54 Das Licht der Welt

Thom hielt seine Fackel hoch und inspizierte die gewaltigen sternförmigen schwarzen Säulen mit ihren glühenden gelben Streifen. Diese Streifen versahen den ganzen Raum mit einem kränklichen Lichtschein, der Thom bleich und gelbsüchtig aussehen ließ.

Mat erinnerte sich an den Gestank dieses Ortes, diese modrige Abgestandenheit. Jetzt, wo er wusste, wonach er zu suchen hatte, konnte er auch etwas anderes riechen. Den dumpfen Gestank eines Tierbaus. Die Höhle eines Raubtiers.

Fünf Korridore führten aus diesem Raum, je einer an den Spitzen der Sternform. Er erinnerte sich, einen dieser Gänge benutzt zu haben, aber hatte es damals nicht nur einen Ausgang gegeben?

»Ich frage mich, wie hoch diese Säulen sind«, sagte Thom, hob die Fackel und kniff die Augen zusammen.

Mat hielt den Ashandarei fester in den verschwitzten Händen. Sie hatten den Fuchsbau betreten. Er tastete nach seinem Medaillon. Die Eelfinn hatten bei ihm nie die Eine Macht benutzt, aber sie wussten darüber Bescheid, oder nicht? Natürlich konnten Ogier nicht die Macht lenken. Vielleicht bedeutete das ja, dass es die Eelfinn auch nicht konnten.

Von den Seiten des Raumes ertönten raschelnde Geräusche. Schatten bewegten sich. Die Eelfinn waren hier, in der Dunkelheit. »Thom«, sagte Mat. »Wir sollten noch etwas Musik machen.«

Thom musterte die Dunkelheit. Er widersprach nicht, sondem nahm die Flöte und fing an zu spielen. In dem riesigen Raum klangen die Töne verloren.

»Mat«, sagte Noal, der fast in der Mitte des Raumes kniete. » Seht Euch das an.«

»Ich weiß. Es sieht aus wie Glas, fühlt sich aber wie Stein an.«

»Nein, das meine ich nicht«, sagte Noal. »Hier ist etwas anderes. «

Mit langsamen Schritten ging Mat zu ihm. Thom folgte seinem Beispiel, behielt dabei ununterbrochen die Umgebung im Auge und spielte weiter, während Noal mit seiner Laterne einen geschmolzenen Schlackeklumpen von der ungefähren Größe einer kleinen Truhe auf dem Boden beleuchtete. Er war schwarz, aber es war ein matteres Schwarz als der Boden und die Säulen.

»Wofür haltet Ihr das?«, fragte Noal. »Vielleicht eine der Falltüren?«

»Nein«, sagte Mat. »Das ist es nicht.« Die anderen beiden sahen ihn an.

»Das ist der Türrahmen«, sagte Mat mit einem Übelkeit erregenden Gefühl in der Magengrube. »Der rote Türrahmen aus Stein. Als ich ihn das erste Mal durchschritt, befand er sich in der Mitte eines ähnlichen Raumes. Als er auf der anderen Seite schmolz …«

»Schmolz er auch hier«, vollendete Noal den Satz.

Die drei Männer starrten das Fragment an. Thoms Musik klang wie eine Heimsuchung.

»Nun«, sagte Mat. »Wir haben ja gewusst, dass das kein Ausgang mehr sein wird. Wir werden uns den Rückzug erhandeln müssen.« Und ich werde verflucht noch mal dafür sorgen, dieses Mal nicht dabei aufgehängt zu werden.

»Werden uns die Würfel weiterführen?« Noal erhob sich wieder.

Mat spürte sie in der Manteltasche. »Ich wüsste nicht, warum nicht.« Aber er holte sie nicht hervor. Stattdessen musterte er die Tiefen des Gemaches. Thoms Musik schien einige der Schatten reglos gemacht zu haben. Aber andere bewegten sich noch. Eine rastlose Energie lag in der Luft. »Mat?«, fragte Thom.

»Ihr habt gewusst, dass ich zurückkehre«, sagte Mat laut. Seine Stimme hallte nicht. Beim Licht! Wie groß war dieses Ding eigentlich? »Ihr habt genau gewusst, dass ich in Euer verdammtes Reich zurückmarschiere, oder? Ihr habt gewusst, dass Ihr mich schließlich in die Hände bekommt.«

Zögernd senkte Thom seine Flöte.

»Zeigt Euch!«, rief Mat. »Ich höre doch, wie Ihr herumschleicht, wie Ihr atmet.«

Thom legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Mat, sie können nicht gewusst haben, dass du zurückkommst. Moiraine konnte nicht mit Sicherheit wissen, dass du sie holen kommst.«

Mat beobachtete die Dunkelheit. »Hast du je gesehen, wie Männer das Vieh zum Schlachten bringen?«

Der Gaukler zögerte, dann schüttelte er den Kopf.

