31 Ins Nichts

Mat kippte den Rest Wein in den Mund und genoss den süßen, kühlen Geschmack. Er knallte den Becher auf den Boden und warf die fünf Würfel. Sie kullerten über die Holzdielen der Schenke und prallten gegeneinander.

Die Luft war dick. Voller Geräusche, Flüche, Gerüche. Rauch, penetranter Alkohol, ein Steak, das man so gepfeffert hatte, dass das Fleisch kaum noch zu schmecken war. Was vermutlich auch besser so war. Selbst in Caemlyn verdarb Fleisch ohne Vorwarnung.

Die stinkenden Männer um Mat beobachteten, wie seine Würfel fielen: einer der Männer roch nach Knoblauch, ein anderer nach Schweiß, ein dritter nach der Gerberei. Ihr Haar war fettig und ihre Finger dreckig, aber ihr Geld war einwandfrei. Gespielt wurde Koronkos Spucke, das aus Schienar kam. Mat kannte die Regeln nicht.

»Fünf Einser«, sagte der Mann, der nach Knoblauch stank. Er hieß Rittie. Er erschien unruhig. »Ein Fehlwurf.«

»Nein, das ist es nicht«, sagte Mat leise. Es spielte keine Rolle, dass er die Regeln nicht kannte. Er wusste, dass er gewonnen hatte; er konnte es fühlen. Sein Glück war bei ihm.

Und das war auch gut so. Er würde es heute Abend brauchen.

Der Mann, der nach Gerberei roch, griff an den Gürtel, wo er ein bösartig aussehendes Messer trug. Sein Name war Sattler, und er hatte ein Kinn, an dem man ein Schwert hätte schärfen können. »Ich dachte, Ihr hättet gesagt, dass Ihr das Spiel nicht kennt, Freund.«

»Tue ich auch nicht«, erwiderte Mat. »Freund. Aber das ist ein Gewinn. Müssen wir hier irgendjemanden im Raum fragen, damit es jemand bestätigen kann?«

Die drei Männer sahen einander finster an. Mat erhob sich. Die Schenkenwände waren vom jahrelangen Pfeifenrauch schwarz verfärbt, und die Fenster bestanden zwar aus ordentlichem Glas, waren aber durch Dreck und Rauch so gut wie blind. Es war eine Tradition, dass sie nie geputzt wurden. Das verwitterte Schild über der Tür draußen zeigte ein Wagenrad, und offiziell hieß der Laden Das Staubige Rad. Aber jeder nannte ihn nur Das Gerüchtekarussell; wollte man in Caemlyn Gerüchte aufschnappen, gab es keinen besseren Ort. Die meisten davon stimmten nicht, aber darin lag ja schließlich der größte Teil des Vergnügens.

Fast jeder hier trank Ale, aber in letzter Zeit verspürte Mat Appetit auf guten roten Wein. »Noch einen Schluck, Meister Scharlachrot?«, fragte Kati, die Bedienung. Sie war eine schwarzhaarige Schönheit mit einem Lächeln so breit, dass es fast bis Cairhien reichte. Sie hatte den ganzen Abend mit ihm geflirtet. Ganz egal, dass er ihr gesagt hatte, er sei verheiratet. Er hatte sie nicht einmal angelächelt. Nun, zumindest nicht übertrieben auffällig. Und es war kaum sein bestes Lächeln gewesen. Manche Frauen konnten einfach nicht die Wahrheit erkennen, selbst wenn sie ihnen auf der Stirn geschrieben stand; das war einfach eine Tatsache.

Er winkte abwehrend. Heute Abend nur einen Becher, für den Mut. Verflucht, aber den brauchte er. Resigniert knotete er das Tuch am Hals auf. Er holte das Fuchskopf-Medaillon hervor – beim Licht, es wieder zu tragen fühlte sich wirklich gut an – und ließ es auf der Kleidung hängen. Er trug den neuen roten und silbernen Mantel, den Thom ihm gekauft hatte.

