FÜNF

Alles geschah auf einmal, und Brian Kutz konnte nicht richtig denken, konnte nicht entscheiden, was jetzt wichtig war und was nicht, was sofort getan werden musste und was warten konnte. Er handelte rein instinktiv, reagierte auf jede der Veränderungen, die sich in Sekundenbruchteilen ereigneten.

Der Feuermelder hat nicht reagiert.

Das war der einzige bewusste Gedanke, der ihm immer wieder durch den Kopf schoss; wie auf einer Endlosschleife wiederholte er sich ständig in seinem Hirn, während er aus dem Bett sprang und splitternackt durch die dichten Rauchwolken stürmte, dorthin, wo er die Schlafzimmertür finden würde, da war er sich ganz sicher. Nur dass die Tür nicht dort war. Brian prallte gegen eine Wand - viel früher, als es eigentlich hätte passieren dürfen. Als wäre in der Nacht sein Bett verrückt worden. Als Brian zurücktaumelte, spürte er sein warmes, feuchtes Blut, das ihm von der Stirn ins Auge und über die Wange strömte. Viel schlimmer aber waren der Rauch und die zunehmende Hitze im Zimmer ...

Der Feuermelder hat nicht reagiert.

... und so tastete er sich panisch an der Wand entlang, bis seine Fingerspitzen einen Türrahmen fanden. Brian tränten die Augen, sie brannten von Blut, Schweiß und Rauch, und irgendwo in der Ferne - auf der Vorderseite des Hauses, glaubte er - hörte er etwas zerbersten: einen Fernseher, oder die Mikrowelle, oder einen Computer, oder die Stereoanlage.

Der Feuermelder hat nicht reagiert.

Im Flur leckten ihm unerträgliche heiße Flammenzungen über die linke Hand - die Hand, mit der er sich noch an der Wand entlangtastete. Brians Haut verkohlte, wurde schwarz, schälte sich ab und legte nackte, rosige, untere Hautschichten bloß, die nun schutzlos der Hitze ausgesetzt waren. Sein ganzer Arm bestand nur noch aus Schmerz, als würde jemand ihn mit einem Skalpell zerschneiden. Brian hoffte inständig, Geräusche aus dem Schlafzimmer der Zwillinge zu hören. Er wollte einfach nur wissen, dass sie noch lebten. Doch nichts war zu hören, nur das Prasseln der Flammen ...

... und dann zuckte der ganze Fußboden wie bei einem Erdbeben, und vom Dach hörte Brian ein ungeheures Tosen. Er rannte durch den Rauch, der ihm jede Sicht und jede Luft nahm, und ignorierte die Gefahren. Er musste die Mädchen finden und sie hinausschaffen, ehe das Dach über ihnen zusammenbrach!

Er fand eine Tür, die zu ihrem Zimmer führen musste, doch die Luft war bereits zu rauchverhangen, um wirklich sicher sein zu können, und als Brian sich ins Zimmer beugte, schlug ihm unerträglich sengende Hitze entgegen, die sein Gesicht zu rösten schien und ihm das Gefühl gab, jeden Moment würden ihm die Augen schmelzen; rücklings taumelte er gegen die Wand im Flur.

»Deb!«, schrie er. »Michelle!«

»Daddy! Mommy!«

»Mommy! Daddy!«

Die Stimmen klangen matt und leise im Tosen der Flammen und dem Krachen und Stöhnen des sterbenden Hauses, doch sie waren irgendwo vor ihm, in der Nähe des Hauseingangs, und mit tränenverhangenem Blick taumelte Brian durch die Rauchschwärze, dankbar, dass seine Mädchen geistesgegenwärtig genug gewesen waren, ihr Zimmer zu verlassen. »Raus hier!«, rief er ihnen zu, doch seine Kehle war trocken und seine Stimme nicht annähernd so laut, wie er es beabsichtigt hatte. Noch einmal versuchte er zu schreien, doch es wurde ein Hustenanfall daraus.

Aber wenigstens waren die Mädchen in der vorderen Hälfte des Hauses, im Wohnzimmer oder in der Küche, und hier, im hinteren Teil, schien der Brand noch schlimmer zu sein.

Er hoffte nur, dass Nanci ihm folgte oder schon an ihm vorbeigehastet war - oder das Schlafzimmerfenster eingeschlagen hatte, um auf diese Weise zu flüchten. Jetzt dachte Brian allmählich wieder logischer; sein Hirn hatte die letzten Nebelfetzen des Schlafes abgeschüttelt, und nun begriff er, was hier eigentlich geschah und wo er war und was er tun müsse. Er wünschte, er wäre nicht nackt, hätte wenigstens Unterwäsche angezogen, würde Schuhe oder Hausschuhe tragen, doch nichts davon war wichtig, und so eilte er vorwärts, so schnell er nur konnte, die unverletzte Hand immer noch an der Wand, um nicht wieder die Orientierung zu verlieren, wobei er hoffte, dass keine brennenden Möbelstücke ihm plötzlich den Weg versperrten.

