Faile saß ungeduldig auf Tageslicht und versuchte keine Miene zu verziehen, als das Wegetor einen Strich in die Luft schnitt. Auf der anderen Seite lag eine braune Wiese; Gaul und die Töchter schlüpften sofort hindurch, um die Gegend zu erkunden.
»Und Ihr wollt bestimmt nicht mitkommen?«, fragte Perrin Galad, der in der Nähe stand und die Prozession mit auf dem Rücken verschränkten Händen verfolgte.
»Nein«, sagte Galad. »Mein Essen mit Elayne war ausreichend, uns gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen.«
»Wie Ihr wollt«, sagte Perrin. Er wandte sich Faile zu und zeigte auf das Tor.
Sie trieb Tageslicht an. Endlich war die Zeit gekommen, der Königin von Andor gegenüberzutreten, und sie musste darum kämpfen, ihre Nervosität zu verbergen. Perrin ritt neben ihr durch das Tor; auf der anderen Seite wartete Caemlyn. Die Großstadt war voller spitzer Türme und rot-weißer Banner; in der Mitte ragte der Palast auf. Niedercaemlyn außerhalb der Stadtmauer war eine eigenständige sich ausbreitende Stadt.
Perrins Prozession folgte ihnen durch das Tor; sie sollte beeindruckend aussehen, was sorgfältig geplant war, aber keinesfalls feindselig. Alliandre mit hundert Gardesoldaten. Einhundert Bogenschützen von den Zwei Flüssen, die ihre entspannten Bogenstäbe wie Lanzen trugen. Einhundert Abgeordnete der Wolfsgarde, einschließlich einem großen Kontingent niederen cairhienischen Adels, deren farbige Schlitze an ihren Uniformen mit in Weißbrücke gekauftem Stoff gemacht waren. Und natürlich Gaul und die Töchter.
Grady kam als Letzter. Der Mann trug einen sauber gebügelten schwarzen Mantel, seine Anstecknadel des Geweihten funkelte auf Hochglanz poliert am hohen Kragen. Er schaute sofort nach Westen in Richtung der Schwarzen Burg. Früher am Tag hatte er versucht, dorthin ein Wegetor zu öffnen, da Perrin ihm die Erlaubnis gegeben hatte. Es hatte nicht funktioniert. Perrin fand das besorgniserregend. Er hatte vor, sich darum zu kümmern, heute Nacht oder spätestens morgen.
Gaul und die Töchter scharten sich um Perrin und Faile, und die Kolonne setzte sich auf der Straße in Bewegung. Arganda und eine Abteilung von Perrins Wolfsgarde ritten voraus, um sie anzukündigen. Der Rest von ihnen schlug ein majestätisches Tempo an. Caemlyns wuchernde Ausbreitung war schlimmer als die in Weißbrücke. In der Nähe von Niedercaemlyn lagerten mehrere Heere. Vermutlich ernährt von den verschiedenen Adeligen, die Elaynes Thronbesteigung unterstützt hatten.
Hier gab es einen auffallenden Unterschied. Über Caemlyn brach die Wolkendecke auf. Die Wolken waren so allgegenwärtig gewesen, dass Faile es ungläubig sah. Sie bildeten ein kreisförmiges Loch über der Stadt, das auf unheimliche Weise ebenmäßig war.
Arganda und die Wolfsgardisten kehrten zurück. »Man wird uns empfangen, mein Lord, meine Lady«, verkündete er.
Faile und Perrin ritten schweigend weiter. Sie hatten das bevorstehende Treffen mehrere Male ausgiebig besprochen; es gab nichts mehr zu sagen. Klugerweise hatte Perrin ihr die Führung der diplomatischen Verhandlungen überlassen. Die Welt konnte keinen Krieg zwischen Andor und den Zwei Flüssen gebrauchen. Nicht jetzt.
Als sie die Stadttore passierten, erhöhten Perrin und die Aiel ihre Wachsamkeit. Faile erduldete ihren übertriebenen Schutz schweigend. Wie lange würde ihre Gefangenschaft bei den Shaido ihr Leben überschatten? Manchmal kam es ihr fast so vor, als wollte Perrin sie nicht zum Abort lassen, ohne ihr vier Dutzend Wächter zur Seite zu geben.
Die Straßen hinter der Stadtmauer waren dicht bevölkert, Häuser und Märkte voller Menschen. Abfallhaufen waren zu sehen, und eine beängstigende Zahl von Straßenkindern bewegte sich in der Menge. Ausrufer warnten lautstark vor den gefährlichen Zeiten. Manche von ihnen standen vermutlich in den Diensten der Kaufleute und animierten die Bürger zum Horten. Perrins Leute hatten Lebensmittel gebracht, aber sie waren teuer; Elayne würde sie bald subventionieren müssen, wenn sie es nicht bereits tat. In welchem Zustand befanden sich wohl die Lagerhäuser der Krone?
Sie durchquerten die Neustadt, dann betraten sie die Innenstadt und erklommen den Hügel zum Palast. Die Königliche Garde in ihren roten und weißen Wappenröcken und polierten Harnischen hatte außerhalb der Palasttore vor den makellos weißen Palastmauern Haltung angenommen.
Direkt hinter den Toren stiegen sie ab. Eine hundertköpfige Streitmacht begleitete Perrin und Faile in den Palast. Alle Aiel und eine kleinere Ehrengarde von jedem Kontingent. Die Palastkorridore waren breit, aber so viele Menschen nahmen Faile die Luft. Der Weg, den man sie und Perrin zum Thron führte, war ein anderer, als sie zuvor einmal gegangen war. Warum nahm man nicht den direkten Weg?
Anscheinend hatte sich seit der Zeit, in der Rand hier geherrscht hatte, nur sehr wenig verändert. Es gab keine Aiel mehr – von denen natürlich abgesehen, die Perrin mitgebracht hatte. In der Korridormitte lag derselbe schmale rote Teppich, in den Ecken standen dieselben Vasen, an den Wänden hingen dieselben Spiegel, die alles größer erscheinen lassen sollten.
Ein solches Gebäude konnte jahrhundertelang unverändert dastehen und müßig zusehen, wessen Füße über die Teppiche gingen und wessen Hintern den Thron wärmte. In der Zeitspanne einen Jahres hatte der Palast Morgase erlebt, dann einen der Verlorenen, den Wiedergeborenen Drachen und schließlich Elayne.
Als sie um die Ecke zum Thronsaal bogen, rechnete Faile beinahe damit, Rand auf seinem Drachenthron lungern zu sehen, in der Ellenbeuge diesen seltsamen Halbspeer und das Funkeln des Wahnsinns in den Augen. Aber der Drachenthron war entfernt worden, und auf dem Löwenthron saß wieder seine Königin. Rand hatte diesen Thron zur Seite gestellt und wie eine Blume beschützt, die er einer zukünftigen Liebe hatte überreichen wollen.
Die Königin war eine jüngere Version ihrer Mutter. Sicher, Elaynes Gesicht wies Züge auf, die zarter als Morgases waren. Aber sie hatte das gleiche rotblonde Haar und die gleiche atemberaubende Schönheit. Sie war hochgewachsen, und Bauch und Brust verrieten deutlich ihre Schwangerschaft.
Der Thronsaal war angemessen kunstvoll mit vergoldeten Zierleisten und schmalen Säulen in den Ecken, die vermutlich nur Dekorationszwecken dienten. Elayne sorgte für mehr Helligkeit, als Rand das getan hatte; Kandelaber brannten hell. Morgase stand auf der rechten Seite am Fuß des Throns, acht Angehörige der Königlichen Garde standen links. An den Wänden schauten einige unbedeutendere Adlige mit großer Aufmerksamkeit zu.
Elayne beugte sich vor, als Perrin, Faile und die anderen eintraten. Natürlich machte Faile einen Knicks, und Perrin verneigte sich. Keine tiefe Verbeugung, aber immerhin eine Verbeugung. Wie abgesprochen machte Alliandre einen tieferen Knicks als Faile. Das würde Elayne sofort nachdenklich machen.