Mat nahm den Ashandarei von der Wand, wo er gestanden hatte, zog die Stoffscheide ab und enthüllte die Klinge. Er legte ihn sich auf die Schulter. »Hey«, sagte er laut. »Kennt jemand in diesem stinkenden Laden die Regeln für Koronkos Spucke?«

Die drei Männer, mit denen er gewürfelt hatte, betrachteten die Waffe; Snelle, der dritte von ihnen, stand auf, hakte die Daumen in den Hosenrand, stieß mit den Ellbogen die Mantelschöße zurück und enthüllte das Kurzschwert an seiner Seite.

Die meisten Leute ignorierten Mat zuerst. Die Unterhaltungen gingen weiter, Geschichten über das Grenzländerheer, das durchmarschiert war, über die Schwangerschaft der Königin, den Wiedergeborenen Drachen, mysteriöse Todesfälle und weniger mysteriöse. Jeder wusste ein Gerücht zu erzählen. Einige der Gäste trugen Kleidung, die kaum besser als Lumpen war, aber andere waren fein ausstaffiert. Im Gerüchtekarussell verkehrten Adlige, Untertanen und alles dazwischen.

Ein paar Männer an der Theke schauten nach Mats Ausbruch in seine Richtung. Einer zögerte, blinzelte. Mat nahm seinen breitkrempigen schwarzen Hut vom Tisch neben sich, hielt ihn an der Krempe, dann setzte er ihn sich auf. Der Mann stieß seine Kameraden an. Der verschwitzte Gast, mit dem Mat gewürfelt hatte, griff sich ans Kinn und rieb es nachdenklich, als wollte er sich an etwas erinnern.

Snelle lächelte Mat an. »Sieht so aus, als würde Euch keiner antworten, Freund. Ihr müsst uns wohl vertrauen. Ihr hättet eben nicht werfen sollen, wenn Ihr die Regeln nicht kennt. Zahlt Ihr jetzt oder …«

Rittie riss die Augen weit auf, erhob sich hastig und griff nach dem Arm seines Freundes. Er beugte sich zu ihm und flüsterte. Snelle warf einen Blick auf Mats Medaillon. Dann schaute er auf und erwiderte Mats Blick.

Mat nickte.

»Entschuldigt uns«, sagte Rittie und stolperte weg. Die anderen beiden schlossen sich ihm an.

Mat kniete nieder, hob die Münzen auf und verstaute sie in seinem Geldbeutel. Die Würfel ließ er liegen. Sie waren manipuliert, um so gut wie immer eine Drei zu werfen. Das hatten ihm die paar schnellen Probewürfe verraten, bevor Geld gesetzt worden war.

Ein Flüstern schwärmte durch den Gastsraum wie eine Horde Ameisen über eine Leiche. Stühle wurden zurückgeschoben. Unterhaltungen veränderten das Tempo, einige verstummten, andere beschleunigten sich. Mat erhob sich wieder. Leute eilten aus seinem Weg.

Er ließ eine Goldkrone auf dem Thekenrand liegen, dann tippte er für Hatch, den Wirt, an seine Hutkrempe. Der Mann stand hinter der Theke und polierte ein Glas; neben ihm stand seine Frau. Sie war niedlich, aber Hatch hielt einen ganz besonderen Knüppel für Männer parat, die zu lange hinschauten. Also schenkte Mat ihr nur einen flüchtigen Blick.

Er zog das schwarze Tuch vom Hals und ließ es zu Boden fallen. Es war sowieso durchlöchert. Er trat in die Dunkelheit hinaus, und in dem Moment, in dem er den Fuß über die Schwelle setzte, verstummten die donnernden Würfel in seinem Kopf.

Zeit, sich an die Arbeit zu machen.

Er trat auf die Straße. Den ganzen Abend hatte er sein Gesicht gezeigt. Garantiert war er ein paarmal erkannt worden, hauptsächlich von Männern, die sich dann wortlos verdrückt hatten. Als Mat die Veranda der Schenke hinunterstieg, versammelten sich Menschen an den Fenstern und im Türeingang.

Mat bemühte sich, das Gefühl zu verdrängen, dass diese Blicke wie Messer in seinen Rücken stachen. Beim Licht, er fühlte sich, als würde er wieder an einer Schlinge baumeln. Er tastete nach der Narbe an seinem Hals. Es war lange her, dass er seinen Hals unverhüllt ließ. Selbst bei Tylin hatte er das Tuch angelassen.

