10 Nach dem Makel

Ich stimme diesen Zahlen zu«, sagte Elyas, der an Perrins Seite ging. Grady in seinem schwarzen Mantel ging nachdenklich auf der anderen Seite. Montem al’Shan und Azi al’Thone – Perrins Leibwächter für den Tag – folgten ihnen.

Es war noch früh am Morgen. Angeblich überprüfte Perrin die Wachtposten, aber eigentlich wollte er bloß ein Stück laufen. Sie hatten das Lager auf eine höher gelegene Wiese neben der Jehannahstraße verlegt. Es gab eine vernünftige Wasserversorgung und lag nahe genug an der Straße, um sie zu kontrollieren, aber weit genug abseits, um verteidigt werden zu können.

Auf der einen Seite der Wiese lag vor einer Baumgruppe eine uralte Statue. Die Statue war vor langer Zeit umgestürzt, der größte Teil von ihr war mittlerweile im Boden versunken, aber ein Arm erhob sich aus der Erde und hielt einen Schwertgriff. Die Klinge steckte im Boden.

»Ich hätte Gill und die anderen nicht vorausschicken sollen«, sagte Perrin. »So konnten sie von der ersten vorbeikommenden Streitmacht gefangen genommen werden.«

»Das konntest du nicht voraussehen«, sagte Elyas. »So wie du nicht voraussehen konntest, aufgehalten zu werden. Wo hättest du sie lassen sollen? Von hinten kamen Shaido näher, und wäre unsere Schlacht bei Maiden nicht gut verlaufen, hätten Gill und die anderen zwischen zwei Gruppen feindlicher Aiel festgesteckt.«

Perrin knurrte leise. Seine Stiefel sanken in den feuchten Untergrund ein. Er hasste den Geruch von zertrampelten Schlamm vermischt mit verfaulenden toten Pflanzen. Das war zwar nicht annähernd so schlimm wie der Verfall der Großen Fäule, aber er konnte den Eindruck nicht abschütteln, dass das ganze Land nur wenige Schritte davon entfernt war.

Sie näherten sich dem Wachtposten. Zwei Männer – Hu Barran und Darl Coplin – standen dort Wache. Natürlich würde es zusätzliche Späher geben: Männer aus den Zwei Flüssen auf Bäumen, Töchter auf Patrouille in der Umgebung. Aber er hatte gelernt, dass ein paar um ein Lager herum aufgestellte Männer allen ein Gefühl der Ordnung vermittelten.

Die Wächter salutierten, obwohl Darls Gruß nachlässig war. Sie verströmten eine seltsame Mischung aus Gerüchen – Bedauern, Frustration, Enttäuschung. Und Verlegenheit. Letzteres war schwach, aber immer noch vorhanden. Sein angebliches Techtelmechtel mit Berelain war noch immer in ihren Gedanken, und Failes Rückkehr schien ihr Unbehagen zu verstärken. In den Zwei Flüssen streifte man den Ruf von Untreue nicht so ohne Weiteres ab.

Perrin nickte ihnen zu und ging weiter. Er inspizierte nichts genau. Wenn die Männer wussten, dass er jeden Tag vorbeikam, würden sie schon für Ordnung sorgen. Jedenfalls größtenteils. Vergangene Nacht hatte er den schlafenden Berin Thane mit dem Stiefel wecken müssen, und er achtete stets sorgfältig darauf, ob der Geruch von Alkohol in der Luft lag. Er hielt es nicht für ausgeschlossen, dass Jori Congar auf Posten einen oder zwei Schlucke zu sich nahm.

»Also gut«, sagte er. »Die Weißmäntel haben unsere Leute und unsere Vorräte.« Er verzog das Gesicht bei dem Gedanken, dass das in So Habor gekaufte Getreide die Bäuche von Weißmänteln füllte. »Können wir uns anschleichen und sie befreien?«

»Warum sollten wir uns anschleichen müssen?«, sagte Grady hinter ihm. »Entschuldigt, mein Lord, aber Ihr scheint dieses Problem größer zu machen, als es ist.«

Perrin wandte den Kopf und warf dem lederhäutigen Mann einen Blick zu. »Es sind Weißmäntel, Grady. Sie sind immer ein großes Problem.«

