50 Die Wahl der Feinde

Elayne saß, die Hände nervös im Schoß gefaltet, auf ihrem Thron und lauschte dem Donnern in der Ferne. Sie hatte absichtlich den Thronsaal gewählt statt ein weniger formelles Audienzgemach. Heute musste man sie als Königin sehen.

Der Thronsaal mit seinen majestätischen Säulen und verschwenderischen Verzierungen war beeindruckend. An jeder Seite des Raumes gab es Zweierreihen goldener Kandelaber, die nur von den Säulen unterbrochen wurden. Davor standen Gardesoldaten in Weiß und Rot mit funkelnden Harnischen. Zu den Marmorsäulen passte der dicke scharlachrote Teppich, in dessen Mitte der Löwe von Andor in Gold eingewebt war. Er führte direkt zu Elayne, die die Rosenkrone trug. Ihr Gewand entsprach der traditionellen Mode und nicht der zur Zeit am Hof favorisierten; die Ärmel waren weit geschnitten und endeten in goldbesticktem Spitzentuch unter ihrer Hand.

Dieses Muster fand im Oberteil seine Entsprechung, das hoch genug reichte, um der Schicklichkeit Genüge zu tun, aber immer noch tief genug war, um alle zu erinnern, dass Elayne eine Frau war. Die noch immer unverheiratet war. Ihre Mutter hatte ganz zu Anfang ihrer Herrschaft einen Mann aus Cairhien geheiratet. Andere mochten sich fragen, ob Elayne das Gleiche tun würde, um ihre Macht dort zu festigen.

Wieder donnerte es in der Ferne. Der Lärm der abgefeuerten Drachen wurde langsam vertraut. Kein richtiger Donnerschlag – tiefer, regelmäßiger.

Elayne war beigebracht worden, ihre Nervosität zu verbergen. Zuerst von ihren Lehrern, dann von den Aes Sedai. Was auch immer manche Leute denken mochten, Elayne Trakand konnte ihr Temperament zügeln, wenn das nötig war. Sie ließ die Hände im Schoß liegen und zwang sich zur Ruhe. Nervosität zu zeigen würde viel schlimmer sein als Zorn.

Dyelin saß neben dem Thron auf einem Stuhl. Die stattliche Frau trug ihr blondes Haar offen, und sie arbeitete ruhig an einer auf einem Reifen aufgespannten Stickerei. Dyelin behauptete, das würde sie entspannen, so hatten ihre Hände etwas zu tun, während ihr Verstand beschäftigt war. Elaynes Mutter war nicht anwesend. Heute würde sie eine zu große Ablenkung darstellen.

Elayne konnte sich Dyelins Luxus nicht erlauben. Man musste sehen, wie sie führte. Unglücklicherweise bestand die »Führung« oft darin, auf ihrem Thron zu sitzen, den Blick nach vorn gerichtet, und Entschlossenheit auszustrahlen, während sie wartete. Sicherlich war die Demonstration mittlerweile beendet?

Ein weiteres Donnern. Vielleicht auch nicht.

Im Wohnzimmer neben dem Thronsaal hörte sie leise Unterhaltungen. Die Hohen Herren und Hohen Herrinnen, die noch immer in Caemlyn waren, hatten eine königliche Einladung erhalten, um sich mit der Königin zu einer Diskussion über die sanitären Erfordernisse zu treffen für jene, die sich außerhalb der Stadt befanden. Diese Audienz würde genau Schlag fünf stattfinden, aber in den Einladungen war angedeutet worden, dass sich die Adelsführer zwei Stunden früher einfinden sollten.

Die Formulierung der Botschaft hätte offensichtlich sein sollen. Elayne würde heute etwas Wichtiges tun, und sie lud die Adligen zu etwas sanktioniertem Lauschen ein. Sie waren im Wohnzimmer ordentlich mit Getränken und kleinen Gerichten wie Pasteten und Obst versorgt. Vermutlich drehten sich die Unterhaltungen um Spekulationen, was sie enthüllen würde.