Aber heute Abend tanzte er mit Schattenjack. Er knotete das Medaillon an den Ashandarei. Und zwar so, dass es an der flachen Klinge hing und ein Stück über die Spitze hinausragte. Das würde den Einsatz des Speeres erschweren – er würde mit der flachen Klinge zuschlagen müssen, damit das Medaillon auf Fleisch traf -, aber so hatte er eine viel größere Reichweite, als hätte er es nur an seinem Riemen geschwungen.

Mit dem Medaillon am richtigen Platz wählte er eine Richtung und ging los. Er befand sich in der Neustadt, einem Ort voller von Menschen erbauter Gebäude, die einen deutlichen Kontrast zu den prächtigen Ogierwerken anderswo in Caemlyn boten. Diese Häuser waren von robuster Konstruktion, standen aber dicht gedrängt.

Die erste Gruppe versuchte ihn zu töten, bevor er eine Straße vom Gerüchtekarussell entfernt war. Sie kamen zu viert. Als sie sich auf ihn stürzten, eilte eine Gruppe Schatten aus einer Gasse in der Nähe, angeführt von Talmanes. Mat fuhr zu den Mördern herum, die ruckartig stehen blieben, als sich die Soldaten zu ihm gesellten. Die Straßenschläger flohen Hals über Kopf, und Mat nickte Talmanes zu.

Die Männer der Bande verschmolzen wieder mit der Dunkelheit, und Mat ging weiter. Er legte ein gemütliches Tempo vor, den Ashandarei geschultert. Seine Männer hatten den Befehl, zu ihm Distanz zu wahren, es sei denn, er würde angegriffen.

Im Verlauf der nächsten Stunde brauchte er sie drei weitere Male, und jedes Mal verscheuchten sie eine größere Mörderbande. Beim letzten Mal mussten er und die Bande tatsächlich mit den Angreifern kämpfen. Gegen ausgebildete Soldaten hatten die Schläger keine Chance, nicht einmal auf der finsteren Straße, die sie ihr Zuhause nannten. Der Kampf forderte fünf tote Schläger, aber unter seinen Soldaten gab es nur einen Verletzten. Mat schickte Harvell begleitet von zwei anderen Männern weg.

Es wurde immer später. Mat begann sich schon zu sorgen, das ganze Theater am nächsten Abend wiederholen zu müssen, aber da bemerkte er jemanden vor sich auf der Straße. Das Kopf Steinpflaster war feucht vom Nebel früher am Abend, dort spiegelte sich die Mondsichel.

Mat blieb stehen, senkte den Speer. Er konnte keine Einzelheiten an der Gestalt erkennen, aber so, wie sie da stand…

»Du willst mich in die Falle locken?«, fragte der Gholam. Er klang amüsiert. »Mit deinen Männern, die man bloß anfassen muss, um sie in Stücke zu reißen, die so leicht sterben?«

»Ich bin es leid, verfolgt zu werden«, sagte Mat laut.

»Also lieferst du dich mir aus? Was für ein Geschenk!«

»Klar«, erwiderte Mat, hob den Ashandarei. Der Fuchskopf an der Klinge funkelte im Mondlicht. »Pass aber auf die scharfen Kanten auf.«

Das Ding glitt heran, und Mats Männer zündeten Laternen an. Die Soldaten der Bande stellten die Laternen auf dem Boden ab und wichen zurück; ein paar von ihnen rannten los, um Botschaften zu überbringen. Sie hatten den strikten Befehl, nicht einzugreifen. Dieser Abend würde ihre Eide in dieser Angelegenheit vermutlich auf eine harte Probe stellen.

Mat suchte sich einen festen Stand und wartete auf den Gholam. Nur ein Held warf sich auf solch eine Bestie, und er war kein verdammter Held. Auch wenn seine Männer versuchten, andere von dieser Straße fernzuhalten, damit niemand den Gholam verscheuchen konnte. Das war kein Heldentum. Aber möglicherweise war es eine Dummheit.

