5.
Joel hatte schon öfter gehört, dass die weitaus meisten Unfälle sich auf Parkplätzen ereigneten, aber einen Beleg dafür hatte er noch nie gefunden. Die meisten Unfälle, die er bisher miterlebt hatte, waren auf oder in der Nähe von Kreuzungen geschehen.
Reine Propaganda der Versicherungen, hatte er immer vermutet.
Sein erster Unfall seit seiner Teenager-Zeit hatte sich auf dem Parkplatz der Schule ereignet. Wie üblich war Joel erst spät losgekommen - einige Teilnehmer seines Mittwochnachmittags-Kurses »Prinzipien der Amerikanischen Regierung« waren noch geblieben, um mit ihm über aktuelle Entwicklungen zu diskutieren -, und er hatte beschlossen, die Abkürzung über den Studenten-Parkplatz zu nehmen, statt bis zur Ausfahrt für das Lehrpersonal zurückzufahren und dann den ganzen Umweg entlang der Ostseite des Campus nehmen zu müssen.
Der Wagen fuhr rückwärts ... und geradewegs in ihn hinein.
Joel war gerade eine der Ost-West-Straßen entlanggefahren, achtete mit müden Augen auf plötzlich aufflammende Bremslichter und wusste sehr genau, dass viele Studenten im ersten Jahr, vor allem die Jungs, sich noch wie angeberische Schüler verhielten, nicht wie College-Studenten, als plötzlich zu seiner Rechten ein schwerfälliger, alter Dodge ausscherte und mit beachtlichem Schwung in seine Beifahrertür krachte. Es war kein harter Treffer, eher ein Antippen, doch der Wagen war ein Koloss aus dem goldenen Zeitalter von Detroit, und Joel wusste, ohne erst nachschauen zu müssen, dass sein Toyota mit größter Wahrscheinlichkeit Schaden genommen hatte.
Sofort blieb er stehen und stieg aus dem Wagen. Die Fahrerin des Dodge tat es ihm gleich. Sie war Vietnamesin, und als Joel um seinen Wagen herumging, um den Schaden zu begutachten, sah er, dass sie zitterte wie Espenlaub. Er sah, dass ihr Schweiß auf der Oberlippe stand, fast wie ein glitzernder Schnurrbart. Genau wie Joel befürchtet hatte, sah er in der unteren Hälfte der Beifahrertür deutlich eine Delle. Stoßstange und Kofferraum des Dodge waren unbeschädigt, doch das rechte Rücklicht war zerschmettert.
»Ich brauche Versicherung«, sagte sie nervös und mit deutlich hörbarem Akzent.
»Sie haben keine Versicherung?« Na großartig, dachte Joel.
»Nein. Ich brauche ...« Sie holte tief Luft. »Ihre Versicherung.« Mit zitternden Händen reichte sie ihm einen Stift und ein Blatt Papier.
»Ach so.« Er schrieb seinen Namen auf, seine Adresse, seine Telefonnummer, den Hersteller und das Modell seines Wagens, sein Kennzeichen, die Nummer seines Führerscheins und seine Versicherungsnummer. Sie überflog den Zettel und gab ihn dann zurück. »Nein. State Farm.«
»Was?«
»State Farm Insurance.«
»Ich bin nicht bei der State Farm«, erklärte Joel. Dann deutete er auf die entsprechende Zeile auf dem Zettel und sagte langsam und deutlich: »Ich bin bei der UAI. United Automobile Insurance.«
»Nein! State Farm!«
Offensichtlich wusste sie nicht, dass es außer der State Farm noch andere Versicherungen gab! Joel fragte sich, wie er ihr begreiflich machen konnte, dass es die UAI tatsächlich gab - auch wenn sie keine Fernsehwerbung schaltete, so wie die Versicherung der Vietnamesin.
»Ich rufe Polizei.«
Joel warf einen Blick auf die Uhr und seufzte. »Fein.«
Beide griffen nach ihren Handys. Die Vietnamesin rief die Polizei an, Joel seine Frau, um ihr zu erzählen, dass er einen Unfall gehabt hatte und deswegen etwas später kommen werde. Als das Wort »Unfall« fiel, geriet Stacy beinahe in Panik, doch Joel versicherte ihr sofort, er sei nicht verletzt, und auch der Wagen habe nur ein paar kleine Dellen. Dann sagte er ihr, sie und Lilly sollten ruhig schon essen, weil er nicht wisse, wie lange das Ganze dauern werde und wann er nach Hause käme.
