3.


Im Gästezimmer brannte Licht.

Vor zehn Minuten, als Hunt zur Arbeit aufgebrochen war, hatte es noch nicht gebrannt, da war Beth sich ganz sicher. Doch jetzt war das Licht eingeschaltet, und als sie im Zwielicht vor Sonnenaufgang im Flur den gelblichen Schein unter der Tür sah, gefror ihr das Blut in den Adern.

»Courtney!«, rief sie.

Das Miauen der Katze kam aus weiter Ferne - aus der Küche oder der Waschküche.

Beth selbst musste ebenfalls zur Arbeit. Es war ihr erster Arbeitstag nach den Flitterwochen, und sie konnte es sich nicht erlauben, zu spät zu kommen. Sie sollte jetzt aufbrechen und später wiederkommen, zusammen mit Hunt - am besten, wenn alles vorbei war.

Wenn alles vorbei war.

Genau. Was immer in dem Zimmer geschehen mochte, es geschah jetzt noch immer.

Beth betätigte den Lichtschalter, doch nichts tat sich. Der Flur blieb dunkel.

Von dem dünnen Lichtstreifen unter der Tür zum Gästezimmer abgesehen.

Einen Augenblick lang zögerte sie, wusste nicht recht, was sie tun sollte. Aus dem Zimmer war ein Geräusch zu hören. Dieses Mal war es kein Klopfen, sondern ein unheimliches, leises Pfeifen, fast wie ein Teekessel, den man auf dem Herd vergessen hatte und dessen Inhalt fast schon gänzlich verkocht war. Das Pfeifen war kaum zu hören, wurde beinahe von Beths vor Angst schnell gehendem Atmen und Courtneys Miauen in der Ferne übertönt.

In wenigen Minuten würde die Sonne aufgehen. Wenn Beth noch ein bisschen wartete, würde durch die Ostfenster Licht ins Haus fallen und die Dunkelheit vertreiben. Aber Beth konnte nicht warten. Mit jeder Minute wurde der Berufsverkehr dichter. Sie musste jetzt los, wenn sie es noch pünktlich zu Thompson Industries schaffen wollte. Sie holte tief Luft, um sich auf alles gefasst zu machen; dann ging sie zügig den Flur hinunter, packte den Knauf an der Tür zum Gästezimmer, drehte ihn und drückte.

Die Tür ging nicht auf.

Beth lehnte sich dagegen, stemmte sich mit der Schulter gegen das Holz, sah den Lichtschein, der unter der Tür hervordrang und auf ihre Schuhe fiel, doch die Tür wollte einfach nicht aufgehen.

Ein eisiger Hauch fuhr ihr über den Rücken.

Und die Tür schwang auf.

Beth schrie. In dem Sekundenbruchteil, ehe das Licht im Gästezimmer wieder erloschen war, hatte Beth im Spiegel über der Kommode unmittelbar neben sich die Umrisse eines Mannes gesehen: eines stämmigen Mannes mit schlechter Haltung, der einen altmodischen Hut mit breiter Krempe trug.

Und dann rannte Beth schon durchs Wohnzimmer, so schnell sie konnte, durch die Küche und aus dem Haus.


»Und wie fühlt's sich da unten an?«

»Was?«

»Wenn dein Schwanz jetzt nicht wundgescheuert ist und fast abfällt, bist du kein richtiger Mann.«

Hunt lachte und warf ein Aststück nach Edward. Mehrmals drehte es sich in der Luft, flog geradewegs auf das Gesicht des kräftigen Mannes zu, bis dieser einen Schritt zur Seite machte und der Ast harmlos klappernd auf dem Kies landete.

»Du warst auf Hochzeitsreise, Mann!«

»Und?«

»Und jetzt sollte dein Ding knallrot und wund sein.«

»Worauf willst du denn hinaus? Willst du mir die Hose runterziehen und es dir angucken, oder was? Was willst du?«

»Details!«, verkündete Jorge, der auf der anderen Seite des Baumes zwischen den Zweigen kauerte. »Wir wollen Details!«

»Tja, die kriegt ihr aber nicht.«

»Da würde ich doch glatt sagen, dass du wohl nichts gekriegt hast!«, sagte Edward. Er stieß sein tiefes Wrestler-Lachen aus, und dann hielten die drei kurz inne, als zwei Mütter mit Sportkinderwagen vorbeigejoggt kamen.

»Also ehrlich jetzt«, setzte Edward erneut an, »wie war die Hochzeitsreise?«

»Großartig«, sagte Hunt. »Natürlich gab es auch ein paar weniger schöne Momente, gerade genug, dass man die Reise nicht vergisst ...«

»Du brauchst ein paar weniger schöne Momente, damit du deine Hochzeitsreise nicht vergisst?« Edward schüttelte den Kopf.

»Du weißt genau, was ich meine. Auf der Olvera Street haben wir uns 'ne Lebensmittelvergiftung geholt ...«

»Ja, ja, Durchfall während der Hochzeitsreise ist immer sexy und romantisch«, merkte Jorge an und kletterte aus dem Baum.

Hunt ignorierte ihn. »Dann hatte ich am Strand einen kleinen Unfall.«

Edward schüttelte mitfühlend den Kopf. »Und was hat deine Versicherung dieses Mal gesagt?«

»Gar nichts. Ich habe es denen nicht gemeldet. An beiden Wagen war kein Kratzer, also haben wir's dabei bewenden lassen.«

»Wahrscheinlich genau das Richtige. Hast du das mit Steves Immobilienversicherung gehört?«

»Nein. Was denn?«

»Gekündigt!«, rief Jorge.

