3.
»Aber es hat doch funktioniert!« Ynez ging vor dem Küchentisch auf und ab. »Hunt ist aus dem Knast, und der ganze Albtraum ist vorbei!«
»Der ist doch kein Flaschengeist«, gab Jorge zurück. »Er kann dir nicht jeden Wunsch erfüllen.«
»Nein, aber vielleicht können wir eine Versicherung abschließen, die ... ich weiß auch nicht ... die garantiert, dass unser Kind gesund zur Welt kommt.«
»Ich will den Kerl nicht anrufen«, wiederholte Jorge. »Wenn er zu uns kommt, na gut. Aber er soll selbst den ersten Schritt machen.«
»Er ist doch schon zu uns gekommen! Und du hast ihn abblitzen lassen!« Ynez ging vor ihm auf die Knie. »Ich möchte nicht, dass unserem Jungen etwas passiert!«
»Hast du mir nicht zugehört? Wir würden einen Handel mit dem Teufel abschließen, und dabei können wir nichts gewinnen! Was wir auch tun, wir sind diejenigen, die dabei verlieren werden. Wenn der Mann jetzt zu uns käme und uns bedrohen würde, okay, dann würde ich vielleicht nachgeben, allein schon wegen des Babys. Aber es wäre irrsinnig, jetzt nach dem Mann zu suchen!«
»Er war doch schon hier. Die Drohung hat er doch auch schon ausgesprochen. Und die müssen wir loswerden.«
Es klopfte an der Tür. Jorge seufzte und ging hinüber. Hinter ihm goss Ynez sich ein Glas Wasser ein.
Der Mann, der vor ihm auf der Veranda stand, war nicht sofort zu erkennen. Er war hochgewachsen und kräftig, mit scharf geschnittenen Gesichtszügen und vollem schwarzen Haar.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte Jorge - und dann begriff er, wer vor ihm stand.
Der Versicherungsvertreter.
Der Mann nickte lächelnd. »Ja, das können Sie, Mr. Marquez. Und ich denke, ich kann auch Ihnen helfen. Darf ich hereinkommen?«
Jorge wollte ihn nicht im Haus haben - nicht dort, wo seine Frau und sein ungeborenes Kind sich aufhielten. Dann wurde ihm klar, dass er bereits genickt hatte und zur Seite getreten war.
Der Vertreter huschte an ihm vorbei, und Jorge erschauerte. Ein kalter Luftzug folgte diesem Mann. Wenn es um etwas anderes gegangen wäre, um jemand anderen als seine Frau und seinen Sohn, hätte Jorge den Vertreter auf der Stelle aufgefordert, das Haus zu verlassen.
Ynez trank immer noch Wasser, als sie ins Wohnzimmer kam. »Hallo«, sagte sie.
»Schön, Sie wiederzusehen, Mrs. Marquez. Ich habe es Ihnen wahrscheinlich schon beim letzten Mal gesagt, aber ich kann es gerne wiederholen: Sie haben ein sehr schönes Haus.«
»Danke«, entgegnete Ynez. Sie lächelte, doch Jorge hörte an ihrem Tonfall, dass auch sie vorsichtig blieb. Gott sei Dank. Den Versicherungsvertreter persönlich zu sehen, schien Ynez' unkritisches Bedürfnis nach weiteren Versicherungen ein wenig gedämpft zu haben.
Der Vertreter setzte sich aufs Sofa, lockerte seine Krawatte und öffnete den Aktenkoffer.
Automatisch setzten sie sich ihm gegenüber - und Jorge wurde klar, dass sie jetzt schon verloren hatten. Denn egal, was für eine Police er ihnen vorlegen würde und wie viel sie kostete, sie würden diese Versicherung abschließen. Sie konnten es sich nicht leisten, darauf zu verzichten.
Das wusste Jorge schon jetzt.
»Ich habe mir erlaubt, ein Komplettpaket zusammenzustellen, das sämtliche Bedürfnisse Ihrer bald vollständigen Familie abdeckt, die Kranken- und die Zahnfürsorgeversicherung ebenso wie die Lebensversicherung.« Er reichte ihnen einen dicken Stapel Papiere, der von drei Klammern zusammengehalten wurde. »Wenn Sie sich Seite eins anschauen wollen ...«
Die Art und Weise, wie der Vertreter auf jedes einzelne Detail einging, war schrecklich anstrengend. Soweit Jorge es beurteilen konnte, war die Police vernünftig abgefasst, und er achtete besonders auf den Abschnitt mit den zusätzlichen Leistungen der Krankenversicherung, die sich auf »Schwierigkeiten bei der Geburt« und »zusätzliche Krankenhausaufenthalte« bezogen. Jorge erkannte dankbar, dass das Angebot deutlich flexibler und umfangreicher war als die bisherige Versicherung, die ihm das County bot.
»Jetzt benötige ich nur noch die Unterschriften von Ihnen beiden für diesen Leistungskatalog«, sagte der Vertreter, schob ihnen die Antragsformulare entgegen und reichte ihnen einen Stift.
