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Der Frühling in Hamburg war stürmisch, kalt und nass. Im Haus am Kehrwieder jedoch schien durchweg die Sonne, denn Henny erwartete ein Kind. Irgendwann im August oder September, sofern sie richtig gerechnet hatte.

Freudestrahlend erzählte Arno Petersen jedem, der in den Laden kam, dass er Großvater würde, und Christians Schulter schmerzte schon von den vielen anerkennenden Klapsen und Knüffen; natürlich würde er einen ausgeben müssen, sobald das Kind da war.

Und obwohl vor Mai unter Hennys weiten Röcken noch kaum etwas zu entdecken war, streckte sie beständig den Bauch heraus und ließ ihn sich lachend von wildfremden Frauen tätscheln, die ihr allesamt versicherten, dass zweifellos ein Stammhalter für den Gemischtwarenladen unterwegs war, das sähe man einfach.

Wie eine brütende Henne, knurrte Thilo, obwohl er der Aussicht, bald Onkel zu sein, nicht ablehnend gegenüberzustehen schien. Katya kannte das Leuchten in seinen Augen, wenn ihm in den Hinterhöfen ein vorwitziger Junge eine Möhre aus der Gemüsekiste stibitzte. Wenn ein kleines Mädchen auf dem Arm der verhärmten Mutter glücklich auflachte, weil er einen Apfel hinter dessen Ohr hervorzauberte.

Seit ihrer Rückkehr aus Norwegen verstand Katya sich besser mit Henny. Es mochte daran liegen, dass Katya die Gedanken an Christian hinter sich gelassen hatte, oder auch daran, dass sie sich so viel erwachsener fühlte als noch im Dezember. Wie auch Henny zu reifen schien, mit dem Wachsen des Kindes in ihrem Bauch. Trotzdem war Katya insgeheim erleichtert, dass Henny ihre Freundin Kathi Bellheim, die künftige Frau Mommsen, zur Patentante auserkor.

Dessen ungeachtet nähte Katya Hemdchen und Schühchen aus den Stoffresten, die sie für ein paar Groschen und manchmal auch umsonst bei Fritz Bergmann bekam.

Abends, nachdem sie fast den ganzen Tag über ihrer eigentlichen Arbeit zugebracht hatte.

In der Stadt war ein wirtschaftlicher Aufschwung spürbar, auch am Kehrwieder. Nicht nur, dass es jetzt mehr Kunden in den Gemischtwarenladen zog und die auch beherzter kauften.

Mehr Hausfrauen konnten es sich leisten, ihre Näharbeiten für ein paar Mark außer Haus zu geben und sich mit dem Lohn ihres Mannes etwas Feineres anzuschaffen. Die Art der Stickerei, die Katya in Norwegen bei Silja Guðmundsdóttir gelernt hatte, nahm sich hübsch auf Wäsche für Tisch und Bett aus, was sich schnell bei Bergmanns Kundschaft herumsprach, und Katya verdiente gutes Geld damit.

Wann immer sie konnte, nahm sie den Schlüsselbund vom Haken und lief über die Brooksbrücke zum Lagerhaus an den Mühren, um nach ihrem Eis zu sehen.

Als hätten sie den Winter hierher gebracht, mitten in den Hamburger Frühling, so war es, wenn Katya das Tor hinter sich zuzog. Jedes Mal überprüfte sie, ob nach starkem Regen oder Sturm die Abflüsse nicht verstopft waren, die das Schmelzwasser in den Kanal des Binnenhafens leiteten, und ob nicht zu viel von ihrem Eis schmolz.

Fest in ihre Jacke eingewickelt und ihr Atem dampfend vor dem Gesicht, schritt Katya den meterlangen Eisberg ab, den sie aus Norwegen hierher geschleppt hatten.

Hässlich sah er aus in seinem braunfaserigen Torfkleid. Seine Schönheit war eine innere. Tausende von Blöcken klarsten Eises, die sich gegenseitig kühlten, den ganzen Frühling hindurch.

Katya war voller Stolz, dass sie ein so gutes Eis gefunden und mitgebracht hatten.

Manchmal setzte sie sich auf eine der Kisten, die noch vom Vormieter herumstanden. Die Rufe der Kahnschiffer und Hafenarbeiter, die Stimmen der Frauen aus den Fenstern, von Backsteinmauern und Holzbalken zu einem Flüstern gedämpft, genoss Katya die kühle Ruhe ihres Eises.