Offiziell ging es bei diesem Besuch um eine Wertschätzung der Krone, ein Dank an Perrin und Faile, weil sie Morgase zurückgebracht hatten. Natürlich war das nur eine Täuschung. Der wahre Grund für dieses Treffen war die Zukunft der Zwei Flüsse. Aber das war die Art von heiklem Thema, das keiner so ohne Weiteres ansprechen konnte, zumindest nicht sofort.
Allein es schon zur Sprache zu bringen würde der anderen Seite zu viel verraten.
»Gebt allgemein bekannt«, sagte Elayne mit melodischer Stimme, »dass der Thron Euch, Lady Zarine ni Bashere t’Aybara, willkommen heißt. Königin Alliandre Maritha Kigarin. Perrin Aybara.« Er wurde nicht mit einem Titel angesprochen. »Man soll unsere persönliche Dankbarkeit verkünden, dass Ihr unsere Mutter zu uns zurückgebracht habt. Eure Bemühungen in dieser Angelegenheit bringt Euch die tiefste Anerkennung der Krone ein.«
»Vielen Dank, Euer Majestät«, sagte Perrin in seinem üblichen schroffen Tonfall. Faile hatte ein langes Gespräch mit ihm geführt, worin es darum gegangen war, nicht auf die formellen Anreden oder zeremoniellen Artigkeiten zu verzichten.
»Wir werden für die Rückkehr meiner Mutter einen Feiertag ausgerufen«, sagte Elayne. »Sowie für ihre Rückkehr in die ihr zustehende … Stellung.«
Nun, diese Pause bedeutete, dass Elayne gar nicht darüber erfreut gewesen war, dass man ihre Mutter wie eine Dienerin behandelt hatte. Sie musste begreifen, dass Perrin und Faile nicht gewusst hatten, was sie da taten, aber eine Königin konnte einen solchen Vorfall trotzdem mit Missfallen betrachten. Vielleicht war das ein Vorteil, den sie benutzen wollte.
Es war durchaus möglich, dass Faile zu viel in die Worte hineindeutete, aber das konnte sie nicht vermeiden. In mancherlei Hinsicht war eine Lady genau wie eine Kauffrau, und man hatte sie für beide Rollen gut ausgebildet.
»Und schließlich kommen wir zu dem Grund für unsere Begegnung«, sagte Elayne. »Lady Bashere, Meister Aybara. Gibt es eine Gunst, die Ihr gern für das Geschenk hättet, das Ihr Andor gemacht habt?«
Perrin legte die Hand auf seinen Hammer, dann sah er Faile fragend an. Offensichtlich erwartete Elayne, dass sie darum baten, ihn formell in den Rang eines Lords zu erheben. Oder vielleicht um Nachsicht dafür baten, dass er sich dafür ausgegeben hatte, zusammen mit einem formellen Pardon. Diese Unterhaltung konnte zu beiden Ergebnissen führen.
Faile war versucht, das Erstere zu verlangen. Es wäre eine einfache Antwort gewesen. Aber vielleicht zu einfach; Faile musste noch ein paar Dinge wissen, bevor sie fortfahren konnte. »Euer Majestät«, sagte sie sorgfältig, »könnten wir uns in einem intimeren Rahmen über diese Gunst unterhalten?«
Elayne dachte darüber nach – mindestens dreißig Sekunden lang, was wie eine Ewigkeit erschien. »Sicher. Mein Wohnzimmer steht bereit.«
Faile nickte, und ein Diener öffnete eine kleine Tür an der linken Seite des Thronsaals. Perrin ging darauf zu, dann hielt er an Gaul, Sulin und Arganda gerichtet die Hand hoch. »Wartet hier.« Er zögerte, sah Grady an. »Ihr auch.«
Das schien keinem von ihnen zu gefallen, aber sie gehorchten. Man hatte sie vorher gewarnt, dass das möglicherweise passieren würde.
Faile bezwang ihre Nervosität – es gefiel ihr gar nicht, den Asha’man zurückzulassen, ihre beste Fluchtmöglichkeit. Vor allem da Elayne zweifellos im Wohnzimmer Wächter und Spione versteckt hatte, die bei dem geringsten Anzeichen von Gefahr sofort herbeistürmen würden. Sie hätte gern über ähnlichen Schutz verfügt, aber einen Machtlenker zu einem Gespräch mit der Königin mitzunehmen … nun, dann sollte es eben so sein. Sie befanden sich in Elaynes Reich.
Faile holte tief Luft und gesellte sich in dem kleinen Raum zu Perrin und Alliandre. Man hatte Stühle aufgestellt; Elayne hatte diese Möglichkeit vorhergesehen. Sie warteten auf die Königin und setzten sich nicht. Faile konnte kein offensichtliches Versteck für Wächter entdecken.
Elayne trat ein und schwenkte die Hand. Der Große Schlangenring auf ihrem Finger funkelte im Lampenschein. Faile hatte fast vergessen, dass sie eine Aes Sedai war. Vermutlich lauerten gar keine Gardisten in der Nähe – eine Frau, die die Macht lenken konnte, war so gefährlich wie ein Dutzend Soldaten.
Welchem der Gerüchte über den Vater von Elaynes Kind durfte man Glauben schenken? Sicherlich nicht das über den Narren in ihrer Garde – das sollte die Sache zweifellos nur verschleiern. Konnte es möglicherweise Rand selbst sein?
Morgase trat hinter Elayne ein. Sie trug ein dunkelrotes, eher schlichtes Gewand. Sie setzte sich neben ihre Tochter und beobachtete alles sorgfältig, beteiligte sich aber nicht an dem Gespräch.
»Also«, fing Elayne ohne Umschweife an. »Dann erklärt mir doch einmal, warum ich euch beide nicht einfach als Verräter hinrichten lassen sollte.«
Faile blinzelte überrascht. Perrin aber schnaubte bloß. »Ich glaube nicht, dass Rand viel von dieser Idee halten würde«, sagte er.
»Ich bin ihm nicht verpflichtet, mein lieber Perrin«, erwiderte Elayne. »Ich soll also allen Ernstes glauben, dass er dich dazu verleitete, meine Bürger zu verführen und dich selbst zum König zu ernennen?«
»Ein paar Eurer Fakten stimmen nicht, Euer Majestät«, sagte Faile gereizt. »Perrin hat sich nie zum König ernannt.«
»Ach, hat er denn die Flagge von Manetheren gehisst, wie mir meine Informanten berichteten?«
»Das tat ich«, sagte Perrin. »Aber ich habe sie auch wieder eingeholt, weil ich es so wollte.«
»Nun, immerhin«, sagte Elayne. »Vielleicht hast du dich ja nicht als König bezeichnet, aber dieses Banner zu hissen war im Grunde das Gleiche. Ach, setzt euch endlich, ihr alle.« Sie schwenkte die Hand. Ein Tablett stieg von einem Tischchen in die Höhe und schwebte zu ihr. Es trug Pokale und eine Kanne Wein, aber auch eine Teekanne und Tassen.
Mit der Einen Macht geholt, dachte Faile. Das ist eine Erinnerung an ihre Kraft. Und eine ziemlich unsubtile obendrein.
»Trotzdem werde ich das Beste für mein Reich tun, ganz egal, was es kostet«, sagte Elayne.
»Ich bezweifle, dass es das Beste für Euer Reich wäre, Unruhe in die Zwei Flüsse zu bringen«, sagte Alliandre zögernd. »Ihren Anführer hinzurichten würde dort zweifellos eine Rebellion auslösen.«
»Soweit es mich betrifft«, sagte Elayne und goss ein paar Tassen Tee ein, »haben sie bereits rebelliert.«
»Wir kamen in Frieden her«, sagte Faile. »Kaum die Handlung von Rebellen.«
Elayne nahm als Erste einen Schluck Tee, so wie es der Brauch war, um zu beweisen, dass er nicht vergiftet war. »Meine zu den Zwei Flüssen entsandten Botschafter hat man nicht empfangen, und eure Leute übermittelten mir die Botschaft, und ich zitiere: ›Das Land von Lord Perrin Goldauge verweigert eure andoranischen Steuern. Tai’shar Manetheren!‹«
Alliandre wurde blass. Perrin seufzte leise, ein Laut, der entfernt an ein Knurren erinnerte. Faile nahm ihre Tasse und trank – Pfefferminztee mit Wolkenbeeren; er war gut. Die Menschen von den Zwei Flüssen hatten Schneid, so viel stand fest.