Wenn sie nur wüssten. Elayne behielt die Hände im Schoß.

Dyelin kümmerte sich um ihre Stickerei und schnalzte mit der Zunge, als sie einen falschen Stich wieder auflöste.

Nach einer beinahe unerträglichen Wartezeit verstummten die Drachen, und Elayne fühlte, wie Birgitte in den Palast zurückkehrte. Sie der Gruppe zuzuteilen war die beste Methode gewesen, um zu erfahren, wann sie zurückkehrten. Heute musste der Ablauf reibungslos funktionieren. Elayne atmete ein und aus, um ihre Nerven zu beruhigen. Da. Birgitte war jetzt ganz bestimmt im Palast.

Sie nickte Hauptmann Guybon zu. Es war Zeit, die Gefangenen hereinzubringen.

Einen Augenblick später brachte eine Abteilung Gardisten drei Individuen hinein. Die schnaubende Arymilla war trotz ihrer Gefangenschaft noch immer ganz schön mollig. Die ältere Frau war hübsch oder wäre es zumindest gewesen, hätte sie etwas anderes als Lumpen getragen. Ihre großen braunen Augen waren vor Furcht weit aufgerissen. Als hielte sie es noch immer für möglich, dass Elayne sie hinrichten ließ.

Elenia hatte sich bedeutend besser unter Kontrolle. Wie die anderen hatte man ihr das hübsche Gewand abgenommen und stattdessen ein abgetragenes Kleid gegeben, aber sie hatte das Gesicht gewaschen und das blonde Haar zu einem sauberen Knoten gebunden. Elayne ließ ihre Gefangenen nicht hungern und misshandelte sie auch nicht. Sie waren zwar ihre Feinde, aber sie hatten Andor nicht verraten.

Elenia sah Elayne an. Ihr verschlagenes Gesicht war nachdenklich, berechnend. Wusste sie, wohin das Heer ihres Mannes verschwunden war? Diese Streitmacht kam Elayne wie ein verborgenes Messer vor, das man ihr in den Rücken drückte. Keiner ihrer Späher hatte sie aufspüren können. Beim Licht. Eine Sorge reihte sich an die nächste.

Die dritte im Bund war Naean Arawn, eine schlanke, blasse Frau, deren schwarzes Haar während ihrer Gefangenschaft viel von seinem Glanz verloren hatte. Sie war bereits gebrochen erschienen, bevor Elayne sie gefangen genommen hatte, und sie hielt deutlichen Abstand zu den anderen beiden Frauen.

Man stieß sie bis zum Thronpodest, dann zwang man sie auf die Knie. Draußen im Korridor kehrten die Adeligen aus Cairhien lautstark von der Demonstration mit den Drachen zurück. Sie würden annehmen, dass sie zufällig auf Elaynes Machtdemonstration stießen.

»Die Krone nimmt Naean Arawn, Elenia Sarand und Arymilla Marne zur Kenntnis«, sagte Elayne mit lauter Stimme. Das ließ die Unterhaltungen draußen verstummen – sowohl die der andoranischen Adligen im Wohnzimmer als auch die der cairhienischen Adligen im Korridor.

Von den dreien schaute nur Elenia auf. Elayne erwiderte den Blick steinhart, und die Frau errötete, bevor sie wieder zu Boden sah. Dyelin hatte ihre Stickarbeit zur Seite gelegt und verfolgte alles aufmerksam.

»Die Krone hat viel über euch drei nachgedacht«, verkündete Elayne. »Euer fehlgeleiteter Krieg gegen Trakand hat euch in den Bankrott getrieben, Lösegeldforderungen sind von euren Erben und Nachkommen zurückgewiesen worden. Eure eigenen Häuser haben euch im Stich gelassen.«

Ihre Worte hallten durch den großen Thronsaal. Die Frauen vor ihr sanken noch tiefer in sich zusammen.

