1.


Sirenengeheul weckte ihn mitten in der Nacht. Das Heulen und der Geruch nach Rauch. Hunt schob die Vorhänge zur Seite, schaute aus dem Fenster und sah, wie Flammen aus dem Dach der Bretts nebenan loderten.

Er hatte damit gerechnet, dass so etwas irgendwann passieren würde. Er hatte förmlich darauf gewartet. Er hatte gehofft, dass es nicht geschehen würde, aber er hatte es gewusst, dass es so kommen musste. Seit Steve ins Koma gefallen war und der Aufsichtsrat zurücktreten musste, hatte Hunt gewusst, dass die »Gute-Nachbarschafts-Police«, die zu seiner Immobilienversicherung gehörte, die Bretts ruinieren würde.

Nein, das stimmte nicht. Nicht seit den Sachen mit Steve und dem Aufsichtsrat. Hunt hatte es in dem Augenblick gewusst, als der Vertreter versprochen hatte, dafür zu sorgen, dass dieser Zusatz in Kraft trat.

Warum hatte er dann nichts gesagt?

Ein Teil von Hunt wollte Brett auf jeden Fall bestraft wissen, aber das war nur ein winziger Teil von ihm, tief in seinem Innern. Eigentlich hatte Hunt nicht gewollt, dass jemandem etwas wirklich Schlimmes widerfuhr. Nicht diesem Volltrottel Steve, nicht diesem Arschloch Ed Brett. Doch irgendetwas hatte Hunt dazu gebracht, dennoch den Mund zu halten, diese Versicherung zu behalten - ein bohrendes Gefühl in seinem Hinterkopf, das Bedürfnis, so sicher zu sein wie nur irgend möglich, sich zu schützen, indem man sich auf jegliches Unheil gründlich vorbereitete. Es war wie bei den Leuten, die sich tätowieren ließen. Die fingen auch immer nur mit einem einzigen Motiv an, doch schon bald ließen manche sich jeden Quadratzentimeter ihres Körpers tätowieren. Sie konnten einfach nicht anders.

In letzter Zeit hatte Hunt sich sogar dabei ertappt, dass er sich unwillentlich immer neue Versicherungsformen ausdachte, die er vielleicht gerne gehabt hätte: eine Barbecue-Versicherung, sodass das Fleisch, wenn er Steaks oder Hähnchen grillte, niemals verbrannte, oder eine Schlaf-Versicherung, damit er nachts gut würde durchschlafen können und jeden Morgen frisch und ausgeruht war, oder eine Foto-Versicherung, die garantierte, dass er immer schöne Schnappschüsse machte.

Beth hatte sich in die gleiche Richtung Gedanken gemacht, doch ihre Ideen waren längst nicht so friedfertig.

»Ich habe mich schon länger was gefragt«, hatte sie erst gestern plötzlich gesagt - und schon an ihrem Tonfall hatte Hunt gemerkt, dass er eigentlich gar nicht hören wollte, was sie zu sagen hatte.

»Was denn?«, fragte er nach.

»Betty Grable hat ihre Beine auf eine Million Dollar versichern lassen. Ich glaube, Mary Hart ebenfalls. Und hat Jennifer Lopez sich nicht sogar den Hintern versichern lassen?«

Hunt sah schon, wohin dieser Gedankengang führte. Versicherungsabdeckung für einzelne Körperteile. »Ich glaube nicht, dass wir uns Gedanken darüber machen müssen«, sagte er. »Wir haben keine berühmten Körperteile.« Doch innerlich machte er sich Sorgen.

Beth lehnte sich zu ihm hinüber, die Stimme immer noch gesenkt, fast nur noch ein Flüstern. »Und was, wenn der zu uns kommt? Was, wenn der uns anbietet, meine Brüste zu versichern?«

»Hör auf.«

»Du weißt, was dann passieren wird. Ich werde Brustkrebs kriegen. Oder ich werde in einen Unfall verwickelt, und dann ...«

»Beth.«

Sie packte seine Schultern, und er sah in ihren Augen, dass sie kurz vor einem hysterischen Anfall stand. »Was, wenn er meine Scheide versichern will? Oder deinen Schwanz?«

»Meine Fresse!« Er riss sich von ihr los. »Komm wieder zu dir! Wir dürfen jetzt nicht durchdrehen. Wir dürfen nicht zulassen, dass er unser ganzes Leben beherrscht. Wir haben genug echte Probleme, über die wir uns sorgen können, da müssen wir uns nicht noch irgendwelche verrückten neuen Schwierigkeiten ausdenken.«

»Ich denke mir keine verrückten neuen Schwierigkeiten aus«, gab Beth zurück. »Ich mache mir nur meine Gedanken. Ich plane voraus, damit wir vorbereitet sind.«

Jetzt, wo er so aus dem Fenster starrte, dachte Hunt, dass Beth vielleicht nicht einmal ganz unrecht gehabt hatte. Vielleicht mussten sie tatsächlich versuchen, unkonventionell zu denken, wollten sie sich wirklich auf das vorbereiten, was wohl als Nächstes kam.

Während Hunt noch hinüberschaute, hielt vor ihrem Haus ein Feuerwehrwagen. Zwei Feuerwehrleute rannten auf das Haus der Bretts zu, in den Händen einen dicken Schlauch, der mit dem Löschfahrzeug verbunden war; zwei weitere Männer griffen nach einem zweiten Schlauch und schlossen ihn am nächsten Hydranten an. Ein zweiter Feuerwehrwagen stellte sich unmittelbar dahinter. Schräg davor, mitten auf der Straße, hielt ein Rettungsfahrzeug.

War von den Bretts jemand verletzt? Hunt hoffte es nicht, auch wenn es verlogen von ihm gewesen wäre, zu behaupten, es täte ihm leid, dass sie ihr Hab und Gut verloren hatten. Es war Hunt vollkommen egal, ob Ed Brett sein Haus und sein Auto verlor - und alles, was er sonst noch besitzen mochte. Dennoch wollte Hunt natürlich nicht, dass jemand verletzt wurde, oder gar ums Leben kam.

Wie hat der Brand wohl angefangen?, fragte er sich. Mit falsch verlegten Stromkabeln? Mit einem Kurzschluss in irgendeinem Haushaltsgerät? Hatte Ed Brett im Bett vielleicht geraucht? Hunt war sicher, dass es einen vernünftigen Grund dafür gab, einen erkennbaren und nachvollziehbaren Grund. Gleichzeitig kannte Hunt den wahren Grund für diese Feuersbrunst - und darauf würde kein Polizist kommen, in einer Million Jahre nicht.

Die »Gute-Nachbarschafts-Police«.

Über sein Kopfkissen hinweg schaute er Beth an, die ebenso wie er schweigend die Szenerie auf der anderen Seite des Schlafzimmerfensters betrachtete. Sie erwiderte seinen Blick. Keiner von ihnen sagte ein Wort.

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