»Polizei kommen«, sagte das Mädchen, nachdem er sein Handy wieder eingesteckt hatte.
Joel nickte bestätigend; dann schrieb er sich ihre Informationen auf. Sie hieß My Nguyen und wohnte nicht weit vom Campus entfernt - in einer Straße, von der Joel wusste, dass sie im ärmeren Teil von Tucson lag.
Mehr gab es nicht zu sagen, also wartete jeder von ihnen im jeweiligen Wagen, bis die Polizei eintraf. Schon bald war Joels Toyota die Ursache für einen kleinen Stau, weil jetzt die Studenten vorbeiwollten, deren Kurse um sechs Uhr endeten, doch Joel war eine Lehrkraft und als solche eine Autoritätsperson, und so leitete er persönlich den Verkehr um, sorgte dafür, dass die hinteren Wagen frühzeitig auf die linke Spur wechselten, damit die vorderen seinem Wagen ausweichen konnten. Es hatte schon etwas Ironisches: Erst gestern Abend hatte er einfach aufgelegt, als ihn unvermittelt ein Versicherungsvertreter anrief, er solle die Deckungssumme seiner Autoversicherung aufstocken; schließlich habe die Versicherung seine aktuelle Police analysiert und sei zu dem Schluss gekommen, eine höhere Anspruchsobergrenze und eine breiter gefasste Deckung seien erforderlich.
Und jetzt hoffte Joel, die Einschätzung möge falsch gewesen sein.
Es dauerte eine halbe Stunde, bis die Polizei eintraf - kein Wagen des Sicherheitsdienstes, der auf dem Campus tätig war, sondern ein Streifenwagen der Polizei von Tucson -, und Joel musste geradezu unerträglich lange warten, bis die Frau ihre Sicht der Dinge geschildert hatte, bevor auch Joel den Unfallhergang darstellen konnte, so wie er ihn in Erinnerung hatte. Joel reichte dem Polizisten seinen Führerschein und seine Versichertenkarte und wartete darauf, dass der Polizist ihm eine Kopie seines Berichts aushändigte. Er ging davon aus, dass es damit dann erledigt wäre, dass My und er sich voneinander verabschieden konnten und alles Weitere ihren Versicherungsgesellschaften überlassen blieb. Doch zu seiner großen Überraschung ging der Polizeibeamte zu seinem Streifenwagen zurück und forderte über Funk zwei Abschleppwagen an.
»Moment mal!«, unterbrach Joel ihn.
Abwehrend hob der Polizist die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen.
»Mein Toyota ist doch in Ordnung! Das ist doch nur 'ne kleine Delle! Ich brauche keinen Abschleppwagen!«
Der Polizist gab die letzten Details seiner Anforderung durch, dann hob er verärgert den Kopf. »Mr. McCain«, setzte er an. »Mrs. Nguyen hat mich ausdrücklich darum gebeten, für sie einen Abschleppwagen zu rufen, also habe ich das getan. Ich bin gesetzlich verpflichtet, für alle Versicherungsnehmer der UAI einen Abschleppwagen zu rufen. Wenn Sie sich die Rückseite Ihrer Versichertenkarte einmal anschauen würden ...« Er gab Joel die Karte wieder zurück.
Joel drehte sie um und las das Kleingedruckte. Unterhalb der 1-800er-Nummer für Anspruchsforderungen und Beschwerden fand sich tatsächlich ein Passus, der besagte, ein Polizist müsse, sobald bei einem Unfall ein schriftlicher Bericht erforderlich wurde, einen Abschleppdienst informieren und dafür sorgen, dass das betreffende Fahrzeug zum nächsten Autohändler oder der nächstgelegenen Werkstatt gebracht wurde, die am Programm der UAI teilnahmen.
Aber das war doch völlig sinnlos! Warum musste der Polizist den Abschleppdienst rufen und nicht der Versicherungsnehmer? Und warum wurde das Ausmaß des Schadens nicht vor dem Abtransport ermittelt - warum blieb dieser Teil des Formulars unausgefüllt?
Der Officer gab jetzt auch dem Mädchen die Versichertenkarte zurück; dann händigte er beiden eine Kopie seines Berichts aus. »Fahren Sie vorsichtig«, sagte er noch, bevor er in den Streifenwagen stieg und die Tür schloss.