Als ob sie am Ufer des zugefrorenen Sees säße, so fühlte es sich dann an.

Ihres Sees.

Johann Silberberg hatte die Dokumente vom Amt in Bergen geschickt; unter gegenseitigen Nutzungsrechten mit den Leuten des Fjords war der See, mitsamt ein paar Landmil seines Ufers, auf die Namen von Katya und Grischa, Thilo und Christian eingetragen.

Doch eigentlich war es Katyas See, zumindest in ihrem Herzen.

Das dachte sie jedes Mal, wenn sie hier saß. In dieser dämmrigen Höhle inmitten des Hamburger Hafens, wo der Schatz lagerte, der sie reich machen würde.

Auch wenn Grischa im Mai mit einer Sorgenfalte auf der Stirn von seiner jüngsten Fahrt nach England zurückgekehrt war. Mit finsterem Blick brütete er vor sich hin, während er eine Wiege und eine Wickelkommode für Christians Nachwuchs zimmerte.

Nicht nur in Norwegen war es kalt gewesen. Auch England hatte einen strengen Winter erlebt, mit weißen Weihnachten wie aus dem Bilderbuch und rekordverdächtigen Minusgraden.

Die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass die Eishäuser der Insel im Sommer voll sein würden, auch ohne ihr norwegisches Eis.

Sie verließen sich darauf, dass ihr Eis sich durchsetzen würde, weil es das beste war, und diskutierten abends in der guten Stube der Petersens die schmissigen Werbezeilen, die Christian entwarf und die Schlagworte enthielten wie arktisch und polar, glasklar und frisch, Berge, Fjorde, Diamant und Kristall.

Flugblätter ließen sie schließlich drucken; gegen zusätzliche Visitenkarten hatte Thilo sein Veto eingelegt, sie gaben auch so schon genug Geld aus.

Nach wie vor hielten sie an ihrer Idee fest, unterstützt von Arno Petersen und Henny, der bevorstehende Familienzuwachs gutes Omen und Ansporn zugleich.

Es blieb ihnen auch nichts anderes übrig. Sie besaßen das Eis, das sie nicht unbegrenzt lagern konnten, und hatten bereits eine Anzahlung auf die Albatros geleistet, für die letzten beiden Wochen im Juni.

Grischa hätte lieber noch gewartet, auf die Hitze des Julis, des Augusts. Aber die Albatros war für den ganzen übrigen Sommer schon ausgebucht, ein vergleichbares Schiff nicht zu bekommen.

Also gab Christian Anzeigen in verschiedenen Londoner Blättern auf, und Mitte Juni stachen sie mit ihrer kalten Fracht in See.

Gemessen am Hamburger Hafen oder sogar dem von Bergen, war der Hafen von London überwältigend. Eine Stadt für sich, gut fünfzig Meilen von der Küste ins Land hinein.

Morgen um Morgen von Werften und ihren Docks, von Lagerhäusern und Schuppen und Werkstätten dehnten sich entlang der Themse aus, selbst ein Lindwurm von Fluss. Wie ein engmaschiger Gitterzaun zogen sich die Masten und Leinen der Segler die Kais entlang, bunt beflaggt, und auch Dampfschiffe, deren Schornsteine dunklen Rauch ausspien, gab es hier mehr als in Hamburg; dazwischen fädelten sich Leichter und Lastkähne und Ruderboote ein.

Während die Hansestadt Hamburg von ihren Kaufleuten keinen Zoll erhob, um den Handel in Schwung zu halten, mussten sie hier einen gewissen Betrag entrichten, das wusste Grischa von seinen Fahrten nach England.

Er überließ es Thilo mit seinem bedächtigen Englisch, das Gespräch im Kontor des Schiffsmaklers zu führen, nachdem ein Zollinspektor einen Blick in den Laderaum geworfen hatte. In Pfund Sterling umgerechnet, kam es Grischa allerdings verdächtig günstig vor, was Thilo für die vorgelegten Frachtpapiere letztendlich bezahlte.

»Warum mussten wir nicht mehr dafür hinblättern?«, wollte Grischa wissen, als sie wieder aus dem Kontor traten.

