von Vorräten in verschiedenen Büchern erfassten, und das alles nur, um es so schwer wie möglich zu machen, den genauen Ablauf zu verfolgen. Ein Anführer, der sich von den Eintragungen verwirren ließ, würde davon ausgehen, dass der Quartiermeister seine Arbeit tun musste.

Davon war hier nichts zu sehen. Welche Tricks Bavin auch immer bei den Einträgen benutzte, um seine Diebereien zu verschleiern, man musste sie beinahe schon als magisch bezeichnen. Und er stahl auf jeden Fall, oder teilte seine Lebensmittelvorräte auf zumindest ausgesprochen kreative Weise aus. Das war unvermeidbar. Die meisten Quartiermeister betrachteten so etwas nicht als Diebstahl; er hatte den Befehl über seine Vorräte, und das war es.

»Wie seltsam doch alles ist«, sagte Faile, als sie in dem Kontobuch herumblätterte. »Die seltsamen Pfade des Schicksals.«

»Meine Lady?«, fragte Bavin.

»Hm? Oh, nichts. Nur dass Torven Rikshans Lager seine Mahlzeiten jeden Abend eine gute Stunde vor den anderen Lagern erhielt. Das ist bestimmt nur ein Zufall.«

Bavin zögerte. »Zweifellos, meine Lady.«

Sie blätterte weiter in den Aufzeichnungen herum. Torvan Rikshan war ein Lord aus Cairhien, dem man die Aufsicht über eines der zwanzig Lager in der großen Masse der Flüchtlinge übertragen hatte. Für gewöhnlich hatte er eine außerordentlich große Anzahl Adliger in seinem Lager. Aravine hatte Faile darauf aufmerksam gemacht; sie war sich nicht sicher, was Torven getan hatte, um die Zutaten für seine Mahlzeiten schneller zu bekommen, aber das konnte so nicht weitergehen. Die anderen Lager würden möglicherweise der Ansicht sein, dass Perrin hier jemanden bevorzugte.

»Ja.« Faile lachte leise. »Bloß ein Zufall. In einem so großen Lager kommt so etwas eben vor. Erst letztens hat sich Varkel Tius bei mir darüber beschwert, dass er Zeltplane angefordert hat, um eingerissene Zelte zu flicken, aber er wartet nun schon seit fast einer Woche auf das Material. Dabei weiß ich genau, dass Soffi Moraton ihr Zelt während der Flussüberquerung zerriss, es aber am Abend schon wieder geflickt war.«

Bavin schwieg.

Faile erhob keine Beschuldigungen. Ihre Mutter hatte ihr eingeschärft, dass ein guter Quartiermeister zu wertvoll war, um ihn in den Kerker zu werfen, vor allem wenn der Nachfolger nur halb so fähig, dafür aber genauso korrupt war. Failes Pflicht lag nicht darin, Bavin zu entlarven oder zu beschämen. Er musste lediglich besorgt genug sein, um sich unter Kontrolle zu halten.

»Vielleicht könnt Ihr etwas wegen dieser Unregelmäßigkeiten unternehmen, Bavin«, sagte sie und schloss das Kontobuch. »Ich hasse es, Euch mit so albernen Angelegenheiten zu belästigen, aber die Probleme dürfen nicht an das Ohr meines Gemahls dringen. Ihr wisst, wie er ist, wenn er wütend ist.«

Tatsächlich war es so wahrscheinlich, dass Perrin einen Mann wie Bavin verletzte, wie Faile mit den Armen flattern und davonfliegen konnte. Aber das Lager sah das anders. Alle hatten Berichte über Perrins entfesselte Wut im Schlachtgetümmel gehört, dann waren da die Auseinandersetzungen, die Faile gelegentlich mit ihm hatte – die sie provozierte, damit eine vernünftige Diskussion zustande kam -, also nahmen sie an, dass er schrecklich jähzornig war. Das war gut so, solange sie ihn zugleich auch für ehrenhaft und freundlich hielten. Er beschützte seine Leute, aber die, die ihn verrieten, zogen seinen Zorn auf sich.

Faile stand von dem Hocker auf, drückte einem der Männer, der Tintenflecken an Fingern und Wams hatte, die Bücher in die Hand. Sie lächelte Bavin zu, dann verließ sie den Versorgungskreis. Missmutig fiel ihr auf, dass ein Büschel wilder Schalotten am Wegesrand in den wenigen Augenblicken, die vergangen waren, seit sie sie passiert hatte, verdorben war; die Stängel waren zerschmolzen und matschig, als hätten sie wochenlang in der Sonne gefault. Solche Schäden waren erst kürzlich im Lager aufgetreten, aber den Berichten nach zu urteilen, geschah es draußen im Land viel häufiger.