»Nun, da hat jeder seine eigene Methode«, sagte Mat. »Aber das Vieh, nun, es weiß, dass etwas nicht stimmt. Die Tiere riechen das Blut. Sie geraten in Panik, weigern sich, das Schlachthaus zu betreten. Und weißt du, wie man das verhindert?«

»Müssen wir gerade jetzt darüber sprechen, Mat?«

»Das verhindert man«, fuhr Mat fort, »indem man sie ein paarmal durch das saubere Schlachthaus führt, wenn die Gerüche nicht zu stark sind. Man führt sie durch und lässt sie entkommen, und schon halten sie diesen Ort für sicher.« Er schaute Thom an. »Sie wussten genau, dass ich zurückkomme. Sie wussten, dass ich das Hängen überlebe. Sie wissen Dinge, Thom. Soll man mich doch zu Asche verbrennen, aber das tun sie.«

»Wir kommen hier wieder raus«, versprach Thom. »Das schaffen wir. Moiraine hat es gewusst.«

Mat nickte energisch. »Und ob wir das werden. Sie spielen ein Spiel. Bei Spielen gewinne ich.« Er zog die Würfel aus der Tasche, jedenfalls gewinne ich meistens.

Plötzlich flüsterte eine Stimme hinter ihnen. »Willkommen, Sohn der Schlachten.«

Mat fuhr fluchend herum und schaute sich um.

»Da«, sagte Noal und zeigte mit seinem Stab. Neben einer der Säulen stand eine Gestalt, die zur Hälfte von dem gelben Licht beleuchtet wurde. Ein anderer Eelfinn. Größer, mit ebenmäßigeren Zügen. Seine Augen reflektierten das Fackellicht. Orangerot.

»Ich kann Euch an den Ort führen, den Ihr sucht«, sagte der Eelfinn mit rauer, knirschender Stimme. Er hob einen Arm, um den Fackelschein abzuwehren. »Für einen Preis.«

»Thom, Musik.«

Thom fing wieder an zu spielen.

»Einer von Euch hat bereits versucht, uns dazu zu bringen, unsere Werkzeuge zurückzulassen«, sagte Mat. Er zog eine Fackel aus dem Bündel unter seinem Arm, dann stieß er sie zur Seite und zündete sie an Noals Laterne an. »Das klappt nicht.«

Der Eelfinn wich mit leisem Knurren vor dem neuen Licht zurück. »Ihr seid gekommen, um zu handeln, aber doch macht Ihr Euch absichtlich Feinde? Wir haben nichts getan, um das zu verdienen.«

Mat zog das Tuch vom Hals. »Nichts?«

Das Geschöpf erwiderte darauf nichts, aber es wich weiter zurück und trat in die Dunkelheit zwischen den Säulen. Sein viel zu ebenmäßiges Gesicht wurde jetzt kaum noch vom gelben Licht erfasst.

»Warum wollt Ihr mit uns sprechen, Sohn der Schlachten«, zischte der Flüsterer aus den Schatten, »wenn Ihr gar nicht feilschen wollt?«

»Nein«, sagte Mat. »Keine Abmachung, bevor wir die große Halle erreichen, das Gemach der Verträge.« Das war der einzige Ort, an dem die fremden Wesen an die Übereinkunft gebunden sein würden. Hatte Birgitte das nicht gesagt? Natürlich hatte sie sich anscheinend selbst auf Geschichten und Hörensagen verlassen.

Thom spielte weiter, während sein Blick von Seite zu Seite huschte und versuchte, die Schatten im Auge zu behalten. Noal fing an, die kleinen Zimbeln zu spielen, die er sich an die Hosenbeine gebunden hatte, schlug sie im Rhythmus von Thoms Musik. Aber die Schatten bewegten sich trotzdem weiter.

»Euer … Trost wird uns nicht langsamer machen, Sohn der Schlachten«, sagte eine Stimme hinter ihnen. Mat fuhr herum und senkte die Waffe. Dort stand ein weiterer Eelfinn, direkt in den Schatten. Eine Frau, deren Lederstreifen ihre Brüste in einem X trennten. Ihre roten Lippen lächelten. »Wir sind die beinahe Uralten, die Krieger des letzten Bedauerns, die Wissenden von Geheimnissen.«

»Sei stolz, Sohn der Schlachten«, zischte eine andere Stimme. Mat fuhr wieder herum, Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn. Die Frau verschwand in den Schatten, aber ein anderer Eelfinn schlenderte durch das Licht. Er trug ein langes, gefährlich aussehendes Bronzemesser, dessen Klinge mit einem Rosenmuster verziert war, aus dem in der Nähe der Parierstange Dornen hervortraten. »Ihr lockt unsere Geschicktesten hervor. Man muss Euch … würdigen.«

»Was …«, setzte Mat an, aber der schlanke Eelfinn trat zurück in die Schatten und verschwand. Zu schnell. Als hätte ihn die Dunkelheit in sich aufgenommen.

Wieder ertönte Geflüster in den Schatten, leise Stimmen sprachen, überlagerten einander. Gesichter schoben sich aus der Dunkelheit, die nichtmenschlichen Augen weit aufgerissen, die Lippen zu einem Lächeln verzogen. Die Geschöpfe hatten spitze Zähne.

Beim Licht! Hier hielten sich Dutzende Eelfinn auf. Waren in Bewegung, tanzten ins Licht, sprangen wieder zurück in die Dunkelheit. Einige in aller Ruhe, andere energiegeladen. Alle sahen gefährlich aus.

»Wollt ihr feilschen?«, fragte einer.

»Ihr kommt ohne Abkommen. Gefährlich«, sagte ein anderer.

»Sohn der Schlachten.« »Der Geschmack!« »Fühlt seine Furcht.«

»Kommt mit uns. Lasst Euer schreckliches Licht zurück.« »Es muss ein Vertrag geschlossen werden. Wir werden warten.«

»Geduldig wir sind. So geduldig.« »Der Geschmack!«

»Schluss damit!«, brüllte Mat. »Keinen Handel! Nicht bevor wir im Zentrum sind.«

Thom senkte die Flöte. »Mat, ich glaube nicht, dass die Musik noch funktioniert.«

Mat nickte knapp. Er brauchte Thom mit bereiten Waffen. Der Gaukler steckte die Flöte weg, zog Messer. Mat ignorierte die wispernden Stimmen und warf die Würfel auf den Boden.

