6
Als wir in jenem Frühjahr eines Abends gerade von unserer Besuchsrunde nach Hause gekommen waren und die Frauen das Abendbrot vorbereiteten, klopfte es an der Tür. Ein dunkelhäutiger, bärtiger Bursche in einer zerlumpten Leinentunika stand davor und bat uns, nach seiner Frau zu sehen, die vor einigen Tagen niedergekommen war und jetzt hohes Fieber hatte. Er sagte, er arbeite als Maultiertreiber und müsse am nächsten Tag wieder aus der Stadt, um nach seinen Tieren zu sehen.
Philon seufzte, dann lächelte er mir zu. »Sie wird uns beide benötigen«, meinte er. So gingen wir also alle beide, um nach der Frau zu sehen. Zum Glück wohnte sie wenigstens sehr nahe, gerade eben auf der anderen Seite der Via Canopica, in der Nähe der Schiffswerft.
Es handelte sich um einen sehr schweren Fall von Kindbettfieber, der nur im Hospital ordentlich behandelt werden konnte. Wir schickten den Mann in die Nachbarschaft, um eine Amme für das Kind zu suchen.
Philon blieb bei der Frau, um ihr ein paar Arzneimittel zu geben, die das Fieber senken sollten, während ich mich auf die Suche nach einem Hospital machte. Insgeheim beschloß ich, außerdem noch etwas Brot und Wein für Philon zu besorgen. Es ist nicht so einfach, nach einem langen Tag mit leerem Magen ordentlich zu arbeiten.
Die Straße war eng, dunkel und menschenleer. Das Hospital, das wir für gewöhnlich für unsere Kranken in Anspruch nahmen, lag in westlicher Richtung, in der Nähe des Pharosfelsens, der den Großen Hafen vom Eunostoshafen trennt. Vor der Haustür hielt ich einen Augenblick inne und fragte mich, ob ich über die Via Canopica gehen oder den Weg etwas abschneiden und die rückwärtigen Straßen zum Hafen nehmen sollte. Dann trug eine heftige Windbö das Geräusch eines Kampfgetöses aus dem östlichen Teil der Hafenanlagen nahe der Zitadelle zu mir herüber: undeutliches Grölen, lautes Rufen, das Splittern von etwas, das zerbrach. Ich fragte mich, was da los sein mochte – irgendwelche religiösen Meinungsverschiedenheiten oder nur betrunkene Krakeeler? Was auch immer der Grund war, er bestimmte den Weg, den ich nehmen wollte: ein Stück zurück und dann die Via Canopica hinauf. Auf diese Weise konnte ich mich von dem Lärm fernhalten.
Ich rannte die Straße hinauf und versuchte, mich nicht umzublicken. Die Erfahrung hatte meine Angst vor den kleinen Seitenstraßen nur noch verstärkt, vor allem des Nachts. Aber die Via Canopica war sicher. Auch dort mochte es zwar den einen oder anderen Taschendieb geben, aber es war unwahrscheinlich, überfallen zu werden, selbst bei Nacht – dafür lag die Straße viel zu offen da. Ich eilte zum Somaplatz, dann die Somastraße hinunter zum Hafen. Dort in Ufernähe herrschte noch größerer Lärm, aber ich konnte niemanden sehen, nur das Licht von Fackeln entlang des geschwungenen Saums des Wassers sowie das Licht der Öllampen in den Häusern über den hoch aufragenden Mauern der Zitadelle: tief golden hob es sich gegen den dunstverhüllten Nachthimmel ab.
Das Hospital war ein großes Gebäude aus grauen Backsteinen und einem Ziegeldach. Es war um einen offenen Platz herumgebaut, in der Mitte befand sich ein Garten mit einem Brunnen, darum herum waren drei langgestreckte Flügel errichtet, in denen auf endlos scheinenden Fluren die Patienten lagen. An der vierten Seite des Platzes, der Seite mit dem Eingang, befand sich ein großer Gemeinschaftssaal, der von den Krankenpflegern benutzt wurde. Es war ein hoher, kahler Raum mit leeren Wänden aus weißgetünchtem Verputz. Er grenzte an den Garten und war stets unverschlossen. Dort aßen, beteten und schliefen die Mönche, wobei sie ihre Schlafmatten tagsüber an die Wände rollten. Als ich im Hospital eintraf, war dieses hell erleuchtet und voller Menschen: Es sah so aus, als hätten sich sämtliche Pfleger und ihre frommen Brüder dort versammelt. Sie standen im Kreis herum, sprachen und beteten in großer Erregung auf koptisch. Niemand hatte auf mein Klopfen reagiert, deshalb wartete ich nach meinem Eintreten an der Tür und versuchte, die Aufmerksamkeit von irgend jemandem auf mich zu lenken. Schon bald bemerkte mich ein Mönch, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, hielt mit dem Beten inne und starrte mich wütend an, so daß schließlich auch die anderen innehielten und beunruhigt um sich blickten.
»Wer ist dieser Götzenanbeter?« fragte der fremde Mönch. Er trug eine Tunika aus grober Wolle, die ihm bis zu den Knöcheln reichte. Er war barfuß, hatte einen Bart und lange Haare, und er war sehr schmutzig.