»Sie werden niemanden haben, der die Eine Macht lenken kann.« Grady zuckte mit den Schultern, die Hände beim Gehen hinter dem Rücken verschränkt. Mit dem schwarzen Mantel, der Anstecknadel und der ständig wachsenden soldatenhaften Haltung wirkte er immer weniger wie ein Bauer. »Neald geht es besser. Er und ich könnten auf diese Kinder einschlagen, bis sie uns geben, was wir wollen.«

Perrin nickte. Er verabscheute die Idee, die Asha’man ungestraft losschlagen zu lassen. Der Geruch von brennendem Fleisch in der Luft, gesprengte Erde. Der Gestank von Dumai. Andererseits konnte er sich keine weitere Ablenkung wie Maiden leisten. Gab es keine andere Wahl, würde er den Befehl geben.

Aber noch nicht. Bei Ta’veren gibt es keine Zufälle. Die Wölfe, die Weißmäntel. Dinge, vor denen er schon lange fortlief, kehrten zurück, um ihn heimzusuchen. Er hatte die Kinder aus den Zwei Flüssen vertrieben. Viele der Männer, die damals bei ihm gewesen waren, waren ihm hierher gefolgt.

»Vielleicht kommt es so weit«, sagte er zu Grady und ging weiter. »Vielleicht auch nicht. Unsere Streitmacht ist größer als die ihre, und da dieses verfluchte Wolfskopfbanner endlich eingeholt ist, ist ihnen vielleicht nicht klar, wer wir sind. Wir haben das Banner der Königin von Ghealdan aufgezogen, und sie durchqueren Alliandres Territorium. Vermutlich sahen sie die Vorräte in den Wagen unserer Leute und entschieden, sie zu ›beschützen‹. Ein Gespräch und vielleicht eine gewisse Einschüchterung könnten reichen, um sie dazu zu überreden, unsere Leute gehen zu lassen.«

Elyas nickte, und auch Grady schien zuzustimmen, obwohl Perrin von seinen eigenen Worten nicht überzeugt war. Die Weißmäntel hatten ihn seit seinem ersten Aufbruch aus den Zwei Flüssen verfolgt. Der Umgang mit ihnen war nie einfach gewesen.

Es fühlte sich an, als sei endlich der Augenblick gekommen.

Die Zeit, um seinen Problemen mit ihnen ein Ende zu bereiten, auf die eine oder andere Weise.

Er setzte seine Runde fort und kam zum Aielteil des Lagers. Er nickte zwei Töchtern zu, die mit entspannter Aufmerksamkeit auf ihren Posten waren. Sie standen nicht auf oder salutierten – was ihm gefiel -, aber sie nickten ihm zu. Anscheinend hatte er in ihren Augen viel an li gewonnen, so wie er den Angriff auf die Shaido geplant und dann durchgeführt hatte.

Die Aiel kümmerten sich um ihre eigenen Wachtposten, und er hatte keinen Grund, sie zu inspizieren. Aber er schloss sie trotzdem in seine Runden ein. Wenn er schon die anderen Teile des Lagers besuchte, dann auch diesen hier.

Plötzlich blieb Grady wie angewurzelt stehen und fuhr zum Zelt der Weisen Frauen herum.

»Was?«, fragte Perrin drängend und schaute sich um. Er konnte nichts Ungewöhnliches entdecken.

Grady lächelte. »Ich glaube, sie haben es geschafft.« Er betrat das Lager der Aiel und ignorierte die finsteren Blicke, die ihm einige Töchter zuwarfen. Ob Asha’man oder nicht, wäre Perrin nicht da gewesen, hätten sie ihn womöglich herausgeworfen.

Neald, dachte Perrin. Er arbeitet mit den Aes Sedai, um das mit den Zirkeln zu ergründen. Falls Grady etwas in den Geweben gesehen hatte …

Perrin folgte ihm, und bald erreichten sie den Zeltkreis der Weisen Frauen im Mittelpunkt des Aiel-Lagers. Hier war der Boden trocken und fest – vermutlich durch Gewebe. Neald, Edarra und Masuri saßen dort. Fager Neald war ein junger Murandianer mit einem Schnurrbart, der zu Spitzen gezwirbelt war. Er trug am Kragen des schwarzen Mantels keine Anstecknadeln, obwohl er vermutlich sofort nach der Rückkehr der Gruppe von ihrem Auftrag erhoben werden würde. Seit ihrem Ausbruch war er in der Einen Macht gewachsen.