Joel war versucht, einfach einzusteigen und nach Hause zu fahren, den Schaden abschätzen zu lassen und die verbeulte Tür dann bei jemandem reparieren zu lassen, den er selbst auswählte, doch er wusste, dass seine Versicherung die Reparaturen dann wahrscheinlich nicht bezahlen würde - vielleicht würde sie sich sogar weigern, sich um die Forderungen der Versicherung dieser Studentin zu kümmern, oder ihn gleich ganz rauswerfen.
Also schob er seinen Wagen von der Fahrbahn auf einen Parkplatz und wartete auf den Abschleppwagen.
Sie beide warteten.
Dankenswerterweise kam Joels Abschleppwagen zuerst: ein langer, flacher Laster, auf dessen Türen in schablonierten Buchstaben Bricklin Brother's stand. Ein bulliger Mann mit auffallend gerötetem Gesicht - er mochte vierzig Jahre alt sein, vielleicht aber auch sechzig - stieg aus und blickte mit zusammengekniffenen Augen in die Abendsonne. »Joel McCain?«, fragte er dann.
»Ja.«
»Ist es der Corolla da?«
»Ja.«
»Setzen Sie ihn raus, dann können wir los.«
Joel steuerte seinen Wagen wieder auf die Fahrbahn, und der Fahrer des Lasters entrollte ein Kabel, befestigte zwei Hakenketten an der Unterseite des Toyota, schaltete in den Leerlauf und zog den Wagen dann mit einer Motorwinde auf die schräge Ladefläche des Abschleppwagens. Ein weiterer Motor brachte die Ladefläche anschließend in die Waagerechte, und der Fahrer schaltete den Toyota auf »Parken«, blockierte die Räder und sagte: »Los geht's.«
Joel kletterte auf den hohen Beifahrersitz. »Ich weiß nicht genau, wohin der Wagen ...«
»Zum Händler«, erwiderte der Mann schlicht. »Ihre Versicherung hat bereits angerufen.«
Seltsam, dachte Joel. Er hatte seine Versicherungsgesellschaft doch noch gar nicht informiert. Aber vielleicht der Officer. Oder Stacy.
Nein, Stacy nicht. Und Joel bezweifelte auch, dass der Polizist es getan hatte. Er wusste nicht, wie seine Versicherung so schnell von diesem Unfall hatte erfahren können, und irgendwie ging ihm das Ganze mehr und mehr an die Nieren.
Die ersten Meilen schwiegen sie. Schließlich griff der Fahrer nach einem Kaffeebecher, der neben ihm auf dem Sitz lag, und spuckte hinein. Joel roch Kautabak. »Arbeiten Sie am College?«
Joel nickte.
»Sind Sie da Professor?«
Joel versuchte, ein freundliches Lächeln zustande zu bringen. Er wusste jetzt schon, worauf es hinauslaufen würde. »Jou.«
»Ist ganz schön gut bezahlt, was?«
»Nicht schlecht.«
»Hmm.«
Eine längere Pause.
»Wie viel verdienen Sie denn so im Jahr?«
»Nicht so viel, wie die meisten glauben.«
»Echt?«
»Ja.«
»Ich hab das schon immer wissen wollen. Wie kommt es, dass Professoren und Lehrer drei Monate Urlaub im Jahr kriegen? Ich meine, ich werf Ihnen das jetzt nicht vor, verstehen Sie? Aber wissen Sie, wie viel Urlaub ich im Jahr kriege? Zwei Wochen. Manchmal haben wir so viel zu tun, dass ich nicht mal die bekomme. Also arbeite ich in einem Jahr, in dem es gut läuft, mindestens fünfzig Wochen. Mindestens. Also, für mich sieht das so aus, als hätten Sie 's verdammt gut, verstehen Sie?«
»Ja, verstehe«, sagte Joel. Es war ein Gespräch, wie er es schon öfter hatte führen müssen, als ihm lieb war. Dahinter steckte die anti-intellektuelle Grundhaltung, seine Arbeit sei gar keine richtige Arbeit, weil es keine körperliche Arbeit war. Der aufgebrachte Elitist tief in Joel hätte gerne geantwortet: Ich kriege mehr Urlaub als Sie, weil die Arbeit, unseren zukünftigen führenden Politikern, Wissenschaftlern, Künstlern und Technikern all das beizubringen, was sie nun einmal wissen müssen, um auf ihrem jeweiligen Gebiet erfolgreich sein zu können, schwieriger ist, als mit einem Laster hin und her zu fahren. Doch er verkniff sich diese Retourkutsche und starrte nur durch die staubige Windschutzscheibe hindurch auf die vorbeihuschenden Gebäude.