»Herr«, sagte ich so höflich wie möglich zu ihm, »ich bin Chariton, ein Assistent von Philon, dem Arzt. Ich komme wegen einer Patientin. Die Brüder hier kennen mich.«
»Du bist ein Eunuch«, sagte der fremde Mönch. Er sprach mit dem Akzent der Leute vom oberen Nil, der wie ein Singsang klang. »Die arianische Ketzerei, die den Sohn Gottes leugnet, wird von Eunuchen unterstützt. Man kann von ihnen nicht erwarten, daß sie das Wort Sohn überhaupt verstehen, denn ihre Körper sind fruchtlos und ihre Seelen bar jeglicher Tugenden! Was willst du hier unter den Tugendhaften, Sohn der Verdammnis?«
O mein Gott, dachte ich, war der Erzbischof etwa gestorben?
»Herr«, erwiderte ich und erinnerte mich an Philons Rat, Geduld aufzubringen, »ich bin kein Arianer; ich halte die Wahrheit ebenso wie du in Ehren. Mein Eunuchendasein ist nicht freiwillig, und ich bin wegen einer Patientin gekommen, einer kranken Frau, die im Kindbettfieber liegt. Sie hat keine Familie hier, ihr Mann muß die Stadt morgen verlassen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und wir wollten sie gerne eurer Barmherzigkeit empfehlen.«
»Er ist kein Arianer«, bestätigte einer der Mönche, den ich kannte und der sich selbst Markus nannte, nach dem Apostel.
»Er ist ein Assistent des Philon, eines Juden, selbst jedoch ein guter nizäischer Christ.«
»Ein Eunuch, der einem Juden zur Hand geht?« brüllte der Fremde. »Ein Dämon, der einem Teufel zur Hand geht! Was kann gutes aus einer solchen Partnerschaft entstehen? Er ist gekommen, um die Gläubigen auszuspionieren, und er hat dich, Markus, belogen, um dein Vertrauen zu gewinnen und dich an den Statthalter oder den ägyptischen Heerführer zu verraten!«
Hierauf erhob sich ein allgemeiner Tumult. Die Mönche sprangen auf und starrten mich mit funkelnden Augen an, und plötzlich wurde mir klar, daß es ernst war, nicht einfach wirres Gerede. Ich bekam es mit der Angst zu tun. »Herr«, wiederholte ich betont langsam und versuchte, das Zittern meiner Hände zu verbergen, »ich bin wegen einer Patientin gekommen. Die Brüder hier kennen mich. Ich bin schon des öfteren wegen irgendwelcher Patienten gekommen. Noch nie aus einem anderen Grund. Du hast unrecht, Herr.«
Der starre Ausdruck in den Augen einiger Mönche verlor sich. Markus nickte. »Er ist ein guter Arzt«, meinte er an den Fremden gewandt. »Er und sein Meister behandeln die Kranken umsonst. Wir haben keinen Grund zu glauben, er könne unser Feind sein.«
»Das ist nur die heimtückische Gerissenheit des Teufels!« rief der Fremde. »Wir haben gerade gehört, daß der falsche Gott, der Kaiser aller Ketzer, unseren Herrn und Vater, Bischof Athanasios, absetzen und vertreiben will. Wir kommen zusammen, um zu beten und zu beraten, was wir deswegen unternehmen können, und siehe da! Ein Eunuch, genau wie so ein Eunuch vom Hof, spaziert hier herein, steht einfach da und belauscht uns, ohne Zweifel mit der Absicht, zurückzugehen und alles Gehörte weiterzugeben! Er ist ein Spion!«
Ich rührte mich nicht vom Fleck. Ich wußte, daß sich auf der Stelle mindestens einige der Mönche auf mich gestürzt hätten, falls ich es doch tun sollte. Ich sah jetzt, daß sie selbst Angst hatten. Große Angst. Ich fragte mich, was sie wohl in ihrer Muttersprache so erregt miteinander besprachen – etwas, das ihnen vielleicht sogar die Todesstrafe einbringen konnte. Ob es stimmte, daß der Erzbischof von neuem des Landes verwiesen werden sollte? Ich dachte an das Kampfgetümmel unten bei den Schiffswerften, dessen Lärm ich gehört hatte. Wahrscheinlich lag der Grund dafür in dem gleichen Gerücht. Aber mehr als ein Gerücht konnte es nicht sein. Es hatte keine öffentliche Bekanntmachung gegeben: Ich hätte heute morgen im Tempel bestimmt davon gehört.
»Ich habe überhaupt nichts gehört«, sagte ich, »und ich weiß nichts von einer Verbannung. Freunde, ich bezweifle, daß etwas Wahres an diesem Gerücht ist. Ich bin kein Spion. Ich verstehe nicht einmal koptisch.« Ich hielt inne und überlegte verzweifelt, was ich sonst noch sagen könnte.