Hunt blickte zu Edward hinüber, der nur nickte. »Stimmt. Ich glaube, der hat bei denen etwas eingereicht, was die als unseriöse Forderung angesehen haben, und da haben sie ihn rausgeschmissen.«

Jorge lachte. »Da steht er jetzt, mit 'nem halb fertigen Haus und ohne Versicherung. Einen Besseren hätte es nicht treffen können.«

»Wisst ihr, Steve mag ja wirklich ein Blödmann sein«, wandte Hunt ein, »aber das mit den Versicherungen ist erschreckend.«

»Ich weiß, was du meinst, aber es geht hier um Steve!«

»Ich glaube nicht, dass du weißt, was ich meine. Ich habe in letzter Zeit viel darüber nachgedacht. Sagt mal ... Ist euch eigentlich klar, wie sehr wir uns auf unsere Versicherungen verlassen? Wir brauchen die für unser Auto, unser Haus, unsere Gesundheit, für unser Leben. Leute machen Jobs, die sie eigentlich verabscheuen, bloß weil sie da gut versichert sind - vor allem, wenn sie Kinder haben. Das betrifft fast alles. Ich glaube, dass mehr Träume aufgegeben werden, weil man eine Versicherung haben muss, als aus irgendeinem anderen Grund.« Er blickte Edward an. »Wie viele Leute mehr würden Musik komponieren oder Bilder malen, wenn sie nicht unbedingt die Beiträge für die Versicherung ihres Autos bezahlen müssten?« Er schaute zu Jorge. »Wie viele Leute mehr würden Bücher schreiben, die sie schon längst im Kopf haben, wenn sie nicht unbedingt einen Job bräuchten, damit sie die Krankenversicherung ihrer Kinder bezahlen können?«

Schweigen breitete sich aus, als seine Freunde diesen Gedanken verdauten.

»Die Leute brauchen nicht noch mehr Kunst«, sagte Edward schließlich. »Die brauchen beschnittene Bäume. Legen wir wieder los!«

»Genau«, pflichtete Jorge ihm bei. »Außerdem geht es hier um Steve!«


Hunt kam vor Beth nach Hause und ging sofort zum Gästezimmer, um es zu begutachten.

Schon am frühen Morgen hatte sie ihn auf dem Handy angerufen und ihm geschildert, was passiert sei, hatte ihn dann in der Mittagspause erneut angerufen, um mehr ins Detail zu gehen, und auch wenn es sich ein bisschen lächerlich angehört hatte, solange Hunt dort draußen gewesen war - im wahren Leben sozusagen, außerhalb des Hauses -, erschien es ihm nun, wo er hier war, längst nicht mehr so unvorstellbar.

Sie habe nichts angefasst, hatte Beth gesagt, doch als Hunt nun das Zimmer betrat, fiel ihm als Erstes auf, dass die Tagesdecke auf dem Gästebett heruntergerissen war. Die Decke war nicht gewechselt, nicht einmal mehr angerührt worden, seit Beths Mutter abgereist war, und als Hunt sie jetzt zusammengeknautscht auf dem Boden liegen sah, überlief ihn eine Gänsehaut. Sonst schien im Zimmer nichts verändert. Der Lichtschalter war heruntergedrückt, die Lampen waren aus. Geräusche gab es keine.

Er hörte, wie draußen Beths Saturn vorfuhr, dann das Knallen der Autotür, und dann wurde die Küchentür geöffnet. »Ich bin hier!«, rief Hunt, als er sicher sein konnte, dass seine Frau in Hörweite war.

Ihre Schritte auf dem Fußboden klangen zögerlich, doch einen Augenblick später stand Beth neben ihm und starrte auf das zerwühlte Bett. »Ich nehme an, das warst nicht du«, sagte sie.

»Stimmt, das war ich nicht.«

Sie schaute sich im Zimmer um, suchte nach irgendetwas anderem, das anders war als sonst, konnte aber nichts entdecken.

»Ich habe in dem Spiegel wirklich etwas gesehen«, sagte Beth. Hunt hörte die Angst in ihrer Stimme. »Ein großer Mann, der neben mir stand. Aber da war niemand.«

»Hast du dich durch den Mann bedroht gefühlt? Hattest du das Gefühl, er wollte dir etwas antun?« Hunt konnte nicht fassen, dass er so etwas fragte. Aber es führte kein Weg daran vorbei. Nicht nach dem, was passiert war. In dem Zimmer spukte es. So einfach war das.

Beth schüttelte den Kopf. »Ich habe überhaupt nichts gespürt, wenn du das meinst. Ich hatte nicht das Gefühl, dass er mir etwas tun wollte. Aber ich hatte noch nie im Leben eine solche Angst.« Sie deutete auf ihre Unterarme. »Schau«, sagte sie. »Gänsehaut. So ist das heute schon den ganzen Tag.«

Hunt zupfte am Bettlaken, legte die Tagesdecke wieder zurecht und rechnete beinahe schon damit, dass sie ihm jeden Moment aus den Händen gerissen und quer durchs Zimmer segeln würde. Doch nichts geschah. Hunt strich die Decke glatt. Innerlich atmete er erleichtert auf. »Manche Menschen leben doch mit Geistern, oder nicht? Die verpassen denen sogar niedliche Namen, wie Georgie oder Louie, und erklären allen, dass sie freundlich sind und keinem Böses wollen. Vielleicht sollten wir es genauso halten.«

»Ein Spukhaus«, sagte Beth und wiederholte seine eigenen Gedanken. »Wir wohnen in einem Spukhaus.«

»Scheint so.« Er schaute sie an. »Was willst du machen? Es verkaufen und woanders hinziehen?«

»Nein«, sagte Beth, dachte dann aber noch einmal nach. »Jedenfalls noch nicht.«

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