Als sie rollten, huschte eine Gestalt aus der Dunkelheit neben einer der nahen Säulen. Fluchend senkte Mat den Speer und schlug nach dem Eelfinn, der sich auf allen vieren bewegte. Aber die Klinge ging durch ihn hindurch, als bestünde er aus Rauch.

War er eine Illusion? Eine Sinnestäuschung? Mat zögerte lange genug, dass ein anderes Geschöpf sich die Würfel schnappen konnte und zurück in die Schatten sprang. In der Luft glitzerte etwas. Thoms Dolch fand sein Ziel und traf das Wesen in die Schulter. Dieses Mal blieb die Klinge stecken, dunkles Blut spritzte.

Eisen, dachte Mat und verfluchte seine Dummheit. Den Ashandarei herumwirbelnd, benutzte er den Knauf mit dem Eisen. Fröstelnd sah er, wie das Eelfinnblut auf dem Boden zu dampfen anfing. Weißer Dampf, genau wie in den anderen Gemächern, aber hier zeichneten sich Umrisse ab. Sie sahen wie verzerrte Gesichter aus, die kurz erschienen und schrien, bevor sie verschwanden.

Verflucht! Er durfte sich nicht ablenken lassen. Er hatte noch mehr Würfel. Er griff in die Tasche, aber ein Eelfinn duckte sich aus den Schatten, als wollte er nach seinem Mantel greifen.

Mat wirbelte die Waffe herum und traf mit dem Eisenaufsatz das Gesicht des männlichen Fuchsgesichts. Er zerschmetterte Knochen und schleuderte das Geschöpf zur Seite wie ein Bündel trockener Zweige.

Überall um sie herum ertönte Zischen und Knurren. Augen bewegten sich in der Dunkelheit, spiegelten das Fackellicht wider. Die Eelfinn bewegten sich, eingehüllt in Dunkelheit, und umzingelten Mat und die anderen. Fluchend machte Mat einen Schritt in die Richtung des Eelfinn, den er geschlagen hatte.

»Mat!«, rief Thom und packte Mat am Ärmelaufschlag. »Wir können uns nicht auf diese Weise ins Getümmel stürzen.«

Mat zögerte. Es hatte den Anschein, als wäre der Gestank intensiver geworden, der Geruch nach Tieren. Überall bewegten sich Schatten, jetzt noch viel hektischer, das Geflüster war nun wütend und von jaulenden Rufen durchsetzt.

»Sie kontrollieren die Dunkelheit«, sagte Noal. Er stand aufmerksam mit seinem Rücken zu Mat und Thom. »Diese gelben Lichter sollen uns ablenken; es gibt Lücken und geschützte Alkoven darin. Das ist alles ein Trick.«

Mats Herz pochte schneller. Ein Trick? Nein, nicht nur ein Trick. Da war etwas Unnatürliches an der Art und Weise, wie sich diese Geschöpfe, diese Kreaturen in den Schatten bewegten. »Soll man sie zu Asche verbrennen«, knurrte er und schüttelte Thoms Hand ab, verfolgte die Kreaturen aber nicht in die Dunkelheit.

»Meine Herren«, sagte Noal. »Zu den Waffen …«

Mat blickte über die Schulter. Aus den Schatten hinter ihnen kamen Eelfinn in zwei Wellen, eine Gruppe glitt auf allen vieren vor einer zweiten Gruppe. Die zweite Gruppe trug diese bösartig aussehenden Bronzemesser.

Die Schatten aus den Tiefen des Raumes schienen zusammen mit den Eelfinn länger zu werden und auf Mat und seine Freunde zuzukommen. Sein Herz schlug noch schneller.

Die Augen der Eelfinn leuchteten, und die auf allen vieren liefen schneller. Mat schlug zu, als sie seine Gruppe erreichten, aber sie duckten sich und teilten sich auf. Lenkten ihn ab.

Hinter uns!, dachte Mat alarmiert. Dort sprang eine weitere Gruppe Eelfinn aus der Dunkelheit.

Mat fuhr herum und schwang den Speerschaft. Sie duckten sich zurück, bevor er traf. Beim Licht! Sie waren überall um sie herum, brodelten aus der Dunkelheit, kamen nahe genug, um gefährlich zu sein, wichen wieder zurück.

Thom riss zwei Dolche heraus und schleuderte sie, und Noal hielt sein Kurzschwert bereit, schwenkte mit der anderen Hand die Fackel; sein mit Eisenbändern verstärkter Stab lag zu seinen Füßen auf dem Boden. Eines von Thoms Messern blitzte auf und suchte nach einem Ziel, verfehlte aber und verschwand in der Finsternis.

»Vergeude keine Messer!«, rief Mat. »Diese verdammten Ziegensöhne wollen dich dazu bringen, sie zu verschwenden!«

»Sie stellen uns auf die Probe«, knurrte Noal. »Irgendwann überwältigen sie uns. Wir müssen in Bewegung kommen!«

»Welche Richtung?«, fragte Thom drängend. Er fluchte, als aus den Schatten zwei Eelfinn mit Lanzen mit Bronzespitzen erschienen. Sie stachen zu und zwangen Mat, Thom und Noal zurück.