Der fremde Mönch spuckte verächtlich aus und brüllte: »Alles Lügen!«
»Dann glaubt mir eben nicht!« fuhr ich ihn meinerseits wütend an und vergaß meine Geduld. »Es stimmt trotzdem. Und ich nehme an, daß die Brüder hier besser Bescheid wissen als du. Du bist ein Fremder hier, oder?«
Im ganzen Raum konnte man das Scharren vieler Füße vernehmen. Die Mönche sahen den Fremden an, sahen mich an und sahen sich gegenseitig an. Immer noch rührte sich keiner, um über mich herzufallen. Selbst wenn sie es täten, bezweifelte ich, daß sie mich töten würden. Die unvermeidliche Entdeckung, daß ich in Wirklichkeit eine Frau war, würde ihnen sofort Einhalt gebieten. Dieser Gedanke machte mich selbstsicherer. »Wo hast du von dieser Verbannung gehört?« fragte ich den Fremden und redete schnell in die Stille hinein, bevor er von neuem Verdächtigungen gegen mich vorbringen konnte. »In der Stadt ist nichts davon bekanntgegeben worden.«
»Sie haben den Nil hinunter Truppen in Bewegung gesetzt«, entgegnete der Fremde und bedachte mich mit einem feindseligen Blick. »Und die Soldaten sagen, daß sie in der Stadt für Ordnung sorgen sollen, weil man Aufstände erwartet. Aber das weißt du doch ganz genau, Sohn der Verdammnis. Ich bin den Nil heruntergekommen, um die Brüder vor diesen Ereignissen zu warnen – du siehst, ich habe keine Angst vor dir! Ich bin Archaph, ein Diener Gottes und des Erzbischofs, und ich werde ihnen bis zu meinem Tode dienen!«
»Und diese Brüder hier«, entgegnete ich ihm scharf, »stehen ebenfalls im Dienste Gottes und des Erzbischofs. Ihr Dienst besteht darin, sich um die Kranken zu kümmern, und davon scheinst du, Archaph, sie durch wilde Gerüchte über Truppenbewegungen abzuhalten. Meine Patientin ist schwer krank; sie ist sehr jung, hat große Schmerzen und ist ganz allein mit ihrem Säugling, um den sich niemand kümmert – und was ist mit den übrigen Kranken hier, während wir herumstehen und uns gegenseitig anbrüllen? Sie könnten sterben, und niemand ist mehr da, um ihnen beizustehen!«
Jetzt machten Markus und einige der übrigen Mönche einen besorgten Eindruck. Doch Archaph sagte: »Wenn es nach den Ketzern geht, werden sie alle sterben. Wenn wir alle wegen unseres Glaubens verfolgt werden und in das Gefängnis geworfen werden, dann sind sie alle dem Tode anheim gegeben. Schenkt dieser Kreatur kein Gehör, Brüder. Diesem spionierenden Zwitter mit seinen vergifteten Worten, die geeignet sind, Hader zwischen uns zu stiften. Jeder Patient eines Juden und eines Eunuchen muß ein Ketzer sein. Ihr solltet keine Patienten von solchen Leuten nehmen. Sie werden, genau wie Hunde, bloß die Hand beißen, die sie heilt.«
Er streckte seine ausgemergelten, alten Arme zum Himmel. An seinen Schultern und Oberarmen sah ich die weißen Narben von Peitschenhieben, und jetzt erst bemerkte ich auch die Schwielen, die von Fesseln um seine Handgelenke herrührten. Die anderen Mönche sahen sie ebenfalls, und ließen eine Art grollendes Knurren hören. »Denkt daran, wie Gregorios uns mit Dornen schlug!« brüllte Archaph. »Denkt daran, wie Georges die Gläubigen folterte und auspeitschte! Denkt an die Listen des Präfekten Philagrios, die er aufgrund der Berichte seiner Spione zusammenstellte. Denkt an die Qualen, die er uns zufügte, als unser Herr Athanasios in der Verbannung war!«
Die Mönche dachten daran und begannen, sich auf mich zuzubewegen.
»Ich rufe den Erzbischof um Gerechtigkeit an«, schrie ich und hob meine Stimme, um das laute Getöse, mit dem die Pfleger Archaphs Worte begrüßt hatten, zu übertönen. Es gelang: Bei der Erwähnung ihres geliebten Athanasios verfielen sie in erneutes Schweigen. »Wenn ihr wirklich glaubt, daß ich ein Spion bin«, fuhr ich fort, »dann könnt ihr das ja seiner Heiligkeit erzählen und mich aus der Stadt jagen lassen. Aber in der Zwischenzeit wäre es ganz gut, wenn sich jemand um die Kranken kümmern würde.«
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Sie beobachteten mich, ihre Augen funkelten in dem Licht der Lampen. »Das ist ein guter Gedanke«, erklärte Markus schließlich entschieden.
»Laßt uns gehen und unserem Herrn, dem Erzbischof, einen Besuch abstatten. Er wird uns sagen, was wir tun sollen. Er wird uns sagen, ob dieses Gerücht wahr ist oder nicht. Und wir können ihn fragen, ob es rechtens ist, von Eunuchen und Juden Patienten zu nehmen.«
Sie schrieen durcheinander und spendeten Beifall und scharten sich plötzlich dicht um mich, als sei ich eine Beute, die sie in einem Krieg gefangengenommen hätten und im Triumph zu ihrem Anführer bringen wollten. Einige entzündeten Fackeln; Archaph und ein paar Fanatiker fingen an, Psalmen zu singen. Dann würde ich also jetzt gleich dem Bischof gegenüberstehen. Nun gut, er war wenigstens ein mächtiger Mann und außerdem sehr erfahren. Er sollte eigentlich weniger nervös sein als seine Gefolgsleute. Ich hielt es für ziemlich wahrscheinlich, daß er mich auf der Stelle freilassen und seinen Gefolgsleuten sagen würde, sie sollten sich beruhigen. Ich hätte nur gerne eine Nachricht an Philon geschickt, um ihm berichten zu können, was passiert war. Ich fürchtete, wenn ich nicht bald zurückkam, würde er vielleicht versuchen, selbst zum Hospital zu gelangen. Aber für einen Juden würde es noch schlimmer sein als für einen Eunuchen. Es gab jedoch niemanden, dem ich eine Notiz hätte geben können, und so begnügte ich mich damit, den Mönchen zu empfehlen, sie sollten nach Möglichkeit jemanden dalassen, der sich um die Kranken kümmern könnte. Ein paar der Mönche erklärten sich dazu bereit, die übrigen machten sich auf den Weg, stießen mich dabei in ihre Mitte, schwenkten ihre Fackeln und sangen fromme Lieder.