»Und ab wann wird das wirksam?«, fragte Jorge nach.
»Mit Unterzeichnung.«
Jorge blickte zu Ynez hinüber. Sie war so voller Skepsis, dass man es in ihrem Blick erkennen konnte. Wäre er ein gottesfürchtiger Mann gewesen, hätte Jorge jetzt ein Stoßgebet ausgesandt. Er unterzeichnete auf den Seiten drei und sechs. Ynez tat es ihm gleich.
Der Vertreter nahm ihnen die Anträge aus den Händen. »Jetzt gibt es nur noch eine Kleinigkeit, um die wir uns kümmern müssen. Die Untersuchung.«
Jorges Herz schaltete in einen höheren Gang.
»Die Untersuchung?«, wiederholte Ynez.
»Ja. Es ist üblich, dass Neuunterzeichner einer medizinischen Untersuchung unterzogen werden, um sicherzugehen, dass es keine Vorerkrankungen gibt, für die dann entsprechende Leistungen gemäß den Vertragsbedingungen ausgeschlossen würden. Normalerweise gehört eine Blutentnahme dazu, aber wir haben die Aufzeichnungen Ihrer Ärzte und auch Kopien Ihrer Krankenakten, also wird eine Blutentnahme in diesem Fall nicht erforderlich sein.«
»Dann ...«, setzte Jorge an.
»Ich muss nur den Schritt Ihrer Frau untersuchen.«
Was? Wie betäubt kniff Jorge die Augen zusammen. Er konnte nicht glauben, was er da gehört hatte.
Nein, das stimmte nicht.
Er glaubte es - voll und ganz sogar.
Er wandte sich zu Ynez um, die entgeistert den Kopf schüttelte.
Der Vertreter ging um den Tisch herum und kauerte sich auf den Teppich. »Wenn Sie dann bitte Ihre Hose herunterziehen und die Beine spreizen würden, damit ich Ihre Möse sehen kann ...?«
Jorge sprang auf, hätte beinahe seinen Stuhl umgestoßen. »Nein!«, rief er.
Der Versicherungsvertreter richtete sich auf. Als er jetzt sprach, klang seine Stimme kalt und hart. »Dann ist Ihre Police null und nichtig.«
»Ich mach's«, sagte Ynez schnell, und mit zittrigen Händen kämpfte sie mit dem Knopf und dem Reißverschluss ihrer Hose. Tränen strömten ihr über die Wangen.
»Nein!«, sagte Jorge zu ihr.
»Es geht um unseren Sohn!« Unter Schwierigkeiten hob sie ihr Hinterteil von der Sitzfläche ihres Stuhles, schob Hose und Höschen herunter und streifte beides ganz ab. Dann spreizte sie die Beine, als der Versicherungsvertreter sich vor ihr hinkauerte.
»Das ist aber wirklich eine schöne Muschi, die Sie da haben, Mrs. Marquez.« Er grinste Jorge an. »Sie haben wirklich Glück.«
Ynez hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und schluchzte.
»Dann wollen wir mal hoffen, dass die Geburt dieses Wunder der Natur nicht ruiniert, was?«
Jorge hätte den Kerl umbringen mögen. Er wollte zuschlagen, wollte ihm die Zähne aus seiner grinsenden Visage treten, bis der Mund des Mannes nur noch ein blutiges, klaffendes Loch war.
Den Vertreter stand auf, richtete seine Krawatte wieder und schloss seinen Aktenkoffer. »Sieht gut aus«, sagte er dann. »Betrachten Sie sich als versichert.«
Ynez schluchzte immer noch, die Beine fest zusammengepresst, vornübergebeugt, um ihren nackten Unterleib so wenig wie möglich zu entblößen. Jorge stand zwischen ihr und dem Vertreter und versuchte, den Blick auf sie zu versperren, obwohl es natürlich nichts mehr gab, was der Versicherungsvertreter nicht schon gesehen hätte.
Der Mann lächelte Jorge an. »Hatte ich erwähnt, dass weitere Versicherungsleistungen - natürlich gegen beträchtliche zusätzliche Kosten - erforderlich werden könnten?«
Jorge konnte seine Wut kaum noch im Zaum halten. »Nein, haben Sie nicht«, sagte er mit krampfhaft erstickter Stimme.
»Abhängig von den Umständen kann es erforderlich werden, dass wir von Ihnen eine zusätzliche Verbindlichkeit einfordern, um sicherzustellen, dass Sie genau die Art der Versicherungsleistung erhalten, die Ihre individuellen Bedürfnisse erfordern. Genaue Informationen, diesen Vertragszusatz betreffend, werden Sie in Ihrer Police finden, sobald Sie diese erhalten. Falls Sie noch irgendwelche Fragen haben sollten, scheuen Sie sich nicht, mich anzurufen.«
Hinter ihm heulte Ynez auf, ein Schrei des Zorns und der Demütigung.
»Machen Sie sich keine Umstände«, sagte der Vertreter. »Ich finde schon alleine hinaus.«