»Das sind bewegende Zeiten, Euer Majestät«, sagte Faile. »Sicherlich könnt Ihr verstehen, dass sich das Volk Sorgen macht; die Zwei Flüsse waren nicht oft eine Priorität für Euren Thron.«
»Das ist freundlich ausgedrückt«, fügte Perrin mit einem Schnauben hinzu. »Die meisten von uns wuchsen auf, ohne überhaupt zu wissen, dass wir ein Teil von Andor sind. Man hat uns ignoriert.«
»Weil diese Gegend nicht rebellierte.« Elayne trank einen kleinen Schluck Tee.
»Eine Rebellion ist nicht der einzige Grund, warum Menschen die Aufmerksamkeit der Königin verdienen, die sie für sich beansprucht«, sagte Perrin. »Ich weiß nicht, was du gehört hast, aber letztes Jahr mussten wir uns ganz allein der Trollocs erwehren, ohne auch nur die geringste Hilfe der Krone. Ihr hättet uns geholfen, hättet ihr das gewusst, aber die Tatsache, dass keine Truppen in der Nähe waren, dass niemand überhaupt wissen konnte, dass wir in Gefahr waren, sagt viel aus.« Elayne zögerte.
»Die Zwei Flüsse haben ihre Geschichte wiederentdeckt«, sagte Faile mit sorgfältig gewählten Worten. »Sie konnten nicht für alle Ewigkeit ruhen, nicht wo Tarmon Gai’don lauert. Nicht nachdem sie den Wiedergeborenen Drachen während seiner Kindheit behüteten. Ein Teil von mir fragt sich wirklich, ob Manetheren fallen und die Zwei Flüsse entstehen mussten, um für einen Ort zu sorgen, an dem Rand al’Thor aufwachsen konnte. Unter Bauern mit dem Blut und der Sturheit von Königen.«
»Was es umso wichtiger macht, dass ich die Dinge jetzt beschwichtige«, sagte Elayne. »Ich bot euch eine Gunst, damit ihr um Verzeihung bitten konntet. Ich würde euch Pardon gewähren, und ich werde auch sicherlich Truppen losschicken, damit eure Familien beschützt werden. Akzeptiert das, und wir alle können wieder zu dem Leben zurückkehren, wie es sein sollte.«
»Das wird nicht geschehen«, sagte Perrin leise. »Die Zwei Flüsse werden jetzt Lords haben. Ich habe mich eine Weile dagegen gewehrt. Du magst vielleicht auch so reagieren, aber es wird nichts ändern.«
»Schon möglich. Aber dich anzuerkennen würde anerkennen, dass sich in meiner Nation ein Mann einfach einen Titel geben kann und ihn dann stur verteidigt, indem er ein Heer aufstellt. Das wäre ein schrecklicher Präzedenzfall, Perrin. Ich glaube nicht, dass du überhaupt begreifst, in welche Zwangslage du mich da gebracht hast.«
»Das regeln wir schon«, erwiderte Perrin in dem sturen Tonfall, den er benutzte, wenn er nicht nachgeben würde. »Ich trete nicht zurück.«
»Wenn du mich davon überzeugen willst, dass du meine Autorität anerkennst, dann leistest du lausige Arbeit«, fauchte Elayne.
Das ist nicht gut, dachte Faile und öffnete den Mund, um sich einzumischen. Ein Streit half hier niemandem.
Aber bevor sie sprechen konnte, ertönte eine andere Stimme. »Tochter«, sagte Morgase leise und setzte ihre Teetasse ab. »Wenn du mit einem Ta’veren tanzen willst, solltest du dir sicher sein, die richtigen Schritte zu kennen. Ich bin mit diesem Mann gereist. Ich habe erlebt, wie sich die Welt um ihn herum beugt. Ich habe erlebt, wie bittere Feinde seine Verbündeten wurden. Das Muster selbst zu bekämpfen ist wie der Versuch, einen Berg mit einem Teelöffel abzutragen.«
Elayne zögerte, sah ihre Mutter an.
»Bitte verzeih mir, wenn ich hier meine Grenzen überschreite«, fuhr Morgase fort. »Aber ich habe den beiden versprochen, mich für sie zu verwenden. Ich sagte dir, dass ich das tun werde. Andor ist stark, aber ich fürchte, es könnte an diesem Mann zerbrechen. Er will deinen Thron nicht, das verspreche ich, und die Zwei Flüsse brauchen eine Aufsicht. Wäre es so schrecklich, sie den Mann haben zu lassen, den sie sich selbst gewählt haben?«
In dem kleinen Zimmer kehrte Schweigen ein. Elayne musterte Perrin, schätzte ihn ein. Faile hielt den Atem an.
»Also gut«, sagte Elayne schließlich. »Ich nehme an, ihr seid mit Forderungen gekommen. Lasst sie hören, damit wir entdecken können, ob sich etwas machen lässt.«
»Keine Forderungen«, sagte Faile. »Ein Angebot.«
Elayne hob die Brauen.
»Eure Mutter hat recht«, sagte Faile. »Perrin will Euren Thron nicht.«
»Was ihr beiden wollt, könnte irrelevant sein, sobald sich eure Leute eine Idee in den Kopf gesetzt haben.«
Faile schüttelte den Kopf. »Sie lieben ihn, Euer Majestät. Sie respektieren ihn. Sie tun, was er sagt. Und wir können und werden ihnen Ideen von einem wiedererstandenen Manetheren austreiben.«
»Und warum solltet ihr das tun?«, wollte Elayne wissen. »Ich weiß, wie schnell die Zwei Flüsse durch die Flüchtlinge wachsen, die über die Berge kommen. Die Letzte Schlacht könnte Nationen stürzen und hervorbringen. Ihr habt keinen Grund, auf die Chance zu verzichten, euer eigenes Königreich zu erschaffen.«
»Tatsächlich haben wir sogar einen guten Grund dafür«, sagte Faile. »Andor ist eine starke Nation, die blüht. Die Städte in den Zwei Flüssen mögen schnell wachsen, aber die Menschen dort haben kaum angefangen, sich nach einem Lord zu sehnen. In ihren Herzen sind sie noch immer Bauern. Sie wollen keinen Ruhm, sie wollen, dass ihre Ernte gedeiht.« Faile hielt inne. »Vielleicht habt Ihr recht, vielleicht wird die Welt ja wieder zerstört, aber das ist nur ein weiterer Grund, Verbündete zu haben. Niemand will einen Bürgerkrieg in Andor, und erst recht nicht die Menschen in den Zwei Flüssen.«
»Was also schlagt Ihr vor?«, fragte Elayne.
»Eigentlich nichts, das es nicht schon gibt«, sagte Faile. »Verleiht Perrin einen offiziellen Titel, und macht ihn zum Hochlord über die Zwei Flüsse.«
»Und was meint Ihr mit ›Hochlord‹?«
»Er hätte einen höheren Rang als die anderen Adelshäuser von Andor, stünde aber unter der Königin.«
»Ich bezweifle, dass das den anderen gefällt«, sagte Elayne. »Was ist mit den Steuern?«
»Die Zwei Flüsse sind davon befreit«, sagte Faile. Als sich Elaynes Miene verfinsterte, fuhr sie schnell fort. »Euer Majestät, der Thron hat die Zwei Flüsse seit Generationen ignoriert, hat sie weder vor Banditen beschützt noch Arbeiter entsandt, die seine Straßen instand hält, hat nicht für Magistrate oder Friedensrichter gesorgt.«
»Das haben sie auch nicht gebraucht«, erwiderte Elayne. »Sie haben sich prächtig selbst verwaltet.« Sie sagte nichts davon, dass die Menschen in den Zwei Flüssen von der Königin geschickte Steuereintreiber, Magistrate oder Friedensrichter vermutlich fortgejagt hätten – aber sie schien es zu wissen.