Der bischöfliche Palast lag am Eunostoshafen im Westteil der Stadt, in der Nähe des Mondtores. Wir marschierten am Ufer entlang, an der großen Kirche des Athanasios vorbei, überquerten den Kanal, ließen die Kirche des Theonas hinter uns, und überall kamen Leute aus ihren Häusern gerannt, um sich den Mönchen anzuschließen. Das Gerücht von der bevorstehenden Verbannung des Erzbischofs hatte sich bereits durch die ganze Stadt verbreitet, und in der Luft lag drohend die Erwartung von Blut. Hafenarbeiter, Ladeninhaber, Bauern ohne Land, die von Gelegenheitsarbeiten lebten, sowie die öffentlichen Almosenempfänger scharten sich allesamt hinter uns, schwangen Knüppel und Messer, schlugen die Hände im Rhythmus der Psalmen, sangen und brüllten. »Danket dem Herrn, denn er ist freundlich!« sangen die Mönche, und die Leute riefen: »Und seine Güte währet ewiglich!«
»Es ist besser, sich dem Herrn anheimzugeben, als auf die Menschen zu bauen!«
»Denn seine Güte währet ewiglich!«
»Es ist besser, sich dem Herrn anheimzugeben, als auf die Könige dieser Welt zu bauen!«
»Denn seine Güte währet ewiglich!«
»Eine große Menge umzingelt mich, aber im Namen des Herrn werde ich sie vernichten!«
»Denn seine Güte währet ewiglich!«
»Sie umkreisen mich wie Bienen; aber sie werden gelöscht wie das Feuer im Dornbusch: Denn im Namen des Herrn werde ich sie vernichten! Der Herr ist meine Kraft und mein Gesang, und er ist meine Rettung!«
»Denn seine Güte währet ewiglich!«
Wir erreichten den bischöflichen Palast an der Spitze einer riesigen Menge. Der Pöbel tanzte am dunklen Ufer des Hafens entlang, unzählige Fackeln spiegelten sich in den Wellen. In ihrem Licht hob sich das äußerste Ende des Hafenbeckens, dort wo die Fischerboote auf den stinkenden Schlick des Strandes heraufgezogen worden waren, gegen das dunkel schimmernde Wasser schwarzdrohend ab. Der Palast war viel kleiner als das Haus meines Vaters, und wenig an ihm deutete auf seinen Bewohner hin. Ich wäre einfach daran vorbeigelaufen, doch die Menge wußte, wer dort residierte. Die Menschen blieben unvermittelt davor stehen, ergossen sich über die niedrige Mauer, die die Straße vom Meer trennte, trampelten auf dem morastigen Strand herum, schlugen gegen die Außenwände der Fischerboote und sangen und psalmodierten.
Einige Männer in dunklen Umhängen – Mönche oder Priester kamen an die Tür des Hauses und warfen einen Blick auf uns, dann gingen sie wieder in das Haus zurück. Einen Augenblick später erschien ein kleiner, schwarzgekleideter alter Mann in der Tür, blieb dort stehen, und die Menge schrie: »Athanasios! Athanasios! Athanasios!« Ich dachte, der Erdboden erzittere.
Der Erzbischof hob seine Hände empor, und das Volk war still. Einen Augenblick lang war es so ruhig, daß ich das prasselnde Geräusch der Fackeln und das leise Plätschern der Wellen im Hafen hören konnte. Ich vernahm den Seufzer, mit dem der Pöbel um mich herum den Atem anhielt, ja das Schlagen meines eigenen Herzens. Zwischen den Mönchen eingekeilt, wurde mir schwindelig. Es lag ein Gestank nach Hafenabwässern, ungewaschenen Körpern und Schweiß in der Luft.
»Geliebte Brüder«, rief der Erzbischof, »was bedeutet dieser Aufruhr?«
Wieder entstand ein Schweigen, dann fingen viele Leute gleichzeitig zu schreien an. Der Erzbischof hob seine Hände von neuem und richtete einen fragenden Blick auf die Mönche des Hospitals.
Archaph sprang vor und warf sich vor dem Erzbischof nieder.