Die flüssigen Bewegungen des Gholam warfen im Laternenlicht Schatten auf die Straße. Mat empfing ihn mit einem Hieb des Ashandarei, aber die Bestie tänzelte zur Seite und entging ihm mühelos. Verdammte Asche, dieses Ding war wirklich schnell! Das Messer in seiner Hand zuckte auf die Speerklinge zu.

Mat riss den Ashandarei zurück und ließ nicht zu, dass das Ungeheuer das Medaillon losschnitt. Es tänzelte um ihn herum, und er folgte der Bewegung und blieb im Kreis der Laternen. Er hatte eine breite Straße ausgesucht, denn er hatte sich fröstelnd an den Tag in der Gasse in Ebou Dar erinnert, wo ihn der Gholam fast auf engem Raum erwischt hatte.

Die Bestie kam wieder heran, und Mat fintierte und lockte sie näher. Um ein Haar verrechnete er sich, schwang den Ashandarei aber rechtzeitig herum, um den Gholam mit der flachen Klinge zu treffen. Das Medaillon zischte, als es den Arm des Gholam berührte.

Das Monstrum fluchte und wich zurück. Flackernder Laternenschein erhellte seine Züge und erschuf Flecken aus Dunkelheit und Licht. Obwohl von seinem Arm eine Rauchfahne aufstieg, lächelte es wieder. Mat hatte das Gesicht der Kreatur immer für unscheinbar gehalten, aber in dem unzuverlässigen Licht und mit diesem Lächeln nahm es einen erschreckenden Ausdruck an. Das Laternenlicht ließ seine Augen wie zwei winzige gelbe Flammen glühen, die die Dunkelheit in ihren Höhlen verschlang.

Unscheinbar am Tag, ein Schrecken bei Nacht. Dieses Ding hatte die hilflos daliegende Tylin abgeschlachtet. Mat knirschte mit den Zähnen. Dann griff er an.

Eine idiotische Idee. Der Gholam war schneller als er, und Mat hatte nicht die geringste Ahnung, ob der Fuchskopf ihn töten konnte oder nicht. Er griff trotzdem an. Er griff für Tylin an, für die Männer, die er an dieses Ungeheuer verloren hatte. Er griff an, weil er keine andere Wahl hatte. Wenn man wirklich wissen wollte, was ein Mann wert war, trieb man ihn in die Ecke und ließ ihn um sein Leben kämpfen.

Mat stand nun in der Ecke. Blutig und gehetzt. Er wusste, dass ihn dieses Ding irgendwann finden würde – oder, noch schlimmer, es würde Tuon oder Olver finden. Es war die Art von Situation, in der ein vernünftiger Mann die Flucht ergriffen hätte. Aber er musste ja stattdessen ein verfluchter Narr sein. Wegen eines Schwurs an eine Aes Sedai in der Stadt bleiben? Nun, sollte er sterben, dann wenigstens mit der Waffe in der Hand.

Mat verwandelte sich in einen Wirbelsturm aus Stahl und Holz und griff brüllend an. Der Gholam erschien überrascht und wich tatsächlich zurück. Mat hieb ihm den Ashandarei gegen die Hand und verbrannte Fleisch, dann kreiselte er und schlug ihm den Dolch aus den Fingern. Die Kreatur sprang zur Seite, aber Mat machte einen Satz nach vorn und rammte dem Ding den Speer zwischen die Beine.

Es krachte zu Boden. Seine Bewegungen waren geschmeidig, und es fing sich ab, aber es ging zu Boden. Als es wieder auf die Füße schnellte, hieb ihm Mat die Ashandarei-Klinge gegen die Ferse. Sie durchtrennte sauber die Sehnen das Gholam, und wäre das Monstrum menschlich gewesen, wäre es zusammengebrochen. Stattdessen gab es nicht einmal einen Schmerzlaut von sich, und aus dem Schnitt floss kein Blut.

Die Kreatur fuhr herum und warf sich mit ausgestreckten Krallenfingern auf Mat. Er taumelte zurück und schwang zur Abwehr den Speer. Die Kreatur grinste ihn an.

Dann drehte sie sich seltsamerweise um und rannte los.

Mat fluchte. Hatte sie etwas verjagt? Aber nein, sie floh gar nicht. Sie wollte sich an seine Männer halten!