Eines von vielen Büros hier, die sich mit einfachen Herbergen und Kneipen abwechselten. In den Schaufenstern glänzten Chronometer und Kompasse, Quadranten und Sextanten. Wie Signalfeuer leuchteten schon von Weitem rote und blaue Flanellhemden, vor den Türen stapelten sich Hängematten und Ölzeug, die Fassaden dazwischen mit Segeltuchhosen, Lotsenjacken und glänzend schwarzen Überziehern behängt.

Dockarbeiter kreuzten ihren Weg, Sackträger und ein Smutje, der sein Schiff mit einer Karre voller Metalldosen, gefüllt mit Fleisch und Zwieback, bestückte, und bei den Segelmachern roch es nach Tuch, Hanf und Teer.

»Na ja«, erwiderte Thilo schließlich gedehnt, noch in den Stapel Papiere in seiner Hand vertieft, »der Zoll berechnet sich nach dem Verkaufswert der Fracht. Und wir haben schließlich nichts als gefrorenes Wasser an Bord. Was kann das schon wert sein? Fanden sowohl Inspektor als auch Schiffsmakler.«

Ein Grinsen blitzte in Grischas Gesicht auf.

»Ich wusste nicht, dass du so gerissen sein kannst.«

Auch um Thilos Mund zuckte es, während er mit unschuldiger Miene den Blick zum Himmel hob.

»Ich schätze, man muss auch mal fünfe gerade sein lassen für den Erfolg.«

Herzhaft packte Grischa ihn am Nacken.

»Am liebsten würde ich dich an Ort und Stelle küssen. Vor allen Leuten«, raunte er ihm ins Ohr.

Ein Lächeln schien zwischen den beiden auf.

Was es an Unstimmigkeiten zwischen ihnen gegeben hatte, hatten sie im norwegischen Winter zurückgelassen, so hatte es zumindest den Anschein.

Thilo gab sich Mühe, Grischa nicht zu bedrängen, nichts von ihm einzufordern, und Grischa vergalt es ihm mit Leidenschaft und aller Liebe, zu der er fähig war. Dass Thilo nachts wach lag, während Grischa auf Fahrt war, kam ihm normal vor; das Schicksal desjenigen, der sein Leben mit einem Seemann teilt. Abgesehen davon war Thilo einfach glücklich, mit Grischa zusammen zu sein, als Paar, fast ein Jahr schon.

In Grischas Augen flackerte es, nur für den Bruchteil eines Moments. Am Rand seines Gesichtsfelds nahm Thilo eine junge Frau wahr, drall und mit flammend rotem Haar unter der Haube.

Thilos Züge verhärteten sich.

Es war ein schöner Morgen, sonnig und warm, nichts als ein paar Wattewölkchen am blauen Himmel; mittags würde es sicher heiß werden.

Jeder einen Stapel Flugblätter in der Hand, verteilten sich Grischa, Thilo und Christian über den Kai, an dem die Albatros mit stampfender Pumpe vor Anker lag, und priesen ihr Eis an, das sieben Pence pro Pfund kosten sollte.

Lauthals lockten ihre Rufe und bewarben die besondere Qualität des Eises, dazwischen sprachen sie jeden an, der vorbeiging, und hielten ihm einen ihrer Werbezettel hin. Den Handwerkern, die genauso vorübereilten wie Geschäftsleute, Offiziere der Navy in ihren schneidigen Uniformen und Hafenbeamte, die ihre Wichtigkeit mit glänzenden Messingknöpfen unterstrichen. Nach Pfeifenrauch roch es und nach Rum, nach frisch gegerbten Häuten und Horn, immer wieder nach Kaffee und Gewürzen.

Dazwischen katzbuckelten Bettler mit ausgestreckter Hand, irrten Auswanderer mit Sack und Pack und manchmal einem brandneuen Kochtopf unter dem Arm umher, in einer Mischung aus Resignation und Hoffnung. Auf der Suche nach dem Schiff, das sie in eine neue Welt, ein neues Leben bringen würde.

Kork wurde über den Kai gekarrt und verladen, Fässer mit giftig gelbem Schwefel und Kupfererz. Immer wieder hob eine raue Kehle zu einem Seemannslied an, in das andere Stimmen mit einfielen. Befehle schallten über die Decks und den Kai, und Hammerschläge knallten mit Nachhall. Die Ketten der Kräne quietschten beim Heraufziehen ihrer Last und rasselten leer wieder hinunter, ein leeres Fass rollte vorbei, und irgendwo meckerte eine Ziege.