»Nun, dann muss sich auch nichts ändern«, sagte Faile. »Die Zwei Flüsse verwalten sich selbst.«
»Man könnte mit ihnen zollfreien Handel treiben«, schlug Alliandre vor.
»Das mache ich schon«, sagte Elayne.
»Also ändert sich nichts«, sagte Faile erneut. »Einmal davon abgesehen, dass Ihr eine mächtige Provinz im Westen dazubekommt. Perrin wird sich als Euer Verbündeter und untertäniger Lord bereiterklären, Truppen zu Eurer Verteidigung loszuschicken. Außerdem wird er die ihm verschworenen Monarchen anweisen, Euch zu unterstützen.«
Elayne warf einen Blick auf Alliandre. Vermutlich hatte ihr Morgase davon erzählt, dass Alliandre den Treueid geleistet hatte, aber sie würde das selbst hören wollen.
»Ich habe Lord Perrin die Treue geschworen«, sagte Alliandre. »Ghealdan fehlen schon seit langem mächtige Verbündete. Ich wollte das ändern.«
»Euer Majestät.« Faile lehnte sich vor, die Teetasse mit beiden Händen umklammert. »Perrin verbrachte mehrere Wochen mit einigen seanchanischen Offizieren. Sie haben einen großen Pakt der Nationen erschaffen, die unter einem Banner verbündet sind. Rand al’Thor, dem Ihr vermutlich als Freund vertraut, hat das Gleiche getan. Tear, Illian und mittlerweile vermutlich auch Arad Doman werden von ihm beherrscht. Heutzutage vereinigen sich Nationen eher, als sich zu trennen. Andor erscheint jede Stunde kleiner.«
»Darum tat ich das alles«, sagte Alliandre.
Nun, Faile vertrat eher die Ansicht, dass sie sich in Perrins ta’veren verfangen hatte. Da war nicht viel geplant gewesen. Aber vermutlich würde Alliandre das anders sehen.
»Euer Majestät«, fuhr sie fort, »hier ist viel zu gewinnen. Durch meine Heirat mit Perrin erhaltet Ihr eine Verbindung zu Saldaea. Durch Alliandres Eide bekommt Ihr Ghealdan dazu. Berelain folgt Perrin ebenfalls und hat oft von ihrem Wunsch gesprochen, starke Verbündete für Mayene zu finden. Sollten wir mit ihr sprechen, wäre sie meines Erachtens sicherlich bereit, ein Bündnis mit uns einzugehen. Wir könnten unseren eigenen Pakt schmieden. Fünf Nationen, wenn man die Zwei Flüsse mitzählt – sechs, rechnet man den Sonnenthron dazu, was Ihr, wenn man den Gerüchten Glauben schenken will, ja vorhabt. Wir sind nicht die mächtigsten Nationen, aber viele sind stärker als einer allein. Und Ihr würdet zu unserer Führung gehören.«
Elaynes Miene hatte fast ihre gesamte Feindseligkeit verloren. »Saldaea. An welchem Platz der Thronfolge steht Ihr denn?«
»An zweiter Stelle«, gab Faile zu, was Elayne vermutlich schon wusste. Perrin rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. Sie wusste, dass ihm diese Tatsache noch immer Unbehagen einflößte; nun, er würde sich daran gewöhnen müssen.
»Das ist zu nahe«, erwiderte Elayne. »Was, wenn Ihr am Ende auf dem Thron von Saldaea sitzt? Auf diese Weise könnte ich die Zwei Flüsse an ein anderes Land verlieren.«
»Das lässt sich doch einfach regeln«, meinte Alliandre. »Sollte Faile den Thron besteigen, könnte eines ihrer und Perrins Kinder als Lord der Zwei Flüsse weitermachen. Ein anderes könnte den Thron von Saldaea erben. Haltet das schriftlich fest, und Ihr habt eine Sicherheit.«
»Ein solches Arrangement könnte ich akzeptieren«, sagte Elayne.
»Ich habe damit kein Problem«, erwiderte Faile und sah Perrin an.
»Von mir aus.«
»Ich hätte gern auch eines von ihnen«, sagte Elayne nachdenklich. »Ich meine, dass eines eurer Kinder in die andoranische Königslinie einheiratet. Wenn die Zwei Flüsse von einem Lord beherrscht werden sollen, der über so viel Macht verfügt, wie ihm dieses Abkommen verleiht, dann hätte ich gern Blutverbindungen zum Thron.«
»Das kann ich nicht versprechen«, sagte Perrin. »Meine Kinder werden ihre eigenen Entscheidungen treffen.«
»So handelt der Adel manchmal«, meinte Elayne. »Es wäre zwar ungewöhnlich, dass Kinder wie die unseren bereits von der Geburt an verlobt sind, aber das hat es schon gegeben.«
»So machen wir das in den Zwei Flüssen aber nicht«, sagte Perrin stur. »Niemals.«
Faile zuckte mit den Schultern. »Wir könnten sie ermutigen, Euer Majestät.«
Elayne zögerte, dann nickte sie. »Das wird ausreichen. Aber den anderen Häusern wird diese Sache mit dem ›Hochlord‹ nicht gefallen. Das müssen wir irgendwie anders machen …«
»Gib die Zwei Flüsse doch dem Wiedergeborenen Drachen«, schlug Morgase vor.
Elaynes Augen funkelten. »Ja. Das wäre eine Möglichkeit. Wenn ich ihm dieses Gebiet als seinen Sitz in Andor überlasse …«
Faile wollte etwas sagen, aber Elayne stoppte sie mit einer Handbewegung. »Das ist nicht verhandelbar. Ich brauche eine Möglichkeit, um die anderen Lords und Ladys davon zu überzeugen, dass ich das Richtige tue, indem ich den Zwei Flüssen so viel Autonomie zugestehe. Wenn man dieses Territorium dem Wiedergeborenen Drachen übereignet, ihm in Andor einen Titel verleiht und die Zwei Flüsse zu seinem Sitz macht, dann ist es nachvollziehbar, wenn eure Heimat anders behandelt wird.
Die Adelshäuser von Andor werden das akzeptieren, da Rand aus den Zwei Flüssen kam, und Andor schuldet ihm etwas. Wir lassen ihn Perrins Familie zu seinen Statthaltern ernennen. Statt vor Rebellen innerhalb meiner Grenzen zu kapitulieren, erlaube ich dem Wiedergeborenen Drachen, dem Mann, den ich liebe, seinen guten Freund zu ehren. So wird man das betrachten. Es könnte uns auch etwas Boden gegen den von Euch erwähnten Illian-Tear-Pakt geben, denn sie werden garantiert behaupten, dass ihnen ihre Verbindung zu Rand das Recht zur Eroberung verleiht.« Nachdenklich pochte sie gegen ihre Tasse.
»Das klingt vernünftig«, sagte Perrin und nickte. »Statthalter der Zwei Flüsse. Mir gefällt, wie das klingt.«
»Ja, gut«, sagte Faile. »Ich schätze, dann ist das wohl beschlossene Sache.«
»Die Steuern«, sagte Elayne, als hätte sie nicht zugehört. »Ihr hinterlegt sie in einem Treuhandvermögen, das von Perrin und seiner Linie verwaltet wird, unter der Voraussetzung, dass der Drache darauf zurückgreifen kann, sollte er jemals zurückkehren. Natürlich hat Perrin die Autorität, die Zwei Flüsse aus diesen Mitteln aufzubauen. Straßen, Getreidelager, Verteidigung.«
Elayne sah Faile an, dann lächelte sie und nahm einen großen Schluck Tee. »Langsam glaube ich, dass es eine gute Idee war, euch nicht hinzurichten.«
»Das ist mit Sicherheit eine Erleichterung«, sagte Alliandre lächelnd. Als die mit der geringsten Macht in dieser Verbindung würde sie viel von diesen Allianzen profitieren.
»Euer Majestät…«, sagte Faile.
»Nennt mich Elayne«, erwiderte Elayne und schenkte ihr einen Pokal Wein ein.