»Rückzug!«, brüllte Mat ihnen zu. »Zurück! Du verdammtes Ungeheuer. Ich bin hier! Kämpf gegen mich!«

Die Mitglieder der Bande gehorchten seinem Befehl und liefen auseinander, obwohl sich Talmanes mit grimmigem Gesichtsausdruck nur widerwillig bewegte. Der Gholam lachte, verfolgte die Soldaten aber nicht. Stattdessen trat er die erste Laterne um, und sie erlosch. Er rannte den Kreis entlang und versetzte jeder einen Tritt, was die Straße in tiefe Dunkelheit tauchte.

Verfluchte Asche! Mat jagte hinter der Kreatur her. Falls sie sämtliche Lichter löschen konnte, würde er mit dieser dichten Wolkendecke in so gut wie absoluter Finsternis kämpfen müssen!

Talmanes ignorierte unverhohlen seine Sicherheit, sprang vor und schnappte sich seine Laterne, um sie zu beschützen. Er floh die Straße entlang, und Mat fluchte, als der Gholam ihn verfolgte.

Mat stürzte hinter ihnen her. Talmanes hatte einen ordentlichen Vorsprung, aber der Gholam war so schnell. Um ein Haar erwischte er ihn, und Talmanes machte einen Satz zur Seite und wich rückwärts die Treppe zu einem Hauseingang hinauf. Das Ungeheuer raste auf ihn zu, und Talmanes stolperte weiter hinauf, während Mat so schnell rannte, wie er konnte.

Die Laterne entglitt Talmanes und spritzte Öl über die Hauswand. Das trockene Holz fing sofort Feuer, Flammen tanzten das Lampenöl entlang, beleuchteten den Gholam. Er sprang auf Talmanes zu. Mat warf den Ashandarei.

Der Speer mit der breiten Klinge war nicht zum Werfen gemacht, aber er hatte kein Messer zur Hand. Er zielte auf den Kopf des Gholam. Aber das hätte nie jemand erahnt, denn er verfehlte sein Ziel kläglich. Glücklicherweise flog die Waffe zwischen die Beine des Gholam.

Das Ungeheuer stolperte und krachte schwer auf das Kopfsteinpflaster. Talmanes eilte weiter die Stufen zu dem mittlerweile hell lodernden Haus hinauf.

Gesegnet sei mein Glück, dachte Mat.

Der Gholam erhob sich und machte Anstalten, Talmanes weiter zu verfolgen, aber dann fiel sein Blick auf das, was ihn zu Fall gebracht hatte. Die Kreatur warf Mat ein durchtriebenes Grinsen zu; das halbe Gesicht wurde in das Licht des brennenden Gebäudes getaucht. Sie hob den Ashandarei auf – an den noch immer das Fuchskopf-Medaillon festgebunden war -, dann schleuderte sie die Waffe mit einem mächtigen Schwung weg. Der Speer krachte durch ein Fenster in das brennende Haus hinein.

Drinnen flammten Lampen auf, als würden die Bewohner erst jetzt den in ihrer Nähe tobenden Kampf bemerken. Talmanes schaute zu Mat, und ihre Blicke trafen sich. Der Cairhiener warf sich gegen die Haustür des brennenden Gebäudes und verschwand darin. Der Gholam wandte sich Mat zu, von hinten von den sich ausbreitenden Flammen beleuchtet. Mats Herz pochte alarmiert, als die Kreatur unnatürlich schnell auf ihn zukam.

Mit schweißfeuchten Fingern griff er in die Manteltaschen. Bevor ihn der Gholam erreichte – seine Hände schnellten auf Mats Hals zu -, zog er etwas hervor und klatschte es gegen die Handflächen der Kreatur. Es zischte laut, als läge Fleisch auf einem Grill, und der Gholam kreischte schmerzerfüllt auf. Er stolperte zurück und starrte Mat mit weit aufgerissenen Augen an.

Der in jeder Hand ein Fuchskopf-Medaillon hielt.

Er ließ sie vorwärts schnellen und an den langen dicken Ketten umherwirbeln, an denen sie befestigt waren. Die Medaillons schienen im Feuerschein zu glühen, als Mat zuschlug und den Arm des Ungeheuers traf.