»Das konfrontiert die Krone mit einer schwierigen Frage«, fuhr Elayne fort. »Ihr ärgert uns mit eurer lästigen Existenz. Einige Königinnen hätten euch vielleicht im Kerker gelassen, aber ich bin der Ansicht, dass das nach Unentschlossenheit stinkt. Ihr würdet mir nur Kosten bereiten und Männer über Pläne flüstern lassen, euch zu befreien.«

Abgesehen vom heiseren Atmen der Gefangenen herrschte völlige Stille im Thronsaal.

»Diese Krone neigt nicht zu Unentschlossenheit«, verkündete Elayne. »An diesem Tag werden den Häusern Sarand, Marne und Arawn Titel und Güter aberkannt, ihre Besitzungen fallen an die Krone als Entschädigung für ihre Verbrechen.«

Elenia schaute keuchend auf. Arymilla stöhnte und sackte auf den Teppich mit dem Löwenkopf. Naean reagierte überhaupt nicht. Sie erschien wie taub.

Im Wohnzimmer ertönte Gemurmel. Das war schlimmer als eine Hinrichtung. Richtete man Adlige hin, wurden sie wenigstens mit ihren Titeln hingerichtet – in gewisser Weise war eine Hinrichtung die Anerkennung eines würdigen Gegners. Titel und Ländereien gingen auf den Erben über, und das Haus überlebte.

Aber das … das war etwas, das nur sehr wenige Königinnen jemals versuchen würden. Wenn Elayne den Eindruck erweckte, sich Land und Geld für die Krone anzueignen, würden sich die anderen Adligen gegen sie vereinigen. Sie konnte sich denken, was jetzt im Nebenzimmer gesprochen wurde. Ihre Machtbasis war wackelig. Ihre Verbündeten, die vor der Belagerung auf ihrer Seite gewesen waren und selbst mit der Möglichkeit, hingerichtet zu werden, hatten rechnen müssen, würden unter Umständen in diesem Augenblick damit anfangen, sich die Frage zu stellen, ob sie richtig gehandelt hatten.

Besser, die Sache schnell zu Ende zu bringen. Elayne gab ein Zeichen, und die Gardisten zogen die drei Gefangenen auf ihre Füße und führten sie zur Seite des Raumes. Selbst die trotzige Elenia erschien ungläubig. Im Grunde war diese Verkündung eine Proklamation des Todes. Sie würden so bald wie möglich Selbstmord begehen, um sich nicht ihren Häusern stellen zu müssen.

Birgitte kannte ihr Stichwort. Sie führte die Gruppe cairhienischer Adliger herein. Man hatte sie zu der Vorführung von Andors neuer Waffe zur »Verteidigung gegen den Schatten« eingeladen, und es war ein sehr unterschiedlicher Haufen. Die wichtigsten Leute in dieser Gruppe waren vermutlich entweder Bertome Saighan oder Lorstrum Aesnan.

Bertome war ein kleiner, auf gewisse Weise ansehnlicher Mann, obwohl Elayne von der cairhienischen Tradition sich die Stirn zu rasieren und zu pudern nicht gerade begeistert war. Er trug ein großes Messer am Gürtel – in Anwesenheit der Königin waren Schwerter verboten – und schien von Elaynes Behandlung der Gefangenen verstört zu sein. Was auch gut so war. Seine Kusine Colavaere war von Rand auf ähnliche Weise bestraft worden, obwohl das nicht das ganzes Haus betroffen hatte. Sie hatte sich lieber aufgehängt, als mit dieser Schande zu leben.

Ihr Tod hatte Bertome aufsteigen lassen, und auch wenn er sich große Mühe gab, in der Öffentlichkeit keine Stimmung gegen Rands Herrschaft zu machen, hatten Elaynes Quellen ihn als einen von Rands größten Kritikern im privaten Kreis in Cairhien ausgemacht.