Da der Himmel so bewölkt war, fiel es schwer, die Zeit genau festzustellen, aber der dunkler werdende Horizont schien zu verkünden, dass der Augenblick gekommen war, sich mit Perrin zu treffen. Faile lächelte. Ihre Mutter hatte sie gewarnt, wie ihr Leben aussehen würde, hatte ihr gesagt, was man von ihr erwarten würde, und Faile hatte befürchtet, sich irgendwann wie eine Gefangene zu fühlen.

Aber was Deira nicht erwähnt hatte, war, wie erfüllend es sein würde. Perrin machte den Unterschied. Es war überhaupt keine Falle, zusammen mit ihm gefangen genommen worden zu sein.

Perrin stand mit einem Fuß auf dem Stumpf eines gefallenen Baumes und blickte nach Norden. Der Hügel ließ ihn über das Grasland zu den schroffen Klippen von Garens Wall sehen, die sich wie die Knöchel eines schlummernden Riesen erhoben.

Er öffnete den Geist und suchte nach Wölfen. In der Ferne gab es ein paar, beinahe zu schwach, um sie fühlen zu können. Wölfe hielten sich von großen Menschenansammlungen fern.

Hinter ihm breitete sich das Lager aus, an seinen Grenzen flackerten Wachfeuer. Der Hügel war weit genug weg, um abgeschieden zu sein, aber nicht so fern, um einsam zu sein. Er wusste nicht genau, warum Faile ihn gebeten hatte, ihn hier bei Sonnenuntergang zu treffen, aber sie hatte aufgeregt gerochen, also hatte er sie nicht bedrängt. Frauen mochten ihre Geheimnisse.

Er hörte Faile den Hügel hinaufsteigen, hörte die leisen Schritte auf feuchtem Gras. Sie war gut darin, leise zu sein – sicherlich nicht so gut wie Elyas oder einer der Aiel, aber besser, als man denken sollte. Doch er konnte ihren Geruch wahrnehmen, Seife mit Lavendel. Sie benutzte diese spezielle Seife nur an Tagen, die sie für besonders hielt.

Sie betrat den Hügel, wunderschön und eindrucksvoll. Sie trug eine violette Weste über einer langen Seidenbluse in einem helleren Farbton. Wo hatte sie die Kleidung her? Er hatte sie noch nie zuvor in dieser schönen Zusammenstellung gesehen.

» Mein Gemahl«, sagte sie und trat zu ihm. Schwach konnte er andere in der Nähe des Hügels hören – vermutlich Cha Faile. Sie hatte sie zurückgelassen. »Du siehst beunruhigt aus.«

»Es ist meine Schuld, dass Gill und die anderen gefangen wurden«, sagte er. »Meine Fehler häufen sich. Es ist ein Wunder, dass mir überhaupt noch jemand folgt.«

Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. »Perrin. Wir haben doch darüber gesprochen. Du darfst solche Dinge nicht sagen.«

»Warum nicht?«

»Weil ich dich nicht als Lügner kenne«, erwiderte sie in einem leicht tadelnden Tonfall.

Er sah sie an. Langsam wurde es dunkel, aber er konnte noch immer die Einzelheiten ausmachen. Ihr fiel das bedeutend schwerer.

»Warum wehrst du dich noch immer dagegen?«, fragte sie. »Du bist ein guter Anführer.«

»Ich hätte mich nicht für sie ergeben«, erwiderte er.

Sie runzelte die Stirn. »Was hat das mit…«

»In den Zwei Flüssen.« Perrin wandte sich von ihr ab und schaute wieder nach Norden. »Ich war bereit, es zu tun. Als die Weißmäntel Mats Familie und die Luhhans in ihrer Gewalt hatten, hätte ich mich ihnen ergeben. Dieses Mal hätte ich das nicht getan. Selbst als ich mit ihrem Anführer sprach und nach seinem Preis fragte, wusste ich, dass ich mich nicht ergeben würde.«

»Du wirst eben ein besserer Anführer.«

»Wie kannst du das sagen? Ich werde herzlos. Wenn du wüsstest, was ich tat, um dich zurückzubekommen, die Dinge, die ich getan hätte…« Er berührte den Hammer an seiner Seite. Reißzahn oder Kralle, Junger Bulle, das spielt keine Rolle. Er hatte die Axt weggeworfen, aber konnte er sie für seine Brutalität verantwortlich machen? Es war nur ein Werkzeug. Die gleichen schrecklichen Dinge konnte er auch mit dem Hammer anrichten.