»Gern, Elayne«, sagte Faile, stellte lächelnd den Tee zur Seite und nahm den Wein entgegen. »Ich muss es einfach fragen. Wisst Ihr, was mit dem Wiedergeborenen Drachen vorgeht?«
»Dieser hirnverbrannte Trottel.« Elayne schüttelte den Kopf. »Der verdammte Kerl hat Egwene richtig aufgebracht. «
»Egwene?«, fragte Perrin.
»Sie ist endlich die Amyrlin«, sagte Elayne, als wäre dies unausweichlich gewesen. Perrin nickte, aber Faile war erstaunt. Wie war das denn passiert, und warum überraschte Perrin das nicht?
»Was hat er getan?«, wollte Perrin wissen.
»Er sagt, er wird die letzten Siegel am Kerker des Dunklen Königs zerstören«, sagte Elayne stirnrunzelnd. »Natürlich müssen wir ihn daran hindern. Ein dummer Plan. Dabei könntet ihr helfen. Egwene sammelt eine Streitmacht, um ihn zu überreden.«
»Ich glaube, da könnte ich behilflich sein«, meinte Perrin. »Wisst Ihr denn, wo er sich im Augenblick aufhält?«, fragte Faile. Zwar hatte Perrin da eine gute Vorstellung aus seinen Visionen, aber sie wollte erfahren, was Elayne wusste.
»Keine Ahnung«, erwiderte Elayne. »Aber ich weiß, wo er bald sein wird …«
Fortuona Athaem Devi Paendrag, Herrscherin des Glorreichen Kaiserreichs von Seanchan, marschierte in ihren Unterrichtsraum. Sie trug ein prächtiges Gewand aus golddurchwirktem Stoff, das nach der besten kaiserlichen Mode geschnitten war. Der Rock klaffte direkt über den Knien vorn auf und war so lang, dass seine Seiten von fünf Da’covale getragen werden mussten.
Sie trug einen Kopfschmuck aus goldener und blutroter Seide mit wunderschönen Seidenflügeln in der Form einer aufsteigenden Eule, und an ihren Armen funkelten dreizehn Armreife, ein jeder mit einem anderen Muster aus Edelsteinen. Am Hals trug sie an einer langen Schnur Kristall. Vergangene Nacht hatte sie eine Eule an ihrem Fenster gehört, und sie war nicht weggeflogen, als sie hinausgeschaut hatte. Ein Omen, das darauf hinwies, dass man große Sorgfalt walten lassen musste, dass in den nächsten Tagen viele wichtige Entscheidungen getroffen werden würden. Die einzig vernünftige Reaktion darauf war es, Schmuck mit mächtigem Symbolismus zu tragen.
Als sie den Raum betrat, warfen sich alle dort Anwesenden zu Boden. Nur die Totenwache – Männer in blutroter und dunkelgrüner Rüstung – war davon ausgenommen. Sie verneigten sich, hielten aber den Blick nach oben gerichtet, um jede mögliche Gefahr zu erkennen.
Der große Raum hatte keine Fenster. An einem Ende standen Reihen mit aufgestapeltem Tongeschirr, wo Damane zerstörerische Gewebe üben konnten. Der Boden war mit gewebten Matten ausgelegt, um dort widerspenstige Damane zu Fall zu bringen, wo sie sich dann vor Schmerzen winden konnten. Es ging nicht an, dass sie körperliche Schäden davontrugen. Damane gehörten zu den wichtigsten Werkzeugen des Kaiserreichs und waren viel wertvoller als Pferde oder Raken. Man tötete ein Tier nicht, nur weil es nicht schnell genug lernte; man bestraft es so lange, bis es begriffen hatte.
Fortuona durchquerte den Raum bis zu dem Kaiserthron, den man dort aufgestellt hatte. Sie kam oft her und sah zu, wie man mit den Damane arbeitete oder ihren Willen brach. Es beruhigte sie. Der Thron stand auf einem erhöhten Podest; sie stieg die Stufen hinauf, und die Schleppe raschelte, als ihre Da’covale sie trugen. Sie drehte sich um und erlaubte den Dienern, das Kleid richtig zu arrangieren. Sie nahmen sie bei den Armen und hoben sie auf den Thron, drapierten den langen goldenen Rock über die Vorderseite des Podests.
Auf dem Rock waren die Grundsätze der kaiserlichen Macht aufgestickt. Die Kaiserin IST Seanchan. Die Kaiserin WIRD ewig leben. Die Kaiserin MUSS Gehorsam erfahren. Sie saß als lebendiges Banner der Macht des Kaiserreichs.
Selucia nahm ihren Platz auf den unteren Stufen ein. Als das erledigt war, erhoben sich die Höflinge wieder. Die Damane blieben natürlich auf ihren Knien. Es waren zehn von ihnen mit gesenkten Köpfen, und ihre Sul’dam hielten ihre Leinen und tätschelten in manchen Fällen liebevoll ihre Köpfe.
König Beslan trat ein. Er hatte den größten Teil seines Schädels rasiert und oben nur einen dunklen Streifen stehen gelassen, außerdem waren sieben seiner Fingernägel lackiert. Ein Fingernagel mehr als bei jedem auf dieser Seite des Ozeans, mit Ausnahme von Fortuona selbst. Er trug noch immer die Kleidung der Altaraner – eine grünweiße Uniform – statt das Gewand der Seanchaner. Sie hatte ihn deswegen nicht bedrängt.
Soweit ihr bekannt war, hatte Beslan seit ihrer Thronbesteigung keine Pläne geschmiedet, sie ermorden zu lassen. Bemerkenswert. Jeder Seanchaner hätte sofort mit derartigen Plänen angefangen. Einige hätten es mit Anschlägen versucht, andere hätten nur Pläne geschmiedet und sie gleichzeitig unterstützt. Aber alle hätten in Betracht gezogen, sie zu ermorden.
Auf dieser Seite des Ozeans dachten viele Menschen eben anders. Das hätte sie niemals geglaubt, hätte sie nicht so viel Zeit mit Matrim verbracht. Das war offensichtlich einer der Gründe gewesen, warum Fortuona ihn hatte begleiten müssen. Sie wünschte sich nur, sie hätte die Omen früher richtig gedeutet.
Zu Beslan gesellten sich Generalhauptmann Lunal Galgan und ein paar Angehörige des niederen Blutes. Galgan war ein breitschultriger Bursche mit einem weißen Haarbüschel auf dem Kopf. Die anderen Mitglieder des Blutes erwiesen ihm ihre Ehrerbietung; sie wussten, dass er in der Gunst der Kaiserin stand. Falls die Dinge hier gut verliefen und man Seanchan zurückerobern würde, war es durchaus vorstellbar, dass sie ihn in die Kaiserfamilie erhob. Die Ränge der Familie würden nach Fortuonas Rückkehr und der Wiederherstellung der Ordnung schließlich wieder aufgefüllt werden müssen. Zweifellos hatte man viele ermordet oder hingerichtet. Galgan war ein wertvoller Verbündeter. Er hatte nicht nur offen gegen Suroth gearbeitet, sondern auch den Angriff auf die Weiße Burg vorgeschlagen, der erfolgreich gewesen war. Sogar außerordentlich erfolgreich.
Melitene, Fortuonas Der’sul’dam, trat vor und verneigte sich erneut. Die stämmige Frau, deren Haar langsam grau wurde, führte eine Damane mit dunkelbraunem Haar und blutunterlaufenen Augen. Anscheinend weinte die oft.
Melitene hatte die Geistesgegenwart, verlegen dreinzuschauen, und verneigte sich besonders tief. Fortuona entschied sich zu übersehen, dass sich die Damane so unerfreulich benahm. Trotz ihrer mürrischen Gesinnung war sie ein guter Fang.
Fortuona gab Selucia ein Zeichen und instruierte sie, was sie sagen sollte. Die Frau sah aufmerksam zu; ihr Kopf war zur Hälfte mit einem Tuch verhüllt, solange sie darauf wartete, dass dort ihr Haar nachwuchs. Die andere Hälfte war glatt rasiert. Irgendwann würde Fortuona jemand anderen zu ihrer Stimme erwählen müssen, da Selucia nun ihre Wahrheitssprecherin war.
»Zeigt uns, was diese Frau kann«, sagte Selucia und sprach damit die Worte, die Fortuona ihr mit der Zeichensprache übermittelt hatte.