Lorstrum Aesnan war ein stiller, hagerer Mann, der mit hinter dem Rücken verschränkten Händen ging und dazu neigte, einen herablassenden Eindruck zu erwecken. Wie die anderen trug er dunkle Kleidung in cairhienischer Mode; die Streifen auf seinem Mantel verkündeten die Farben seines Hauses. Er war nach Rands Verschwinden aus Cairhien aufgestiegen. Verzweifelte Zeiten sorgten für schnelles Vorankommen, und dieser Mann hatte es nicht eilig gehabt, sich gegen Rand zu stellen, aber er hatte sich auch nicht mit ihm verbündet. Dieser Mittelweg verlieh ihm Macht, und es wurde getuschelt, dass er darüber nachdachte, sich den Thron unter den Nagel zu reißen.

Der Rest der Cairhiener stellte eine bunte Auswahl des dortigen Adels dar. Ailil Riatin war nicht die Anführerin ihres Hauses, aber seit dem Verschwinden ihres Bruders – ein Verschwinden, das immer mehr auf seinen Tod hindeutete – hatte sie die Macht übernommen. Riatin war ein mächtiges Haus. Die schlanke Frau mittleren Alters war groß für eine Cairhienerin und trug ein dunkelblaues Kleid, das mit ihren Farben geschlitzt war; Reifen im Rock verliehen dem Kleid seine Form. Ihre Familie hatte erst kürzlich auf dem Sonnenthron gesessen, wenn auch nur für kurze Zeit, und sie war dafür bekannt, lautstark Elaynes Partei ergriffen zu haben.

Lord und Lady Osiellin, Lord und Lady Chuliandred, Lord und Lady Hamarashle und Lord Mavabwin hatten sich hinter den wichtigeren Leuten versammelt. Ihr Einfluss bewegte sich im Mittelfeld, und aus dem einen oder anderen Grund stellten sie alle möglichen Hindernisse für Elayne dar. Sie waren ein Haufen sorgfältig frisierten Haares und gepuderter Stirnen, weiten Gewändern bei den Frauen, Mantel und Hosen bei den Männern, Spitzenbesatz an den Ärmeln.

» Meine Lords und Ladys «, sagte Elayne und begrüßte jedes Haus mit seinem Namen. »Euch hat Andors Vorführung gefallen?«

»In der Tat, Euer Majestät«, sagte der schlanke Lorstrum und neigte gnädig den Kopf. »Diese Waffen sind ziemlich … interessant.«

Er wollte offensichtlich mehr darüber wissen. Elayne segnete ihre Lehrer für ihre Beharrlichkeit, dass sie das Spiel der Häuser begriff. »Wir alle wissen, dass die Letzte Schlacht mit großer Schnelligkeit naht«, erwiderte sie. »Ich war der Ansicht, dass Cairhien über die Stärke seines größten und nächsten Verbündeten unterrichtet werden sollte. In naher Zukunft wird es Augenblicke gegeben, an denen wir uns aufeinander verlassen müssen.«

»Allerdings, Euer Majestät«, sagte Lorstrum.

»Euer Majestät«, sagte Bertome und trat vor. Der kleine Mann verschränkte die Arme. »Ich versichere Euch, dass Cairhien von Andors Stärke und Stabilität begeistert ist.«

Elayne musterte ihn. Bot er ihr seine Unterstützung an? Nein, anscheinend wollte auch er nur mehr wissen und fragte sich, ob Elayne nach dem Thron greifen würde. Mittlerweile hätten ihre Absichten eigentlich offensichtlich sein müssen – ein paar Abteilungen der Bande in die Stadt zu schicken war ein offensichtlicher Zug gewesen, anscheinend zu offensichtlich für die subtilen Cairhiener.

»Hätte doch Cairhien eine ähnliche Stabilität«, sagte Elayne sorgfältig.

Einige von ihnen nickten, zweifellos von der Hoffnung getrieben, dass sie einem von ihnen den Thron anbot. Hätte sie demjenigen Andors Unterstützung zugesichert, wäre sein Sieg sicher gewesen. Und sie hätte einen Regenten bekommen, der ihren Absichten sehr wohlwollend gegenüber gewesen wäre.

Ein anderer hätte diesen Trick vielleicht versucht. Sie aber nicht. Dieser Thron würde ihr gehören.