»Das ist nicht herzlos«, sagte Faile, »oder selbstsüchtig. Du bist jetzt ein Lord, und man darf nicht verbreiten, dass man nur deine Untertanen gefangen nehmen muss, um deine Herrschaft zu unterminieren. Glaubst du, Königin Morgase hätte zu Gunsten von Tyrannen auf den Thron verzichtet, die ihre Untertanen entführen? Auf diese Weise kann kein Herrscher regieren. Nur weil du schlechte Männer nicht aufhalten kannst, macht dich das lange noch nicht selbst zu einem schlechten Mann.«

»Ich will diesen Mantel nicht, Faile. Ich wollte ihn nie.«

»Ich weiß.«

»Manchmal wünschte ich, ich hätte die Zwei Flüsse niemals verlassen. Ich wünschte, ich hätte Rand in sein Schicksal laufen lassen, damit die einfachen Leute ihr normales Leben fortführen können.«

Ein Hauch Verärgerung wehte ihm entgegen.

»Aber wäre ich geblieben«, fuhr er hastig fort, »hätte ich dich nie kennengelernt. Also bin ich froh, dass ich ging. Ich sage bloß, dass ich froh bin, wenn das alles hier vorbei ist und ich mich wieder einfacheren Dingen zuwenden kann.«

»Glaubst du, die Zwei Flüsse werden jemals wieder so sein, wie du sie in Erinnerung hast?«

Er zögerte. Sie hatte recht – schon bei ihrem Aufbruch dort hatte es Anzeichen von Veränderungen gegeben. Flüchtlinge von der anderen Seite des Berges kamen, die Dörfer wurden größer. Und wo sich ihm jetzt so viele junge Männer für den Krieg angeschlossen und sich in den Kopf gesetzt hatten, einen Lord haben zu müssen …

»Ich könnte einen anderen Ort finden«, erwiderte er und kam sich dabei wie ein sturer Bock vor. »Es gibt andere Dörfer. Nicht alle werden sich verändern.«

»Und du würdest mich mit in eines dieser Dörfer zerren, Perrin Aybara?«

»Ich …« Was würde geschehen, wenn Faile, seine wunderschöne Faile, in einem verschlafenen Dorf versauerte? Er hatte immer darauf bestanden, ein einfacher Schmied zu sein. Aber war Faile die Frau eines Dorfschmieds? »Ich würde dich niemals zu etwas zwingen«, sagte er und nahm ihr Gesicht in beide Hände. Er kam sich immer unbeholfen vor, wenn er ihre seidenen Wangen mit seinen dicken, schwieligen Fingern berührte.

»Ich würde gehen, wenn du es wirklich willst«, erwiderte sie. Das war merkwürdig. Eigentlich hätte er eine bissige Bemerkung erwartet, wo er doch wieder einmal so unbeholfen dahergeredet hatte. »Aber willst du das überhaupt? Von ganzem Herzen?«

»Ich weiß nicht, was ich will«, sagte er ganz offen. Nein, er wollte Faile nicht in irgendein Dorf zerren. »Vielleicht… ein Leben als Schmied in irgendeiner Stadt?«

»Wenn du das wünschst«, wiederholte sie. »Natürlich wären die Zwei Flüsse dann ohne Lord. Sie müssten jemand anderen finden.«

»Nein. Sie brauchen keinen Lord. Darum muss ich dafür sorgen, dass sie aufhören, mich wie einen zu behandeln.«

»Und du glaubst, dass sie diese Idee schnell wieder fallen lassen?« Sie roch amüsiert. »Nachdem sie erlebt haben, wie alle anderen diese Aufgabe erledigen? Nach der Art und Weise, wie sie für diesen Narren Luc schwärmten? Nachdem sie alle diese Leute von der Ebene von Almoth willkommen hießen, die einst Adlige waren?«

Was würden die Leute aus den Zwei Flüssen tun, wenn er als ihr Lord zurücktrat? In einem niederschmetternden Augenblick der Erkenntnis begriff er, dass Faile recht hatte. Sicherlich würden sie jemanden auswählen, der die Aufgabe besser als ich bewältigt, dachte er. Vielleicht Meister al’Vere.

Aber konnte er sich darauf verlassen? Männer wie Meister al’Vere oder Tarn würden die Position vermutlich ablehnen. Würden sie am Ende jemanden wie den alten Cenn Buie erwählen? Würden sie überhaupt eine Wahl haben? Wenn er zur Seite trat, konnte dann nicht jemand die Macht an sich reißen, der sich für einen Hochwohlgeborenen hielt?