Melitene tätschelte den Kopf der Damane. »Suffa wird der Kaiserin – möge sie ewig leben – die Macht die Luft aufzuschneiden vorführen.«
»Bitte«, sagte Suffa und sah Fortuona flehend an. »Bitte, hört mir zu. Ich bin der Amyrlin-Sitz.«
Melitene zischte, und Suffa riss die Augen weit auf, da sie offensichtlich einen Schmerz durch das A’dam schießen spürte. Die Damane machte trotzdem weiter. »Ich kann ein großes Lösegeld anbieten, mächtige Kaiserin! Wenn man mich zurückbringt, gebe ich Euch zehn Frauen, die meine Stelle einnehmen. Zwanzig! Die mächtigsten Frauen der Weißen Burg. Ich …« Stöhnend stockte sie und brach zusammen.
Melitene schwitzte. Nervös sah sie Selucia an und sprach schnell. »Bitte erklärt unser aller Kaiserin – möge sie ewig leben -, dass mein Blick gesenkt ist, weil die hier nicht vernünftig ausgebildet wurde. Suffa ist erstaunlich stur, obwohl sie so schnell weint und andere für ihren Platz anbietet.«
Fortuona ließ Melitene einen Augenblick lang schwitzen. Schließlich bedeutete sie Selucia zu antworten.
»Die Kaiserin ist nicht unzufrieden mit Euch«, übermittelte die Stimme. »Diese Marath’damane, die sich selbst Aes Sedai nennen, haben sich alle als stur erwiesen.«
»Bitte teilt der Allerhöchsten meinen Dank mit«, sagte Melitene erleichtert. »Wenn es Ihr deren Blick nach oben schaut gefällt, kann ich Suffa dazu bringen, etwas vorzuführen. Aber es könnte noch weitere Ausbrüche geben.«
»Ihr dürft fortfahren«, sagte die Stimme.
Melitene kniete sich neben Suffa und redete zuerst scharf und dann tröstend auf sie ein. Sie war sehr geschickt im Umgang mit ehemaligen Mar ath’damane. Natürlich hielt sich auch Fortuona für geschickt im Umgang mit Damane. Sie genoss es, Mar ath’damane zu brechen, so wie es ihr Bruder Halvate genossen hatte, wilde Grolm zu dressieren. Sie hatte es stets bedauert, dass man ihn bei einem Attentat ermordet hatte. Er war der einzige ihrer Brüder gewesen, den sie je gemocht hatte.
Schließlich stemmte sich Suffa wieder auf die Knie. Neugierig beugte sich Fortuona vor. Suffa senkte den Kopf, und vor ihr durchschnitt ein Strich aus grellem Licht die Luft. Der Strich drehte sich an einer zentralen Achse entlang und öffnete direkt vor Fortuonas Thron ein Loch. Dahinter raschelten Bäume, und Fortuona stockte der Atem, als sie einen Falken mit weißem Kopf von dem Portal wegfliegen sah. Ein Omen von großer Macht. Die normalerweise unerschütterliche Selucia keuchte auf, obwohl Fortuona nicht klar war, ob wegen des Portals oder des Omens.
Fortuona verbarg ihre eigene Überraschung. Also stimmte es. Das Schnelle Reisen war weder ein Mythos noch ein Gerücht. Es war real. Das veränderte alles in diesem Krieg.
Beslan trat vor und verneigte sich. Er sah zögerlich aus. Sie winkte ihn und Galgan herbei, damit sie die Waldlichtung in der Öffnung sehen konnten. Beslan starrte sie mit offen stehendem Mund an.
Galgan verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Er war ein seltsamer Mann. Er hatte sich in der Stadt mit Meuchelmördern getroffen und sich erkundigt, was es wohl kosten würde, Fortuona ermorden zu lassen. Dann hatte er jeden der Männer, die ihm einen Preis genannt hatten, hinrichten lassen. Ein ausgesprochen subtiles Manöver – es sollte ihr zeigen, dass sie ihn als Bedrohung betrachten sollte, denn er hatte keine Angst, sich mit Attentätern zu treffen. Aber es war ein sichtliches Zeichen der Loyalität. Im Augenblick folge ich Euch, verkündete diese Tat, aber ich beobachte Euch, und ich bin ehrgeizig.
In vielerlei Hinsicht waren seine sorgfältig geplanten Aktivitäten für sie viel beruhigender als Beslans anscheinend unerschütterliche Loyalität. Mit Ersterem wusste sie umzugehen. Mit Letzterem… nun, sie war sich einfach noch nicht darüber im Klaren, was sie davon zu halten hatte. Würde Matrim genauso loyal sein? Wie würde das wohl sein, einen Prinz der Raben zu haben, gegen den sie keine Ränke schmieden musste? Es erschien beinahe wie ein Märchen, die Art von Geschichte, die man Kindern aus dem Volk erzählte, damit sie von unmöglichen Vermählungen träumten.
»Das ist unglaublich!«, sagte Beslan. »Allerhöchste, mit dieser Fertigkeit…« Seine Stellung ließ ihn zu den wenigen gehören, die direkt mit ihr sprechen durften.
»Die Kaiserin will wissen«, übersetzte Selucia Fortuonas Gesten, »ob eine der gefangen genommenen Mar ath’damane von der Waffe gesprochen hat.«
»Sagt der allerhöchsten Kaiserin – möge sie ewig leben -, dass sie das nicht taten«, sagte Melitene besorgt. »Und wenn ich so kühn sein darf, ich glaube, dass sie nicht lügen. Anscheinend war die Explosion außerhalb der Stadt ein einmaliger Zwischenfall – das Resultat eines unbekannten Ter’angreals, das auf falsche Weise benutzt wurde. Vielleicht gibt es ja keine Waffe.«
Das war möglich. Fortuona zweifelte bereits an der Richtigkeit dieser Gerüchte. Die Explosion hatte sich vor ihrer Ankunft in Ebou Dar ereignet, und die Einzelheiten waren verwirrend. Vielleicht war das alles nur ein Täuschungsmanöver von Suroth oder ihren Feinden gewesen.
»Generalhauptmann«, sagte die Stimme. »Die Allerhöchste wünscht zu wissen, wie Ihr eine Macht wie dieses Reisen einsetzen würdet.«
»Das käme darauf an«, sagte Galgan und rieb sich das Kinn. »Wie groß ist die Reichweite? Wie groß kann sie dieses Portal machen? Sind alle Damane dazu fähig? Gibt es Einschränkungen, wo man ein Loch öffnen kann? Wenn es der Allerhöchsten gefällt, werde ich mit den Damane sprechen und mir die Antworten verschaffen.«
»Es gefällt der Kaiserin«, sagte die Stimme.
»Das ist beunruhigend«, sagte Beslan. »Sie könnten hinter unseren Schlachtreihen angreifen. Sie könnten so ein Portal in den Gemächern der Kaiserin öffnen, möge sie ewig leben.
Das … das wird alles verändern, was wir über den Krieg wissen.«
Die Totenwächter rührten sich – ein Zeichen großen Unbehagens. Allein Furyk Karede stand völlig reglos da. Falls überhaupt wurde sein Ausdruck nur noch härter. Fortuona wusste, dass er bald vorschlagen würde, sie jeden Abend in einem anderen Schlafgemach unterzubringen.
Sie dachte einen Augenblick lang nach und starrte den Riss in der Luft an. Diesen Riss in der Realität selbst. Dann stand sie im Bruch sämtlicher Traditionen vom Thron auf. Glücklicherweise war Beslan da, jemand, den sie direkt ansprechen konnte – und sollten die anderen ihre Befehle ebenfalls hören.
»Es gibt Berichte«, verkündete sie, »dass es in dem Ort namens Weiße Burg noch immer Hunderte Mar ath’damane gibt. Sie sind der Schlüssel zur Zurückeroberung von Seanchan, der Schlüssel, dieses Land zu halten, und der Schlüssel zur Vorbereitung auf die Letzte Schlacht. Der Wiedergeborene Drache wird dem Kristallthron dienen.