Keine Zeit für die Würfel. Sie würden sie sich bloß schnappen. Mat riss sein Bündel auf und zog eine Nachtblume hervor. »Wenn die hier losgeht, schließe ich die Augen und drehe mich auf der Stelle.«

» Was?«, fragte Thom.

»Das hat schon einmal funktioniert!« Mat entzündete die Nachtblume und warf sie so hart er konnte in die Finsternis. Fünf Herzschläge später ließ ein Knall den Raum erbeben. Die drei Männer wandten den Blick ab, aber der farbige Blitz war hell genug, um ihn durch die Augenlider hindurch sehen zu können.

Eelfinn schrien vor Schmerz, und Mat hörte Scheppern, als Waffen fallen gelassen wurden. Zweifellos wurden Hände vor Augen geschlagen.

»Los geht’s!«, sagte Mat und drehte sich.

»Das ist einfach nur verrückt«, sagte Thom.

Mat drehte sich immer weiter, versuchte es zu fühlen. Wo war das Glück? »Hier entlang!«, sagte er und zeigte in eine zufällige Richtung.

Er öffnete rechtzeitig die Augen, um über die dunkle Gestalt eines Eelfinn zu springen, der am Boden kauerte. Noal und Thom folgten ihm, und er führte sie direkt in die Dunkelheit hinein. Er rannte voraus, bis sie kaum noch zu erkennen waren. Alles, was er sehen konnte, waren die gelben Streifen.

Oh, verdammte Asche, dachte er. Wenn mich mein Glück jetzt im Stich lässt…

Sie platzten in einen fünfeckigen Korridor, um sie herum löste sich die Dunkelheit auf. Sie hatten diesen Korridor nicht von dem anderen Raum aus sehen können, aber da war er.

Thom stieß einen Freudenschrei aus. »Mat, du holzköpfiger Hirte! Dafür lass ich dich mit meiner Laute spielen!«

»Ich will nicht mit deiner verdammten Laute spielen«, rief Mat mit einem Blick über die Schulter. »Aber du kannst mir einen Becher oder zwei spendieren, wenn wir hier raus sind.«

Aus dem dunklen Raum ertönten Schreie und Kreischen. Ein Trick war nun verbraucht; jetzt würden sie mit Nachtblumen rechnen. Birgitte, dachte er. Vermutlich bist du mehrmals an dem Korridor vorbeigegangen, den du gebraucht hättest, ohne zu wissen, dass er nur wenige Schritte entfernt war.

Wähle niemals die Karte aus, die ein anderer Mann will, dass du sie auswählst. Das hätte er wissen müssen. Es war eines der ältesten Betrugsmanöver der Schöpfung. Sie eilten weiter, passierten fünfeckige Türen, die in große, sternförmige Höhlen führten. Thom und Noal warfen Blicke hinein, aber er ging weiter. Einfach geradeaus. Das war der Weg, auf den ihn sein Glück geschickt hatte.

Etwas war anders als bei seinem früheren Besuch. Auf dem Boden lag kein Staub, in dem sich Fußabdrücke abzeichneten. Hatten sie gewusst, dass er kam, und den Staub benutzt, um ihn zu verwirren? Oder hatten sie den Ort dieses Mal gesäubert, weil sie wussten, dass Besucher kamen? Wer vermochte das in so einem Reich schon zu sagen?

Damals war es ein langer Weg gewesen. Oder ein kurzer? Hier verschwamm die Zeit. Scheinbar lief man viele Stunden lang, aber es fühlte sich auch so an, als wären es nur Momente gewesen.

Und dann war plötzlich ein Durchgang vor ihnen, erschien so schnell wie eine zubeißende Natter. Einen Augenblick zuvor war er noch nicht da gewesen. Der Rand der Öffnung bestand aus aufwendig geschnitztem Holz, ein unmögliches Muster aus Schlingpflanzen, die sich zu durchdringen schienen und keinen Sinn ergaben.

Alle drei blieben ruckartig stehen. »Spiegel«, sagte Noal. »Das habe ich schon einmal gesehen. So machen sie das, verschleiern Dinge mit Spiegeln.« Er klang verunsichert. Wie versteckte man Spiegel in einem verdammt geraden Tunnel?

Sie waren am richtigen Ort; Mat konnte es förmlich riechen. Hier war der Gestank der Eelfinn am stärksten. Er reckte das Kinn vor und trat über die Schwelle.

Der dahinter liegende Raum war genau, wie er ihn in Erinnerung hatte. Es gab keine Säulen, allerdings war der Raum deutlich sternförmig. Acht Spitzen und nur der eine Durchgang. Die glühenden gelben Streifen liefen in den spitzen Enden des Raums nach oben, und in jeder Spitze stand ein schwarzes und unheilvolles Podest.

Es war genau das Gleiche. Bis auf die schwebende Frau in der Mitte.

Sie war nur mit einem feinen weißen Nebel bekleidet, der sie leuchtend und in ständiger Bewegung einhüllte, die Einzelheiten ihres Körpers verschleierte, aber nicht verbarg. Ihre Augen waren geschlossen, und das dunkle Haar, das noch immer gelockt, wenn auch nicht zu diesen perfekten Locken frisiert war, bewegte sich, als würde von unten ein Wind wehen. Ihre Hände lagen auf ihrem Bauch, an ihrem linken Handgelenk gab es einen seltsamen Armreif, dessen Material wie uraltes Elfenbein erschien.