Wieder eine Pause.
»Also verdienen Sie gar nicht so viel, was?«
»Nein.«
»Aber Lehrer werden zwölf Monate im Jahr bezahlt, arbeiten aber nur neun, stimmt's? Ich frag das nur, weil ich Steuerzahler bin. Diese Gehälter da, die zahle ich ja aus meiner Tasche.«
Joel war versucht, darauf hinzuweisen, dass er ebenfalls Steuerzahler war, dass er also mit einem Teil seiner Steuern sein eigenes Gehalt mitfinanzierte, und das bedeutete, dass er faktisch sogar noch weniger verdiente; stattdessen korrigierte er lediglich die Fehlinformationen, denen der Fahrer aufgesessen war. »Wir arbeiten neun Monate und werden auch für neun Monate bezahlt. Das bedeutet, dass wir in jedem Jahr drei unbezahlte Monate haben. Deswegen nehmen viele Lehrer Teilzeitjobs an, wo sie dann als Getränkefahrer arbeiten, oder in einer Autowerkstatt, oder was weiß ich.«
Das sollte der Kerl jetzt erst einmal verdauen.
Tatsächlich wirkte der Fahrer ehrlich beeindruckt. »Echt? Das wusste ich gar nicht. Hmm.« Wieder spuckte er in seinen Kaffeebecher. »Und was machen Sie so während der Ferien? Wo arbeiten Sie?«
Die Wahrheit war, dass er gar nichts tat. Er spielte mit Lilly, las ein wenig, ging wandern, ging aus.
Aber das konnte er dem Fahrer ja schlecht erklären. Joel war jetzt schon so weit gegangen, also setzte er hinterher: »Ich versuche, ein Geschäft aufzumachen.«
»Echt? Was denn so?«
»Computer.«
Der Lastwagenfahrer nickte, weise und verständig. »Kann man viel Geld mit machen.«
Glücklicherweise hatten sie mittlerweile den Toyota-Händler erreicht, also brauchten sie sich nicht weiter zu unterhalten. Joel stieg aus, kaum dass der Abschleppwagen angehalten hatte, und schaute zu, wie der Fahrer die Ladefläche wieder absenkte und sämtliche Ketten von seinem Wagen löste. Joel unterschrieb alle erforderlichen Papiere, dankte dem Fahrer und ging in das Büro, in dem der Leiter der Kundendienstabteilung - ein hagerer Mann mit Schnurrbart, auf dessen Overall der Name »Bud« aufgestickt war - schon auf ihn wartete. Seine Versicherung hatte bereits angerufen, und Joel brauchte jetzt nichts weiter zu tun, als dem Chef der Kundendienstabteilung den Schaden am Wagen zu zeigen und dann die Papiere zu unterschreiben, mit denen er die Reparaturen in Auftrag gab.
»Wir haben sogar schon den Leihwagen für Sie fertig«, erklärte Bud. Er führte Joel aus dem Büro und dann an der Werkstatt vorbei zu einem kleinen Parkplatz.
Joel riss die Augen auf.
Auf der Fläche mit den penibel markierten Parkbereichen stand ein einziges Fahrzeug. Es sah aus wie eines der Mini-Autos, die man aus Europa kannte. Er hatte ungefähr die Form eines VW-Käfers, war dabei aber so winzig, dass Joel sich kaum hätte daraufsetzen können, und er fragte sich allen Ernstes, wie es ihm gelingen sollte, sich hineinzusetzen.
»Was ist das denn?«, fragte er.
»Es tut mir leid«, erklärte Bud. »Das ist das Fahrzeug, das Ihre Versicherung angegeben hat.«
»Was?«
Der Leiter der Kundendienstabteilung zuckte mit den Schultern. »Ich habe die Regeln nicht aufgestellt. Bei den meisten Versicherungen gibt es eine Obergrenze der Kosten für einen Leihwagen - und wir haben genaue Mietpreise für sämtliche unserer Fahrzeuge -, aber UAI verlangt von uns, dass wir ihre Kunden mit genau diesem Modell versorgen.«
»Warum das denn?«
»Keinen blassen Schimmer.«
Joel überquerte den kleinen Parkplatz und legte die Hand auf das Dach des kleinen Autos. Dann beugte er sich vor und spähte ins Wageninnere. »Wie soll ich denn mit so was fahren, bitte schön?«
»Keine Ahnung«, sagte Bud. »Aber irgendwie geht es wohl.«
Zehn Minuten später hatte Joel sich in einen winzigen Vordersitz gequetscht, saß zusammengekauert hinter dem Lenkrad, fuhr die Swan Road hinauf und war die Zielscheibe des Spottes sämtlicher Fahrer rings um ihn her, zumal der Auspuff des winzigen Wagens in unregelmäßigen Abständen explosionsartig und lautstark Rußwolken ausstieß.