»Heiliger Vater!« rief er aus. »Wir haben gehört, daß die Gottlosen die Absicht haben, dich von uns zu nehmen, und wir fürchten uns!«
Erzbischof Athanasios seufzte. »Fürchtet euch nicht«, rief er laut und deutlich. Er hatte eine außerordentlich mächtige Stimme für einen derart zierlichen, alten Körper, und er sprach keineswegs – wie viele alte Leute – undeutlich oder zögernd. Wenn man die Augen schloß, hätte man meinen können, da spräche ein junger Mann. »Ich habe dieses Gerücht ebenfalls vernommen, doch es ist falsch. Der ägyptische Heerführer hat seine Truppen aus Furcht vor Tumulten wegen der bevorstehenden Osterfesttage nach Alexandria marschieren lassen, mehr ist an der Angelegenheit nicht dran. Ich habe mich bei dem Heerführer erkundigt und habe zu meiner Zufriedenheit erfahren, es werde nichts passieren. Der Heerführer hat mir versichert, daß seine Truppen nichts unternehmen werden, es sei denn, das Volk zettele einen Aufruhr an. Deshalb, meine Brüder, bitte ich euch, nach Hause zu gehen und mir meine Nachtruhe zu gönnen. Tumulte wie dieser werden nichts anderes bewirken als ein Frohlocken unter den Gottlosen, die nur darauf warten, uns des Aufruhrs zu bezichtigen.«
Die Menge brüllte: »Athanasios! Herr Ägyptens! Gütiger Nil!«
Sie begann erneut zu singen, diesmal den Siegespsalm. Jemand klatschte erneut Beifall. Athanasios nickte ihnen zu, machte des Zeichen des Kreuzes und winkte sie mit einer segnenden Gebärde seiner Hände in die Nacht hinaus. Der größte Teil der Menge fing an, sich zu zerstreuen. Nur die Mönche, die mich bewachten, zögerten noch.
Der Erzbischof erleichterte ihnen ihren Entschluß. »Gibt es noch etwas, meine Brüder?« fragte er. »Archaph aus Thebais! Ich wußte nicht, daß du in Alexandria bist.«
Der Mönch sah ihn an, äußerst geschmeichelt, erkannt worden zu sein. »Wir haben diesen Eunuchen hier im Hospital ergriffen«, erzählte er dem Bischof. »Ich glaube, er ist ein Spion. Er möchte seine Patienten zwischen die Gläubigen schmuggeln.« Athanasios sah mich an, und ich erwiderte seinen Blick. Er war klein, kleiner als ich, und das Alter hatte ihn leicht gebeugt. Er war ausgemergelt, hatte viele seiner Zähne verloren und war sehr einfach in dem grauen Gewand eines Asketen gekleidet. Er hatte einen Bart, weiß und dünn, sowie weiße Haare; seine Augen jedoch waren vollkommen klar. Es waren sehr große, dunkle Augen, wie die Augen eines Vogels, doch sehr ausdrucksvoll. Man spürte, daß ihr Blick tief unter die Oberfläche ging und bis ins Herz vordrang.
»Bist du Arzt?« fragte Athanasios mich.
»Ich bin Student, Eure Heiligkeit«, erwiderte ich. »Ich bin der Assistent von Philon, dem Juden. Wir haben eine Patientin, eine Christin, die wir gerne im Hospital untergebracht hätten, weil sie arm ist und ihr Mann die Stadt verlassen muß, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich bin ihretwegen zum Hospital gegangen. Doch ich habe wohl einen schlechten Zeitpunkt gewählt.«
»Was kann schon gutes von einem Juden und einem Eunuchen kommen?« fragte Archaph heftig. »Sie sind Spione und wollen noch mehr Spione und Ketzer einschmuggeln, um uns zu beobachten!«
»Gibt es denn etwas, das sie ausspionieren könnten?« fragte Athanasios ihn und lächelte ein wenig. Dann zuckte er die Achseln. »Man kann derartige Angelegenheiten schwerlich zwischen Tür und Angel regeln. Kommt rein – du, Archaph, und du, Markus… und du, Eunuch. Der Rest von euch gehe zu seiner Arbeit zurück und bete für den Frieden. Die Stadt ist in diesem Frühjahr in Sorge und Angst und benötigt die Gebete aller gottesfürchtigen Menschen.«
Widerwillig zerstreuten sich die übrigen Mönche, und zusammen mit Archaph und Markus betrat ich den bischöflichen Palast.