Moiraine.

Mat verspürte einen wahren Gefühlssturm. Sorge, Frustration, Ehrfurcht. Sie war diejenige, die das alles erst in Gang gebracht hatte. Manchmal hatte er sie gehasst. Außerdem schuldete er ihr sein Leben. Sie war die Erste gewesen, die sich überall eingemischt und ihn erst in diese und dann jene Richtung gezerrt hatte. Aber im Rückblick gesehen war sie auch von allen, die ihn benutzt hatten, die Ehrlichste gewesen. Unnachgiebig, ungerührt. Und selbstlos.

Sie hatte alles getan, um drei dumme Jungen zu beschützen, von denen keiner auch nur die geringste Ahnung hatte, was die Welt ihnen abverlangen würde. Sie hatte sich dazu entschlossen, sie in Sicherheit zu bringen. Ihnen vielleicht etwas beizubringen, ob sie es wollten oder nicht.

Weil sie es brauchten.

Beim Licht, ihre Motive erschienen ihm jetzt so klar. Das machte ihn nicht weniger wütend auf sie, aber es machte ihn auch dankbar. Verflucht sollte sie sein, was für ein verwirrendes Gefühlschaos! Diese verdammten Füchse – wie konnten sie es wagen, sie auf diese Weise festzuhalten! Lebte sie überhaupt noch?

Thom und Noal starten sie an – Noal ernst, Thom ungläubig. Also trat Mat vor, um Moiraine dort wegzuziehen. Aber in dem Augenblick, in dem seine Hände mit dem Nebel in Berührung kamen, schoss ein greller Schmerz durch ihn hindurch. Er schrie auf, wich zurück und schüttelte die Hand.

»Das ist so verdammt heiß«, sagte er. »Es …«

Er verstummte, als Thom vortrat.

»Thom …«, sagte er warnend.

»Das ist mir egal«, sagte der Gaukler. Er trat an den Nebel, griff hinein, und seine Kleidung fing an zu dampfen. Der Schmerz ließ seine Augen tränen. Er zuckte nicht zusammen. Er grub sich in diesen Nebel hinein und packte sie, dann zog er sie frei. Ihr Gewicht sank in seine Arme, aber seine alternden Arme waren stark, und sie sah hinfällig genug aus, um nicht viel wiegen zu können.

Beim Licht! Mat hatte ganz vergessen, wie klein sie war. Einen guten Kopf kleiner als er selbst. Thom kniete nieder, nahm seinen Gauklerumhang ab und wickelte sie darin ein. Ihre Augen waren noch immer geschlossen.

»Ist sie …«, fragte Noal.

»Sie lebt«, sagte Thom langsam. »Ich habe ihren Herzschlag gespürt.« Er zog ihr den Armreif herunter. Er hatte die Form eines Mannes, der sich nach hinten beugte, weil seine Handgelenke an seinen Knöcheln festgebunden waren, und er trug einen seltsamen Anzug. »Sieht aus wie eine Art Ter’angreal«, sagte Thom und schob es in die Tasche. »Ich…«

»Es ist ein Angreal«, verkündete eine Stimme. »Beinahe stark genug, um ein Sa’angreal zu sein. Es kann ein Teil ihres Preises sein, falls Ihr wünscht, dafür zu zahlen.«

Mat fuhr herum. Die Podeste waren nun mit Eelfinn besetzt, vier Männer, vier Frauen. Alle acht trugen Weiß statt Schwarz – weiße Röcke mit Riemen über der Brust bei den Männern und Blusen bei den Frauen; die Kleidungsstücke waren aus diesem beunruhigenden hellen Material gemacht, das wie Haut aussah.

»Achtet auf eure Worte«, sagte Mat zu Thom und Noal und versuchte sich seine Sorge nicht anmerken zu lassen. »Sagt das Falsche, und sie hängen euch auf und behaupten, dass ihr es doch so gewollt habt. Bittet sie um nichts.«

Die anderen beiden schwiegen. Thom hielt Moiraine eng an sich gedrückt, Noal hielt misstrauisch seine Fackel und seinen Stab, das Bündel über die Schulter geschlungen.

»Das ist der große Saal«, sagte Mat zu den Eelfinn. »Der Ort, den man das Gemach der Verträge nennt. Ihr müsst Euch an die Pakte halten, die Ihr hier abschließt.«

»Das Geschäft ist bereits abgeschlossen«, sagte einer der Eelfinn-Männer und lächelte, zeigte spitze Zähne.

»Welches Geschäft?«, fauchte Mat und schaute zu den Podesten. »Seid verflucht, welches Geschäft?«

»Es muss ein Preis bezahlt werden«, sagte einer.

»Die Bedingungen müssen erfüllt werden«, sagte ein anderer.

»Ein Opfer muss gebracht werden.« Das kam von einer der Frauen. Sie lächelte breiter als die anderen. Auch ihre Zähne waren spitz.

»Ich will, dass der Weg hier raus ein Teil des Geschäfts wird«, verlangte Mat. »Ich will, dass der Ausgang wieder dort ist, wo er war, und zwar geöffnet. Und ich bin noch lange nicht fertig mit diesem verdammten Handel, also kommt bloß nicht auf die Idee, dass das meine einzige Forderung ist, verflucht noch mal.«

»Er wird wiederhergestellt«, sagte ein Eelfinn. Die anderen beugten sich vor. Sie spürten seine Verzweiflung. Mehrere von ihnen erschienen unzufrieden. Sie haben nicht damit gerechnet, dass wir es hierher schaffen, dachte Mat. Ihnen gefällt das Risiko nicht, uns zu verlieren.