»Meine Probleme mit der Versicherung haben auch mit dem Auto angefangen«, sagte Hunt. »Von da an wurde es dann immer schlimmer.«
Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte Joel die Meinung seines Freundes für ein klares Anzeichen einer ausgewachsenen Paranoia gehalten, doch er hatte in letzter Zeit entschieden zu viel gesehen und gehört, um Verschwörungstheorien einfach von der Hand weisen zu können. »Du bist doch auch bei der UAI versichert, oder?«
Hunt nickte. »Ich wollte eigentlich wechseln, und ich habe auch drei weitere Versicherungen angerufen, aber alle hätten den Riss in meiner Heckscheibe als Unfall behandelt. Die eine wollte mich gar nicht nehmen, und bei den anderen wären meine Beiträge ins Unermessliche gestiegen. Obwohl die UAI mir meinen Schadensfreiheitsrabatt gestrichen hat, waren die immer noch billiger als alle anderen ... also bin ich geblieben.«
»Vielleicht hättest du das besser nicht getan.«
»Ja, vielleicht. Manchmal mag es sinnvoll sein, ein bisschen mehr zu zahlen - einfach nur, um seine Ruhe zu haben.«
Joel nahm einen Schluck Bier. »Hab ich dir eigentlich schon mal erzählt, dass Howard Hughes meinen Großvater umgebracht hat?«
Hunt blickte ihn erstaunt an. »Was?«
»Bei einem Verkehrsunfall in Hollywood, lange vor meiner Geburt. Mein Opa war da auf Geschäftsreise - er war Einkäufer für einen Möbelfabrikanten in Phoenix und wollte neue Materialien ausprobieren. Er fuhr gerade von der Textilfabrik zurück zu seinem Hotel, als dieser Verrückte eine rote Ampel einfach ignoriert hat und volle Pulle in Opas Wagen reingekracht ist. Das war Howard Hughes. Hughes hat ihn dann in seinem eigenen Wagen ins Krankenhaus gefahren, hat die besten Ärzte bezahlt, aber am nächsten Tag ist mein Opa trotzdem gestorben. Howard Hughes hat sogar noch die Beerdigung bezahlt, auch wenn er selbst nicht gekommen ist.«
»Und was ist dann passiert? Wurde er festgenommen? Hat es einen Prozess gegeben? Hat deine Familie ein Vermögen an Schmerzensgeldern bekommen?«
»Nein. Es ist gar nichts passiert. Das war's einfach. Damals waren die Menschen noch dümmer.«
»Meine Fresse, die Geschichte habe ich ja noch nie gehört!«
»Ich hab sie auch nur erzählt, weil sie zeigt, dass es in meiner Familie schon immer Probleme mit Autos gegeben hat.«
Das Telefon klingelte, und einen Augenblick später streckte Stacy den Kopf um die Ecke im Flur. »Ist der Autohändler«, sagte sie. »Es geht um den Wagen.«
Joel warf Hunt einen bedeutungsschwangeren Blick zu, erhob sich und ging in die Küche. Dann nahm er Stacy den Hörer aus der Hand. »Hallo?«
Es war Bud. »Ich fürchte, ich habe eine schlechte Nachricht für Sie«, sagte der Chef der Kundendienstabteilung. »Wir haben unseren Kostenvoranschlag eingereicht, und Ihre Versicherung ist nicht bereit, den gesamten Schaden zu tragen. Die weigert sich sogar, überhaupt eine Reparatur an dem Fahrzeug zu bezahlen. Sie bieten Ihnen allerdings den vollen Listenwert, wenn Sie den Wagen verschrotten und einen anderen kaufen. Aber etwas anderes bieten die Ihnen nicht an.«
»Was? Das glaube ich nicht.«
»Das ist bei den meisten Versicherungen gang und gäbe, wenn Autos oder Laster einen Beinahe-Totalschaden haben und eigentlich nur noch mit Spucke und Kupferdraht zusammengehalten werden. Aber die UAI ist die einzige Versicherung, die so rigoros vorgeht.«