»Die Übernahme eines Throns ist eine sehr knifflige Sache«, sagte Lorstrum. »In der Vergangenheit hat sich das oft als … gefährlich erwiesen. Und so viele zögern.«

»In der Tat«, erwiderte Elayne. »Ich beneide Cairhien nicht um die Unsicherheit, die es in den vergangenen Monaten erleben musste.« Der Augenblick war gekommen. Sie holte tief Luft. »Angesichts der Macht von Andor sollte man annehmen, dass das ein geeigneter Zeitpunkt für starke Bündnisse ist. Tatsächlich ist der Thron erst kürzlich in den Besitz mehrerer nicht unbedeutender Güter gekommen. Da fällt mir ein, dass diese Güter keine Verwalter haben.«

Stille kehrte ein. Das Geflüster im Nebenraum verstummte. Hatten sie richtig gehört? Hatte Elayne ausländischen Adligen andoranische Güter angeboten?

Sie unterdrückte ein Lächeln. Langsam begriffen einige von ihnen. Lorstrum zeigte ein durchtriebenes Lächeln und nickte ihr andeutungsweise zu.

»Cairhien und Andor sind schon lange Gefährten«, fuhr sie fort, als wäre ihr die Idee erst gerade eben gekommen. »Unsere Lords haben Eure Ladys geheiratet, und wir teilen viele gemeinsame Bande aus Blut und Zuneigung. Ich finde, die Weisheit einiger cairhienischer Lords wäre für meinen Hof ein großer Gewinn und würde mich vielleicht dem Erbe meines Vaters näherbringen.«

Sie fixierte Lorstrum. Würde er anbeißen? Sein Besitz in Cairhien war klein und sein Einfluss zumindest für eine Weile groß – aber das konnte sich schnell ändern. Die Güter, die sie den drei Gefangenen abgenommen hatte, gehörten zu den begehrenswertesten in ihrem Land.

Er musste es verstehen. Nahm sie sich Cairhiens Thron mit Gewalt, würden Volk und Adel gegen sie rebellieren. Was zum Teil Lorstrums Schuld war, falls ihr Verdacht stimmte.

Aber was, wenn sie Ländereien in Andor an ein paar cairhienische Adelige gab? Wenn sie verschiedene Verbindungen zwischen ihren Ländern erschuf? Wenn sie bewies, dass sie ihre Titel nicht stehlen wollte – sondern sogar bereit war, einigen von ihnen einträgliche Güter zu überlassen? Würde das ein ausreichender Beweis sein, dass sie keineswegs beabsichtigte, dem cairhienischen Adel sein Land wegzunehmen und an ihre eigenen Leute zu verteilen? Würde das ihre Sorgen mindern?

Lorstrum erwiderte ihren Blick. »Ich sehe da ein großes Potenzial für Bündnisse.«

Bertome nickte anerkennend. »Ich glaube auch, dass das arrangiert werden könnte.« Natürlich wollte keiner von ihnen seine Ländereien aufgeben. Sie wollten einfach nur Güter in Andor erringen. Reiche Güter.

Die anderen warfen sich Blicke zu. Lady Osiellin und Lord Mavabwin waren die ersten beiden, die kapierten. Sie meldeten sich gleichzeitig zu Wort und boten Bündnisse an.

Elayne unterdrückte ihre Aufregung und lehnte sich auf ihrem Thron zurück. »Ich habe nur noch ein Gut zu vergeben«, sagte sie. »Aber ich glaube, es könnte aufgeteilt werden. « Sie würde Ailil ebenfalls einen Anteil geben, um sich ihre Gunst und Unterstützung zu verdienen. Und jetzt zum zweiten Teil ihres Vorhabens. »Lady Sarand«, rief Elayne in den hinteren Teil des Saals.

Elenia trat in ihren Lumpen vor.