Aufheulend wich die Kreatur einen weiteren Schritt zurück. »Wie?«, verlangte sie zu wissen. »Wie?«

»Das weiß ich selbst nicht genau.« Elayne hatte behauptet, ihre Kopien seien nicht perfekt, aber sie schienen ihre Aufgabe gut zu erfüllen. Solange sie den Gholam verletzten, waren ihm ihre weiteren Fähigkeiten egal. Mat grinste und wirbelte das zweite Medaillon nach vorn. »Schätze, ich habe eben Glück gehabt.«

Der Gholam starrte ihn böse an, dann stolperte er die Stufen des brennenden Hauses hinauf. Er stürmte hinein und wollte vermutlich fliehen. Aber Mat würde ihn nicht entkommen lassen, dieses Mal nicht. Er eilte die Stufen hinauf und duckte sich durch den brennenden Eingang, streckte die Hand aus, damit ihm Talmanes aus einem Seitenkorridor den Ashandarei zuwerfen konnte.

Mat fing die Waffe auf und ließ die Medaillons um die Unterarme gewickelt. Der Gholam fuhr zu ihm herum; der Korridor stand bereits in Flammen, und die Hitze von den Seiten und dem Obergeschoss war erstickend. An der Decke sammelte sich Rauch. Talmanes hustete, ein Taschentuch vor das Gesicht gedrückt.

Knurrend wandte sich der Gholam Mat zu und griff an. Mat stellte sich der Bestie in der Mitte des breiten Korridors und riss den Speer hoch, um die klauenähnlichen Hände der Kreatur abzuwehren. Das Feuer hatte den Schaft des Ashandarei angesengt, und das Holz qualmte an seinem Knauf.

Und Mat griff an mit allem, was er hatte, ließ den Ashandarei wirbeln und eine Rauchfahne in die Luft zeichnen. Der Gholam schlug nach ihm, aber Mat zog den Speer mit einer Hand nach unten und schleuderte ein Medaillon wie ein Messer, traf die Kreatur mitten ins Gesicht. Aufheulend stolperte sie mit schwarz verbranntem und qualmendem Gesicht zurück. Mat trat vor, hieb mit dem Speerknauf gegen das fallende Medaillon und traf die Kreatur erneut damit.

Der Ashandarei zuckte vor, und ein paar Finger des Gholam flogen durch die Luft. Sicher, weder blutete er, noch schienen ihm gewöhnliche Verletzungen Schmerzen zuzufügen, aber das würde ihn etwas langsamer machen.

Der Gholam fauchte, Zorn loderte in seinen Augen. Das Lächeln war verschwunden. Blitzartig warf er sich nach vorn, aber Mat drehte sich und schlitzte das braune Hemd der Kreatur auf und entblößte ihre Brust. Dann peitschte er mit dem zweiten Medaillon zu und traf den Gholam, während der die Haut an Mats Arm aufschlitzte und Blut an die Wand spritzen ließ.

Mat grunzte. Der Gholam heulte und stolperte tiefer in den brennenden Korridor zurück. Hitze und Anstrengung ließen Mat schwitzen. Gegen diese Kreatur kam er nicht an. Jedenfalls nicht lange. Aber das spielte keine Rolle. Er setzte sich in Bewegung, ließ den Ashandarei so schnell wirbeln, dass er wie ein Schemen erschien. Traf den Gholam mit der flachen Seite, wo das Medaillon befestigt war. Als sich die Bestie davon erholte, schleuderte er ihr das zweite Medaillon ins Gesicht. Der Gholam duckte sich. Aber schon trat Mat die dritte Kopie in die Höhe, und sie prallte gegen seinen Hals.

Der Ashandarei zeichnete Rauchfahnen in die Luft, als Mat ihn schwang und wieder in beide Hände nahm. Das Ende seiner Waffe glühte und qualmte. Er brüllte etwas in der Alten Sprache, ohne sich dessen richtig bewusst zu sein.

»Al dival, al kiserai, al mashil« Für Licht, Ruhm und Liebe!

Der Gholam wich knurrend vor dem Schlaghagel zurück. Er schaute über die Schulter und schien etwas hinter sich zu bemerken, aber Mats Angriff erforderte seine volle Aufmerksamkeit.