Er war noch immer blass von den Schlangenbissen, sah aber bereits viel besser aus als noch vor ein paar Tagen. Er lächelte und starrte vor sich in die Luft, und er roch ausgelassen.

Ein großes Wegetor zerriss die Luft. Perrin grunzte. Anscheinend führte es zurück an einen Ort, an dem sie vor mehreren Wochen gelagert hatten – ein offenes, aber unbedeutendes Feld.

»Es funktioniert?«, fragte Grady und kniete neben Neald nieder.

»Es ist wunderschön, Jur«, sagte Neald leise. In seiner Stimme war nichts von der Prahlerei zu hören, die er oft zeigte. »Ich kann Saidar fühlen. Es ist, als wäre ich jetzt vollständiger.«

»Ihr lenkt es?«, fragte Perrin.

»Nein. Das brauche ich nicht. Ich kann es benutzen.«

»Wie benutzen?«, fragte Grady begierig.

»Ich … Es ist schwer zu erklären. Die Gewebe sind Saidin, aber ich scheine sie mit Saidar verstärken zu können. Solange ich das Wegetor selber erschaffe, kann ich anscheinend die Macht und seine Größe mit dem verstärken, was mir die Frauen leihen. Beim Licht! Es ist wunderbar. Wir hätten das schon vor Monaten machen sollen.«

Perrin musterte die beiden Frauen, Masuri und Edarra. Keine von ihnen schien so begeistert wie Neald zu sein. Masuri sah aus, als wäre ihr leicht übel, und sie roch ängstlich. Edarra roch neugierig und misstrauisch. Grady hatte erwähnt, dass man einen Zirkel auf diese Weise nur erschaffen konnte, wenn die Männer die Kontrolle über die Frauen erlangten.

»Dann schicken wir den Spähtrupp bald nach Caemlyn«, sagte Perrin und spielte an dem Geschicklichkeitsspiel in seiner Tasche herum. »Grady, bereitet die Mission mit den Aiel vor, macht die Wegetore so, wie sie es wollen.«

»Ja, mein Lord«, sagte Grady und rieb sich das Gesicht. »Ich sollte wohl besser diese Technik lernen, statt mit den Runden fortzufahren. Obwohl es da etwas gibt, über das ich vorher mit Euch sprechen wollte. Wenn Ihr die Zeit habt.«

»Wenn Ihr wollt«, sagte Perrin und entfernte sich von der Gruppe. Von der Seite kamen mehrere der anderen Weisen Frauen und sagten Neald, dass sie an der Reihe waren, den Zirkel mit ihm zu probieren. Sie benahmen sich nicht im Mindesten, als hätte Neald das Kommando, und er beeilte sich zu gehorchen. Er benahm sich sehr vorsichtig in Gegenwart der Aiel, seit er einer Tochter gegenüber zu anzüglich gewesen war und den Tochterkuss hatte spielen müssen.

»Worum geht es, Grady?«, fragte Perrin, sobald sie weiter weg waren.

»Nun, wie es aussieht, fühlen sich Neald wie auch ich gut genug, um Tore zu erschaffen«, sagte Grady. »Ich habe mich gefragt, ob ich vielleicht…« Er schien zu zögern. »Nun, ob ich vielleicht für einen Nachmittag Ausgang bekomme, um in der Schwarzen Burg meine Familie zu besuchen?«

Stimmt ja, dachte Perrin. Er hat Frau und Sohn. Der Asha’man sprach nicht oft von ihnen. Eigentlich sprach er überhaupt nicht oft.

»Ich weiß nicht, Grady«, sagte er und schaute zum dunkel bewölkten Himmel hinauf. »Die Weißmäntel warten auf uns, und wir wissen noch immer nicht mit Sicherheit, ob die Shaido einen Bogen schlagen und uns aus dem Hinterhalt angreifen werden. Ich möchte nur ungern auf Euch verzichten, bis ich weiß, dass wir in Sicherheit sind.«

»Es muss nicht lange sein, mein Lord«, sagte Grady ernst. Manchmal vergaß Perrin, wie jung der Mann noch war, nur sechs oder sieben Jahre älter als er selbst. In diesem schwarzen Mantel und dem sonnenverbrannten Gesicht erschien Grady so viel älter.