»Ich will, dass Ihr den Ausgang geöffnet haltet, bis wir durch sind«, fuhr er fort. »Er wird nicht versperrt, und er verschwindet auch nicht, wenn wir dort sind. Und ich will den geraden Weg, keine sich verändernden Räume. Der direkte Weg. Und ihr verdammten Füchse könnt uns nicht bewusstlos schlagen oder versuchen, uns zu töten oder dergleichen.«

Das gefiel ihnen nicht. Mat erwischte mehrere von ihnen dabei, wie sie die Stirn runzelten. Gut. Sie würden begreifen, dass sie nicht mit einem Kind verhandelten.

»Wir nehmen sie uns«, sagte Mat. »Wir gehen hier raus.«

»Diese Forderungen sind teuer«, sagte einer der Eelfinn. »Was zahlt Ihr für diese Gunst?«

»Der Preis ist bereits festgesetzt«, flüsterte ein anderer von hinten.

Und das war er. Irgendwie wusste Mat das. Ein Teil von ihm hatte es seit dem Augenblick gewusst, in dem er diesen Brief gelesen hatte. Hätte er damals nicht mit den Aelfinn gesprochen, wäre überhaupt etwas von dem hier geschehen? Vermutlich schon, er wäre gestorben. Sie mussten die Wahrheit sagen.

Sie hatten ihn davor gewarnt, dass da eine Rechnung auf ihn wartete. Für ein Leben. Für Moiraine. Und er würde sie bezahlen müssen. In diesem Augenblick wusste er, dass er es tun würde. Denn ihm war völlig klar, dass der Preis dafür einfach zu hoch sein würde, sollte er sich weigern. Nicht nur für Thom, nicht nur für Moiraine, und auch nicht nur für ihn selbst. Nach dem zu urteilen, was man ihm erzählt hatte, hing das Schicksal der Welt selbst von diesem Augenblick ab.

Nun, soll man mich doch als Narren verbrennen. Vielleicht bin ich ja doch ein Held. War das zu glauben?

»Ich bezahle ihn«, verkündete er. »Die Hälfte des Lichts der Welt.« Um die Welt zu retten.

»Abgemacht!«, verkündete einer der männlichen Eelfinn.

Die acht Kreaturen sprangen zugleich von ihren Podesten. Sie nahmen ihn in die Mitte und verringerten unablässig den Abstand, wie eine sich zuziehende Henkersschlinge. Schnell, geschmeidig und raubtierhaft.

»Mat!«, rief Thom und bemühte sich, die bewusstlose Moiraine zu halten, während er gleichzeitig nach einem seiner Messer griff.

Mat streckte Thom und Noal die Hand entgegen. »Das muss gemacht werden«, sagte er und entfernte sich ein paar Schritte von seinen Freunden. Die Eelfinn gingen mit und passierten sie ohne einen Blick. Die Goldnieten auf den Riemen, die sich auf jeder Brust der männlichen Eelfinn kreuzten, funkelten im gelben Licht. Alle acht Kreaturen lächelten breit.

Noal hob das Schwert.

»Nein!«, rief Mat. »Brecht diese Abmachung nicht. Denn wenn ihr das tut, werden wir alle hier sterben!«

Die Eelfinn umringten Mat in einem engen Kreis. Er bemühte sich, sie alle gleichzeitig im Auge zu behalten, und sein Herz schien mit jedem Schlag lauter in seiner Brust zu pochen. Sie schnupperten wieder an ihm, holten tief Luft, genossen, was auch immer sie von ihm nahmen.

»Macht schon, verflucht noch mal«, knurrte Mat. »Aber wisset, dass es das Letzte ist, was Ihr von mir bekommt. Ich werde aus diesem Turm entkommen, und ich werde eine Möglichkeit finden, meinen Verstand für alle Ewigkeit von Euch zu befreien. Ihr bekommt mich nicht. Matrim Cauthon ist nicht Eure verdammte Marionette.«

»Das werden wir sehen«, knurrte ein Eelfinn mit lustvollem Blick. Die Hand der Kreatur schoss vor, viel zu scharfe Nägel funkelten im Dämmerlicht. Sie trieb sie direkt in Mats linke Augenhöhle, dann riss sie das Auge mit einem Ruck heraus.

Mat schrie. Beim Licht, was für Schmerzen! Mehr als jede in der Schlacht davongetragene Verletzung, mehr als jede Beleidigung oder Spott. Er fühlte etwas Feuchtes auf der Wange, und er schrie erneut, als seine Finger das klaffende Loch ertasteten, wo sich eben noch sein Auge befunden hatte.

Er warf den Kopf zurück und brüllte in den Raum hinein, schrie vor Agonie.

Die Eelfinn schauten mit ihren schrecklichen, beinahe menschlichen Gesichtern zu, die Augen vor Ekstase zusammengekniffen, während sie sich an etwas labten, das von Mat ausging. Einen beinahe unsichtbaren rot-weißen Dunst.

»Der Geschmack!«, rief ein Eelfinn aus.

» So lange her!«, rief ein anderer.

