5.


»Ich hatte gestern Abend auch Besuch«, sagte Edward. Sie beschnitten gerade die Bäume entlang eines schmalen Reitpfades, der quer durch brachliegendes Land führte. »Euer Versicherungsvertreter. Der Dreckskerl hat versucht, mir eine ›Zusatzversicherung für die Unversehrtheit körperlich Arbeitenden anzudrehen. Als ob es so etwas überhaupt gäbe.«

Hunt und Jorge blickten einander schweigend an. »Du weißt, was das bedeutet«, sagte Jorge dann leise.

Er winkte ab. »Jetzt komm mir nicht mit so 'ner Scheiße!«

»Diese Versicherungen funktionieren«, gab Hunt zu bedenken. »Ich bin doch der leibhaftige Beweis dafür.«

Erneut winkte Edward nur ab, doch in Wirklichkeit fühlte er sich viel weniger sicher, als er sich anmerken ließ. Der Besuch des Versicherungsvertreters hatte ihn innerlich regelrecht erschüttert. Seine Freunde hatten recht. Irgendetwas an diesem Mann war wirklich zutiefst sonderbar, und das lag nicht nur an seiner Klinkenputzer-Routine, die er anscheinend in Stepford gelernt hatte. Unter der Fassade seines eher harmlosen Äußeren - so dicht, dass man es fast erkennen konnte - schlummerte irgendetwas Düsteres, Bedrohliches. Edward war kein religiöser Mensch und neigte wirklich nicht dazu, Begriffe wie »böse« oder »dämonisch« zu verwenden - aber das genau waren die Adjektive, die ihm sofort durch den Kopf gingen, wenn er an den Versicherungsvertreter dachte. Und er hatte all seinen Mut gebraucht, um diesen Dreckskerl aus dem Haus zu werfen.

Selbst jetzt noch wusste er nicht genau, ob er das Richtige getan hatte.

Vielleicht wussten Jorge und Hunt ja doch, wovon sie redeten. Es mochte katastrophale Folgen haben, diese Versicherung nicht abgeschlossen zu haben.

»Es passieren wirklich Dinge, wenn du keine Versicherung abschließt«, erinnerte Jorge ihn noch einmal.

»Zufall«, gab Edward zurück, obwohl er sich da längst nicht mehr sicher war. Er konnte es am Gesichtsausdruck seiner Freunde erkennen, dass sie ihm gerne glauben würden, dass sie sich regelrecht danach sehnten, er möge recht haben - und er konnte jetzt nicht ihre Hoffnung zerstören, indem er seine eigenen Zweifel eingestand. »Wir sind hier fast fertig«, verkündete er. »Geht ihr beide schon mal zum Südquadranten. In zehn Minuten bin ich auch da.«

»Ist schon okay«, erwiderte Hunt. »Wir machen erst hier alles fertig.«

»Ist doch reine Zeitverschwendung! Ich räume hier weg, und ihr bringt die Ausrüstung in den Südquadranten und fangt schon mal an. Vielleicht sind wir dann hier schon vor der Mittagspause fertig.«

Zögerlich nickten sie, weil sie wussten, dass ihr Kollege recht hatte. Edward legte seine Säge beiseite und griff nach einem Schneidwerkzeug mit langen Griffen. Dann stieg er die Leiter hinauf, um die letzten herunterhängenden Äste von zwei dicht nebeneinanderstehenden Bäume abzutrennen, während Jorge und Hunt den Rest des Werkzeugs auf den kleinen Karren luden und den Reitpfad entlang zum Südquadranten fuhren.

»Sei vorsichtig«, sagte Hunt noch, ehe sie gingen.

»Das klappt schon«, versicherte Edward ihnen. »Macht euch endlich vom Acker!«

Doch in dem Augenblick, da sie aufbrachen, tat es Edward auch schon leid, seinen Freunden vorgeschlagen zu haben, die Gruppe zu trennen. Ein Gespräch über ein unerfreuliches Thema war ein geringer Preis für die Sicherheit, die zwei Helfer boten.

Sicherheit ...

Darüber wollte Edward gar nicht erst nachdenken, und so konzentrierte er sich ganz auf die Arbeit, die vor ihm lag, und riss drei dünne Äste ab, die er mit dem Elektrowerkzeug nicht hatte erreichen können, ehe er von der Leiter stieg, die Äste zur anderen Seite des Pfades trug und dann zwei weitere Äste eines anderen Baumes abtrennte.

Zu seiner Rechten hörte er ein Rascheln. Das Geräusch von Schuhen auf welkem Laub.

Edward drehte sich um, glaubte hinter einem Strauch eine Bewegung wahrgenommen zu haben.

Ein kalter Schauer durchlief ihn, als würde ihm ein Eiswürfel übers Rückgrat gleiten. »Jorge!«, rief er versuchsweise. »Hunt!« Doch die beiden waren längst außer Hörweite.

Aus dem Augenwinkel sah Edward eine weitere Bewegung - eine dunkle Gestalt, die sich zu seiner Linken hinter eine Platane kauerte.