Sei kein Narr, Perrin Aybara. So gut wie jeder wäre besser als du.

Und dennoch, der Gedanke, dass ein anderer die Kontrolle an sich riss und Anführer war, erfüllte ihn mit einer tiefen Unruhe. Und einem überraschenden Bedauern.

»Und jetzt hör auf zu grübeln«, sagte Faile. »Ich trage mich mit großen Absichten für diesen Abend.« Sie klatschte dreimal in die Hände, und unten bewegte sich etwas. Diener erklommen den Hügel. Perrin erkannte sie als Leute, die sie aus den Flüchtlingen erwählt hatte und die ihr gegenüber so loyal wie die Cha Faile waren.

Sie trugen Zelttuch, das sie auf dem Boden ausbreiteten. Das bedeckten sie mit einer Decke. Und welcher Duft stieg von unten in die Höhe? Schinken?

»Was gibt das, Faile?«

»Zuerst ging ich von der Annahme aus, dass du für unser Shanna’har etwas Besonderes geplant hattest«, sagte sie. »Aber als du es nie zur Sprache brachtest, wurde ich nervös, also habe ich gefragt. Anscheinend feiert ihr das in den Zwei Flüssen nicht, so seltsam das auch ist.«

»Shanna’har?«, fragte Perrin und kratzte sich am Kopf.

»In den kommenden Wochen sind wir ein Jahr verheiratet. Das ist unser erstes Shanna’har, die Feier unserer Heirat.« Faile verschränkte die Arme und sah zu, wie die Diener eine Mahlzeit auf der Decke arrangierten. »In Saldaea feiern wir das Shanna’har jedes Jahr im Frühsommer. Dieses Fest feiert, dass man ein weiteres Jahr zusammen verbracht hat, ein weiteres Jahr, ohne dass einer der beiden den Trollocs zum Opfer gefallen ist. Man rät jungen Paaren, ihr erstes Shanna’har zu genießen, so wie man den ersten Geschmack eines Festmahls genießt. Unsere Ehe wird nur einmal neu für uns sein.«

Die Diener servierten das Mahl und stellten mehrere Glasschüsseln auf, in denen Kerzen brannten. Faile entließ die Männer und Frauen mit einem Lächeln und einer Geste, und sie stiegen wieder den Hügel hinunter. Offensichtlich hatte sie viel Mühe darauf verwandt, dass das Mahl aufwendig aussah. Die Decke war mit Stickereien verziert, stammte vielleicht aus der Beute der Shaido. Das Essen war auf silbernen Tellern und Platten angerichtet, Schinken auf einem Bett aus gekochter Gerste mit Kapern. Es gab sogar Wein.

Faile trat näher an ihn heran. »Mir ist klar, dass es in diesem Jahr vieles gegeben hat, das man nicht würdigen kann. Maiden, der Prophet, der schlimme Winter. Aber falls diese Dinge der Preis dafür sind, bei dir zu sein, Perrin, dann würde ich ihn aus freiem Willen ein Dutzend Mal bezahlen.

Wäre alles in Ordnung, verbrächten wir den ganzen nächsten Monat damit, uns Geschenke zu machen, unsere Liebe zu bestätigen und unseren ersten Sommer als Mann und Frau zu feiern. Ich bezweifle, dass wir den Monat des Müßiggangs haben werden, der unser Recht ist, aber wir sollten zumindest diesen Abend miteinander verbringen und genießen.«

»Ich weiß nicht, ob ich das kann«, sagte er. »Die Weißmäntel, der Himmel… Beim Licht! Die Letzte Schlacht selbst steht unmittelbar bevor. Die Letzte Schlacht, Faile! Wie kann ich da feiern, während meinen Leuten die Hinrichtung droht und die Welt selbst sterben könnte?«

»Sollte die Welt selbst sterben«, sagte Faile, »ist das dann nicht der Augenblick, an dem sich ein Mann Zeit nehmen muss, um das zu würdigen, was er hat? Bevor ihm das alles genommen wird?«

Perrin zögerte. Sie legte ihm die Hand auf den Arm; ihre Berührung war so zart. Sie hatte ihre Stimme nicht erhoben. Wollte sie, dass er brüllte? Es war so schwer zu sagen, wann sie sich streiten wollte und wann nicht. Vielleicht hatte ja Elyas da einen Rat für ihn.

»Bitte«, sagte sie leise. »Versuch dich einen Abend lang zu entspannen. Für mich.«

»Also gut«, sagte er und legte die Hand auf die ihre.