»Wir finden den richtigen Zeitpunkt dazu«, sagte Perrin. »Bald. Ich möchte nichts verändern, bis wir wissen, was seit unserem Aufbruch alles passiert ist.« Informationen konnten sehr mächtig sein. Das hatte ihn Balwer gelehrt.

Grady nickte und sah beschwichtigt aus, obwohl ihm Perrin nichts Genaues versprochen hatte. Beim Licht! Selbst die Asha’man fingen an wie Leute zu riechen, die ihn als ihren Herrn betrachteten. Dabei waren sie so reserviert gewesen, als das alles angefangen hatte.

»Ihr habt Euch deswegen noch nie zuvor Sorgen gemacht, Grady«, sagte er. »Hat sich etwas verändert?«

»Alles«, erwiderte Grady leise. Perrin bekam einen winzigen Hauch seines Duftes mit. Hoffnung. »Es veränderte sich vor ein paar Wochen. Aber natürlich wisst Ihr das nicht. Niemand weiß es. Fager und ich waren uns zuerst nicht sicher, und wir wussten nicht, ob wir es jemand sagen sollten, weil wir Angst hatten, für verrückt erklärt zu werden.«

» Was denn wissen?«

»Mein Lord. Der Makel. Es ist weg.«

Perrin runzelte die Stirn. Sprach da der Wahnsinn? Aber Grady roch nicht wahnsinnig.

»Es geschah an dem Tag, an dem wir etwas im Norden sahen«, sagte Grady. »Mein Lord, ich weiß, dass es unglaublich klingt, aber es ist wahr.«

»Scheint die Art von Sache zu sein, die Rand bewerkstelligen würde«, sagte Perrin. Die Farben wirbelten vor seinen Augen. Er verdrängte sie. »Wenn Ihr das sagt, vertraue ich Euch, Grady. Aber was hat das mit der Schwarzen Burg und Eurer Familie zu tun? Ihr wollt sehen, ob die anderen Asha’man das auch so empfinden?«

»Oh, das werden sie. Es ist… nun, mein Lord. Ich bin ein einfacher Mann. Sora, sie ist immer die Denkerin gewesen. Ich tue, was getan werden muss, und das ist es. Nun, sich der Schwarzen Burg anzuschließen, das war etwas, das getan werden musste. Ich wusste, was passieren würde, als man mich der Prüfung unterzog. Ich wusste, was in mir schlummert. Es war auch in meinem Vater, müsst Ihr wissen. Wir sprechen nicht darüber, aber es war da. Die Roten spürten ihn jung auf, direkt nach meiner Geburt.

Als ich mich dem Lord Drache anschloss, da wusste ich, was mit mir passieren wird. Noch ein paar Jahre, und mich würde es nicht mehr geben. Also konnte ich sie genauso gut kämpfend verbringen. Der Lord Drache sagte mir, dass ich ein Soldat bin, und ein Soldat darf seinen Posten nicht verlassen. Also habe ich bis jetzt nicht darum gebeten, zurückkehren zu dürfen. Ihr brauchtet mich.«

»Das hat sich geändert?«

»Mein Lord, der Makel ist weg. Ich verliere nicht den Verstand. Das bedeutet… nun, ich hatte immer einen Grund, um zu kämpfen. Aber jetzt habe ich auch einen Grund, um zu leben.«

Perrin sah dem Mann in die Augen und verstand. Wie musste das gewesen sein? Das Wissen, dass man irgendwann den Verstand verlieren und hingerichtet werden musste? Vermutlich von seinen Freunden, die es als Gnade bezeichnen würden.

Das war es, was er die ganze Zeit in den Asha’man gespürt hatte, der Grund, warum sie sich abseits von anderen hielten, oft so ernst erschienen. Jeder andere kämpfte um sein Leben. Die Asha’man … sie kämpften, um zu sterben.

So denkt Rand. Wieder wirbelten die Farben, und sein Freund erschien vor seinem inneren Auge. Er ritt auf seinem großen schwarzen Pferd durch eine Stadt mit schlammigen Straßen und unterhielt sich mit Nynaeve, die neben ihm ritt.

