3.
Im Oktober gaben Beth und Hunt eine Halloween-Party. Hunt war eigentlich kein Partygänger, doch wieder einmal holte Beth ihn aus seinem Schneckenhaus und brachte ihn zum Mitfeiern und sogar dazu, sich als Cowboy zu verkleiden, und zu Hunts eigener Überraschung amüsierte er sich prächtig.
Auf der Gästeliste standen vor allem Freunde und Freundinnen von Beth, alles Bekannte von ihrer Arbeit. Doch auch Joel, Edward und Jorge waren erschienen. Joel war als Michael Myers verkleidet, Edward als Südstaaten-Hinterwäldler und Jorge als undefinierbare unmännliche Gestalt, die niemand erkannte, bis Jorge verkündete, er habe sich als das beliebteste Mitglied einer derzeit schwer angesagten Boygroup verkleidet. »Hat meine Nichte vorgeschlagen«, fügte er lahm hinzu.
Hunt kümmerte sich zwar um jeden seiner Gäste, aber letztendlich landete er doch bei seinen Freunden auf der Veranda. Joel hatte die Michael-Myers-Maske abgenommen, und die beiden sprachen darüber, wie es früher gewesen sei, Halloween zu feiern, als sie jüngere Kinder in Panik versetzt und Nachbarn an den Rand des Wahnsinns getrieben hatten.
»Sagt mal«, Jorge grinste, »habt ihr das mit Steve und diesem Vandalen mitgekriegt?«
»Nein. Was war denn da?«, fragte Hunt.
»Irgendwer ist bei ihm eingebrochen, hat auf den Boden gekackt und auf die Wände eingeschlagen - hat jede Menge Löcher in den Putz gehauen. Der Schaden liegt bei mindestens siebenhundert Dollar, aber die Versicherung meint, das übersteige das Deckungskonzept seiner Police. Jetzt muss Steve das Ganze aus eigener Tasche bezahlen.«
»Diese verdammten Versicherungen.« Joel schüttelte den Kopf.
Edward lachte leise. »Das würdest du nicht sagen, wenn du Steve kennen würdest. Der Kerl hat das echt verdient!«
»Trotzdem, mir geht es ums Prinzip. Man schmeißt diesen Kerlen die ganze Zeit das Geld in den Rachen, und wenn man sie braucht, weigern die sich, dir genau den Dienst zu leisten, für den du bezahlt hast. Hab ich nicht recht, Hunt?«
Sein Freund hob die Hände, als wollte er sich ergeben. »Von mir wirst du keinen Widerspruch hören.«
Beth kam auf die Veranda. Sie hatte sich als Pocahontas verkleidet und sah verdammt sexy aus. Wenn jetzt keine Leute hier wären, ging es Hunt durch den Kopf, würde ich sie vernaschen. Beth musste seine Gedanken gelesen haben, denn das Lächeln, das sie ihm zuwarf, versprach ihm, dass er später genau das würde tun dürfen. »Sind alle mit der Party zufrieden?«
Zustimmendes Gemurmel.
Beth strahlte. »Danke, dass ihr alle gekommen seid. Wir freuen uns wirklich sehr!« Sie griff nach Hunts Hand und drückte sie. »Ich würde gerne bei euch hier draußen bleiben, aber irgendwer muss angemessen gesellig bleiben und sich um die etwas anspruchsvolleren Gäste kümmern, damit die Party nicht den Bach runtergeht.« Sie warf Hunt einen gespielt vorwurfsvollen Blick zu.
Er lachte und gab ihr einen Kuss.
»Kannst du einen Augenblick hierbleiben, Beth?«, fragte Ynez.
»Klar«, erwiderte sie. »Entschuldige, ich wollte nicht unhöflich sein. Ich dachte nur ...«
»Nein, darum geht es nicht.«
Hinter ihnen öffnete sich die gläserne Schiebetür. Stacy, die sich im Haus die ganze Zeit mit einer ihrer Kolleginnen von Thompson Industries unterhalten hatte, kam auf sie zu und zog Joel wieder die Maske über das Gesicht. »Das ist eine Halloween-Party«, kicherte sie. »Immer schön in der Rolle bleiben.« Stacy war als Schönheitskönigin verkleidet. »Sie geht als Vanessa Williams«, hatte Joel erklärt, als sie hereingekommen waren. »Die berüchtigten Lesben-Fotos von damals hab ich in der Brieftasche.«
Ynez holte tief Luft. »Okay«, sagte sie. »Jetzt, wo alle da sind, möchte ich etwas bekannt geben.« Sie schaute zu Jorge hinüber und legte ihm eine Hand auf den Arm.
Er nickte und lächelte.
»Wir bekommen ein Baby!«
Jorge? Ein Baby? Hunt wusste nicht, wie es den anderen ging, aber er selbst war regelrecht schockiert von dieser Nachricht. Jorge war ihm immer als der unwahrscheinlichste Kandidat für eine Vaterschaft erschienen. Unwillkürlich fragte sich Hunt, ob das Kind geplant gewesen war oder ein »Unfall«.