Immer noch hustete er. Jeder Versuch, nach dem Husten wieder Luft zu holen, transportierte auch weiteren Rauch und Ruß in die Lunge. Als Brian es schließlich geschafft hatte, aus dem Flur herauszukommen und das Wohnzimmer zu durchqueren, erbrach er sich. Sein Mageninhalt platschte ihm auf die nackten Füße und auf die Fußmatte; einen kurzen Augenblick dachte er, er müsse ersticken, denn er schien nicht mehr atmen zu können. Doch dann taumelte er weiter fort von seinem Haus, wankte auf die versammelte Nachbarschaft zu, sah, dass die alte Mrs. Childiss die beiden verzweifelt schluchzenden Zwillinge festhielt. Und dann spürte Brian die willkommene Kühle frischer, sauberer, rauchfreier Luft. Auch er schluchzte, als er die Mädchen fest in die Arme schloss.

»Daddy!«, rief Michelle weinend.

»Daddy!«, schluchzte Deb.

Aber wo war Nanci? Grelles Entsetzen durchfuhr Brian. Neuerliche Panik erfasste ihn. Er rief den Namen seiner Frau, drehte sich um, suchte nach einer Spur von ihr. Er wusste, dass er die Mädchen nicht verängstigen sollte, doch er war selbst zu verängstigt, um darauf achten zu können. »Nanci!«, rief er. »Nanci!«

Keine Antwort. Nur das Prasseln der Flammen war zu vernehmen.

»Passen Sie auf die beiden auf!«, rief er Mrs. Childiss noch zu und schob ihr die Zwillinge entgegen. Dann rannte er zur Seite des brennenden Hauses, schrie immer wieder den Namen seiner Frau, lief über den Hinterhof zur anderen Seite und suchte nach einem Anzeichen, dass Nanci der Flammenhölle hatte entkommen können. Er verfluchte sich selbst, nicht geistesgegenwärtig genug gewesen zu sein, seine Frau zu retten, als er die Chance gehabt hatte.

Die Lampe neben dem Bewegungsmelder über der Küchentür flammte auf, als er sich näherte.

Und dann sah er den Versicherungsvertreter.

Wie angewurzelt blieb Brian stehen.

Der Mann stand neben dem geborstenen Küchenfenster, aus dem nun dichte Rauchschwaden quollen; anfangs hatten sie sich in der Nacht aufgelöst, doch allmählich schwängerten sie auch hier die Luft. Der Mann trug einen Mantel, der fast aussah wie ein Trenchcoat, und dazu einen weichen Filzhut. Auch wenn er in dieser Kleidung aussah wie ein Privatdetektiv aus einem Schwarzweißkrimi aus den Vierzigerjahren, wirkte es doch nicht fehl am Platze ... und zum ersten Mal begriff Brian, dass der Versicherungsvertreter tatsächlich aus einer anderen Zeit zu stammen schien.

Und das war schon immer so gewesen.

»Tss, tss«, sagte der Vertreter.

Verrückterweise schoss Brian der Gedanke durch den Kopf, dass er noch nie jemanden wirklich »Tss, tss« hatte sagen hören. Das war eine dieser Phrasen, die man immer nur in Büchern las, aber nie im wahren Leben hörte, und tatsächlich klang es gekünstelt und spöttisch aus dem Munde des Versicherungsvertreters.

Nancis verbrannter Leib lag zu seinen Füßen, zuckte noch ein wenig.

Brian fühlte sich, als hätte jemand ihm die Faust in den Magen gedroschen. »Nein ...«, brachte er mühsam heraus.

»Ja.«

»Das ist nicht ...«

»Leider doch.«

»Ich wollte es doch morgen abschicken!«, kreischte Brian. »Ich habe den Scheck schon geschrieben! Es steckt in meiner Brieftasche!«

»So ein Pech aber auch«, sagte der Vertreter. »Wirklich eine Schande.«

Brian ließ sich auf den Boden fallen, unmittelbar neben seine Frau. Sie war dermaßen verbrannt, dass er sie kaum noch erkannte. Aus der Nähe konnte er das Blut unter den verkohlten Hautschichten sehen, sah das feine Zucken der Muskeln. Zwischen dem, was von ihren verbrannten Lippen übrig war, drang kein Laut hervor, und irgendwie war dies das Schlimmste von allem. Nanci starb unter entsetzlichen Schmerzen, doch sie konnte nicht schreien. Ihre Kehle war versiegelt. Brian wollte sie festhalten, wollte ihr Trost spenden, doch er wusste, dass er es nicht konnte. Er schluchzte, weinte, schrie. »Nein!«

Der Versicherungsvertreter tippte sich an die Hutkrempe und trat in den Vorgarten, hinaus in die Dunkelheit, während nun die Wagen der Feuerwehr eintrafen. »Es war mir eine Freude, mit Ihnen Geschäfte zu machen.«

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