Perrin schüttelte den Kopf und verbannte das Bild. »Wir schaffen Euch nach Hause, Grady«, versprach er. »Ihr sollt vor dem Ende Zeit mit Eurer Frau verbringen können.«

Grady nickte und schaute in den Himmel, als aus dem Norden ein leises Donnern kam. »Ich will bloß mit ihr sprechen, wisst Ihr? Und ich muss den kleinen Gadren wiedersehen. Ich werde den Burschen gar nicht wiedererkennen.«

»Er ist bestimmt ein hübscher Junge, Grady.«

Grady lachte. Es fühlte sich seltsam an, so etwas von diesem Mann zu hören. Seltsam, aber gut. »Hübsch? Gadren? Nein, mein Lord, er mag groß für sein Alter sein, aber er ist etwa so hübsch wie ein Baumstumpf. Trotzdem liebe ich ihn über alles.« Er schüttelte amüsiert den Kopf. »Aber ich sollte gehen und diesen Trick mit Neald lernen. Vielen Dank, mein Lord.«

Perrin sah ihm lächelnd nach, als eine Tochter ins Lager eilte. Sie erstattete den Weisen Frauen Bericht, sprach aber laut genug, dass er es mitbekam. »Ein Fremder reitet auf der Straße dem Lager entgegen. Er trägt eine Friedensflagge, aber er trägt die Kleidung dieser Kinder des Lichts.«

Er nickte und sammelte seine Wächter ein. Als er dem Lagereingang entgegeneilte, erschien Tarn und begleitete ihn. Sie trafen gerade in dem Moment ein, in dem der Weißmantel sich den ersten Wächtern näherte. Der Mann ritt auf einem weißen Wallach, und er trug eine lange Stange mit dem weißen Banner. Seine weiße Kleidung – ein Kettenhemd mit einem Wappenrock unter dem Umhang – trug eine gelbe Sonne auf der Brust.

Ein flaues Gefühl machte sich in Perrins Magen breit. Er erkannte den Mann. Dain Bornhaid.

»Ich bin gekommen, um mit dem Verbrecher Perrin Aybara zu sprechen«, verkündete Bornhaid mit lauter Stimme und zügelte das Pferd.

»Ich bin hier, Bornhaid«, rief Perrin und trat vor.

Bornhaid starrte ihn an. »Ihr seid es tatsächlich. Das Licht hat Euch uns gebracht.«

»Solange es Euch kein Heer gebracht hat, das drei- oder viermal so groß ist wie das, das ihr jetzt habt, dann bezweifle ich doch sehr, dass das eine Rolle spielt«, meinte Perrin.

»Wir haben die Leute, die Euch angeblich treu ergeben sind, Aybara.«

»Nun, Ihr könnt sie zurück in unser Lager reiten lassen, damit wir weiterziehen können.«

Der junge Weißmantel zog sein Pferd herum und runzelte die Stirn. »Wir haben noch etwas zu regeln, Schattenfreund.«

»Es gibt keinen Grund, Bornhaid, dass die Sache ein hässliches Ende nimmt. So wie ich das sehe, kann noch immer jeder von uns seinen Weg gehen.«

»Die Kinder würden eher sterben, als auf Gerechtigkeit zu verzichten«, sagte Dain und spuckte aus. »Aber das soll der Kommandierende Lordhauptmann erklären. Er will mit Euch sprechen. Man hat mir den Befehl gegeben, Euch zu sagen, dass er ein Stück voraus an der Straße wartet. Er würde sich gern mit Euch treffen.«

»Glaubt Ihr wirklich, dass ich in eine so offensichtliche Falle marschiere?«, fragte Perrin.

Bornhaid zuckte mit den Schultern. »Kommt oder lässt es bleiben. Mein Kommandierender Lordhauptmann ist ein Mann der Ehre und schwört den Eid, dass Ihr unbeschadet zurückkehren könnt – was mehr ist, als ich für einen Schattenfreund übrig hätte. Ihr dürft Eure Aes Sedai mitbringen, wenn Ihr denn welche habt und Euch dann sicherer fühlt.« Bornhaid drehte das Pferd und galoppierte davon.

Perrin sah ihm nachdenklich nach.

