4.
Jorge saß auf dem Sofa, schaute die Post durch und trank einen von Ynez' Obst-und-Gemüse-Säften. Diesmal war es Orange-Mango-Karotte.
Er hätte ihr niemals diese Saftpresse zu Weihnachten schenken dürfen!
Auf dem Couchtisch vor ihm lag ein Roman von Carlos Fuentes, den er immer noch nicht gelesen hatte; die ganze letzte Woche hatte er sich daran versucht. Normalerweise schaffte er ein Fuentes-Buch innerhalb weniger Tage, verbrachte jede freie Minute damit, die herrliche Sprache aufzusaugen, sich in erfrischenden politischen Ansichten zu aalen, doch in letzter Zeit hatte Jorge ernstlich Schwierigkeiten, sich auf etwas zu konzentrieren, was über die Tageszeitung hinausging. Ständig war er müde und geistig träge, und so landete er letztendlich immer wieder vor dem Fernseher, schaltete zwischen den Sendern hin und her und schaute stundenlang Wiederholungen von Law & Order.
Das muss der Stress unmittelbar bevorstehender Vaterschaft sein, vermutete er.
Er ordnete die Briefumschläge in zwei Stapeln: die Post für ihn und die für Ynez. Ihre erhielt hauptsächlich Werbung von Einrichtern für Schlaf- und Badezimmer, Kataloge mit Hochpreis-Artikeln, die sie sich niemals würden leisten können, und Bettelbriefe verschiedener Umweltaktivistengruppen, die anscheinend ganze Wälder abholzten, um genügend Geld zusammenzubringen, dass sie ein paar Bäume retten konnten. Er selbst bekam vor allem Rechnungen. Eine war von den Gaswerken, eine vom Kabelanbieter, eine von den Elektrizitätswerken, eine von Visa, eine von Sears, eine von ...
Dr. Bergman?
Mit gerunzelter Stirn riss Jorge den Umschlag auf. Er überflog die Rechnung; dann sprang er zornig vom Sofa auf, stapfte mit großen Schritten in die Küche und wedelte mit dem Schreiben. »Ich glaub's einfach nicht!«, sagte er.
Ynez, die gerade die Einzelteile der Saftpresse in der Spüle reinigte, hob den Kopf. »Was glaubst du einfach nicht?«
»Die sagen, wir müssten fünfhundertachtundachtzig Dollar für deine Fruchtwasseruntersuchung zahlen!«
»Was?« Sie ließ den Filter Filter sein, trocknete sich die Hände an einem Spültuch ab, nahm Jorge die Rechnung aus der Hand und las sie. »Aber das übernimmt doch die Versicherung!«
»Ich weiß.«
»Wir haben keine fünfhundertachtundachtzig Dollar.«
»Mach dir keine Sorgen«, beruhigte er sie. »Das regle ich schon.«
Doch zwanzig Minuten später, während er immer noch in der Warteschleife hing und sein Arm langsam vor Reglosigkeit taub und sein Ohr, an das er die ganze Zeit den Hörer presste, immer roter und heißer wurde, dachte Jorge an Hunts donquichottische Angriffe auf die Windmühlen der Versicherungsgesellschaften; ihn überkam das Gefühl, sämtliche Versuche, gegen das Unrecht anzukämpfen, das ihm hier widerfuhr, seien von vornherein zum Scheitern verurteilt, und mehr und mehr hatte er die drückende Vorahnung, sie würden Ynez' Untersuchung aus eigener Tasche bezahlen müssen.
Und tatsächlich, nach einer langen und hitzigen Diskussion mit der Hohlfritte, die das Gespräch entgegennahm, und einer ebenso langen und hitzigen Diskussion mit deren Abteilungsleiter, musste Jorge sich seine Niederlage eingestehen. Anscheinend gab es in ihrer Krankenversicherung eine Ausschlussklausel, die besagte, die Versicherung bezahle eine Fruchtwasseruntersuchung nur, wenn die werdende Mutter älter als vierzig Jahre war. Ynez war achtunddreißig.
»Die Ärztin hat gesagt, meine Frau würde aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe gehören«, versuchte er zu erklären. »Die Fruchtwasseruntersuchung ist bei allen Frauen über fünfunddreißig angeraten.«
»Angeraten, aber nicht verpflichtend«, entgegnete der Abteilungsleiter. »Lesen Sie noch einmal Ihren Versicherungsschein. Die Wortwahl ist sehr spezifisch und absolut eindeutig.«
»Ich glaub das einfach nicht!«
»Wir werden sämtliche Checkups und Routineuntersuchungen bezahlen. Abzüglich Ihres Selbstbehalts, natürlich. Lediglich freiwillige und selbst gewählte Untersuchungen sind nicht im Leistungsumfang Ihrer Versicherung inbegriffen.«
»Das war nicht freiwillig«, beharrte Jorge. »Die Ärztin hatte die Untersuchung angeordnet. Sie können Sie gerne fragen. Ich kann Ihnen auch eine eigenhändig unterschriebene Erklärung von ihr zukommen lassen.«
»Es tut mir leid.«
»Was ist mit der Geburt? Muss ich die auch aus eigener Tasche bezahlen?«
»Nein, Mr. Marquez. Die Geburt gehört vollständig zum Leistungsumfang.«
Gewinnen konnte er nicht mehr, und er wusste auch nicht, an wen er sich noch hätte wenden können. Nachdem er aufgelegt hatte, rief er Beth an, doch Hunt und Beth mussten ausgegangen sein, denn nach dem sechsten Klingeln meldete sich der Anrufbeantworter. Jorge stand nicht der Sinn danach, jetzt irgendetwas auf das Band zu sprechen, also ließ er den Hörer auf die Gabel fallen und nahm sich vor, es später noch einmal zu versuchen.
»Und was heißt das jetzt?«, fragte Ynez. »Müssen wir das bezahlen?«
»So sieht's aus.«
»Aber das sind fast sechshundert Dollar. Die haben wir einfach nicht.«
Jorge schüttelte den Kopf, enttäuscht und entmutigt. »Ich fürchte, wir haben keine andere Wahl.«