»Wie er sich um ihn herum windet!«, sagte der, der sein Auge genommen hatte. »Wie er sich dreht! Blutgeruch in der Luft! Und der Spieler wird zum Zentrum von allem! Ich kann das Schicksal selbst schmecken!«

Mat heulte auf, sein Hut fiel zu Boden, während er durch ein einzelnes, tränenblindes Auge in die Dunkelheit über ihnen starrte. Seine Augenhöhle schien in Flammen zu stehen! Brannte! Er fühlte, wie Blut und Augenflüssigkeit auf seinem Gesicht trockneten und dann abblätterten, während er schrie. Die Eelfinn atmeten noch tiefer ein, erschienen wie betrunken.

Mat stieß einen letzten Schrei aus. Dann ballte er die Fäuste und schloss den Mund, obwohl er ein leises Stöhnen – ein Stöhnen voller Zorn und Schmerz – aus den Tiefen seiner Kehle nicht unterdrücken konnte. Einer der Eelfinn brach wie überwältigt zusammen. Es war der, der Mats Auge genommen hatte. Er hielt es in seinen Händen, krümmte sich darum zusammen. Die anderen stolperten fort, fanden den Weg zu den Säulen oder den Wänden, stützten sich dagegen.

Noal rannte an Mats Seite. Thom, der noch immer Moiraine hielt, folgte ihm vorsichtiger.

» Mat?«, fragte Noal.

Noch immer die Zähne gegen den Schmerz zusammengebissen, zwang sich Mat, seinen Hut vom weißen Boden aufzuheben. Er würde seinen Hut nicht hier zurücklassen, verflucht. Es war ein verdammt guter Hut.

Stolpernd kam er auf die Füße.

»Dein Auge …«, sagte Thom.

»Spielt keine Rolle«, sagte Mat. Soll man mich doch als Narren verbrennen. Als verfluchten ziegenköpfigen Narren! Er konnte vor Schmerzen kaum denken.

Sein anderes Auge blinzelte Schmerzenstränen. Es kam ihm wirklich so vor, als hätte er die Hälfte des Lichts der Welt verloren. Es war, als würde man durch ein Fenster sehen, dessen eine Hälfte geschwärzt war. Trotz des tobenden Schmerzes in der linken Augenhöhle hatte er das Gefühl, das Auge öffnen zu können.

Aber das konnte er nicht. Es war weg. Und kein Machtlenken der Aes Sedai konnte es ersetzen.

Er setzte den Hut auf und ignorierte den Schmerz trotzig. Er zog die Krempe auf der linken Seite tief ins Gesicht und beschattete die leere Augenhöhle, dann bückte er sich und hob den Ashandarei auf, stolperte kurz, blieb aber stehen.

»Ich hätte derjenige sein sollen, der bezahlt«, sagte Thom bitter. »Nicht du. Du wolltest nicht einmal herkommen.«

»Es war meine Entscheidung«, sagte Mat. »Und ich musste es sowieso tun. Es ist eine der Antworten, die mir die Aelfinn bei meinem ersten Besuch gaben. Ich würde die Hälfte des Lichts der Welt aufgeben müssen, um die Welt zu retten. Verdammte Schlangen.«

»Um die Welt zu retten?«, fragte Thom und betrachtete Moiraines friedliches Gesicht; ihr Körper war in den Flickenumhang eingehüllt. Sein Bündel lag auf dem Boden.

»Sie hat noch etwas zu erledigen«, sagte Mat. Der Schmerz ließ etwas nach. »Wir brauchen sie, Thom. Ich will verflucht sein, aber vermutlich hat es etwas mit Rand zu tun. Aber egal, das musste passieren.«

»Und wenn doch nicht? Sie sagte, sie sah …«

»Es spielt keine Rolle«, sagte Mat und wandte sich dem Ausgang zu. Die Eelfinn waren noch immer überwältigt. Wenn man so ihren Gesichtsausdruck betrachtete, hätte man zu dem Schluss kommen können, dass sie diejenigen waren, die ein Auge verloren hatten! Er legte sich sein Bündel über die Schulter und ließ Thoms da, wo es lag. Er konnte keine zwei tragen, nicht, wenn er noch kämpfen wollte.

»Jetzt habe ich etwas gesehen«, sagte Noal und betrachtete den Raum und alle Anwesenden. »Ich würde sagen, etwas, das noch kein Mann zuvor gesehen hat. Sollen wir sie töten?«

Mat schüttelte den Kopf. »Das könnte unser Geschäft zunichtemachen.«

»Werden sie sich daran halten?«, fragte Thom.

»Nicht, wenn sie sich herauswinden können«, antwortete Mat und zuckte wieder zusammen. Beim Licht, wie sein Kopf schmerzte! Nun, er konnte nicht herumsitzen und heulen, als hätte er sein Lieblingsfohlen verloren. »Gehen wir.«

Sie verließen den Saal. Noal trug eine Fackel, allerdings hatte er zögernd seinen Stab zurückgelassen und hielt nun sein Schwert.

Diesmal gab es keine Öffnungen im Korridor, und Mat hörte, wie Noal das murmelnd kommentierte. Es fühlte sich richtig an. Er hatte einen direkten Rückweg verlangt. Die Eelfinn waren Lügner und Betrüger, aber sie schienen Lügner und Betrüger wie die Aes Sedai zu sein. Dieses Mal hatte er seine Forderungen mit Bedacht gestellt, statt einfach herauszusprudeln, was ihm gerade einfiel.