»Du denkst doch wohl nicht darüber nach, dorthin zu gehen, mein Sohn?«, sagte Tarn.

»Ich wüsste lieber genau, wem ich da gegenüberstehe«, sagte Perrin. »Und wir wollten ein Treffen. Unsere Leute vielleicht durch Verhandlungen zurückbekommen. Verflucht, Tarn. Ich muss es zumindest versuchen, bevor wir sie angreifen.«

Tarn seufzte, nickte dann aber.

»Er erwähnte Aes Sedai«, fuhr Perrin fort, »aber keine Asha’man. Ich wette, er weiß nicht viel über sie. Sag Grady, er soll sich wie ein Mann von den Zwei Flüssen anziehen und sich zusammen mit Gaul und Sulin bei mir melden. Frag Edarra, ob sie auch kommen will. Aber sagt auf keinen Fall meiner Frau Bescheid. Wir fünf gehen voraus und schauen, ob sich die Weißmäntel wirklich friedlich mit uns treffen wollen. Sollte etwas schieflaufen, kann uns Grady mit einem Wegetor fortschaffen.«

Tarn nickte und eilte los. Perrin wartete nervös, bis Tarn mit Gaul, Sulin und Edarra zurückkehrte. Grady kam ein paar Minuten später. Er trug einen braunen Umhang und braune und grüne Kleidung, die er sich von einem der Männer aus den Zwei Flüssen geliehen hatte. Er trug einen Langbogen, ging aber wie ein Soldat, den Rücken gerade und ständig alles im Blick behaltend. Von ihm ging eine besondere Aura der Gefahr aus, wie sie kein gewöhnlicher Dorfbewohner aufwies. Hoffentlich würde es die Tarnung nicht verderben.

Sie brachen auf, und glücklicherweise schien Faile nichts von den Geschehnissen mitbekommen zu haben. Perrin würde sie holen, falls sich die Verhandlungen in die Länge zogen, aber dieser Ausflug sollte schnell vonstattengehen, und er musste sich bewegen können, ohne sich um sie Sorgen machen zu müssen.

Sie gingen zu Fuß und fanden die Weißmäntel ein kurzes Stück weiter die Straße entlang. Es schienen nur zwei Dutzend von ihnen zu sein, die neben einem kleinen Zelt am Straßenrand warteten. Sie standen gegen den Wind, was Perrin etwas entspannte. Er roch Wut und Abscheu, aber es fühlte sich für ihn nicht wie eine Falle an.

Als sie näher kamen, trat jemand in Weiß aus dem kleinen Zelt. Der hochgewachsene Mann hatte edle Züge und kurzes dunkles Haar. Die meisten Frauen hätten ihn vermutlich als attraktiv bezeichnet. Er roch … besser als die anderen Weißmäntel. An ihnen klebte ein wilder Geruch, der an den eines tollwütigen Tieres erinnerte. Ihr Anführer roch ruhig und nicht im Mindesten krank.

Perrin warf seinen Begleitern einen Blick zu.

»Das gefällt mir nicht, Perrin Aybara«, sagte Edarra und schaute von einer Seite zur anderen. »Diese Kinder fühlen sich falsch an.«

»Von diesen Bäumen könnten uns Bogenschützen treffen«, sagte Tarn mit einem Grunzen und deutete mit dem Kopf auf eine Baumgruppe in der Ferne.

»Grady, haltet Ihr die Macht?«, fragte Perrin.

» Natürlich.«

»Haltet Euch bereit, nur für alle Fälle«, sagte Perrin und trat auf die kleine Gruppe aus Weißmänteln zu. Ihr Anführer musterte ihn mit auf dem Rücken verschränkten Händen. »Goldene Augen«, sagte der Mann. »Also stimmt es.«

»Ihr seid der Kommandierende Lordhauptmann?«, fragte Perrin.