Athanasios führte uns durch eine Eingangshalle und einen engen Hof in ein Empfangszimmer. Es war von mehreren Öllampen erhellt. In einer Ecke stand ein mit Büchern beladenes Schreibpult, in der anderen war ein Kohlenbecken aufgestellt worden. Der Raum hatte einen schachbrettartig gemusterten Fußboden ohne jede Mosaiken und war im übrigen völlig kahl. Der Erzbischof ließ sich mühsam am Schreibpult nieder und drehte seinen Stuhl herum, um uns anzusehen. Hinter ihm standen mehrere Diakone und ein weiterer Mönch. Er bedeutete uns mit einer Geste, es uns bequem zu machen, doch niemand setzte sich. Alle blieben stehen und sahen ihn an. »Also«, meinte er, »ich bitte euch, Brüder, sagt mir, was ihr wollt. Ihr habt etwas dagegen, Patienten von einem jüdischen Arzt aufzunehmen, und ihr glaubt, dieser Eunuch spioniere euch nach?«
Archaph und Markus fingen beide gleichzeitig an zu sprechen, dann hielten sie beide inne. »Ich traue keinem Eunuchen, der behauptet, er sei Student der Medizin«, sagte Archaph schließlich. »Er gehört zu der Sorte Mensch, die den Luxus liebt, wie du selbst weißt, Heiligkeit. Und dieser hier ist ein Fremder, doch er hat sich mit einem Juden zusammengetan, obwohl er behauptet, Christ zu sein. Ich bin gerade erst in der Stadt angekommen, und ich weiß auch nicht mehr. Aber du weißt, heiliger Vater, wie sehr man uns haßt und wie viele Ränke unsere Feinde gegen uns schmieden.«
»Gott hat uns beschützt, und er wird uns weiterhin beschützen«, entgegnete Athanasios ruhig. »Ich glaube nicht, daß der Kaiser jetzt gegen uns vorgehen wird. Aber es stimmt, daß er Männer geschickt hat, die jene beobachten sollen, die mich – so wie ihr es tut – unterstützen. Markus, kennst du diesen Eunuchen?«
Markus zögerte. »Er ist der Assistent eines gewissen Philon, eines jüdischen Arztes. Wir haben im vergangenen Jahr auf seine Empfehlung hin mehrere Patienten aufgenommen. Manche sind gestorben, manche haben überlebt. Er und Philon besuchen sie mit großem Fleiß, obwohl sie sich kein Geld dafür erhoffen können. Wenn der eine kein Jude wäre und der andere kein Eunuch, dann würde ich in der Tat sagen, daß diese Ärzte alle beide tugendhafte Männer sind.«
»Hast du irgendeinen Grund für den Verdacht, daß die Patienten Spione gewesen sind?«
»Die Patienten? Nein, wirklich nicht, Heiligkeit. Es waren einfache Leute aus Alexandria. Arme Leute.«
»Keine Juden oder Eunuchen? So, so. Ich glaube nicht, daß es etwas schaden kann, Patienten, die der Teufel schickt, aufzunehmen, sofern sie Christen und auf Barmherzigkeit angewiesen sind. Mein Bruder Archaph ist äußerst eifrig und der Kirche treu ergeben, doch ich glaube, sein Eifer hat ihn hier wirklich ein wenig überwältigt, wie? Eunuch – wie ist dein Name? Bist du ein Christ?«
»Ja, Heiligkeit«, sagte ich und war sehr erleichtert. Wir hörten es jetzt aus dem Munde des Erzbischofs selbst, daß das Hospital unsere Patienten aufnehmen mußte. »Ich bin Chariton, Herr, aus Ephesus, ein nizäischer Christ.«
»Warum arbeitest du dann mit einem Juden zusammen?« Die klaren Vogelaugen sahen mich erneut durchdringend an. »Wie tugendhaft dein Meister auch immer sei, es überrascht mich, daß ein Eunuch aus Ephesus, ein Mann von Bildung und guter Erziehung sowie ein Student der Medizin, sich mit einem Juden aus Alexandria zusammentut. Das ist wie geschaffen dafür, Argwohn zu wecken bei Leuten wie Archaph, die Grund dazu haben, argwöhnisch zu sein.«
Ich lächelte und bewunderte insgeheim die Beobachtungsgabe des alten Mannes. Ich hatte nur ein paar Worte mit ihm gesprochen, und er hatte mich bereits als Mensch von vornehmer Abkunft erkannt. Dieser von Ischyras und Maia so sorgfältig anerzogene Akzent! »Als ich in Alexandria ankam, Eure Heiligkeit, habe ich mich bemüht, bei anderen Ärzten zu studieren, aber sie wollten nicht mit einem Eunuchen zusammenarbeiten. Mein Meister Philon ist ein sehr hochherziger Mann, Herr, ein wahrer Anhänger des Hippokrates, und ich bin sehr zufrieden mit der Ausbildung, die ich bei ihm erhalte.«
»Ein wahrer Anhänger des Hippokrates! Und das bedeutet dir mehr, als wenn er ein Anhänger Christi wäre! Ich vertraue darauf, daß sich seine Ausbildung auf die Medizin beschränkt und dein christlicher Glaube vor ihm sicher ist.«
Mir fiel so rasch keine Antwort darauf ein, und Athanasios beobachtete mich mit einem Ausdruck heimlichen Vergnügens.
»Philon ist ein tugendhafter Mann«, sagte ich endlich. »Er würde seinen Glauben niemals jemandem aufdrängen. Und er hält sich immer und überall an den Eid des Hippokrates.«
»Ich bin froh, dies zu hören«, meinte Athanasios milde.