Sie führte ihn zu der Decke, und sie setzten sich nebeneinander vor das Silbergeschirr. Faile entzündete an den von den Dienern entzündeten Kerzen weitere Lichter. Der Abend war kühl – die Wolken schienen die Wärme aufzusaugen. »Warum das draußen tun?«, fragte Perrin. »Und nicht in unserem Zelt?«

»Ich habe Tarn gefragt, was ihr in den Zwei Flüssen am Shanna’har macht«, sagte sie. »Und wie befürchtet musste ich erfahren, dass ihr das nicht feiert. Das ist wirklich ziemlich rückständig, was dir klar sein sollte – diesen Brauch müssen wir ändern, sobald sich die Dinge beruhigt haben. Aber wie dem auch sei, Tarn sagt, am Nächsten käme dem noch etwas, das er und seine Frau taten. Einmal im Jahr packten sie eine Mahlzeit ein, die so extravagant war, wie sie es sich nur leisten konnten, und gingen zu einer neuen Stelle im Wald. Dort aßen sie und verbrachten den Tag miteinander.« Sie schmiegte sich eng an ihn. »Unsere Hochzeit feierten wir nach den Traditionen der Zwei Flüsse, also wollte ich, dass dieser Tag auf ähnliche Weise verläuft.«

Er lächelte. Trotz seiner Einwände nahm seine Anspannung ab. Das Essen roch gut, und ihm knurrte der Magen, was Faile veranlasste, sich aufzusetzen und ihm seinen Teller zu reichen.

Er aß mit Appetit. Er versuchte, auf seine Manieren zu achten, aber das Essen war ausgezeichnet, und es war ein langer Tag gewesen. Er stürzte sich auf den Schinken, gab sich aber Mühe, die schicke Decke nicht vollzutropfen.

Faile aß langsamer; der Duft von Belustigung mischte sich in den ihrer Seife.

»Was?« Perrin wischte sich den Mund ab. Jetzt, wo die Sonne ganz untergegangen war, wurde sie nur noch von den Kerzen beleuchtet.

»Es ist viel vom Wolf in dir, mein Gemahl.«

Er erstarrte und wurde sich bewusst, dass er sich die Finger abgeleckt hatte. Mit einem leisen, auf sich selbst gemünztes Knurren wischte er sie mit einer Serviette ab. Sosehr er Wölfe mochte, hätte er sie dennoch nicht dazu eingeladen, mit ihm am Tisch zu essen. »Es ist zu viel vom Wolf in mir«, sagte er.

»Du bist, was du bist, mein Gemahl. Und zufällig liebe ich, was du bist, also geht das in Ordnung.«

Er widmete sich wieder seinem Schinken. Der Abend war still, die Diener hatten sich weit genug zurückgezogen, dass er sie weder hören noch riechen konnte. Vermutlich hatte Faile Anweisung gegeben, dass man sie nicht stören sollte, und dank der Bäume am Fuß des Hügels mussten sie sich keine Sorgen wegen Zuschauern machen.

»Faile«, sagte er leise, »du musst wissen, was ich getan habe, als du Gefangene warst. Ich tat Dinge, bei denen ich Angst hatte, dass sie mich in jemanden verwandeln, den du nicht länger haben wollen würdest. Es war nicht nur die Abmachung mit den Seanchanern. Da waren die Bewohner einer Stadt, So Habor, an die ich immer denken muss. Menschen, denen ich vielleicht hätte helfen sollen. Und dann war da ein Shaido, der die Hand …«

»Davon hörte ich. Anscheinend hast du getan, was du tun musstest.«

»Ich wäre noch viel weiter gegangen«, gab Perrin zu. »Und hätte mich die ganze Zeit gehasst. Du sprachst davon, dass ein Lord stark genug sein muss, um sich nicht manipulieren zu lassen. Nun, so stark werde ich nie sein. Nicht, wenn man dich mir nimmt.«

»Dann werden wir dafür sorgen müssen, dass mich keiner entführt.«

»Es könnte mich vernichten, Faile«, sagte er leise. »Ich glaube, mit allem anderen käme ich zurecht. Aber wenn du gegen mich benutzt wirst, ist nichts von Bedeutung. Ich würde alles tun, um dich zu beschützen, Faile. Alles.«

»Vielleicht solltest du mich dann in ein weiches Tuch hüllen und in einer verschlossenen Truhe aufbewahren«, sagte sie trocken. Seltsamerweise war sie nicht verärgert, das verriet ihm ihr Geruch.