»Das bin ich.«

»Was muss passieren, damit Ihr meine Leute freilasst?«

»Meine Männer berichteten mir, dass sie schon einmal einen derartigen Austausch versuchten«, sagte der Anführer der Weißmäntel. »Und dass Ihr sie getäuscht und verraten habt.«

»Sie hatten Unschuldige entführt«, erwiderte Perrin. »Und verlangten für sie mein Leben. Nun, ich holte meine Leute zurück. Zwingt mich nicht, hier das Gleiche zu tun.«

Der Anführer der Weißmäntel kniff die Augen zusammen. Er roch nachdenklich. »Ich werde das tun, was richtig ist, Goldauge. Der Preis ist irrelevant. Meine Männer berichteten mir, dass Ihr vor ein paar Jahren mehrere Kinder ermordet habt und dafür niemals zur Rechenschaft gezogen worden seid. Dass Ihr Trollocs angeführt habt, um mit ihnen Dörfer anzugreifen.«

»Eure Männer sind nicht besonders verlässlich«, sagte Perrin mit einem Knurren. »Ich will eine formellere Unterredung, wo wir uns setzen und reden können. Nicht so etwas Improvisiertes wie das hier.«

»Ich bezweifle, dass das nötig ist«, sagte der Anführer. »Ich bin nicht hier, um zu verhandeln. Ich wollte Euch bloß mit eigenen Augen sehen. Ihr wollt, dass man Eure Leute freilässt? Stellt Euch meinem Heer auf dem Schlachtfeld. Tut es, und ich lasse die Gefangenen frei, ganz egal, wie der Kampf endet. Sie sind offensichtlich keine Soldaten. Ich lasse sie gehen.«

»Und wenn ich mich weigere?«

»Das wird ihrer Gesundheit… nicht guttun.«

Perrin knirschte mit den Zähnen.

»Eure Streitmacht wird sich der unseren unter dem Licht stellen«, sagte der Anführer der Weißmäntel. »Das sind unsere Bedingungen.«

Perrin blickte zur Seite. Grady erwiderte seinen Blick, und es lag eine offensichtliche Frage darin. Er konnte den Anführer der Weißmäntel auf der Stelle gefangen nehmen, ohne dass es ihn große Mühe kostete.

Perrin war versucht. Aber sie waren unter der Friedensflagge der Weißmäntel gekommen. Er würde den Frieden nicht brechen. Stattdessen drehte er sich um und führte seine Leute zurück in sein Lager.

Galad sah Aybara hinterher. Diese goldenen Augen waren beunruhigend. Er hatte Byars beharrlichen Standpunkt, dass dieser Mann nicht nur ein Schattenfreund war, sondern Schattengezücht, nicht ernst genommen. Aber nachdem er nun in diese Augen geblickt hatte, war er sich nicht länger so sicher, diese Behauptung so ohne Weiteres abtun zu können.

Neben ihm stieß Bornhaid die angehaltene Luft aus. »Ich kann nicht glauben, dass Ihr das hier wolltet. Was, wenn er Aes Sedai mitgebracht hätte? Wir hätten nichts gegen die Eine Macht tun können.«

»Sie hätten mir nichts angetan«, sagte Galad. »Davon abgesehen, hätte Aybara die Möglichkeit, mich hier mit der Einen Macht zu töten, hätte er das auch mit mir in meinem Lager tun können. Aber wenn er so ist, wie Ihr und Kind Byar sagt, dann sorgt er sich sehr um sein Erscheinungsbild. Er führte die Trollocs nicht direkt gegen die Zwei Flüsse. Er gab vor, sie zu verteidigen.« So ein Mann würde subtil handeln. Er war nicht in Gefahr gewesen.

Er hatte Aybara selbst sehen wollen, und er war froh, dass er es getan hatte. Diese Augen … sie allein verdammten ihn schon beinahe. Und Aybara hatte auf die Erwähnung der ermordeten Weißmäntel mit Anspannung reagiert. Darüber hinaus sprachen seine Leute davon, dass er sich mit den Seanchanern verbündet und Männer in seinen Diensten hatte, die die Eine Macht lenken konnten.

Ja, dieser Aybara war gefährlich. Galad hatte sich Sorgen gemacht, seine Streitmacht hier kämpfen zu lassen, aber das Licht würde ihnen beistehen. Es war besser, diesen Aybara jetzt zu besiegen, als abzuwarten und ihm in der Letzten Schlacht gegenüberzustehen. So schnell hatte er seine Entscheidung getroffen. Die richtige Entscheidung. Sie würden kämpfen.

»Kommt«, sagte Galad und winkte seinen Männern zu. »Lasst uns ins Lager zurückkehren.«

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