»Was genau schwört ihr in jenem Eid? Niemanden auszuspionieren?«
»›Was auch immer ich entdecken mag, was ich nicht offenbaren sollte, ich werde es geheimhalten.‹ Ich glaube, dies schließt die Verpflichtung ein, nicht zu spionieren.«
»Und seine christlichen Patienten vertrauen ihm? Du sagtest, ihr hättet im Augenblick eine Patientin, die du gerne im Hospital unterbringen möchtest, war es nicht so?«
»Seine christlichen Patienten können ihm vertrauen, Eure Heiligkeit. Ja, da ist eine Frau mit Kindbettfieber. Sie hat niemanden, der sich um sie kümmert.«
Athanasios schwieg einen Augenblick. Er starrte mich bloß an, dann runzelte er plötzlich die Stirn. Archaph bemerkte es, wurde ganz aufgeregt und blickte mich von neuem mißtrauisch und feindselig an. Der Erzbischof bemerkte es. »Nein«, sagte er zu dem Mönch, »du hast unrecht, Bruder, er ist nicht unser Feind. Aber Gott hat mir soeben etwas offenbart. Junger Mann, ich muß einen Augenblick mit dir allein sprechen. Markus, Archaph, ich bitte euch, eure Angst und euren Zorn zu vergessen. Geht und kümmert euch barmherzig um die Patientin dieses jungen Mannes. Betet für uns, Brüder, so wie wir für euch beten werden.« Er segnete sie, und mit einem überraschten Blick auf ihn und einem Blick unverhüllter Neugier auf mich zogen sie ab. Athanasios nickte auch den Männern aus seinem Gefolge zu. »Laßt uns für einen Augenblick alleine«, befahl er ihnen. »Ich muß mit diesem Eunuchen unter vier Augen sprechen.«
Sie zogen sich zurück und starrten mich ohne große Verwunderung, jedoch einigermaßen neugierig an, so als seien göttliche Enthüllungen nichts Ungewöhnliches, ihre jeweilige Art jedoch ein Grund tiefen Nachdenkens. Ich fühlte mich äußerst unbehaglich. Mir waren die durchdringenden Augen des Erzbischofs unheimlich. Was mochte Gott ihm enthüllt haben? Ich zog es vor, Gott aus dem Spiel zu lassen. Bischof Athanasios war schon aus eigenen Gnaden überzeugend genug.
»So«, sagte er, als die anderen gegangen waren. »Wie lautet dein richtiger Name, junge Frau?«
»Was?« fragte ich ihn. »Ich verstehe nicht.«
Er machte eine ungeduldige Handbewegung. »Du verstehst sehr wohl. Chariton… vielleicht heißt du Charis? Warum hast du dich verkleidet und täuschst einen Eunuchen vor?«
Ich fühlte mich ein bißchen wacklig in den Knien, und mein Gaumen war ganz trocken. Ich wußte schon wieder nicht, was ich sagen sollte. Leugnen? Oder zugeben und ihn bitten, es niemandem zu erzählen?
»Du brauchst keine Angst zu haben«, meinte Athanasios. »Ich habe… auch so eine Art hippokratischen Eid geleistet. Was auch immer ich entdecken mag, was ich nicht offenbaren sollte, ich werde es geheimhalten.«
»Ja«, sagte ich und schluckte, »ich heiße Charis. Wie hast du es herausgefunden?«
»Gott hat es mir enthüllt.« Er beobachtete mich eindringlich.
»Es war schon überraschend genug, einem guterzogenen Eunuchen zu begegnen, der bei einem jüdischen Arzt Medizin studiert, aber es ist noch überraschender, eine junge, vornehm geborene Frau dahinter zu entdecken. Warum das Versteckspiel?«
Ich schluckte noch einmal. Offenbarte ihm Gott wirklich Dinge, oder waren es ganz einfach seine scharfen und vorurteilslosen Augen? »Ich wollte nicht verheiratet werden, und ich wollte Medizin studieren.«
Mir wurde später bewußt, daß dies vielleicht das Beste war, was ich in der Situation sagen konnte. Bischof Athanasios war ein Asket. Er betrachtete die Ehe als einen minderen Weg des Lebens. Vollkommenheit lag allein in Keuschheit und geistiger Disziplin. Oft hatte er alexandrinische Frauen gegen ihre Familien unterstützt, obwohl ihm dies beträchtliche Feindschaften eintrug. Aber daran hatte ich nicht gedacht, als ich ihm Rede und Antwort stand.
»Medizin«, meinte er mit einem eigenartigen kleinen Stirnrunzeln. »Nun gut, immerhin mag sie zu höheren Dingen führen … Weiß sonst noch jemand davon?«
»In Alexandria niemand«, entgegnete ich. »Mein Bruder hat mir geholfen.«
»Er hat dir geholfen, von deinen Eltern fortzulaufen, aber konnte dir zu keiner Stellung bei einem angesehenen Arzt verhelfen? Ich verstehe. Alle verdächtigen Umstände finden jetzt ihre Erklärung. Es ist ein Jammer, daß du zu einer solchen Maskerade gezwungen bist. Ich habe manchmal gedacht, daß man den Nonnen erlauben sollte, Medizin zu studieren – aber es hat überhaupt keinen Zweck, mit den Gelehrten des Museums darüber zu diskutieren. Gelegentlich geben sie zu, daß eine Frau vielleicht Philosophie studieren könnte, aber Naturwissenschaften: niemals. Obwohl ich manche Nonnen kennengelernt habe, die hervorragende Ärzte abgegeben hätten. Unter ihnen war eine… Nun ja, bist du wirklich eine nizäische Christin?«
»Eure Heiligkeit, ich verstehe nichts von Theologie. Ich verehre dich und werde das glauben, was du glaubst.«
»Du würdest nicht so sprechen, wenn ich dich zu medizinischen Angelegenheiten befragen würde. Du willst damit sagen, daß du nicht an Theologie interessiert bist, nicht wahr? Nun gut, vielleicht findest du später dahin. Was man über Gott denkt, liegt auf dem Grund aller Dinge. Dann studiere also die Kunst des Heilens, Charis von Ephesus. Ich danke dir, daß du ehrlich mit mir warst.«
Etwas hilflos stand ich da und errötete. Vor ein paar Augenblikken hatte ich mich noch wie ein Student der Heilkunst gefühlt; jetzt fühlte ich mich wie ein törichtes kleines Mädchen. »Du wirst es doch niemandem erzählen?« fragte ich ungeschickt.