»Tai’daishar!« Das wahre Blut der Schlacht!

Mat drängte die Bestie auf eine geöffnete Tür im hinteren Teil des Korridors zu. In dem dahinter liegenden Raum herrschte völlige Finsternis. Das Licht der Flammen erreichte die Wände nicht.

Carai manshimaya Tylin. Carai an manshimaya Nalesean. Carai an manshimaya ayend’an! Die Ehre meiner Klinge für Tylin. Die Ehre meiner Klinge für Nalesean. Die Ehre meiner Klinge für die Gefallenen.

Der Ruf der Vergeltung.

Der Gholam wich in den dunklen Raum zurück, trat auf einen knochenweißen Boden und schaute den Bruchteil einer Sekunde nach unten.

Tief Luft holend, sprang Mat die letzten Kräfte aufbietend über die Schwelle und rammte der Kreatur den qualmenden Knauf des Ashandarei gegen die Schläfe. Funken und Asche explodierten in ihrem Gesicht. Fluchend stolperte das Ungeheuer nach rechts.

Und kippte beinahe vom Rand einer Plattform, die über einem grenzenlosen Nichts schwebte. Der Gholam zischte vor Wut; ein Bein hing über dem Abgrund, während er mit den Armen ruderte, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.

Auf dieser Seite der Tür zeichnete ein glühendes weißes Licht den Rahmen nach – die Ränder eines Wegetores, das zum Gleiten bestimmt war. »Ich weiß nicht, ob du sterben kannst«, sagte Mat leise. »Ich hoffe beim Licht, dass das nicht möglich ist.« Und er hob den Fuß und rammte dem Ding den Stiefel in den Rücken, katapultierte es von der Plattform in die Finsternis. Der Gholam stürzte ins Nichts, drehte sich in der Luft herum und starrte ihn voller Entsetzen an.

»Ich hoffe, du kannst nicht sterben, weil ich den Gedanken genießen werde, dass du für alle Ewigkeit durch die Finsternis stürzt, Bastard von Ziegenscheiße!« Mat spuckte über die Seite und schickte dem Gholam blutigen Speichel nach. Beides verschwand in der Dunkelheit.

Sumeko trat an seine Seite. Die stämmige Kusine hatte langes dunkles Haar und die Haltung einer Frau, die sich nicht gern herumkommandieren ließ. Also so wie eigentlich jede

Frau. Sie hatte unmittelbar im Inneren des Tores gestanden, an der Seite, wo sie vom Korridor aus nicht zu sehen war. Sie hatte dort stehen müssen, um die weiße Gleitplattform aufrechtzuerhalten, die die Form eines sehr großen Buches hatte. Stirnrunzelnd sah sie ihn an.

»Danke für das Wegetor«, sagte Mat und schulterte den Ashandarei. Der Knauf zog noch immer einen schmalen Rauchfaden hinter sich her. Sumeko hatte das Wegetor im Palast erschaffen, war damit bis zu dieser Stelle Gereist und hatte es auf den Korridor hinaus geöffnet. Sie hatten gehofft, dass der Gholam auf diese Weise ihr Machtlenken nicht mitbekam, da sie die Gewebe im Palast erschuf.

Sumeko schnaubte. Zusammen traten sie aus dem Wegetor in das Gebäude. Ein paar Soldaten der Bande löschten hastig die Flammen. Talmanes eilte herbei, als das Wegetor erlosch, begleitet von Julanya, einer weiteren Kusine.

»Und Ihr seid sicher, dass diese Finsternis unendlich ist?«, fragte Mat. Julanya war eine hübsche mollige Frau, die mühelos auf Mats Knie gepasst hätte. Die weißen Strähnen in ihrem Haar taten ihrer Attraktivität keinen Abbruch.

»Soweit wir das sagen können, ist sie das«, sagte Sumeko. »Das habt Ihr fast vermasselt, Matrim Cauthon. Die Kreatur schien nicht besonders überrascht über das Wegetor zu sein. Ich glaube, sie hat es doch gespürt.«

»Aber ich habe sie von der Plattform werfen können«, erwiderte Mat.