»Die Krone ist nicht völlig ohne Mitleid«, sagte Elayne. »Zwar kann Andor Euch das Leid und die Schmerzen nicht verzeihen, die Ihr verursacht habt. Aber andere Länder haben keine derartigen Erinnerungen. Sagt mir, sollte die Krone Euch die Gelegenheit bieten, neue Besitzungen zu erhalten, würdet Ihr die Gelegenheit ergreifen?«

»Neue Besitzungen, Euer Majestät?«, fragte Elenia. »Von welchen Besitzungen sprecht Ihr?«

»Eine Vereinigung von Andor und Cairhien würde viele Gelegenheiten bieten. Vielleicht habt Ihr von dem Bündnis der Krone mit Ghealdan gehört. Vielleicht habt Ihr von den neu belebten Ländern im Westen des Reiches gehört. Das ist eine Zeit großer Möglichkeiten. Wenn ich für Euch und Euren Gemahl einen Ort in Cairhien finden würde, an dem Ihr ein neues Haus gründet, würdet Ihr das annehmen?«

»Ich… würde es mit Sicherheit in Betracht ziehen, Euer Majestät«, sagte Elenia und zeigte einen Schimmer der Hoffnung.

Elayne wandte sich wieder den Cairhienern zu. »Damit das alles auch machbar ist, würde ich die Autorität brauchen, sowohl für Andor und Cairhien zu sprechen. Was glaubt Ihr, wie lange würde es dauern, damit so eine Situation arrangiert werden könnte?«

»Bringt mich durch eines dieser seltsamen Tore zurück in meine Heimat«, sagte Lorstrum, »und gebt mir eine Stunde.«

»Ich brauche nur eine halbe Stunde, Euer Majestät«, mischte sich Bertome ein und warf Lorstrum einen Blick zu.

»Eine Stunde«, sagte Elayne und hielt die Hände hoch. »Bereitet das gut vor.«


»Also gut«, sagte Birgitte, nachdem sich die Tür zu dem kleinen Gemach geschlossen hatte. »Was im Namen der blutigen linken Hand des Dunklen Königs ist gerade passiert?«

Elayne setzte sich. Es hatte funktioniert! Oder zumindest sah es danach aus. Nach dem harten Löwenthron war der Polstersessel eine Wohltat. Dyelin nahm rechts von ihr Platz; Morgase saß links.

»Passiert ist gerade, dass meine Tochter brillant ist«, sagte Morgase.

Elayne lächelte dankbar. Birgitte hingegen runzelte die Stirn. Elayne konnte ihre Verwirrung spüren. Abgesehen von ihnen war sie die einzige noch Anwesende im Raum; sie mussten eine Stunde warten, um den wahren Erfolg von Elaynes Plänen betrachten zu können.

»Also gut«, wiederholte Birgitte. »Du hast dem cairhienischen Adel einen Haufen von Andors Land gegeben.«

»Als Bestechung«, sagte Dyelin. Sie erschien nicht so überzeugt wie Morgase. »Ein kluges Manöver, Euer Majestät, aber gefährlich.«

»Gefährlich?«, fragte Birgitte. »Blut und verdammte Asche, hätte bitte jemand die Güte, dieser Idiotin hier zu erklären, warum Bestechung brillant oder klug sein soll? Elayne hat sie ja wohl kaum erfunden.«

»Das war mehr als ein Geschenk«, sagte Morgase. Unpassenderweise fing sie an, allen Tee einzuschenken. Elayne konnte sich nicht daran erinnern, jemals gesehen zu haben, dass ihre Mutter Tee einschenkte. »Das größte Hindernis, das Elayne in Cairhien hatte, bestand darin, dass man sie als Eroberin betrachten würde.«

»ja. Und?«

»Also erschuf sie Verbindungen zwischen den beiden Nationen«, sagte Dyelin und nahm von Morgase eine Tasse schwarzen Tremaiking entgegen. »Indem sie dieser Gruppe Ländereien in Andor gibt, zeigt sie, dass sie den cairhienischen Adel weder ignorieren noch an den Bettelstab bringen wird.«