»Eis wollt ihr verkaufen? Schon mal was von Eulen nach Athen tragen gehört?«, erschallte es aus einer Gruppe Marineoffiziere unter lautem Gelächter.

»Was haben sie gesagt?«, rief Grischa zu Christian hinüber.

Christian schüttelte den Kopf. »Nicht so wichtig.«

Er schluckte seinen Stolz hinunter und sprach den nächsten Händler im Anzug an.

»Könnt ihr gleich an Eskimos verkaufen«, knurrte dieser und eilte weiter.

Amüsiert beobachteten die Männer der Albatros und Kapitän Albers an der Reling und im Rigg ihre Bemühungen auf dem Kai, warfen sich immer wieder vielsagende Blicke und ein Grinsen zu; manchmal schäumte Lachen auf, wenn einer von ihnen einen Witz riss.

Auch Katya hatte sich mit einer Handvoll Flugblätter auf den Kai gestellt. Hemd und Männerhose gegen ihre norwegische Alltagstracht getauscht, gab sie die englischen Worte wieder, die Thilo ihr beigebracht hatte, wiederholte sie auf Deutsch, Russisch, Dänisch.

Ein Echo des Sprachgewirrs im Hafen, wo zwischen hellhäutigen und sonnengeröteten Männern andere mit Haut wie Nussbaumholz oder Kaffeebohnen umhergingen und mit fremdländischen Zügen. Indigodunkle Muster rankten sich über braune Gesichter, und goldhäutige Männer mit prächtigen Bärten trugen ein Tuch zum Turban um den Kopf gewunden.

Was die Männer ihr lachend oder mit einem frechen Grinsen antworteten, hätte nichts mit Eis zu tun, das verstand Katya trotz ihres begrenzten englischen Wortschatzes.

Als ob Thilos Schummelei bei der Zollgebühr einen Fluch auf sie gezogen hätte, sahen sie sich mit dem weiteren Lauf der Sonne gezwungen, den Preis für das Eis zu senken. Von sieben Pence das Pfund auf fünf, dann auf drei; schließlich boten sie es für einen Penny an.

Ein Metzger, der im Hafen etwas abgeliefert hatte, nahm ein paar Pfund auf seinem Karren mit; einige andere Passanten griffen ebenfalls zu, wenn auch zögerlich und jeweils nur ein Pfund.

Bei Sonnenuntergang gaben sie auf.

»Wir versuchen es morgen wieder«, sagte Grischa.

Aufmunternd schlug er Thilo und Christian auf die Schulter und nahm Katya, die den Kopf hängen ließ, tröstend in den Arm.

Keiner von ihnen schlief viel oder gar gut in dieser Nacht, jeder wälzte Fragen und Gedanken und Zweifel hin und her wie Mühlsteine. Begleitet vom monotonen Geräusch der Pumpe, das mit fortschreitender Nacht etwas Verzweifeltes bekam.

Der nächste Morgen brachte einen immensen Zulauf an Menschen zur Albatros .

Allerdings nicht, um Eis zu kaufen.

Es hatte sich herumgesprochen, dass ein Schiff aus Hamburg eingelaufen war, das Eis an Bord hatte; jetzt drängten sich Schaulustige am Kai, um die Narren zu begaffen, die glaubten, sie könnten damit Geld verdienen.

Gute Ratschläge flogen durch die Luft, mit welchen Geschäften sie es besser versucht hätten – Tee, Tabak, Schnaps. Vor allem aber schlugen höhnische Bemerkungen und schallendes Gelächter über ihnen zusammen.

Zum Gespött des halben Londoner Hafens hatten sie sich gemacht.

Gegen Mittag sahen sie ein, dass es sinnlos war. Niemand hier würde ihr norwegisches Eis kaufen.

Nicht einmal für einen lumpigen Penny.

Entmutigt ließ sich Katya mitten auf die Decksplanken sinken und schlug die Hände vors Gesicht.

»Es ist meine Schuld«, murmelte sie. »Es war meine Idee.«

»Dein Selbstmitleid hilft uns auch nicht weiter.«

Christians Stimme schnitt durch die Luft.

Katya funkelte ihn zwischen gespreizten Fingern hindurch an.

»Dass du deine schlechte Laune an mir auslässt, aber ebenso wenig.«

Thilo ließ sich neben ihr nieder und legte ihr den Arm um die Schultern.