»Das würde ich nicht tun«, sagte er. »Das weißt du. Aber es bedeutet, dass ich eine Schwäche habe, sogar eine schreckliche. Die Art Schwäche, die sich ein Anführer nicht leisten kann.«

Sie schnaubte. »Glaubst du, andere Anführer haben keine Schwächen? Jeder Monarch von Saldaea hat eine. Nikiol Dianatkhah war ein Säufer, obwohl er als einer unserer größten Könige galt, und Belairah heiratete und verstieß ihren Mann viermal. Ihr Herz brachte ihr immer nur Ärger ein. Jonasim hatte einen Sohn, dessen Spielschulden um ein Haar ihr Haus in den Ruin trieb, und Lyonford konnte sein Temperament nicht unter Kontrolle halten, wenn man ihn herausforderte. Jeder von ihnen war ein großer Regent. Und sie alle hatten ihre Schwächen.«

Nachdenklich kaute Perrin weiter.

»In den Grenzlanden haben wir ein Sprichwort: ›Ein poliertes Schwert spiegelt die Wahrheit wider‹. Ein Mann kann behaupten, seine Pflichten gewissenhaft zu erfüllen, aber wenn sein Schwert nicht poliert ist, dann weiß man, dass er faul war.

Nun, dein Schwert glänzt hell, mein Gemahl. In den vergangenen Wochen hast du immer wieder behauptet, dass du während meiner Gefangenschaft ein schlechter Anführer warst. Du hast mich glauben lassen, dass du das ganze Lager in den Ruin getrieben hast! Aber das stimmt überhaupt nicht. Du hast dafür gesorgt, dass sie konzentriert waren; du hast sie inspiriert, ein starkes Vorbild geboten und dich wie ein Lord benommen.«

»Darum hat sich zum großen Teil Berelain gekümmert«, sagte er. »Ich glaube fast, die Frau hätte mich höchstpersönlich gebadet, wäre ich noch einen weiteren Tag ohne herumgelaufen.«

»Ich bin sicher, das wäre gar nicht gut für die Gerüchte gewesen«, meinte sie trocken. »Faile, ich…«

»Um Berelain kümmere ich mich«, sagte sie. Ihre Stimme klang gefährlich. »Das ist eine Pflicht, mit der du dich nicht belasten musst.«

»Aber…«

»Ich kümmere mich um sie«, sagte Faile nun energischer. Es war nicht besonders klug, sie herauszufordern, wenn sie so roch, es sei denn, er wollte einen Streit vom Zaun brechen. Sie entspannte sich und nahm noch eine Gabel Gerste. »Als ich sagte, du seist wie ein Wolf, mein Gemahl, da meinte ich nicht deine Tischmanieren. Ich sprach davon, wie du etwas deine Aufmerksamkeit schenkst. Du bist getrieben. Hast du ein Problem zu lösen, ganz egal, wie groß es ist, wirst du das auch erledigen.

Begreifst du das nicht? Für einen Anführer ist es eine großartige Eigenschaft. Es ist genau das, was die Zwei Flüsse brauchen. Natürlich unter der Voraussetzung, dass du eine Frau hast, die sich um die nebensächlichen Dinge kümmert.« Sie runzelte die Stirn. »Ich wünschte, du hättest mit mir über das Banner gesprochen, bevor es verbrannt wurde. Es wird schwer werden, es wieder zu hissen, ohne dabei dumm auszusehen.«

»Ich will es nicht mehr hissen«, sagte Perrin. »Darum ließ ich es ja verbrennen.«

»Aber warum?«

Er nahm einen weiteren Bissen Schinken und sah sie bewusst nicht an. Sie roch fast schon verzweifelt neugierig.

Ich kann sie nicht anführen, dachte er, nicht bis ich weiß, ob ich den Wolf beherrschen kann. Wie sollte er das erklären? Dass er sich vor der Art und Weise fürchtete, wie der Wolf die Kontrolle über ihn übernahm, wenn er kämpfte oder etwas zu sehr wollte?

Er würde die Wölfe nicht loswerden; dazu waren sie viel zu sehr ein Teil von ihm geworden. Aber was würde mit seinen Leuten geschehen oder mit Faile, wenn er sich in dem verlor, was da in ihm war?

Er musste wieder an die dreckige Kreatur denken, die einst ein Mann und dann in dem Käfig weggesperrt gewesen war. In dem ist nichts mehr, das sich daran erinnert, ein Mensch gewesen zu sein…

»Mein Gemahl«, sagte Faile und legte ihm die Hand auf den Arm. »Bitte.« Sie roch gequält. Das versetzte ihm einen Stich ins Herz.