»Darüber hinaus macht sie sich weniger zur Ausnahme«, erklärte Morgase. »Hätte sie sich den Thron genommen, hätte sie seinen Besitz übernommen – und wäre die Einzige, die in beiden Ländern Land besitzt. Jetzt wird sie nur eine von vielen sein.«

»Aber es ist gefährlich«, wiederholte Dyelin. »Lorstrum hat nicht wegen der Bestechung nachgegeben.«

»Hat er nicht?« Birgitte runzelte die Stirn. »Aber …«

»Sie hat recht.« Elayne trank einen Schluck Tee. »Er gab nach, weil er erkannte, dass ich ihm die Chance auf beide Throne präsentierte.«

Im Raum kehrte Schweigen ein.

»Verdammt«, fluchte Birgitte schließlich.

Dyelin nickte. »Ihr habt Feinde erschaffen, die Euch überwältigen könnten, Elayne. Sollte Euch etwas zustoßen, besteht durchaus die Möglichkeit, dass entweder Lorstrum oder Bertome den Versuch unternehmen, beide Länder an sich zu reißen.«

»Ich verlasse mich darauf«, erwiderte Elayne. »Die beiden sind zur Zeit die mächtigsten Adligen in Cairhien, vor allem da Dobraine nicht von dort zurückgekehrt ist, wo auch immer Rand ihn hingebracht hat. Wenn sie die Idee eines gemeinsamen Monarchen beherzt unterstützen, haben wir tatsächlich die Chance, dass das funktioniert.«

»Aber sie werden Euch nur unterstützen, weil sie eine Gelegenheit wintern, beide Throne für sich zu gewinnen!«, sagte Dyelin.

»Es ist besser, man sucht sich seine Feinde aus, als im Ungewissen zu bleiben«, entgegnete Elayne. »Ich habe die Konkurrenz eingeschränkt. Sie sahen die Drachen, und die machten sie neidisch. Dann bot ich ihnen die Gelegenheit, nicht nur Zugang zu diesen Waffen zu erhalten, sondern auch noch ihren Reichtum zu verdoppeln. Und darüber hinaus gab ich ihnen den Hauch einer Möglichkeit, eines Tages zum König ernannt zu werden.«

»Also werden sie versuchen, dich umzubringen«, sagte Birgitte tonlos.

»Vielleicht. Vielleicht versuchen sie auch, meine Autorität zu untergraben. Aber nicht in den kommenden Jahren – ich schätze, es wird ein Jahrzehnt dauern. Jetzt zuzuschlagen hieße nur zu riskieren, dass die Nationen wieder gespalten werden. Nein, zuerst werden sie sich etablieren und ihren Reichtum genießen. Sobald sie davon überzeugt sind, dass alles sicher ist – und dass ich nachlässig geworden bin -, werden sie ihren Zug machen. Glücklicherweise sind sie zu zweit, also kann ich sie gegeneinander ausspielen. Und für den Augenblick haben wir zwei zuverlässige Verbündete – Männer, die unbedingt wollen, dass ich den Sonnenthron bekomme. Sie werden mir die Krone einfach übergeben.«

»Und die Gefangenen?«, fragte Dyelin. »Elenia und die anderen beiden? Wollt Ihr ihnen wirklich Ländereien verschaffen?«

Elayne nickte. »Ja. Eigentlich habe ich etwas sehr Nettes für sie getan. Falls das alles wie geplant funktioniert, übernimmt die Krone ihre Schulden und verschafft ihnen dann in Cairhien einen neuen Anfang. Es wird von Vorteil sein, wenn andoranische Adelige dort Güter haben, auch wenn ich ihnen vermutlich Land von meinen eigenen cairhienischen Besitzungen überlassen muss.«

»Du umgibst dich auf allen Seiten mit Feinden«, sagte Birgitte kopfschüttelnd.

»Also wie immer«, erwiderte Elayne. »Glücklicherweise habe ich ja dich, die auf mich aufpasst, nicht wahr?«

Sie lächelte die Behüterin an, wusste aber genau, dass Birgitte ihre Nervosität fühlen konnte. Das würde eine lange Stunde werden.

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