»Nur mit großer Mühe. Ihr hättet die Bestie uns überlassen sollen.«

»Das hätte nicht funktioniert«, sagte Mat und nahm von Talmanes ein nasses Taschentuch entgegen. Sumeko musterte seinen Arm, aber Mat bat nicht darum, Geheilt zu werden. Dieser Schnitt würde auch so ordentlich heilen. Möglicherweise gab es sogar eine hübsche Narbe. Narben beeindruckten Frauen, solange sie nicht im Gesicht waren. Was hielt Tuon eigentlich davon?

Sumeko schnaubte. »Der Stolz der Männer. Vergesst nicht, dass auch wir einige der unseren an diese Bestie verloren haben.«

»Und es freut mich, dass ich Euch helfen konnte, Vergeltung zu üben.« Mat lächelte sie an, obwohl sie recht hatte; um ein Haar wäre es schiefgegangen. Er war davon überzeugt, dass der Gholam die Kusine hinter der Tür gespürt hatte, als sie sich ihr näherten. Glücklicherweise hatte das Ding eine Machtlenkerin wohl nicht als Bedrohung betrachtet.

Talmanes gab Mat die beiden zu Boden gefallenen Medaillons zurück. Er steckte sie ein, dann band er das Original von seinem Ashandarei los und hängte es sich wieder um den Hals. Die Kusinen betrachteten die Medaillons beinahe schon gierig. Nun, das konnten sie so lange tun, wie sie Lust hatten. Eines davon wollte er Olver geben, das andere Tuon, sobald er sie gefunden hatte.

Hauptmann Guybon, Birgittes zweiter Stellvertreter, betrat das Haus. »Die Bestie ist tot?«

»Nein«, sagte Mat, »aber so gut wie, also reicht es für einen Kontrakt mit der Krone.«

»Einen Kontrakt mit der Krone?« Guybon runzelte die Stirn. »Ihr habt die Königin für dieses Unternehmen um Hilfe gebeten. Das geschah nicht in ihrem Auftrag.«

Talmanes räusperte sich. »Tatsächlich haben wir gerade die Stadt von einem Mörder befreit, der bei der letzten Zählung fast ein Dutzend ihrer Bürger getötet hat. Meiner Meinung nach steht uns ein Kampfgeld zu.« Er sagte das mit völlig unbewegter Miene. Man konnte ihn nur dafür segnen.

»Verdammt richtig«, sagte Mat. Den Gholam aufzuhalten und dafür bezahlt zu werden. Das klang zur Abwechslung mal nach einem sonnigen Tag. Er warf Guybon das Taschentuch zu und ging, ließ die Kusinen hinter sich zurück, die mit verschränkten Armen verdrossen zusahen. Warum nur konnte eine Frau einen Mann wütend ansehen, wenn er doch genau das getan hatte, was er versprochen hatte, und dabei sogar seinen Hals riskierte?

»Das mit dem Feuer tut mir leid, Mat«, sagte Talmanes.

»Ich wollte die Laterne so nicht fallen lassen. Ich weiß, dass ich ihn eigentlich nur in dieses Haus locken sollte.«

»Hat doch prächtig geklappt«, sagte Mat und inspizierte den Knauf seines Ashandarei. Der Schaden war zu vernachlässigen.

Sie hatten nicht gewusst, wo – oder ob – der Gholam ihn angreifen würde, aber Guybon hatte ausgezeichnete Arbeit geleistet und jedermann aus den umliegenden Gebäuden geschafft, um dann einen Korridor auszusuchen, in den hinein die Kusine das Wegetor öffnen konnte. Er hatte einen Soldaten der Bande losgeschickt, um Talmanes zu sagen, wo er hinmusste.

Nun, Elaynes und Birgittes Idee mit dem Wegetor hatte funktioniert, obwohl es nicht genau nach Plan abgelaufen war. Aber immer noch besser als Mats Plan; er war bloß auf die Idee gekommen, dem Gholam eines der Medaillons in den Rachen zu stopfen.

»Lasst uns Setalle und Olver aus ihrem Gasthaus holen«, sagte Mat, »und zurück ins Lager gehen. Die Aufregung ist für den Augenblick vorbei. Wurde auch verdammt noch mal Zeit.«

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