Der Korridor schien kein Ende nehmen zu wollen. Noal wurde zusehends nervöser; Mat ging stur weiter, und seine Schritte passten sich dem Pochen in seinem Schädel an. Wie würde der Verlust eines Auges sein Geschick im Kampf beeinflussen? Er würde mehr auf die linke Seite achten müssen. Und er würde jetzt Probleme haben, Entfernungen richtig einzuschätzen. Tatsächlich hatte er dieses Problem jetzt schon – Wände und Boden waren auf verstörende Weise schwer einzuschätzen.

Thom hielt Moiraine eng an die Brust gedrückt wie ein Geizhals sein Gold. Was bedeutete sie ihm überhaupt? Mat war immer davon ausgegangen, dass Thom aus dem gleichen Grund wie er dabei war – weil es getan werden musste. Diese Zärtlichkeit in Thoms Miene hatte er jedenfalls nicht erwartet.

Der Korridor endete abrupt an einem fünfeckigen Durchgang. Der dahinter befindliche Raum schien der mit der Schlacke am Boden zu sein. Von dem Kampf gab es keine Spuren mehr, auf dem Boden war kein Blut.

Mat holte tief Luft und trat ein. Er verspannte sich, als er dort Eelfinn sah, die sich zischend und knurrend in die Schatten duckten. Sie rührten sich nicht, schlugen nicht zu, aber einige bellten leise. Die Schatten ließen sie noch mehr wie Füchse aussehen. Sah Mat einen direkt an, hätte er sie durchaus mit gewöhnlichen Männern und Frauen verwechseln können, aber wie sie sich in der Dunkelheit bewegten, manchmal auf allen vieren … So ging kein Mensch, nicht mit dieser nervösen Anspannung eines angeketteten Raubtiers. Wie ein wütender Hund, den nur ein Zaun von einem trennte, und der es nicht erwarten konnte, einem die Kehle durchzubeißen.

Aber sie hielten sich an die Abmachung. Niemand griff an, und sobald sie die andere Seite des Raumes erreichten, fing Mat an, sich gut zu fühlen. Er hatte sie besiegt. Beim letzten Mal hatten sie das bessere Ergebnis erzielt, aber das hatte nur daran gelegen, weil sie wie Feiglinge kämpften und auf einen Mann einschlugen, der überhaupt nicht wusste, dass der Kampf bereits begonnen hatte.

Dieses Mal war er bereit gewesen. Er hatte ihnen gezeigt, dass Matrim Cauthon kein Narr war.

Sie betraten einen Korridor mit dem leicht glühenden weißen Dampf an der Decke. Der Boden bestand aus jenen schwarzen, miteinander verbundenen Dreiecken, die an den Seiten wie Waagschalen geformt waren. Mat atmete erleichterter, als sie einen der Räume erreichten, in dessen Ecken die verdrehten Dampfsäulen aufstiegen, obwohl seine Augenhöhle noch immer schmerzte wie die hinteren Regionen eines frisch kastrierten Hengstes.

In der Mitte des Raumes blieb er kurz stehen, dann ging er weiter. Er hatte einen direkten Weg verlangt. Das würde er bekommen. Dieses Mal gab es kein Vor und Zurück. »Blut und verdammte Asche!«, stieß er hervor, als ihm etwas einfiel.

»Was?«, fragte Thom und schaute alarmiert von Moiraine auf.

»Meine Würfel. Ich hätte die Rückgabe meiner Würfel in den Handel mit einschließen sollen.«

»Aber wir haben doch entdeckt, dass du sie nicht brauchst, um uns zu führen.«

»Darum geht es nicht«, knurrte Mat. »Mir gefielen diese Würfel.« Er zog den Hut wieder tiefer und schaute in den vor ihnen liegenden Korridor. Sah er da Bewegungen? Weit weg in der Ferne, ein gutes Dutzend Räume entfernt? Nein, das musste eine Sinnestäuschung durch die Schatten und den sich windenden Dampf sein.

»Mat«, sagte Noal. »Ich habe erwähnt, dass meine Alte Sprache nicht mehr das ist, was sie einst war. Aber ich glaube, ich habe verstanden, was Ihr sagtet. Das Geschäft, das Ihr abgeschlossen habt.«

»Ja«, erwiderte Mat, der nur mit halbem Ohr zuhörte. Hatte er schon wieder in der Alten Sprache gesprochen? Verdammt. Und was war das da vorn im Korridor?

»Nun«, fuhr Noal fort, »Ihr sagtet als Teil des Geschäfts so etwas wie ›Ihr Füchse könnt uns nicht bewusstlos schlagen oder versuchen, uns zu töten oder dergleichen‹.«

» Richtig.«

»Ihr sagtet Füchse, Mat«, sagte Naol. »Die Füchse können uns nicht schaden.«

»Und sie ließen uns gehen.«

»Aber was ist mit den anderen?«, fragte Noal. »Den Aelfinn? Wenn uns die Eelfinn nicht schaden können, müssen uns die Aelfinn dann auch in Ruhe lassen?«

Die Schatten im fernen Korridor verfestigten sich zu Gestalten mit langen Bronzeschwertern mit gebogenen Klingen. Hochgewachsene Gestalten, in mehrere Schichten gelbes Tuch gekleidet, die Haare kurz und schwarz. Augen mit Pupillen, die aus vertikalen Schlitzen bestanden.

Verdammte, verfluchte Asche!

»Lauft!«, brüllte Mat.

»Welche Richtung?«, fragte Noal alarmiert.

»Ganz egal!«, rief Mat. »Solange es uns von ihnen wegbringt!«

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