Dennoch freute er sich für seinen Freund, und zusammen mit den anderen gratulierte er herzlich. Jorge strahlte. »Danke, Mann! Danke!«
Edward legte ihm einen Arm um die Schulter. »Dann wollen wir mal hoffen, dass der Kleine eher nach Ynez schlägt als nach dir.«
»Ich kann das Gästezimmer nicht ausstehen«, sagte Beth unvermittelt.
Sie aßen gerade zu Abend, ein wenig früher als sonst. Hunt blickte von seinem Teller mit dem geschmorten Truthahn auf. »Bitte was?«
»Und Courtney mag das Zimmer auch nicht.«
Der Kater schmiegte sich an ihr Bein und schnurrte, als verstünde er genau, worum es ging.
»Wovon redest du überhaupt?«
»Glaubst du, dass es Spukhäuser gibt?« Beth wartete nicht auf seine Antwort. »Ich habe nie daran geglaubt. Ich dachte immer, so was gibt es nicht, dass es bloß Phantastereien sind und dass jeder, der an so etwas glaubt, unter Neurosen leidet oder halt 'ne Schraube locker hat. Aber ...« Sie beendete den Satz nicht.
»Aber was?«
»Das Gästezimmer. Ich höre da immer wieder Geräusche«, erklärte sie. »Nicht ständig, nicht einmal regelmäßig, aber manchmal eben doch ...«
Hunt schwieg.
»Wahrscheinlich hältst du mich jetzt für verrückt, und vielleicht bin ich 's ja auch, aber ich glaube, da spukt es.«
Hunt runzelte die Stirn. »Seit wann?«
»Ich weiß nicht. Seit kurzem.« Sie senkte den Blick, schaute auf den Tisch. »Seit ich dich kennen gelernt habe.«
»Dann ist es meine Schuld?«
»Das habe ich nicht gesagt. Aber seitdem wir zusammen sind, höre ich diese Geräusche.«
»Ich habe sie auch schon gehört«, gab er zu. »Wirklich?« Er nickte.
»Warum hast du nichts davon gesagt?«
»Weil ich dachte, ich hätte es mir nur eingebildet.«
»Hast du nicht. Da hört man wirklich was.«
»Ich bin sicher, es ist nur Einbildung.«
»Von uns beiden? Unabhängig voneinander? Das glaube ich nicht.« Beth schob ihren Stuhl zurück. »Komm, wir gehen uns das ansehen.«
Hunt blickte auf seinen Teller. »Jetzt?«
»Warum nicht?«
»Wir essen doch gerade.«
»Es dauert nur einen Augenblick.«
»Warum können wir nicht warten, bis wir wieder etwas hören? Die Geräusche kommen und gehen doch. Sie sind ja nicht die ganze Zeit da ...«
»Lass uns trotzdem gehen.«
Hunt seufzte, wischte sich die Hände an der Serviette ab und erhob sich. »Na gut.«
Gemeinsam traten sie aus der Küche und gingen durchs Wohnzimmer in den dunklen Flur. Hunt ging voran. Einen Augenblick blieb er im Flur stehen, öffnete die Tür zum Gästezimmer, spähte hinein und ...
... verdammt, es war wirklich unheimlich. Beiden richteten sich die Nackenhaare auf; ein kühler Hauch schien ihnen entgegenzuwehen, und unwillkürlich starrten beide auf das Doppelbett an der gegenüberliegenden Wand.
Hunt hätte die Tür am liebsten sofort wieder zugeschlagen. Es gefiel ihm nicht, dass er dieses Bett so anstarrte ... dass auch Beth es so anstarrte. Da war nichts Unnatürliches, nicht am Bettgestell, nicht am Kopfteil und nicht an der Matratze, überhaupt nichts Ungewöhnliches; dennoch verlieh gerade diese Unscheinbarkeit dem Bett irgendeine bedrohliche Aura und schien es auffälliger zu machen, als es inmitten des Südweststaaten-Dekors des Zimmers eigentlich hätte wirken dürfen.
Einen Augenblick standen beide schweigend da und lauschten, doch keiner machte Anstalten, das Zimmer zu betreten.
»Ich höre nichts«, sagte Hunt schließlich.
»Ich auch nicht.«
Hunt wusste genau, warum Beth so viel Angst hatte, dass sie das Gästezimmer gar nicht erst betreten wollte, und warum sie so schnell wie möglich von hier fort wollte, zurück in die Küche, so weit weg von hier ...
und dem Bett
... wie es nur ging.
»Sollen wir in ein anderes Haus umziehen?«, fragte Hunt.
Beth seufzte, und die unheimliche Atmosphäre verschwand. »Nein. Außerdem könnten wir uns sowieso nichts Hübsches wie das hier leisten. Im Moment jedenfalls nicht.«
»Was sollen wir tun? Einen Exorzisten rufen?«
Erneut spähten beide in den kleinen Raum, und wieder wurde Hunts Blick von dem unauffälligen Bett wie magisch angezogen.
Schnell schloss er die Tür, und ohne noch ein Wort zu sagen, gingen beide in die Küche zurück und beendeten ihr Abendessen.