Edward war kein Mann, der sich leicht ängstigen ließ. Er hatte schon mehr Kneipenschlägereien hinter sich, als er aufzählen konnte - auch gegen drei Gegner auf einmal -, und er hatte niemals auch nur gezögert. Bei Operation Desert Storm hatte er zu den Bodentruppen gehört, und während mehr als nur ein paar seiner Kameraden sich vor Angst in die Hose gemacht hatten, war Edward furchtlos vorangestürmt. Doch irgendetwas an diesen fast unhörbaren Geräuschen und den verstohlenen Bewegungen jagte ihm Angst ein. Hier drohten Gefahren, die nicht greifbar waren und gegen die er nicht kämpfen konnte.

Zusatzversicherung für die Unversehrtheit körperlich Arbeitender.

Doch ob Humbug oder nicht: Edward erkannte, dass er jetzt sehr viel sicherer gewesen wäre, wäre er durch eine Zusatzversicherung gegen Arbeitsunfälle geschützt gewesen.

Doch eine Versicherung zahlte nur die Arztrechnungen und andere Kosten, die bei einem Unfall entstanden.

Unfälle verhindern konnte sie nicht.

Oder doch? Hatte der Versicherungsvertreter nicht genau das angedeutet?

Edward blickte sich um, lauschte, doch er sah keine weiteren Gestalten, hörte keine weiteren Geräusche. Das nennt man überreagieren, beruhigte er sich. Der Besuch letzten Abend und das ganze Gerede seiner Kollegen hatte ihn verschreckt und überängstlich gemacht. Dennoch ... in letzter Zeit waren genügend sonderbare Dinge geschehen, dass er seinen Freunden nicht einfach sagen konnte, sie würden Unsinn reden.

Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, sagte sich Edward und machte sich daran, von der Leiter zu steigen.

Und dann sah er sie.

Neben jedem Baum stand einer, soweit Edward es entlang des Reitpfades erkennen konnte. Stämmige Männer in langen Mänteln, die altmodische Hüte mit breiten Krempen trugen. Es war ein sonniger Tag, und doch schienen sie alle im Schatten zu stehen.

Edward stieg die Leiter hinunter, so schnell er nur konnte, und sprang den letzten Meter sogar. Die Männer rührten sich nicht, als hätten sie alle dort Stellung bezogen. Ihre Gesichter waren kaum mehr als dunkle Flecken ... als würde Edward sie durch eine viel zu dunkle Sonnenbrille betrachten oder durch einen dieser Polarisationsfilter, die man dazu benutzte, sich gefahrlos eine Sonnenfinsternis anzuschauen.

Doch Edward war viel zu stolz, als dass er sich jetzt in ein Weichei verwandelt hätte und davongelaufen wäre. Es bestand ja immer noch die Möglichkeit, dass diese Männer ganz normale Leute waren und dass es für das Ganze hier eine völlig harmlose Erklärung gab. Doch Edward sammelte sein Schneidwerkzeug und seine Scheren viel schneller ein, als er es normalerweise getan hätte, und legte alles hastig auf die Ladefläche des Trucks, der immer noch auf der angrenzenden Lichtung geparkt war. Edward war dankbar, dass Hunt und Jorge den kleinen Karren genommen hatten. Der Truck hatte einen viel stärkeren Motor und eine viel bessere Beschleunigung.

Er eilte zurück, um die Leiter zu holen ...

... und die Männer umzingelten ihn.

Edward wusste gar nicht, wie ihm geschah. Wie hatten die Fremden ihn so schnell erreichen können? Doch plötzlich standen zehn stämmige Männer im Kreis um ihn herum und kamen näher. Ihre Gesichter waren nach wie vor nicht zu sehen; sie lagen immer noch im Schatten, obwohl es hier gar keinen Schatten gab. Edward hatte panische Angst. Der Kreis wurde enger.

Instinktiv wich er bis zur Leiter zurück, und ohne nachzudenken drehte er sich um und stieg hinauf. Vielleicht kam er bis zu einem größeren Ast und konnte dort warten, bis irgendjemand vorbeikam oder bis Jorge und Hunt zurückkehrten. Vielleicht konnten dieses Männer ...

... ja nicht klettern. Vielleicht konnte er über ihre Köpfe hinwegspringen und sich auf diese Weise in Sicherheit bringen. Edward hatte sich noch keinen Plan zurechtgelegt; er hatte nur das unbestimmte Gefühl, den Männern vielleicht entkommen zu können, wenn er einfach nur weiterkletterte.

Er erreichte die oberste Sprosse der Leiter, packte einen Ast und blickte hinunter. Die Männer umstanden jetzt die Leiter.

Plötzlich waren es nur noch fünf.

Wo waren die anderen?

Edward hörte ein Geräusch, blickte nach oben und sah, dass sie zwischen den Ästen und Zweigen standen, mitten in den Bäumen.

Einer von ihnen lachte. Ein schrilles, irres Kichern.

Und in dem Sekundenbruchteil, da die Äste auf ihn herabstürzten, glaubte Edward in einem der dunklen Gesichter das Aufblitzen strahlend weißer Zähne gesehen zu haben.

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