Man hat uns eine Möglichkeit verschafft zuzuschlagen. Teilt dem Generalhauptmann mit, dass er seine besten Soldaten versammeln soll. Ich will, dass jede von uns kontrollierte Damane in die Stadt zurückgeholt wird. Wir werden ihnen dieses Reisen beibringen. Und dann schicken wir eine Streitmacht zur Weißen Burg. Bis jetzt haben wir ihnen nur Nadelstiche beigebracht. Jetzt werden wir sie das volle Gewicht unseres Schwertes spüren lassen. Alle Marath ‘damane müssen angeleint werden.«
Sie setzte sich wieder und ließ Schweigen in den Raum einkehren. Es kam nur selten vor, dass die Kaiserin solche Proklamationen persönlich erledigte. Aber dies war eine Zeit für kühne Taten.
»Ihr solltet nicht erlauben, dass sich das herumspricht«, wandte sich Selucia mit fester Stimme an sie. Sie sprach jetzt in ihrer Rolle als Wahrheitssprecherin. »Es wäre dumm von Euch, den Feind mit Gewissheit wissen zu lassen, dass wir dieses Reisen haben.«
Fortuona holte tief Luft. Ja, das stimmte. Sie würde sich vergewissern, dass man jeden im Raum zum Stillschweigen verpflichtete. Aber sobald die Weiße Burg erobert war, würde man von ihrer Proklamation erzählen und die Omen ihres Sieges dem Himmel und der Welt um sie herum ablesen.
Wir werden bald zuschlagen müssen, gestikulierte Selucia.
Ja, gestikulierte Fortuona. Unser vorheriger Angriff wird sie zu den Waffen greifen lassen.
Dann muss unser nächster Zug entscheidend sein, gestikulierte Selucia. Aber stellt es Euch nur vor. Tausende Soldaten durch einen verborgenen Kellerraum in die Weiße Burg zu befördern. Zuzuschlagen mit der Macht von tausend Hämmern auf tausend Ambossen!
Fortuona nickte.
Die Weiße Burg war zum Untergang verurteilt.
»Viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen, Perrin«, sagte Thom und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Tabakrauch stieg aus seiner langstieligen Pfeife auf. Es war eine warme Nacht, und sie hatten kein Feuer im Kamin. Nur ein paar Kerzen auf dem Tisch mit etwas Brot, Käse und einem Krug Ale.
Perrin paffte seine eigene Pfeife. In dem Zimmer befanden sich nur er, Thom und Mat. Gaul und Grady warteten draußen im Gemeinschaftsraum. Mat hatte geflucht, dass Perrin die beiden mitgebracht hatte – ein Aiel und ein Asha’man waren nicht gerade unauffällig. Aber Perrin fühlte sich mit den beiden Männern sicherer als mit einer ganzen Kompanie Soldaten.
Er erzählte seine Geschichte zuerst, sprach von Maiden, dem Propheten, Alliandre und Galad. Dann berichteten sie von ihren Abenteuern. Es verblüffte Perrin, wie viel seit ihrem Abschied geschehen war.
»Kaiserin der Seanchaner, was?«, sagte Perrin und sah dem Rauch nach.
»Tochter der Neun Monde«, sagte Mat. »Das ist ein Unterschied. «
»Und du bist verheiratet.« Perrin grinste. »Matrim Cauthon. Verheiratet.«
»Diesen Teil hättest du auch für dich behalten können«, sagte Mat zu Thom.
»Aber das habe ich doch, das kann ich dir versichern.«
»Für einen Gaukler scheinst du die meisten heldenhaften Dinge, die ich getan habe, zu unterschlagen«, sagte Mat. »Wenigstens hast du den Hut erwähnt.«
Perrin lächelte zufrieden. Ihm war nicht bewusst gewesen, wie sehr er es vermisst hatte, am Abend mit seinen Freunden zusammenzusitzen und mit ihnen zu plaudern. Draußen vor dem Fenster hing ein Holzschild, von dem Regenwasser herabtropfte. Es zeigte Gesichter mit einem übertriebenen Lächeln, die seltsame Hüte trugen. Zur fröhlichen Schar. Vermutlich steckte eine Geschichte hinter dem Namen.
Die drei saßen in einem privaten Speiseraum, den Mat bezahlt hatte. Sie hatten drei der großen Kaminstühle des Gasthauses hereingeholt. Die passten zwar nicht zum Tisch, aber sie waren bequem. Mat lehnte sich zurück und legte die Füße auf den Tisch. Er griff nach einem Ziegenkäse und biss ein Stück ab, dann balancierte er den Rest auf der Stuhllehne.
»Weißt du, Mat«, sagte Perrin, »deine Frau wird vermutlich erwarten, dass man dir ein paar Tischmanieren beibringt.«
»Ach, die hat man mir beigebracht«, erwiderte Mat. »Ich habe sie mir bloß nicht gemerkt.«
»Ich glaube, ich würde sie gern kennenlernen«, fuhr Perrin fort.
»Sie ist interessant«, sagte Thom.
»Interessant«, meinte Mat. »Ja.« Er sah wehmütig aus. »Aber egal, du weißt jetzt das meiste, Perrin. Die verdammte Braune hat uns hergebracht. Ich habe sie jetzt seit über zwei Wochen nicht mehr gesehen.«
»Kann ich den Brief sehen?«, fragte Perrin.
Mat klopfte ein paar Taschen ab und fischte dann ein zusammengefaltetes Stück weißes Papier heraus, das mit rotem Wachs versiegelt war. Er warf es auf den Tisch. Die Ecken waren krumm und das Papier voller Flecken, aber der Brief war nicht geöffnet worden. Matrim Cauthon war ein Mann von Wort, zumindest wenn man ihm einen Eid abringen konnte.
Perrin nahm die Botschaft. Sie roch leicht nach Parfüm. Er drehte sie um, dann hielt er sie vor eine Kerze.
»Funktioniert nicht«, sagte Mat.
Perrin grunzte. »Was glaubst du, was dort steht?«
»Keine Ahnung«, sagte Mat. »Diese verdammten verrückten Aes Sedai. Ich meine, die sind doch alle seltsam. Aber Verin ist völlig durchgedreht. Ich nehme nicht an, dass du etwas von ihr gehört hast?«
»Nein.«
»Ich hoffe, ihr geht es gut. Sie klang besorgt, dass ihr etwas zustoßen könnte.« Mat nahm den Brief wieder entgegen und klopfte damit auf den Tisch.
»Öffnest du ihn?«
Mat schüttelte den Kopf. »Ich öffne ihn, wenn ich zurückkomme. Ich …«
Es klopfte an der Tür, dann öffnete sie sich quietschend und enthüllte den Wirt, einen jungen Mann namens Denezel. Er war hochgewachsen, hatte ein schmales Gesicht und den Kopf kahl rasiert. So weit Perrin hatte sehen können, war er so gut wie ein Drachenverschworener; er hatte sogar ein Porträt von Rand in Auftrag gegeben und im Gemeinschaftsraum aufgehängt. Es sah ihm sogar ähnlich.
»Ich muss mich entschuldigen, Meister Scharlachrot«, sagte Denezel, »aber Meister Goldens Mann besteht darauf, ihn zu sprechen.«
»Schon gut«, sagte Perrin.
Grady steckte das faltige Gesicht in den Raum, und Denezel zog sich zurück.
»Hallo, Grady«, sagte Mat und winkte. »In letzter Zeit jemand Interessanten explodieren lassen?«
Der gebräunte Asha’man runzelte die Stirn und richtete den Blick auf Perrin. »Mein Lord. Lady Faile bat mich, Euch daran zu erinnern, wenn es Mitternacht wird.«
Mat stieß einen Pfiff aus. »Seht ihr, das ist der Grund, warum ich meine Frau in einem anderen Königreich zurückließ.«
Gradys Stirnrunzeln vertiefte sich noch.
»Danke, Grady«, sagte Perrin mit einem Seufzen. »Ich hatte gar nicht bemerkt, dass es schon so spät ist. Wir brechen bald auf.«
Der Asha’man nickte und zog sich zurück.