»Es hat mit diesen Weißmänteln zu tun«, sagte er.

»Was? Perrin, ich dachte, ich hätte …«

»Es hat mit etwas zu tun«, sagte er fest, »das mit mir geschah, als ich das erste Mal auf sie traf. Und was ich in den Tagen zuvor entdeckte.«

Faile runzelte die Stirn.

»Ich habe dir erzählt, dass ich zwei Weißmäntel tötete. Bevor ich dich kennenlernte.«

»Ja.«

»Mach es dir bequem«, sagte er. »Du musst die ganze Geschichte kennen.«

Und er erzählte es ihr. Zuerst zögernd kamen die Worte, dann müheloser. Er sprach von Shadar Logoth, und wie ihre Gruppe getrennt worden war. Wie Egwene ihm die Führung überlassen hatte, vielleicht das erste Mal, dass er dazu gezwungen worden war.

Von seiner Begegnung mit Elyas hatte er ihr bereits erzählt. Sie wusste viel über ihn, Dinge, die er nie jemand anderem anvertraut hatte, Dinge, über die er nie mit Elyas gesprochen hatte. Sie wusste über den Wolf Bescheid. Sie wusste, dass er Angst hatte, sich darin zu verlieren.

Aber sie wusste nicht, was er im Kampf empfand. Sie wusste nicht, wie es sich angefühlt hatte, diese Weißmäntel zu töten und ihr Blut zu schmecken – entweder in seinem Mund oder durch seine Verbindung zu den Wölfen. Sie wusste nicht, wie es gewesen war, von Zorn, Furcht und Verzweiflung verschlungen zu werden, als man sie entführt hatte. Das waren die Dinge, die er zögernd erklärte.

Er erzählte ihr von der Raserei, in die er verfallen war, als er im Wolfstraum nach ihr gesucht hatte. Er sprach von Noam und über seine Befürchtungen, was mit ihm geschehen würde. Und wie das in Zusammenhang mit seinem Verhalten im Kampf stand.

Faile saß still auf dem Hügel und hörte zu, die Arme um die Knie gelegt, vom Kerzenlicht beleuchtet. Ihre Gerüche waren gedämpft. Vielleicht hätte er ein paar Dinge für sich behalten sollen. Keine Frau wollte wissen, zu was für einer Bestie ihr Mann wurde, wenn er tötete, oder? Aber als er einmal sprach, wollte er sich von seinen Geheimnissen befreien. Er war sie so leid.

Jedes ausgesprochene Wort entspannte ihn mehr. Es vollbrachte das, was die Mahlzeit, so rührend sie auch gewesen war, nicht geschafft hatte. Indem er ihr von seinem innerlichen Ringen erzählte, fühlte er, wie sich ein Teil der Last auflöste.

Am Ende sprach er von Springer. Er vermochte nicht genau zu sagen, warum er den Wolf bis zuletzt aufgespart hatte; Springer war Teil von vielem, was er bereits gesagt hatte – die Weißmäntel, der Wolfstraum. Aber es erschien richtig, Springer bis zum Schluss aufzubewahren, also tat er es.

Als er geendet hatte, starrte er in die Flamme einer der Kerzen. Zwei von ihnen waren erloschen, aber andere flackerten noch. Für seine Augen gab es kein Dämmerlicht. Er konnte sich kaum noch daran erinnern, wie die Tage gewesen waren, als seine Sinne so schwach wie die eines gewöhnlichen Menschen gewesen waren.

Faile lehnte sich an ihn und schlang seine Arme um sich. »Danke«, sagte sie.

Er stieß einen tiefen Seufzer aus, lehnte sich an den Stumpf hinter ihm und fühlte ihre Wärme.

»Ich möchte dir von Maiden erzählen«, sagte sie.

»Das musst du nicht«, sagte er. »Nur weil ich …«

»Pst. Ich habe geschwiegen, als du sprachst. Jetzt bin ich an der Reihe.«

»Also gut.«

Von Maiden zu hören hätte schlimm für ihn sein müssen. Er lehnte sich mit dem Rücken an den Baumstumpf; der Himmel über ihm knisterte vor Energie, das Muster selbst war in Gefahr, sich aufzulösen, und seine Frau erzählte davon, wie man sie gefangen genommen und geschlagen hatte. Und doch gehörte es auf eine merkwürdige Weise zu den entspannendsten Dingen, die er je erlebt hatte.

Die Geschehnisse in dieser Stadt waren wichtig für sie gewesen, vielleicht hatten sie ihr sogar gutgetan. Auch wenn es ihn wütend machte, als er hörte, wie Sevanna sie nackt gefesselt und über Nacht so hatte liegen lassen. Eines Tages würde er diese Frau zur Strecke bringen.