»Vielleicht kann ich das ja aus eigener Tasche bezahlen. Wie teuer wird es denn?«
»Na ja, es sieht so aus ... wir haben noch ein paar andere Probleme entdeckt. Am Getriebe. Ich glaube nicht, dass die von dem Unfall stammen, aber Sie werden dennoch ein neues brauchen, und auch eine neue Zylinderkopfdichtung. Mit den Arbeiten an der Karosserie selbst kommen wir dann auf ungefähr viertausendfünfhundert, plusminus ein bisschen. Also, so wie ich das sehe, haben Sie drei Möglichkeiten. Nummer Eins: Sie zahlen das alles aus eigener Tasche - wobei ich nicht der Meinung bin, dass der Wagen das überhaupt wert ist. Nummer Zwei: Sie leben mit dem Problem weiter, bis ihnen die Karre ganz verreckt, und das wird wahrscheinlich ziemlich bald sein. Nummer Drei - und das ist mein Rat an Sie: Lassen Sie den Wagen verschrotten und holen Sie sich einen neuen. Oder einen guten Gebrauchten. Für das, was Sie bezahlen müssten, um den hier zu reparieren - und dazu das, was die Versicherung Ihnen geben würde -, kann ich Ihnen einen anständigen gebrauchten Celica oder Corolla besorgen.«
Joel umklammerte den Hörer so fest, dass ihm die Fingerknöchel schmerzten. Der Zorn, der in ihm aufwallte, überstieg bei weitem die Verärgerung, die er normalerweise verspürte, wenn er es mit unnachgiebigen Firmen-Lakaien oder Bürokraten der Regierung zu tun hatte. Das hier betraf ihn persönlich, und Joel verspürte einen glühenden Hass - so heftig, dass er am liebsten um sich geschlagen hätte. Hätte jetzt der Direktor der UAI-Versicherung vor ihm gestanden, hätte er den Mann wahrscheinlich erwürgt.
Dennoch klang seine Stimme ruhig und beherrscht, als er antwortete - ein Erwachsener, der mit einem anderen Erwachsenen geschäftliche Dinge bespricht: »Ich denke darüber nach und ruf Sie wieder an.«
Eine Antwort wartete er nicht ab, sondern legte sofort auf - genauer gesagt, knallte er den Hörer auf die Gabel. Stacy blickte zu ihm hinüber. »Was ist denn?«
Mittlerweile stand auch Hunt im Eingang zur Küche.
»Die Versicherung will die Reparatur am Toyota nicht bezahlen. Die sagen, es wäre zu teuer, und der Wagen sei es nicht wert. Also haben sie mir angeboten, mir dafür den Wert des Wagens nach der aktuellen Gebrauchtwagenliste auszuzahlen, damit ich mir einen neuen kaufen kann.«
»Das ist doch Scheiße!«, sagte Stacy. Im Hinterhof hörten sie Lilly und ihre Freundin kichern. Etwas leiser sprach Stacy weiter. »Du solltest dir Kostenvoranschläge von verschiedenen Werkstätten einholen, dir dann den billigsten aussuchen und den blöden Wagen reparieren lassen.«
»›Sollte‹ ist hier das entscheidende Wort. Unserer Versicherungspolice zufolge sind wir verpflichtet, genau diesen Händler zu nehmen, und jetzt wurde der Kostenvoranschlag dieses Händlers abgelehnt. Die zahlen keinen Cent für die Reparatur.«
»Das ist doch Kacke!«
Von draußen war erneutes Kichern zu hören.
»Damit ist die Sache für mich noch längst nicht erledigt! Noch längst nicht! Ich werde die UAI anrufen und notfalls bis ganz nach oben gehen. Ich will ein paar Antworten, verdammt! Und ich werde diesen Verein melden! Ich werde mich an die staatliche Versicherungskommission wenden, und an den Verbraucherschutz ...«
»Kommt mir irgendwie bekannt vor«, merkte Hunt an.
Joel schaute ihn an. »Es muss doch eine Möglichkeit geben, es diesen Dreckskerlen heimzuzahlen!«
»Nein«, gab Hunt zurück. »So langsam glaube ich nicht mehr daran.«