»Soll man ihn doch zu Asche verbrennen«, sagte Mat. »Kann der Mann nicht wenigstens lächeln? Der verdammte Himmel ist auch schon so deprimierend genug, ohne dass Leute wie er ihn nachmachen.«
» Nun j a, mein Sohn «, meinte Thom und schenkte Ale nach, »einige unter uns finden die Welt im Augenblick nicht besonders komisch.«
»Unsinn«, sagte Mat. »Die Welt ist nur komisch. In letzter Zeit hat mich der ganze verdammte Ort ausgelacht. Ich sage dir, Perrin. Mit den Steckbriefen, die von uns im Umlauf sind, musst du den Kopf unten halten.«
»Ich wüsste nicht, wie das gehen sollte«, sagte Perrin. »Ich muss ein Heer führen, mich um Leute kümmern.«
»Ich glaube nicht, dass du Verins Warnung ernst genug nimmst, mein Junge«, sagte Thom kopfschüttelnd. »Hast du je vom Volk der Banath gehört?«
»Nein.« Perrin sah Mat an.
»Das war ein Haufen Wilder, die dort umherstreiften, was heute die Ebene von Almoth ist«, sagte Thom. »Ich kenne ein paar schöne Lieder über sie. Ihre verschiedenen Stämme malten die Haut ihres Anführers immer rot an, damit er herausragte. «
Mat biss wieder in seinen Käse. »Verdammte Narren. Den Anführer rot anmalen? Das macht ihn doch für jeden Soldaten auf dem Feld zur Zielscheibe.«
»Das war ja der Sinn«, sagte Thom. »Es war eine Herausforderung, verstehst du? Wie sollte ihn der Feind sonst finden und sich mit ihm messen?«
Mat schnaubte. »Ich würde ein paar Soldaten rot anmalen lassen, um sie von mir abzulenken, und dann ihre Anführer mit Pfeilen spicken lassen, während alle versuchen, die Burschen einzufangen, die sie für die Anführer meines Heeres halten.«
»Tatsächlich hat Villiam Blutvergießer genau das während seiner ersten und letzten Schlacht mit ihnen gemacht«, sagte Thom und nahm einen Schluck. »›Das Lied der hundert Tage‹ berichtet davon. Brillantes Manöver. Ich bin überrascht, dass du dieses Lied kennst – es ist sehr obskur, und die Schlacht war vor so langer Zeit, dass sie nicht mal mehr in den meisten Geschichtsbüchern steht.«
Aus irgendeinem Grund ließ diese Bemerkung Mat nervös riechen.
»Du meinst also, wir würden uns zu Zielscheiben machen?«, sagte Perrin.
»Ich meine«, erwiderte Thom, »dass es immer schwieriger wird, euch Burschen zu verstecken. Wo auch immer ihr hingeht, verkünden Banner eure Ankunft. Die Leute reden über euch. Ich bin beinahe davon überzeugt, dass ihr nur so lange überleben konntet, weil die Verloren nicht wussten, wo ihr zu finden wart.«
Perrin nickte und musste dann an die Falle denken, in die sein Heer um ein Haar hineingetappt wäre. Meuchelmörder in der Nacht würden kommen. »Also was soll ich tun?«
»Mat schläft jede Nacht in einem anderen Zelt«, sagte Thom. »Und manchmal auch in der Stadt. Du solltest dich ähnlich verhalten. Grady kann Wegetore machen, oder? Warum lässt du ihn nicht jeden Abend eines in deinem Zelt erschaffen? Schleich dich raus und schlaf anderswo, dann Reist du am nächsten Morgen zurück. Jeder wird dich in deinem Zelt vermuten. Sollten Meuchelmörder zuschlagen, wirst du nicht da sein.«
Perrin nickte nachdenklich. »Oder noch besser, ich lasse fünf oder sechs Aiel dort warten.«
»Perrin«, sagte Mat, »das ist richtig hinterhältig.« Er lächelte. »Du hast dich zum Besseren verändert, mein Freund.«
»Das will ich als Kompliment verstehen, da es von dir kommt«, sagte Perrin. Er überlegte kurz, dann fügte er hinzu: »Das ist nicht einfach.«
Thom kicherte. »Aber er hat recht. Du hast dich verändert. Was ist aus dem schüchternen Jungen geworden, dem ich half, aus den Zwei Flüssen zu entkommen?«
»Er ist durch das Feuer eines Schmiedes gegangen«, sagte Perrin leise.
Thom nickte und schien zu verstehen.
»Und du, Mat?«, sagte Perrin. »Kann ich dir irgendwie behilflich sein? Dich vielleicht zwischen Zelten Reisen lassen?«
»Nein. Ich komme schon klar.«
»Wie willst du dich schützen?«
» Mit meinem Verstand.«
»So etwas hast du?«, sagte Perrin. »Wird ja auch Zeit.«
Mat schnaubte. »Was hat in letzter Zeit denn jedermann an meinem Verstand auszusetzen? Ich komme schon zurecht, vertraut mir. Erinnere mich daran, dir von dem Abend zu erzählen, an dem mir das erste Mal bewusst wurde, dass ich jedes Würfelspiel gewinnen kann, wenn ich nur will. Das ist eine gute Geschichte. Hat etwas mit Stürzen von Brücken zu tun. Zumindest einer Brücke.«
»Nun … du kannst sie uns ja jetzt erzählen«, sagte Perrin.
»Ist nicht der richtige Augenblick. Außerdem spielt es keine Rolle. Du musst wissen, dass ich bald aufbreche.«
Thom roch aufgeregt.
» Perrin, du leihst uns doch ein Wegetor, oder?«, wollte Mat wissen. »Ich hasse es, die Bande zu verlassen. Sie werden untröstlich sein, dass ich nicht da bin. Wenigstens haben sie diese Drachen, mit denen sie Dinge in die Luft jagen können.«
»Aber wo willst du hin?«, fragte Perrin.
»Das sollte ich wohl erklären«, sagte Mat. »Das war der eigentliche Grund für dieses Treffen, abgesehen von der angenehmen Unterhaltung.« Er beugte sich vor. » Perrin, Moiraine lebt.«
»Was?«
»Es stimmt«, sagte Mat. »Oder zumindest glauben wir das. Sie schickte Thom einen Brief und behauptete, sie hätte den Kampf mit Lanfear vorausgesehen und wüsste, dass sie… Wie dem auch sei, da gibt es diesen Turm westlich von hier am Fluss Arinelle. Er besteht völlig aus Metall. Es ist…«
»Der Turm von Ghenjei«, sagte Perrin leise. »Ja, ich habe davon gehört.«
Mat blinzelte. »Du? Soll man mich doch zu Asche verbrennen. Wann bist du denn zum Gelehrten geworden?«
»Ich habe lediglich das eine oder andere gehört. Mat, das ist ein Ort des Bösen.«
»Nun, Moiraine ist dort«, sagte Mat. »Gefangen. Ich will sie zurückholen. Ich muss die Schlangen und Füchse schlagen. Verdammte Falschspieler.«
»Schlangen und Füchse?«, fragte Perrin.
Thom nickte. » Das Kinderspiel ist nach den Wesen benannt, die in diesem Turm leben. Das glauben wir zumindest.«
»Ich bin ihnen begegnet«, sagte Mat. »Und… nun, dafür ist jetzt wirklich nicht der richtige Augenblick.«
»Wenn du sie retten willst«, sagte Perrin, »dann sollte ich vielleicht mitkommen. Oder zumindest einen der Asha’man schicken.«
»Ich würde mich über ein Wegetor freuen«, sagte Mat. »Aber du kannst nicht mitkommen. Das hat Moiraine in ihrem Brief erklärt. Es dürfen nur drei Männer kommen, und ich weiß bereits, wer das sein wird.« Er zögerte. »Weißt du, Olver wird mich verdammt noch mal umbringen, weil ich ihn nicht mitnehme.«
Perrin schüttelte den Kopf. »Mat. Was du da sagst, ergibt nicht den geringsten Sinn.«
Mat seufzte. »Dann erzähle ich dir doch die ganze Geschichte.« Er warf einen Blick auf den Ale-Krug. »Da brauchen wir aber Nachschub, und du solltest Grady besser sagen, dass es noch etwas dauert…«