Er lachte. »Warum sollte ich? Ich finde nicht, daß du irgend etwas Schlechtes tust. Die Anmaßung der Welt und der Ehrgeiz der Männer zwingen Mädchen dazu, zu heiraten, auch wenn sie es selbst gar nicht wollen. Und die Heilkunst ist eine edle Kunst, die unser Herr Jesus Christus selbst ausübte. Es gibt heutzutage zu wenig Ärzte, die ihren Eid ernst nehmen. Aber vielleicht werde ich dich eines Tages um Hilfe bitten, Charis.« Unsere Blicke begegneten sich. Der seine war ruhig, prüfend. Nein, das war nicht als Drohung oder Erpressung gemeint. Aber er wußte, daß er jetzt Macht über mich hatte: Weil er als einziger wußte, wer ich war, wußte er auch, daß er mir vertrauen konnte. Mein Schicksal lag in seiner Hand. Ich verbeugte mich sehr tief. »Wenn Eure Heiligkeit jemals Hilfe von mir wünscht, dann weißt du, daß ich dein Diener bin.«
Athanasios lachte erneut. »Ja, das weiß ich, nicht wahr? Der Segen Gottes möge auf dir ruhen, meine Tochter.« Er machte das Zeichen des Kreuzes, dann fügte er hinzu: »Ich werde einen meiner Priester bitten, dich zum Hospital zurückzubegleiten. In der Stadt herrscht Aufruhr heute nacht, und selbst als Eunuch würdest du Ärger haben.«
Als ich wieder im Hospital war, fand ich dort Philon vor, der sich um unsere Patientin kümmerte. Die Mönche, sogar Archaph, betrachteten mich, die Ursache einer göttlichen Offenbarung, mit beträchtlicher Hochachtung, und diese Hochachtung schien sich sogar auf Philon zu erstrecken. Er war sehr erleichtert, mich zu sehen, zunächst jedoch erörterte er ausschließlich die Probleme unserer Patientin. Um das Fieber zu senken, hatte er ihr eine kleine Dosis gefleckten Schierling gegeben, dazu ein wenig Enzianwurzel, damit sie nicht mehr so stark blutete, und jetzt schlief sie. Für den Säugling hatte er eine Amme gefunden, doch Philon wollte, daß das Kind möglichst bald zur Mutter zurückgebracht wurde, damit sie es zumindest einmal am Tag stillen konnte. Andernfalls bestand die Gefahr, daß sie zu ihrem Kindbettfieber auch noch eine Brustdrüsenentzündung bekam. Die Mönche waren allesamt sehr freundlich und hilfsbereit, und bald konnten wir das Hospital verlassen und uns auf den Heimweg machen.
»Dem Himmel sei Dank, daß dir nichts passiert ist«, sagte Philon, als wir endlich allein waren. »In der Hafengegend war ein großes Geschrei, und der Mann jener Frau kam und berichtete, der Erzbischof solle erneut verbannt werden und die ganze Stadt sei in Aufruhr. Ich schickte ihn hinter dir her, damit du dich vom Hospital fernhieltest. Ich wußte, daß es Ärger mit diesen Mönchen geben würde. Doch es war bereits zu spät. Sie haben dich also zum Erzbischof geschleppt.«
Ich nickte. »Er versicherte ihnen, an dem Gerücht sei nichts dran und sie seien verpflichtet, unsere Patientin zu nehmen.«
»Chariton, du bist ein erstaunlicher Mensch«, erklärte Philon feierlich. »Jeder andere wäre unweigerlich gelyncht worden… Die Mönche haben mir erzählt, der Erzbischof habe allein mit dir sprechen wollen?«
Ich nickte. Philon sah mich einen Augenblick lang prüfend an, doch ich erwiderte seinen Blick nicht. »Und was passierte dabei?« fragte er schließlich.
»Ich glaube, er würde einen besseren Kaiser abgeben als der Augustus Valens«, sagte ich. »Er würde keine Menschen foltern. Er hätte das nicht nötig.«
Philon blieb stehen und ergriff meinen Arm. »Chariton«, sagte er, »er wird doch nicht… Ich weiß, daß du nichts Schlechtes getan hast, aber ich weiß auch, daß es da ein paar Dinge gibt, die du mir verheimlicht hast. Es ist ganz offensichtlich – ein Eunuch aus einer reichen Familie taucht nicht plötzlich völlig mittellos in einer Stadt wie Alexandria auf, ohne daß auch nur das geringste wegen seines Studiums vereinbart worden wäre. Es sei denn, es ist etwas schiefgegangen. Was auch immer für Geheimnisse du hast… Der Erzbischof kann sie doch nicht gegen dich benutzen, nicht wahr?«
Ich war gerührt über seine Besorgnis. »Ich glaube nicht, daß er das tun wird«, erwiderte ich. »Aber davon einmal abgesehen, glaube ich nicht, daß er es überhaupt nötig hätte.«
Philon sah mich eindringlich an. Ich lächelte ihn an; er lächelte zurück und ließ meinen Arm los. Wir setzten unseren Weg fort.