»Es ist eine gute Idee, Katya. Nur der Zeitpunkt scheint falsch zu sein.«

Er unterstrich seine Worte, indem er sie kurz an sich drückte.

»Wir versuchen es im nächsten Jahr noch einmal.«

Als hätte er damit einen Damm eingerissen, redeten sie lautstark durcheinander, wie es jetzt weitergehen sollte, wie lange ihr Eis hier an Bord noch halten würde und wie lange, brächten sie es zurück nach Hamburg, und ob sich das überhaupt lohnte.

An diesem Punkt kehrte plötzlich Stille ein, als sich jeder von ihnen vorstellte, noch einmal einen ganzen Winter damit zu verbringen, in der norwegischen Kälte Eis zu schneiden.

»Was machen wir jetzt?«, wandte sich Christian nach einer langen Pause an Grischa.

Niemand wollte ihr Eis, das trotz einer dicken Schicht aus Sägemehl langsam, aber sicher dahinschmolz. Im Laderaum der Albatros , die in sieben Tagen zurück in Hamburg sein musste.

Grischa ließ seinen Blick über den Kai schweifen, wo sich die Menschenmenge nur langsam zerstreute. Dann über das Deck, auf dem die Matrosen teils müßig herumsaßen, während andere sich angelegentlich mit den Leinen und Segeln beschäftigten und dabei unsicher und fragend zu ihm herüberschielten.

Kapitän Albers beantwortete seinen Blick mit einem Schulterzucken und einem Heben der Brauen. Als wollte er sagen: Ihr bezahlt die Charter, ihr habt auch das Sagen.

Wir haben ein Schiff, jagte es durch Grischa hindurch, und die Besatzung dazu.

Er packte Christian beim Arm.

»Komm mit. Ich brauche dich und dein Englisch.«

Erst Stunden später kehrten sie zurück, die Sonne stand schon tief.

Durchgeschwitzt und staubig, malte sich vorsichtige Erleichterung auf ihre Gesichter, doch sowohl in Christians als auch in Grischas Augen funkelte es energiegeladen.

»Wir haben uns den ganzen Nachmittag die Hacken abgelaufen«, berichtete Christian grinsend. »Von Schiffsmakler zu Schiffsmakler. Überall haben wir nach einer Fracht gefragt, die dringend nach Hamburg muss, der aber noch das Schiff fehlt. Und wir hatten Glück. Ein Tuchhändler wollte eigentlich heute seine Lieferung losschicken, aber das Schiff, das dafür bestimmt war, hat einen gebrochenen Mast. Also werden wir diese Fracht übernehmen.«

»Hoffentlich gegen Bezahlung«, ließ sich Thilo vernehmen, der mit aufgekrempelten Ärmeln an der Reling lehnte.

»Natürlich«, versicherte Christian. »Viel daran verdienen werden wir zwar nicht, aber nach Abzug aller Unkosten wird wenigstens ein bisschen was hängenbleiben.«

Katya, die auf den Decksplanken saß, hob den Kopf.

»Und das Eis?«

»Das ist der Haken daran«, erklärte Grischa. »Bis morgen Mittag muss der Laderaum leer und vor allem trocken sein.«

Sein Blick wurde weich.

»Es tut mir leid, Katya. Wir müssen es hierlassen.«

Unter Grischas und Christians Führung brach an Bord fieberhafte Betriebsamkeit aus, als die Besatzung den größten Teil des Eises auf den Kai hievte und wie die Marktschreier brüllten, dass es gratis war.

Katya blutete das Herz, als sie sah, wie sich Arbeiter auf ihrem Heimweg gierig auf das Eis stürzten. Frauen kamen mit gerafften Röcken und Körben herbeigelaufen, nachdem sich herumgesprochen hatte, dass es hier etwas geschenkt gab.

Jetzt, da es umsonst zu haben war, wollten sie es, eimerweise, schlugen sich sogar fast darum.

Der Rest wurde über Bord geworfen.

Katya konnte die Tränen nicht zurückhalten.

Ihr schönes, kostbares Eis von Voroninvatnet, in das sie so viel Geld und Kraft und Schweiß gesteckt hatten, trieb in den letzten Strahlen der Abendsonne durch die Themse und begann sich aufzulösen wie ein Traum.

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