Aber nicht heute. Heute hielt er seine Frau in den Armen, und ihre starke Stimme war ein Trost. Er hätte wissen müssen, dass sie ihre Flucht geplant hatte. Als er von ihren sorgfältigen Vorbereitungen hörte, fing er sogar an, sich wie ein Narr zu fühlen. Sie hatte sich Sorgen gemacht, dass er bei einem Rettungsversuch umkommen würde – das sagte sie zwar nicht, aber er hörte es heraus. Wie gut sie ihn doch kannte.

Ein paar Dinge ließ Faile aus. Das störte ihn nicht. Ohne ihre Geheimnisse wäre Faile wie ein Tier im Käfig gewesen.

Aber er bekam ein paar gute Anhaltspunkte, was sie ihm vorenthielt. Es hatte etwas mit diesem Bruderlosen zu tun, der sie gefangen hatte, etwas mit ihren Plänen, den Mann und seine Freunde dazu zu verleiten, ihr bei der Flucht zu helfen. Vielleicht hatte sie ihn gemocht und wollte nicht, dass Perrin es bereute, ihn getötet zu haben. Das war unnötig. Diese Bruderlosen waren bei den Shaido gewesen, und sie hatten Männer angegriffen und getötet, die unter Perrins Schutz gestanden hatten. Keine freundliche Tat würde das wiedergutmachen können. Sie verdienten ihren Tod.

Das ließ ihn innehalten. Vermutlich sagten die Weißmäntel sehr ähnliche Dinge über ihn. Aber die Weißmäntel hatten zuerst angegriffen.

Sie kam zum Ende. Es war schon sehr spät, und Perrin griff nach einem Bündel, das Failes Diener mitgebracht hatten, und zog eine Decke heraus.

» Und?«, fragte Faile, als er es sich bequem machte und wieder die Arme um sie legte.

»Ich bin überrascht, dass du mich nicht angebrüllt hast, weil ich wie ein wilder Stier anstürmte und deine ganzen Pläne zunichtemachte.«

Das rief bei ihr einen zufriedenen Geruch hervor. Es war nicht das Gefühl, mit dem er gerechnet hatte, aber er hatte schon vor langer Zeit aufgegeben, die Gedankengänge von Frauen ergründen zu wollen.

»Ich hätte die Sache heute Abend beinahe angesprochen«, sagte Faile, »damit wir uns ordentlich darüber streiten und angemessen versöhnen können.«

»Und warum hast du es nicht getan?«

»Ich entschied, dass diese Nacht nach der Sitte der Zwei Flüsse ablaufen sollte.«

»Und du glaubst ernsthaft, dass sich Ehemänner und ihre Frauen in den Zwei Flüssen nicht streiten?«, fragte er amüsiert.

»Nun, möglicherweise schon. Aber du erscheinst immer so unbehaglich, wenn wir uns anschreien, mein Gemahl. Ich bin sehr froh, dass du angefangen hast, für dich selbst einzutreten, so wie es sich gehört. Aber ich habe dir viel abverlangt, dich an meine Sitten anzupassen. Ich fand, heute Nacht sollte ich versuchen, mich an deine anzupassen.«

Das waren Worte, wie er sie nie von Faile zu hören erwartet hätte. Es erschien als die persönlichste Sache, die sie ihm je geben konnte. Verlegen fühlte er Tränen in den Augen, und er zog sie enger an sich.

»Natürlich bin ich kein braves Schaf«, sagte sie.

»Das käme mir niemals in den Sinn«, eerwiderte er. »Niemals. «

Sie roch zufrieden.

»Es tut mir leid, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass du aus eigener Kraft entkommst«, sagte Perrin. »Ich vergebe dir.«

Er blickte in diese wunderschönen dunklen Augen, in denen sich das Kerzenlicht spiegelte. »Heißt das, wir können uns ohne den Streit versöhnen?«

Sie lächelte. »Ich erlaube es, dieses eine Mal. Und natürlich haben die Diener den strikten Befehl, für unsere Abgeschiedenheit zu sorgen.«

Er küsste sie. Es fühlte sich so ungemein richtig an, und er wusste, dass sein Kummer und das Unbehagen, das seit Maiden zwischen ihnen gestanden hatte, vorbei waren. Ob es das nun wirklich gegeben oder er es sich nur eingebildet hatte, es war vorüber.

Er hatte Faile zurück. Wahrhaftig und völlig.

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